12.02.2014

Votum „Gegen Masseneinwanderung“: Eine ungute Gemengelage

Von Sabine Beppler-Spahl

Wie die Abstimmung gegen Masseneinwanderung in der Schweiz gezeigt hat, entbinden EU-Vorgaben die nationale Politik keineswegs davon, eigenständig zu argumentieren, um die Bevölkerung von der Bedeutung der Immigration zu überzeugen. Ein Kommentar von Sabine Beppler-Spahl

Die Abstimmung gegen Masseneinwanderung in der Schweiz zeigt, wie verwirrend die Debatten über Demokratie, die EU und die Einwanderung sind. Ganz unterschiedliche Probleme wurden so ineinander verstrickt, dass sie zu einem Ganzen zu verschmelzen drohen. Am Ende steht ein Kulturkampf, in dem nicht nur die tiefe Spaltung zwischen einer europäischen Elite und einem großen Teil des Volkes zum Ausdruck kommt, sondern auch die Ablehnung der Immigration. Die Einwanderung ins Zentrum dieser unguten Gemengelage zu stellen ist so simpel wie falsch.

Was ist geschehen? Die Schweizer haben von ihrem demokratischen Recht Gebrauch gemacht, über eine polarisierende Frage abzustimmen, und das ist zu begrüßen. Zu oft schon wurden Gesetze durch die EU angeordnet und dann in Parlamenten abgenickt, obwohl sie von einem großen Teil der Bürger abgelehnt wurden. Es wird spannend, zu sehen, wie die EU-Führung mit diesem Ergebnis umgehen wird. Bisher wurden unliebsame Referenden wie die Ablehnung des EU-Verfassungsvertrags in Frankreich und den Niederlanden 2005 oder des Vertrags von Lissabon in Irland 2008 einfach übergangen.

Die Abstimmung hat auch deutlich gemacht, dass schwierige Entscheidungen nicht aus der nationalen Politik ausgeklammert werden können, indem sie auf die EU-Ebene verlagert werden. Statt selbsttätig und im eigenen Recht für die Arbeitnehmerfreizügigkeit zu werben, hat sich die Regierung in Bern hinter den Vorgaben aus Brüssel versteckt. Ständig wurde darauf verwiesen, welche vertraglichen Schwierigkeiten sich durch die Abstimmung ergeben könnten, wenn sie nicht im Sinne der EU ausginge. Die Immigration als solche zu verteidigen – unabhängig von EU Gesetzen – schien den Politikern so schwer, dass sie sich lieber vornehm zurückhielten. Nicht die offene Debatte wurde gesucht, sondern darauf gehofft, die Wähler würden schon das Kreuz an der richtigen Stelle machen, wegen der Angst vor den Sanktionen aus Brüssel. Weil der Wähler aber kein willfähriges Kind ist, kann ein Denkzettel auch vor diesem Hintergrund nicht verkehrt sein.

„Nicht die offene Debatte wurde gesucht, sondern darauf gehofft, die Wähler würden schon das Kreuz an der richtigen Stelle machen, wegen der Angst vor den Sanktionen aus Brüssel.“

Der Ruf nach Mitsprache und die Einforderung von Souveränität sind gut. Schlecht ist freilich das Ergebnis: dass mit ihnen auch offene Grenzen abgelehnt wurden. Es ist bedauerlich für ein Land, das traditionell liberal und aufgeschlossen war. Schuld ist die Politik. Sie hat es nicht geschafft, die Immigrationsthematik von den Problemen, die die EU betreffen, zu trennen. Wie ein Land zu Einwanderung steht, hängt davon ab, was für ein Bild von der Zukunft es hat und ob die Bevölkerung das Gefühl hat, diese mitgestalten zu können. Dabei geht es auch um die Verfügbarkeit von Ressourcen: Müssen wir uns alle einschränken (z.B. beim Wohnraum) oder ist noch Platz für viel mehr? Werden Arbeitsplätze knapp oder wächst die Wirtschaft? Wie soll der Sozialstaat der Zukunft gestaltet werden? Andere wichtige Themen betreffen den Zusammenhalt und die eigene Identität: Was heißt es heute noch, Deutscher oder Schweizer zu sein, und wie kann die moderne Gesellschaft der Zukunft aussehen? Nicht zuletzt hat Immigration auch etwas damit zu tun, welchen Stellenwert wir der Freiheit des Individuums zumessen: Möchten wir in einer Welt leben, in der sich Menschen dort niederlassen können, wo sie wollen und wo sie für sich und ihre Familien ein besseres Leben finden können? Wie steht es mit unserem eigenen Recht auf Freizügigkeit?

In der Schweiz waren es vor allem Wirtschaftsvertreter, die für Immigration geworben haben. Wirtschaftliche Argumente allein reichen aber nicht aus, um den Bürger von den Vorteilen offener Grenzen zu überzeugen. Es ist zwar hilfreich, wenn die Fakten auf den Tisch kommen, etwa die Tatsache, dass 90 Prozent aller Bulgaren und Rumänen in Deutschland keine Sozialhilfe erhalten. Doch die Ängste der Bürger vor einem Verdrängungswettbewerb auf dem Arbeitsmarkt werden dadurch nicht dauerhaft abgebaut. Immigration ist eine politische Frage und sollte als solche diskutiert werden. Wenn Europas Eliten glauben, das Gesetz zur Arbeitnehmerfreizügigkeit per EU-Beschluss durchsetzen zu können, ohne die Bürger politisch zu überzeugen, dann irren sie sich. Davon profitieren die Pessimisten und Aufwiegler der Front National in Frankreich, der UKIP in England oder der SVP in der Schweiz, die in der Abschottung die einzige Lösung sehen. Wie die Abstimmung in der Schweiz gezeigt hat, haben sie es geschafft, den Missmut gegen eine autoritäre EU Politik mit der Frage der Einwanderung zu verbinden. Umso wichtiger ist es, eine positive Verteidigung der Immigration zu entwickeln.

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