20.06.2025
Warum Meinungsfreiheit und Wohlstand zusammen gehören
Von Max Remke
Bei Diskussionen um Meinungsfreiheit geht es meist um Demokratie und Bürgerrechte. Doch freie Meinungsäußerung ist auch eine Triebfeder für wirtschaftlichen Erfolg.
Nur noch 40 Prozent der Menschen haben den Eindruck, in Deutschland frei ihre Meinung äußern zu können – glaubt man den Umfragen von Allensbach. Und Besserung ist nicht in Sicht. Hausdurchsuchungen wegen Internet-Lappalien oder, in jüngerer Zeit, eine Verurteilung für einen Satire-Post zur scheidenden Innenministerin verstärken das Gefühl eines unfreien Staates. Und zu allem Überfluss scheinen CDU und SPD noch mehr Kontrollen statt weniger zu wollen. So soll eine Ausweitung der Kompetenzen der Landesmedienanstalten gegen „Informationsmanipulation” angedacht sein.
Doch diese Entwicklung sollte nicht nur die letzten verbliebenen Bürgerrechtler und die Oppositionsparteien in Deutschland aufschrecken – sondern auch alle Unternehmer und Bürger, die sich eine vitale Wirtschaft wünschen. Denn: Meinungsfreiheit und wirtschaftlicher Erfolg hängen untrennbar zusammen. Doch warum ist das so? Und warum ist ein Kampf gegen Meinungsfreiheit auch immer eine Bedrohung des Wohlstandes?
Um das zu verstehen, müssen wir zuerst begreifen, was die Hauptquelle menschlichen Wohlstandes ist. Es ist nicht fleißige oder pflichtbewusste körperliche Arbeit (obwohl diese auch ihren Anteil hat), sondern erfolgreiches Denken. Der Verstand ist das erste Überlebenswerkzeug des Menschen. Er hat uns aus kalten Höhlen mit exorbitanter Kindersterblichkeit in die komfortable Zivilisation von heute getragen. Selbst der fleißigste Wagenradbauer kann in seinem Leben nur einige tausend Wagenräder bauen – aber die Person, die sich erstmals das Wagenrad ausgedacht hat, hat alle Wagenräder der Weltgeschichte möglich gemacht. Dieser überragende Wert der Ideen ist kein Phänomen der Vergangenheit. Er ist auch heute real – denken wir nur an die Riesenunternehmen des Silicon Valley. Auch sie basieren auf durchschlagend guten, neuen Ideen.
„Staatliche Meinungskontrolle behindert ganz direkt einen ganzen Wirtschaftszweig, den Mediensektor. Denn dieser lebt vom Meinungsaustausch und der Informationsverbreitung.“
Doch gute Ideen brauchen Freiheit. Sie werden produziert von radikalen, oft verspielten und oft aneckenden Freidenkern. Die sogenannte Kalifornische Ideologie, also der Geist radikaler Freiheit, Experimentierfreudigkeit und Technologieoptimismus war einer der entscheidenden Standortfaktoren für die Geburt des modernen Internets. Sie hat eine unvergleichliche Wertschöpfung ermöglicht und gleich reihenweise Spitzenunternehmen wie Amazon, Alphabet, Apple und Meta hervorgebracht. Um Ihnen ein Gefühl zu geben: Alleine hinter der neuen Apple Vision Pro stehen laut Apple-Chef Tim Cook rund 5000 Patente. Eine schier unermessliche, kreative Denkleistung.
Doch auch wenn der Zusammenhang von Meinungsfreiheit und wirtschaftlichem Erfolg auf den ersten Blick naheliegend erscheint, ist er doch ein langfristiger Effekt, der nicht leicht zu untersuchen ist. Dies zeigen auch einige Studien zum Zusammenhang von Wirtschaftswachstum und individuellen Grundfreiheiten. So stellte das Dänische Forschungsinstitut für Menschenrechte 2017 fest, dass „die Meinungsfreiheit, die Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit sowie die politische Selbstbestimmung“ von allen betrachteten Rechten den stärksten Zusammenhang mit Wirtschaftswachstum aufweisen.
Doch nicht nur ist die Beschneidung der Meinungsfreiheit ein ideales Mittel die kreativsten, mutigsten, neugierigsten und damit auch innovativsten Köpfe aus dem Land zu treiben (und mit ihnen all den möglichen Wohlstand, den sie produzieren), sie hat noch weitere negative Auswirkungen. So behindert staatliche Meinungskontrolle ganz direkt einen ganzen Wirtschaftszweig, den Mediensektor. Denn dieser lebt vom Meinungsaustausch und der Informationsverbreitung – ganz gleich ob als klassische Zeitung oder als soziales Medium. Immer neue Regelungswerke wie der Digital Services Act der EU stellen hier auch eine unmittelbare wirtschaftliche Gefahr dar.
„Ein Angriff gegen die Meinungsfreiheit von heute ist auch immer ein Angriff auf den Geldbeutel von morgen.“
Sie können ferner, indem sie Selbstzensur ermutigen, zu einem noch tiefer gehenden Teufelskreis führen. Denn: Freie Meinungen sind essentiell für die Verbesserung und Korrektur staatlichen Handelns. So wurde beispielsweise dieses Jahr ein Zusammenhang von Pressefreiheit und finanzieller Stabilität im Finanzsystem wissenschaftlich unterfüttert. Glaubt man der breit angelegten Untersuchung des Global Investigative Journalism Network, welche mit Daten von Freedom House arbeitet, so gibt es sogar einen deutlichen Zusammenhang von freier Presse und Bruttoinlandsprodukt. Auch hier werden die langfristigen Auswirkungen von Freiheitseinschränkungen hervorgehoben.
Dies überrascht nicht, da Staaten essentiell auf die öffentliche Kontroverse und Kontrolle angewiesen sind. Missstände zu benennen und grundsätzliche Unzufriedenheit auszudrücken, ist das Lebenselixier der Demokratie. Erst das benannte Problem kann auch behoben werden. Wie lähmend und zersetzend das Ausschalten einer öffentlichen Debatte ist, haben viele Ostdeutsche noch selbst als Bürger der DDR erlebt. Sie kennen noch, aus eigener Erfahrung, den Tod eines ganzen Staates durch staatlich verordnetes Schweigen. Dieser Tod machte auch vor der Wirtschaft nicht Halt.
Meinungsfreiheit ist daher nicht nur eine Überlebensfrage unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung, sondern auch eine Überlebensfrage für unseren Wohlstand. Sie sollte daher selbst jene interessieren, die nicht vorhaben, mit kontroversen Meinung aufzufallen. Denn ein Angriff gegen die Meinungsfreiheit von heute ist auch immer ein Angriff auf den Geldbeutel von morgen.