04.09.2011

Was soll der ganze Lärm?

Interview mit Patrick Bahners

Der Feuilletonchef der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und Autor des Buchs „Die Panikmacher – Die deutsche Angst vor dem Islam“, erneuert seine Kritik der Islamkritik und antwortet auf die Vorwürfe seiner Gegner

Wenn man das mal einleitend auf den Punkt zu bringen versucht, würden wir sagen: Ihre Kritik der Islamkritik ist ein Plädoyer für den offenen Umgang mit den Herausforderungen der Gegenwart und eine scharfe – oft auch humorvolle – Polemik gegen die Prediger der Angst und des Ressentiments.

Sie konstatieren eine bemerkenswerte Bereitschaft durchaus tonangebender Kreise der deutschen Gesellschaft zur Kultivierung von Untergangsvisionen, die sich eben zurzeit vor allem am Islam als Bedrohung festgemacht haben. Da werden Dinge geäußert, gefordert und auch politisch umgesetzt (man denke an die Kopftuchverbote), die das liberale Selbstverständnis unserer Gesellschaft in maßgeblichen Bereichen zur Disposition stellen. Das reicht – um nur ein paar der von Ihnen beschriebenen Themen anzusprechen – von Sarrazins Forderung nach einer Art obrigkeitlicher Steuerung des genetischen Makeup Deutschlands über Nekla Keleks Aufruf zur vollständigen staatlichen Kontrolle der Moscheen bis zu Henryk Broders Appell zur Intoleranz als Gebot der Stunde zur Abwehr einer drohenden fremdkulturellen Übernahme Deutschlands.
 

Dazu also nun unsere Fragen an Sie:
 

NovoArgumente: Sie sprechen von mangelndem Selbstvertrauen, auch von Politikern, die sich aus „Angst vor der Angst“ mit dem Antiislamismus gemein machen. Herrn Schirrmacher zitierend, nennen Sie Sarrazin auch „Ghostwriter einer verängstigten Gesellschaft“. Wie meinen sie das?

Patrick Bahners: Die Welt des Religiösen ist dem normalen bürgerlichen Bewusstsein wieder viel ferner gerückt als in den Jahrzehnten der Nachkriegszeit. Deswegen ist es möglich, die Religion des Islams einzusetzen in diese Sündenbockposition, und für die Angst, dass die Grundlagen des Zusammenlebens immer brüchiger werden, die Verantwortung bei dieser fremden Religion zu suchen. So erscheint mir auch der übersteigerte republikanische Patriotismus, wie er von Frau Kelek gepredigt wird: Mein Vorwurf lautet, dass dieser selbst religiös-missionarische Züge annimmt. Die Gründe, dass so etwas populär ist, scheinen mir damit zu tun zu haben, dass die eigene Verfassungsordnung in ihrer Funktionsweise und Geschichte heute eben weniger präsent ist. Die Instrumentalisierungen, die da unternommen werden, sind bedenklich – beispielsweise dass gar nicht mehr gefragt wird, was ist der Sinn von Religionsunterricht, sondern alles ad hoc mit hoher Dringlichkeit umgesetzt wird, nach dem Motto: Wir müssen jetzt unbedingt islamischen Religionsunterricht machen, um gerade noch zu verhindern, dass die alle abdriften in das völlig Unaufgeklärte.

Sie haben ja von Aufklärungsfundamentalismus gesprochen. Wie haben sie das gemeint?

Das Fundamentalistische an dieser Art Aufklärung ist selbstverständlich nicht, dass man Menschenwürde, Menschenrechte, Gleichheit von Frau und Mann als fundamentale Werte betrachtet. Aber es gibt in diesem Wunsch nach offensiver Liberalisierung etwas Unduldsames. Es wird viel mit Verdächtigungen gearbeitet und der Eindruck erweckt, dass man nur durch Kontrolle die Einhaltung dieser Grundwerte sichern kann. Das sind Mittel, die man kennt: aus der Geschichte der Religion und der religiösen Zwangssysteme im Sinne von bürokratischen Apparaturen, wie sie die christlichen Konfessionen als herrschende Kirchen ausgebildet hatten, um Homogenität unter ihren Gläubigen herzustellen.

Trotz aller Unterschiede sind sich die Islamkritiker in der Forderung nach staatlichen Eingriffen einig. Sie dagegen setzen in ihrem Buch sehr explizit auf Offenheit und den demokratischen Austausch. Sie sprechen von der Eigendynamik von Verhältnissen der freimütigen Diskussion, auf die die Erziehung des Menschengeschlechts angewiesen sei. Ihre Kritiker kreiden Ihnen das natürlich wiederum als angesichts der beschworenen Gefährdung durch den Islam hoffnungslos naiv an. Wie antworten Sie auf diesen Vorwurf?

Ein Moment der Naivität mag bei mir hineinspielen, da ich Geschichte studiert habe und somit gewohnt bin, zunächst einmal zu versuchen, mir mit historischen Vergleichen einen Reim auf Dinge zu machen. Liberalisierung als große säkulare Tendenz der Öffentlichkeit bedeutet, dass alle Wahrheitsansprüche diskutiert werden und nichts Letztes als dogmatische Wahrheit gelten kann. Das gilt mit guten Gründen auch als Zivilisierung und Öffnung von einzelnen Religionen oder religiös geprägten Subkulturen. Und da möchte ich behaupten: Das wurde durch Religionsfreiheit stimuliert, und eben nicht durch Beschränkung der Religionsfreiheit.

Man betrachte als klassischen Fall die katholische Kirche, wo dies im spätmodernen Europa des 19. und 20. Jahrhunderts erfolgte. Der Kulturkampf, den die Staaten im Bündnis mit dem Liberalismus gegen die katholische Kirche führten, scheiterte insofern, als er dem liberalen Gedanken untreu wurde und so eine Art Gesinnungskontrolle durchsetzen wollte – mit Kanzelparagraph, Ordensverboten und so weiter. Die Öffnung der katholischen Kirche für die säkulare Öffentlichkeit, die Hereinnahme von Intuitionen des Liberalismus ins eigene Nachdenken und in die Theologie, die Überwindung der Bannflüche, die die Kirche ausgesprochen hatte gegen die Liberalen – das hat dann hundert Jahre gedauert und ist im Wesentlichen ein Werk der Selbstaufklärung der Gläubigen und der Theologen gewesen. Bei diesem Vergleich wird man natürlich gefragt: Wo sind denn die katholischen Terroristen gewesen im 19. Jahrhundert? Antwort: Lord Acton, der berühmteste katholische Historiker seiner und unserer Zeit, warf dem Papsttum vor, dass es die religiösen Morde des 16. und 17. Jahrhunderts nicht verurteilt habe und nach seinem ultramontanen Selbstverständnis einer mit absoluter Macht ausgestatteten Zentralinstitution auch nicht verurteilen könne.

Es ist ein polemischer Schritt, der alles verzerrt und praktische Lösungen gar nicht in den Blick bringt, wenn man so tut, als habe der Islam, den man hier integrieren möchte, selbst Terroristen ausgeschickt oder sei unmittelbar in Verantwortung zu nehmen für terroristische Akte. Da war die katholische Kirche doch ein viel eindeutigerer Gegner der liberalen Staaten im 19. Jahrhundert als der Islam es heute ist. Ausdrückliche Akte der Verwerfung der Moderne als Sünde und Liberaler als Handlanger des Teufels gibt es auf Seiten der maßgeblichen islamischen Instanzen, mit denen wir es hierzulande zu tun haben, gar nicht. Dagegen ist festzuhalten, dass es bei den Katholiken Glaubensinhalt war, ja der Papst die Katholiken sogar verpflichtete, die Menschenrechte für Teufelswerk zu halten.

Die Vorstellung, man könne muslimischen Familien angesichts kultureller Rückständigkeit nicht die Erziehung ihrer Kinder überlassen, ist heute weitgehend Konsens und praktizierte Politik. Das gilt aber ebenso gegenüber ganz ursprünglich deutschen Familien bestimmter sozialer Schichten. Wir sehen hier generell eine starke Kolonisierung des Erziehungs- und Bildungsbereichs durch staatliche Sozialpolitik. Ist das nicht letztlich auch eine Unterschichtendiskussion, die auf dem Rücken von Muslimen geführt wird? Sie schreiben ja auch, die Islamkritik gebe Bessergestellten die Chance, schlecht über die Schlechtgestellten zu sprechen.

Ja. Und was die Unterschichten angeht: Selbst da kommt ein fürsorglich liberaler Staat sehr schnell an die Grenzen der Möglichkeiten. Die Losung, man müsse die Kinder gegen die Eltern erziehen – das ist eine Parole der Diktaturen gewesen. Und man muss sich klar machen, wie stark die Eingriffe vor allem durch die Schulpflicht schon sind. Indem er die Schulpflicht verordnet hat, hat der Staat sich eine große Rechtfertigungspflicht aufgeladen. Das bedeutet auch, dass der Staat den Unterricht so gestalten muss, dass die Eltern nicht glauben, ihnen werden die Kinder geraubt, wenn sie die staatliche Schule besuchen. Zumal es für viele muslimische Eltern die Privatschule als Alternative aus finanziellen Gründen nicht gibt und ein muslimisches Privatschulwesen sich hier gerade erst zu bilden beginnt. Auch das muss für den Staat ein Grund sein, die Staatsschule nicht zur ideologischen Schule zu machen.

Sie meinen, man solle es den muslimischen Familien ruhig selbst überlassen, ob sie ihre Mädchen in den Schwimmunterricht schicken oder nicht. Ihre Kritiker antworten, Sie seien wohl Anhänger eines patriarchalischen Familienmodells oder gar frauenfeindlich. Was sagen Sie zu diesem Vorwurf?

Das ist zunächst eine pädagogische Frage. Wie sinnvoll und wie wichtig ist dieser gemeinsame Sport- und Schwimmunterricht? Es ist plausibel, dass es neben dem Körperlichen wie Körperbeherrschung und Disziplin und was beim Sport sonst noch alles dazugehört, auch den sozialen Aspekt gibt, also im Sinne eines Gewinnens von Unbefangenheit, was die Körperlichkeit und den Geschlechterunterschied angeht. Aber vom pädagogisch Vernünftigen aus ist es ein großer Sprung zur Position der Islamkritiker. Eine Frage der pragmatischen pädagogischen Vernunft wird zum Palladium unserer Freiheitsrechte gemacht. Und die Sache wird schon verzerrt, wenn behauptet wird, die Mädchen würden vom Schwimm- und Sportunterricht ferngehalten – obwohl in den meisten Fällen getrennter Unterricht beantragt wird. Die Fallzahl ist laut Auskunft der Kultusministerien so gering, dass man politisch gewiss nicht sagen kann, die ganze Integration hänge an dieser geschlechterpolitischen Frage des gemeinsamen Schwimmunterrichts. Zu bedenken ist auch, dass nach den Schulgesetzen der Bundesländer für diese heikle Phase der Pubertät die Trennung nach Geschlechtern lange üblich war. Da ist es unfair, den muslimischen Eltern Vorhaltungen zu machen, wenn sie von einer solchen Möglichkeit Gebrauch machen möchten. Es gibt ja auch feministische Argumente zugunsten der Geschlechtertrennung in bestimmten Phasen der Schullaufbahn oder in bestimmten Fächern. Es ist einfach nicht in Ordnung, wenn man sich dann an solchen Diskussionen beteiligt und sagt: Aber weil ihr Muslime seid und bei euch dieses tief schwarze Frauenbild dahinter steht, kommt das nicht in Frage. Es ist unfair und kontraproduktiv, das zum Gesslerhut und zur Symbolfrage hochzustilisieren, statt mit den Eltern das Gespräch zu suchen, sie zu fragen, worum es ihnen geht, und ihnen dann die Bedenken auszureden, die sicher auch auf schlechtem Informationsstand oder übertriebenen Vorstellungen von den Gefahren beruhen, die bei Klassenfahrten oder beim Duschen drohen.

Was das Frauenbild angeht, hat die radikale Islamkritik ein Problem, da sie ihre Argumente besonders aggressiv gegen Frauen wendet. Nämlich gegen die Musliminnen, die sagen, wir halten es von unserem Glauben her durchaus für sinnvoll oder zum Teil sogar verpflichtend, dass verschiedene Rollen und Erwartungen für Männer und Frauen gelten. Das muss in einem liberalen Verständnis der Grundrechte, also der Gleichheit von Frau und Mann im rechtlichen Sinne, auch möglich sein. Als Liberaler kann man diese Rechtsgleichheit nicht als Zwang zur Herstellung tatsächlicher Gleichheit – sozusagen einer Eingeschlechtlichkeit – im Alltagsleben verstehen wollen.

Das große kommunikative Problem der Islamkritik ist, dass sie den muslimischen Frauen, die ihnen selbstbewusst gegenübertreten und sagen, sie seien nicht unterdrückt, sondern hätten selbst entschieden, ein Kopftuch zu tragen, an den Kopf werfen: Ihr habt euch einer Gehirnwäsche unterzogen, ihr seid gar nicht frei. Das ist gerade in einer liberalen Gesellschaft eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit – da man keine objektiven Anhaltspunkte hat, jemandem einfach abzusprechen, aus eigener freier Entscheidung zu handeln.

Sie schreiben, dass die Islamkritiker ihre Passion für Tabubrüche und Provokationen als notwendiges Aufbegehren gegen eine Meinungsdiktatur begründen, die es untersage, Probleme anzusprechen, die viele als solche empfinden. Doch Kritiker Ihres Buches werfen Ihnen ihrerseits vor, sie wollten dieses Aussprechen von Wahrheiten gerne unterbunden sehen. Was sagen sie dazu?

Wo finden die Kritiker in meinem Buch denn solche Aussagen? Ich habe nichts gesagt, was auf eine Einschränkung der Meinungsfreiheit hinauslaufen würde. Das wäre für einen Journalisten auch sehr merkwürdig. Ich habe einfach ganz altmodische, liberale Überzeugungen, die man auch naiv nennen mag. Auf der Ebene des Meinungsstreites, der auch als Meinungskampf geführt wird, geht es beispielsweise um die Frage, ob man glaubt, die Welt werde vom Gott des Korans regiert oder vom Gott der Bibel oder von keinem Gott. Das sind fundamentale Fragen, über die man sich selbstverständlich in die Haare kommt. Und es ist auf jeden Fall der Sache dienlich, wenn solche Diskussionen in sachlich äußerster Zuspitzung geführt werden. Auch was persönliche Rücksichtnahme angeht, wäre ich vorsichtig, weil sachliche Standpunkte in solchen Fragen auch immer mit Rückschlüssen auf Personen, die einen Gegenstandpunkt haben, einhergehen, weil Religion etwas Persönliches ist. Wer meint, dass der Islam ein Aberglaube ist, der sagt dann auch über einzelne Muslime, dass sie abergläubisch sind. Das müssen Muslime einfach hinnehmen. So kann in der Zeitung stehen oder ein Kollege in der Kantine sagen: Wenn du kein Schweinefleisch isst, ist das doch nur ein Aberglaube. Das kann der Kritiker dann sogar erklären aus der Geschichte der Hygiene in den Ernährungsverhältnissen zurzeit der Entstehung des Korans, weshalb es heute keinen Grund mehr dafür gebe. Damit muss man als Muslim leben.

Was meine Äußerungen zu Meinungsexzessen angeht, die mir von manchen als betulich angekreidet worden sind: Da habe ich nur gesagt, es gibt auch Selbstkontrolle, es gibt Rollenerwartungen, und je nach Situation ist es angemessen, Dinge in einem bestimmten Ton zu sagen oder nicht zu sagen. Hier geht es mir um diese brachiale Rhetorik von Personen wie Broder und Sarrazin, die uns scheinbar einreden möchten, angesichts der demografischen oder ideologischen Bedrohung durch den Islam sei es schon Appeasement, wenn man sich nach ganz normalen Klugheits- und Höflichkeitsregeln der Kommunikation verhält. Dabei ist es sehr wohl möglich, solche Regeln einzuhalten und trotzdem sachlich ganz eindeutige Dinge über die andere Seite zu äußern. Um es ganz klar zu sagen: Ich bin nicht für irgendeine Form von Abwiegeln oder Selbstzensur.

Bleiben wir bei der sogenannten politischen Korrektheit. Oder nennen wir es lieber den Wunsch, kontroverse Äußerungen aus dem öffentlichen Raum zu verbannen. Das gibt es von beiden Seiten. Die Islamkritiker plädieren für totale Kontrolle der Moscheen, und ihre Gegner fürchten, wenn Herr Sarrazin oder Herr Broder den Mund aufmachen, erleben wir umgehend eine Woge des Rechtsextremismus. Der letzte Punkt hat durch die Ereignisse in Norwegen eine gewisse Aktualität gewonnen, denn es wird behauptet, Leute wie Broder und andere trügen Mitverantwortung für Breiviks Massenmord. Wie stehen sie dazu?

Was die Frage nach Sanktionen betrifft, möchte ich mich vorsichtig äußern, weil die Einzelheiten noch nicht alle bekannt sind. Für meinen liberalen Horizont ist aber sehr problematisch, was in Köln geschah, als es dort 2008 eine große Demonstration gab, die einen Kongress der europäischen Islamhasser unterbinden wollte. Der damalige Oberbürgermeister von Köln, Schramma, den ich wegen seines Einsatzes für die Kölner Moschee sehr schätze, ging so weit, zu verstehen zu geben, das gehöre verboten – nicht etwa, weil er das hatte prüfen lassen von seinem Ordnungsamt –, sondern er tat sinngemäß die politische Äußerung: Das wollen wir Kölner hier nicht sehen, dass solche Leute einen Saal mieten und sich dann dort treffen. Ich finde, wenn Dinge gesagt werden, die volksverhetzend sind, kann das ja hinterher verfolgt werden. Aber dass solche Veranstaltungen gar nicht stattfinden und dann die Bürgerschaft mobilisiert wird und diejenigen, die teilnehmen wollten an der Konferenz, quasi ausgeschlossen werden aus der Bürgerschaft – das darf wirklich nur in Notfällen geschehen! Wirklich nur, wenn das Leute sind, die schon gewalttätige Gegner unserer Verfassung sind. Ich habe in der Süddeutschen Zeitung gelesen, dass in München offenbar der Stadtrat Veranstaltungen von Politically Incorrect verbieten möchte. Da hat das Verwaltungsgericht München bestätigt, dass die Stadt München im Recht ist, wenn sie Wirte davor warnt, ihre Säle an Gruppen wie PI zu vermieten. Da würde ich sagen: nein – es sei denn, PI wäre der Hitler von heute, in dem Sinne, dass die einen Putsch planen möchten. Dann muss das die Stadt natürlich unterbinden, dass ein Lokal vermietet wird. Aber wenn da eine Gruppe nur eine Veranstaltung abhält, kann man das nicht verbieten wollen. Es gibt genug organisierte oder auch nicht organisierte Liberale in der Gesellschaft. Man sollte die Sache getrost dem Presseecho überlassen oder ganz normalen Leuten, die vielleicht auch in die Wirtschaft gehen und sagen: „Ich habe gehört, hier war eine PI-Veranstaltung, dann komm ich nicht mehr hierher.“ Dass das der Stadtrat jetzt selber macht, da wird mir mulmig.

Anders Breivik hat nun einmal nicht nur diesen schrecklichen, auch in der Form ziemlich einmaligen Massenmord begangen, sondern ist auch einmalig durch die Mühe, die er sich mit der Begründung gemacht hat, indem er aus dem Internet einen umfangreichen Traktat zusammengestellt und an die europäische Öffentlichkeit adressiert hat. Das ist noch einmal etwas anderes als beim Mörder von Theo van Gogh. Der Vergleich ist erhellend. Man erinnere sich, wie viel die Islamkritik aus dieser Szene gezogen hat, aus dem an der Leiche des Ermordeten sichergestellten Bekennerschreiben. Dieser Umstand hat auch die moralische Autorität von Ayaan Hirsi Ali noch einmal wachsen lassen: dass es die Erklärung von Mohammed Bouyeri, dem Mörder Theo van Goghs, gab, die Frau Hirsi Ali den nächsten Mord androhte. Bouyeri hat all das aufgeschrieben, hat diese konkreten weiteren Morddrohungen geäußert, auf dem Hintergrund eines geschlossenen radikal islamistischen Weltbildes. Insofern gibt es da einen Zusammenhang zwischen diesem Glauben, den Überzeugungen von Bouyeri und dem Islamismus überhaupt. Das ist ein Ansatz der Islamkritik, der durchaus plausibel ist. Problematisch wird es erst, wenn man alle Leute, die man überhaupt als Islamisten bezeichnet, oder ohne hinzusehen auch einen Verein wie Milli Görüs dann sofort in Haftung nimmt und sagt, ihr seid irgendwie auch alle mit dran schuld. Nach dem Motto: Bei euch wäre der Bouyeri auch nicht abgefallen, wenn er in eine eurer Moscheen gegangen wäre.

Was jetzt Breivik angeht: Die Verbindung zu Broder und anderen von ihm zitierten Autoren ist ja eine viel direktere – insofern sie eben zitiert und ihre Argumente ausführlich referiert werden, ohne dass man ihm vorwerfen kann, er habe sie missverstanden. Ich unterstelle Broder natürlich nicht, dass er insgeheim von Mordfantasien besessen wäre. Das tut aber auch niemand, der sich an der Debatte der letzten Wochen beteiligt hat. Es geht aber um die Frage, die Thomas Steinfeld den Islamkritikern vor einem Jahr in einem Artikel in der Süddeutschen gestellt hat: Worauf wollen sie eigentlich praktisch hinaus? Was ist eigentlich das politische, das gesetzgeberische Programm? Denn so etwas wie alle Muslime unter Quarantäne stellen, in den Pass stempeln, dass jemand Muslim ist, oder Kleiderordnungen einführen – das werden sie ja alles nicht wollen. Und ein gewaltsames Herausdrängen, das wird zwar dann zum Teil in der Unterwelt der Blogs doch gefordert, aber das würde ein Broder weder vertreten, noch unterstelle ich ihm, dass er das befürworten würde.

Diese radikale Islamkritik war in der Klemme, diese Fragen von Steinfeld nicht beantworten zu können. Ihr spielt euch auf als diejenigen, die realistisch, politisch denken – im Unterschied zu uns naiven Gutmenschen. Aber was ist eigentlich eure politische Programmatik? Wenn die Diagnose stimmt und nicht maßlos übertrieben ist, dass dringend Handlungsbedarf gegen einen Bürgerkriegsfeind im Inneren besteht, der sich demografisch ausgebreitet hat, was genau ist euer Programm? Unterhalb dessen, was Breivik getan hat, gibt es ja Dinge, die man fordern könnte, die möglicherweise gar nicht gegen Gesetze verstoßen würden: Dann würde die liberale Öffentlichkeit auf die Probe gestellt, wie liberal sie bleiben will. Breivik hat jedenfalls nicht nur mit seiner Stilisierung und Kostümierung eine schlüssige Konsequenz gezogen aus dieser Diagnose der Islamkritik. Ich finde es etwas unter Broders Niveau, sich dann so herauszuwitzeln, er habe noch nie an die Wirkung intellektueller Interventionen geglaubt, sonst wäre ja Hitler nicht an die Macht gekommen. Was soll dann der ganze Lärm? Und das von jemandem, der seine Bestseller ausdrücklich unter das Schlagwort des Appeasement gestellt hat, was jeder Leser eben dahingehend versteht: Wir haben aus der Hitlergeschichte gelernt. Es soll nicht der nächste Hitler, also der Mullah-Hitler, an die Macht kommen.

Sie schildern in ihrem Buch eingehend, wie Islamkritiker sich das zunehmende Ungenügen an der Politik zunutze machen, und sprechen vom kalkulierten Rekurs auf verbreitetes Misstrauen gegenüber den Eliten. Ist das alles vielleicht auch ein Resultat der Krise des Konservatismus?

Der Konservatismus ist sowieso schon in einer Dauerkrise, es gibt ihn nicht mehr. Als Formation, als politische Kraft, ist er nach 1945 in Deutschland nicht wiedergekehrt. In der Weimarer Republik gab es die DNVP und die DVP, und es standen bestimmte Interessen dahinter. Er war sehr artikuliert, und diese Art Synthese hat es überhaupt nicht mehr gegeben in der Nachkriegszeit. Stattdessen gibt es da so eine Sehnsucht nach dem Konservatismus, die zum Teil auch eine intellektuelle Sehnsucht ist. Aber wenn die Hoffnung dann kommt, dass man die eigentlich zuständigen Parteien, die Unionsparteien, wieder auf einen konservativen Kurs bringen könne, bleibt es bei frommen Wünschen, die einfach nicht umgesetzt werden können unter den Bedingungen des Pragmatismus und der Forderung nach Nüchternheit, unter der heutige Politiker agieren müssen.

In der Frage, wie man mit dem Islam umgehen soll, ist kein politisches oder intellektuelles Milieu geschlossen. Bei den Linken gibt es die Multikulturalisten, radikalen Laizisten und Zwangsaufklärer. Das setzt sich dann bei den Liberalen fort. Und bei den Konservativen, da gibt es sogar die, die starke Sympathien haben für das, was sie als das Nichtliberale am Islam wahrnehmen. Und es gibt Konservative, die meinen, das sei jetzt der geeignete Anlass, den schlummernden Konservativen im Deutschen wieder zu erwecken. Leute etwa wie Karlheinz Weißmann, dieser Vordenker der neuen Rechten, der ein intelligenter Mann ist. Der hat sich in den letzten Monaten auf betrübliche Weise eingelassen. Noch vor ein paar Jahren, so Weißmann, hätte man sich auch als Konservativer auf die Argumente zur Verteidigung der Religionsfreiheit gestützt. Mittlerweise gehe es darum aber nicht mehr, jetzt müssten wir unser Eigenes verteidigen, wobei mir nicht ganz klar ist, was dieses Eigene ist – aber ich vermute schon, das läuft dann auf eine ethnische Identität im sehr betrüblich elementaren Sinne hinaus.

In Hinblick auf das Kopftuchverbot und den Muslimtest nennen Sie die Urheber dieser Dinge: fast durch die Bank CDU-Politiker. Da könnte man auf die Idee kommen, sie hegten die Befürchtung, wenn die Regierung eine noch tiefere Krise erleidet, könnten Leute dieser Art sich wünschen, eine neue Partei zu gründen. Sehen Sie das als realistisch an, oder hat man dann doch den Eindruck, dass denen dazu die Voraussetzungen fehlen?

Ich fürchte, da es in den meisten Nachbarländern mittlerweile solche Parteien gibt, die auch ziemlich erfolgreich sind, muss man sich bei uns auch darauf einstellen. Die ganze Diskussion über den Konservatismus wird, seit ich überhaupt Zeitung lese, begleitet von dieser Phantomfurcht, wenn es die Partei rechts von der Union dann einmal gäbe, die es aus dem Interesse der Union heraus nicht geben darf. Das ist in der Tat schon so häufig schief gegangen. Beide Projekte, sowohl diese Alternativgründungen, als auch umgekehrt ein Trimmen der Unionsparteien auf den konservativen Kurs, sind gescheitert. Wir haben aus Gründen, die überhaupt nichts mit dem Islam zu tun haben, diese im Vergleich mit unseren Nachbarländern absolut einmalige Geschlossenheit des Parteiensystems der Nachkriegszeit. Sie ist inzwischen ohnehin schon Geschichte. Man muss damit rechnen, dass den extremen Ausschlägen bei den Wahlen und der Wahlbeteiligung auch entsprechende organisatorische Konsequenzen folgen. Das finde ich sogar prinzipiell wünschenswert in einer Demokratie, dass dann eben Leute, die radikal unzufrieden sind, sich berufen fühlen, Politiker zu werden, und die organisatorische Konsequenz ziehen.

Man sieht an Geert Wilders vor allem, aber auch an anderen Parteien dieser Art, dass es genug Programmatik und auch Leute für die verschiedenen Funktionen gibt, die man so braucht. Die Finanzierung ist immer eine eigene Sache, aber das Ausformulieren von Programmen, das Beweisen in öffentlichen Auftritten, dass man nicht nur eine potemkinsche Partei ist, sondern auch eine Programmatik hat, wäre möglich. Dafür hat Wilders ja genug Leute, zum Teil sind das abtrünnige Liberale, die sich aber teils gar nicht als abtrünnig sehen, wie etwa auch bei der deutschen Splitterpartei, die sich sogar „Die Freiheit“ nennt. Sie sagen, es gebe eben die Gefahr der Unfreiheit, gegen die wir uns wehren müssten. Da ist man schon wieder bei dem großen Pool, aus dem Breivik sich auch bedient hat. Die Ideologie der sogenannten Rechtspopulisten kann man mit guten Gründen für eine Wahnwelt oder sogar für paranoid halten. Aber sie ist in sich auch reich genug, dass man versuchen kann, ein paar Jahre mit so einem Programm in den Parlamenten Politik zu machen, bis man dann entzaubert ist oder auch nicht.

jetzt nicht

Novo ist kostenlos. Unsere Arbeit kostet jedoch nicht nur Zeit, sondern auch Geld. Unterstützen Sie uns jetzt dauerhaft als Förderer oder mit einer Spende!