01.05.1999
Von Supermann und Scheiße-Mann: Atomkraft im Comic
Analyse von Bernd Herrmann
Wer ist Radioactive Man? Ein Superheld im roten Dress, Cape, gelber Blitz auf dem Kopf. Er lebt in den Simpsons Comicheftchen, die, im Gefolge der Fernsehserie, seit einiger Zeit auf dem Markt sind.
Radioactive Man ist aber gar kein richtiger Superheld, sondern als Comicfigur im Comic der Lieblingsheld von Bart Simpson (der seinerseits eine doppelte Identität hat; als Batmanverschnitt heißt er, logo: Bartman). Es ist noch ein wenig komplizierter. In einer Folge wird Radioactive Man von der Comicfigur im Comic zur Comicfigur befördert. Das passiert so:
Alle Einwohner Springfields sind vom fiesen Mr. Burns zu einem Fest ins AKW geladen worden. Nur Bart hat Hausarrest – ein Glück, denn im AKW ereignet sich Schreckliches: Zwei andere Cartoonfiguren im Comic, Itchy und Scratchy, brechen aus dem Fernseher aus, dringen in das AKW ein und bringen es zur Explosion. Alle Springfieldianer werden verseucht und mutieren zu Superhelden und Superschurken. Alle findet man sie wieder, die ”echten” Superhelden: Spider-Man, Elastoman, Wondergirl, den Hulk und viele, viele mehr. Alle Springfieldianer sind mutiert und… – Aber halt! – Alle Springfieldianer? Nein! – Einer ist noch da, die Katastrophe zum Guten zu wenden: Bart Simpson alias Bartman!
Bartman erweckt Radioactive Man zum Leben. Er soll ihm helfen. Mittels einer Weltraummaschine beamt er den Superhelden aus einer 50er-Jahre-Fernsehserie (mit echten Schauspielern) – aber, oh Frust, vor ihm steht nur der Superheldendarsteller. In einem zweiten Versuch beamt er Radioactive Man aus dem Comicheft. Und diesmal klappt’s. Merke: Nur gezeichnete Superhelden sind echte Superhelden.
Ende der Nacherzählung. Nur soviel sei verraten: Es geht alles gut aus. Yes! Das Ganze zeigt: Comics sind heute ziemlich kompliziert und auch selbstbezüglich geworden. Nehmen wir diese Feststellung zum Anlaß, die Frage zu stellen: Was haben Superhelden eigentlich überhaupt mit Radioaktivität zu tun?
Superhelden eroberten den Comicmarkt schlagartig, mit dem Auftritt von Supermann, ab dem Jahre 1938. Kurz danach gab es in den USA bereits derart viele Superhelden, daß es unmöglich ist, auch nur einen ungefähren Überblick zu geben. Der Traum vom Supermenschen, dem nichts widersteht und der alle Probleme im Fluge löst, hatte in der Wirtschaftskrise am Vorabend des Zweiten Weltkriegs den Nerv der Zeit getroffen.
Noch populärer wurden die Superhelden während des Krieges. Fast alle kämpften in ihren Heftchen gegen Nazis und Japaner. Die Superschurken dieser Zeit waren auch keine Gangster mehr, sie hießen Dr. Nazi oder Nippo the Nipponese.
Radioaktivität kam fast nicht vor. Zwar hatte man sie schon entdeckt, aber noch waren weder das Atomkraftwerk noch die Atombombe erfunden. Woher nahmen Superhelden damals, ohne diese Energiequellen, ihre Superkräfte? Häufig aus der Chemie. Elastomans (Plastic Man) Alter ego fiel in einen Säuretank. Die Säure drang in seinen Körper und machte ihn superelastisch. – Logisch. Andere hatten es mehr mit der Magie. Supermanns größter Rivale, Captain Marvel, war ein obdachloser Zeitungsjunge, der nur das magische Wort ”Shazam” auszusprechen brauchte, um super zu werden. Noch andere waren wie Supermann Außerirdische. Dabei gibt es mehrere Geschichten davon, woher Supermanns Kräfte stammen. Die älteste besagt, daß erstens die Bewohner Kryptons, Supermanns Heimatwelt, sehr stark und fortgeschritten waren und daß, zweitens, Krypton viel größer als die Erde war. Die geringe Gravitation hierzuerden ließ Supie demnach hüpfen und fliegen wie ein Känguruh auf dem Mars. Auch logisch.
Radioaktiv war vor 1945 The Blue Bolt. Er wird als noch Normalsterblicher zweimal (!) vom Blitz getroffen und danach vom behandelnden Arzt mit Radium bestrahlt. Diese Kombination verleiht ihm Superkräfte. Ein anderer Superheld hieß zwar The Atom (ab 1940). Er hatte allerdings gar keine Superkräfte. Atömchen war, weil er ziemlich klein gewachsen war, sein Spitzname.
Ernst mit der Radioaktivität wurde es für Superhelden nach Hiroshima. Die ersten atomaren Superhelden betraten 1946 die Szene: Atoman war im Zivilleben ein Atomforscher, dessen Körper derartig viel Radioaktivität getankt hat, daß er nun in der Lage ist, Atome explodieren zu lassen. Netterweise beschließt er, diese Kraft zum Wohle der Menschheit einzusetzen. Ansonsten hatte er, Physik hin, Medizin her, kein langes Comicleben. Ähnlich erging es auch dem Atomic Thunderbolt. Die atomaren Superhelden waren ein Flop.
Die konventionellen Superhelden ihrerseits hatten im Atomzeitalter ernste Probleme. Was war schon ihr Rumgefliege, ihr Verbiegen von Stahlrohren und ihr Stemmen von Lokomotiven gegen die Atombombe? Captain Marvel versuchte in einem letzten Kampf, die Welt vor dem Atomkrieg zu retten – und scheiterte.
Angesichts der Kilo- und Megatonnen und mangels Auflage verkrümelten sich die meisten Superhelden in den Nachkriegsjahren. Man vergnügte sich lieber mit Romanzen oder Cowboygeschichten und genoß ansonsten den Frieden und den Boom der fünfziger Jahre.
Zwar gab es weiterhin in Comics, im Film und in der Heftchenliteratur Strahlung oder Mutanten. Aber in den 50er Jahren wollte man sich davon nicht allzu sehr bedroht sehen. Der Science Fiction Autor Philip K. Dick schreibt in einer Anmerkung zu seiner 1953 entstandenen Geschichte The Golden Man: ”In den frühen fünfziger Jahren drehten sich viele amerikanische Science Fiction Geschichten um menschliche Mutanten und ihre herrlichen Superkräfte und Supersinne, mit deren Hilfe sie die Menschheit auf eine höhere Daseinsebene, in eine Art gelobtes Land führen würden.”
Mutanten als role models? Klingt das heutigen Ohren vertraut? Ich würde meinen: Nein. Es ist sicher kein Zufall, daß sich Philip K. Dicks zwiespältige bis tückische Mutanten erst ab den 70er Jahren größerer Beliebtheit erfreuten.
In den 50er Jahren standen Strahlung und Atomenergie für Visionen einer besseren Zukunft, ohne Stromsperre und Kälte. ”Atom” war sexy – siehe Atombusen und Bikini (benannt nach dem Bikiniatoll, wo Atomtests stattfanden). Dieses Vertrauen auf eine bessere Zukunft legte die Annahme nahe, daß mutierte Menschen verbesserte Menschen sein würden.
Auch Supermanns Kräfte wurden in den 50ern nicht mehr durch Gravitation erklärt. Eine neue Ursprungsgeschichte erklärte sie damit, daß er, auf einer Welt mit roter Sonne geboren, durch die Strahlung einer gelben Sonne Superkräfte bekam. – Logisch.
Die positive Sicht von Strahlung und Mutation begann sich in den 60er Jahren allmählich zu ändern. Düstere Superhelden treten auf: Die X-Men, Spider-Man, der Hulk. Es sind Mutanten, die für das Gute kämpfen, die aber eine dunkle Seite haben. Von der Bevölkerung werden sie trotz ihrer guter Taten gefürchtet: Sie sind weniger Übermenschen als Zombies. (Dieser Zug wurde allerdings erst über die Jahre klar herausgearbeitet.) Bei den X-Men war die genaue Ursache der Mutation anfangs unklar. Peter Parker wurde zum Spider-Man, nachdem ihn eine radioaktiv verseuchte Spinne gebissen hatte.
Gleichfalls in den 60er Jahren begannen sich allmählich die Erzählungen von einer postatomaren Erde herauszubilden. Den Anfang machte der Film Planet der Affen. Im Comic sind die französischen Valerian und Veronique nicht untypisch. Als Raumzeit-Agenten reisen sie zurück auf die atomar verwüstete Erde des 20. Jahrhunderts. Dennoch, hier mischen sich noch zwei Erzählungen: Unsere heutigen Untergangsvisionen (á la Mad Max) mit der Hoffnung auf die bessere Welt nach dem Atomkrieg. In Valerian und Veronique drückt sich das ähnlich aus, wie im Raumschiff Enterprise, das ja aufgeklärte, bessere Sphären durchfliegt – nach dem dunklen Zeitalter des 20. und 21. Jahrhunderts.
Vergleicht man die postatomare Welt von Valerian und Veronique mit dem postatomaren Tokio aus Akira (ab 1982), wird klar: In der Zwischenzeit ist irgendwie der Glaube an eine bessere Zukunft abhanden gekommen. Beide Comicgeschichten verhalten sich zueinander wie Barbarella zu Bladerunner. Deutlich wird die Verschiebung an Mutation an der Veränderung von Natur und Körper. In den 60ern ist Veränderung eher äußerlich (Mode) und, ist sie negativ, immerhin reversibel. Ab den 70ern ist Veränderung per se der Weg ins Inferno. Mit Wissenschaft hat das wenig zu tun. Vielmehr geht es um das Bild, das eine Gesellschaft von sich hat: Einmal führt Veränderung zu einer besseren Welt; das andermal führt Veränderung (Mutation) zur Katastrophe.
Interessant ist dabei zu beobachten, daß nicht etwa die Bombe 1945 oder die oberirdischen Atomtests der 50er Jahre solche Ängste auslösten. Die Umwertung fand viel später, beginnend in den 60er, deutlich sichtbar in den 70er Jahren statt. Sie war so tiefgreifend, daß heute ein Gespräch über alles, was mit Radioaktivität zu tun hat, fast nie wirklich ein Gespräch über Wissenschaft oder Politik ist. Es ist fast immer ein Gespräch über die aus Film, Comic und Literatur bekannten Bilder und Geschichten.
Von der Vision, daß auf eine dunkle Gegenwart eine bessere Zukunft folge, hat auch Supermann Abschied genommen. Seit die Serie 1986 wieder einmal renoviert wurde, werden Supermanns Kräfte subtil anders erklärt. Die gelbe Sonne hat nichts mehr mit radioaktiver Strahlung zu tun, nein, sie macht Supermanns ”kryptonische Zellen zu mächtigen lebenden Solarzellen.” Supermann der erste natürliche Superheld?
Und waren die Kryptonier früher weit überlegene humanoide Zukunftswesen, so sagt Supermanns Vater nun zu seiner Frau: ”Wie du sagst, haben wir jeden Winkel kolonisiert, uns die Natur untertan gemacht. Und was haben wir erreicht? Eine kalte herzlose Gesellschaft ohne jegliches menschliches Gefühl, ohne Leidenschaft.”
1991 irrt Supermann in Time and Time Again durch ein Zeitlabyrinth, in dem Gegenwart und Vergangenheit unentwirrbar verflochten sind. Er trifft auf Nazis, die die Atombombe haben. Zwar kann er die Bombe in den Weltraum schleudern, aber der ganze vage, wirre Verheerungszusammenhang aus Nazis, Holocaust und Atombombe läuft doch auf einen hoffnungslos unentrinnbaren Zivilisationsschlamassel hinaus – Time and Time Again.
Schön, daß da die Simpsons Entspannung bringen. Hier ist die Welt gar nicht so düster, sie ist eher gelb und unendlich kompliziert, verworren, verwurstelt. Zwar arbeitet Homer im AKW – und da geht schon manchmal was schief –, aber eigentlich ist doch alles halb so schlimm. Und mutiert mal einer, dann helfen wir ihm liebreich die Treppe hinauf.