01.07.2000

Vision: Nachhaltige Stagnation?

Analyse von Thilo Spahl

Keiner der zwölf EXPO-Thesen ist zuzustimmen.

1. “Nachhaltigkeit muss zum Leitbild des 21. Jahrhunderts werden, um die ökologische Krise zu überwinden. Der Grundgedanke lautet: Die natürliche Umwelt muss so weit erhalten bleiben, dass die Lebensqualität kommender Generationen gesichert ist.”


Es gibt keinen Zusammenhang zwischen “natürlicher Umwelt” und “Lebensqualität”. Lebensqualität korreliert weder mit Naturerhaltung noch mit Naturzerstörung, sondern mit Naturbeherrschung. Der Mensch hat sich seine Lebensqualität im Wesentlichen dadurch geschaffen, dass er die Natur transformiert und Techniken entwickelt hat, um sich gegen die Natur (Hitze, Kälte, wilde Tiere, Krankheitserreger) zu schützen. Das Konzept der Nachhaltigkeit fordert im Grunde eine Konservierung der heutigen Welt. Warum sollte aber Stagnation das wesentliche Bedürfnis der “kommenden Generationen” sein?


2. “Die internationale Umweltpolitik bedarf neuer globaler Institutionen und Richtlinien. Notwendig ist beispielsweise die Einrichtung eines internationalen Umwelt-Gerichtshofes zur Bestrafung von Umweltsündern und zur Festlegung neuer Rahmenbedingungen umweltgerechten Wirtschaftens.”


Die internationale Bürokratie wünscht sich neue globale Institutionen und Richtlinien. Ein internationaler Umwelt-Gerichtshof wäre nur ein weiteres Propagandainstrument, das sich in erster Linie gegen die Armen in der Dritten Welt richten würde. Schon heute ist die vielfältige UN-Umweltbürokratie mit diversen Konventionen eifrig dabei, die wirtschaftliche und landwirtschaftliche Entwicklung zu behindern und damit Armut, Krankheit und Unterernährung zu erhalten.


3. “Die ökologische Modernisierung sichert die Zukunft der Industriegesellschaften. Von zentraler Bedeutung sind neue umweltgerechte Verfahren und Produkte.”


Das vorrangige Entscheidungskriterium bleibt die Bedürfnisgerechtigkeit aus Sicht der Menschen. Nach bestimmten Umwelteigenschaften, etwa nach sauberer Luft, wenig Lärm usw., gibt es starke menschliche Bedürfnisse, aber es sind nicht die einzigen. Die Frage ist, ob man mit dem Kopf oder mit dem Bauch entscheidet, welche Verfahren und Produkte tatsächlich zur Befriedigung dieser Bedürfnisse beitragen. Vielfach werden Technologien als umweltgerecht bewertet, weil sie gut klingen und mit positiven Vorstellungen assoziiert sind. Viele Beispiele hierfür finden sich im Buch von Dirk Maxeiner und Michael Miersch Lexikon der Öko-Irrtümer (Eichborn Verlag, Frankfurt a.M. 1998), besprochen in Novo36.


4. “In der jüngeren Generation muss ein Bewusstsein geschaffen werden für die Bedeutung nachhaltiger Entwicklung. Deshalb sollte der ‘ökologischen Erziehung’ für Kinder und Jugendliche mehr Gewicht verliehen werden.”


Es ist eines der größten Probleme unseres Schulsystems, dass wissenschaftliche Bildung bereits in erschreckendem Ausmaß durch “ökologische Erziehung” ersetzt wurde. Die Ökologie muss als Wissenschaft betrachtet und vermittelt werden. Wir brauchen ökologische Bildung, nicht ökologische Erziehung. Und ökologische Bildung ist nur ein kleines Teilgebiet der Naturwissenschaften. Einen Schwerpunkt auf Ökologie zu legen, wäre immens einseitig. Niemand würde eine solche Einschränkung für andere Disziplinen fordern, etwa mehr Gewicht für “geologische Erziehung” oder kosmologische, gentechnische, endokrinologische, quantenphysikalische, etc.


5. “Das Gesundheitswesen muss am Prinzip der nachhaltigen Gesundheit ausgerichtet werden. Diese umfasst nicht nur Pillen und Apparatemedizin, sondern nimmt insbesondere Rücksicht auf umweltbedingte Risiken und Gefahrenpotentiale.”


Das genaue Gegenteil ist der Fall. Gesund leben wir heute schon. Der größte Teil der enormen Fortschritte in der Gesundheit und Lebenserwartung ist bisher auf die Bekämpfung der umweltbedingten Risiken durch verbesserte Hygiene, bessere Ernährung, sichereres Wohnen und Arbeiten und präventive Krankheitsbekämpfung (v.a. durch Impfung) erfolgt. Umweltbedingte Risiken sind also heute in hohem Maße beherrscht. Jetzt beginnt erst die Ära, in der durch High-Tech-Medizin (Pillen und Apparate, aber auch Gen- und Zelltherapien) eine weitere Steigerung von Wohlbefinden, Leistungsfähigkeit und Alter erreicht werden kann. In der gesamten Welt außerhalb der Industriestaaten ist man von einer ausreichenden medizinischen Grundversorgung noch weit entfernt – von Apparatemedizin und selbst den simpelsten “Pillen” kann man in den Entwicklungsländern nur träumen. Die Abkehrforderung ist abstrus.


6. “Es ist möglich, die Welternährung – bei gleichzeitigem Erhalt der natürlichen Umwelt – zu sichern. Voraussetzung dafür ist jedoch, dass Armut und Unterentwicklung auf der Welt erfolgreich bekämpft und – gemeinsam mit den betroffenen Menschen – die aus Armut und Not resultierenden Umweltprobleme gelöst werden.”


Wenn Armut und Unterentwicklung wirklich erfolgreich bekämpft werden, braucht man keine aus Armut und Not resultierenden Umweltprobleme mehr zu lösen. Leider haben die Theoretiker und Praktiker der Nachhaltigkeit die Vorstellung wirklicher Entwicklung der Dritten Welt hin zu einem dem unsrigen vergleichbaren Lebensstandard längst aufgegeben. Der “gemeinsame” Kampf für eine sauberere Umwelt in den Entwicklungsländern ist nur eine minderwertige Ersatzhandlung, die das Versagen mit einem engagierten Gestus kaschieren soll.


7. “Güter und Dienstleistungen müssen dematerialisiert werden. Das Ziel ist eine wissensbasierte Volkswirtschaft mit geringem Ressourcenverbrauch.”


Eine hübsche Ansammlung von Schlagworten. Willkommen auf dem Holodeck. Man darf gespannt sein auf den virtuellen Haarschnitt und die virtuelle Banane (dematerialisierte Güter und Dienstleistungen). Moderne Technik weist in der Tat, v.a. durch die Miniaturisierung, eine Tendenz zu immer geringerem Materialeinsatz auf. Die Vorstellung vom Ressourcen-”Verbrauch” ist leider sehr eingängig, aber falsch. Stoffe und Energie werden nicht wirklich verbraucht, sie werden nur genutzt und ggf. umgewandelt. Wasser beispielsweise wird lediglich bewegt, die Gesamtmenge auf dem Planeten bleibt jedoch stets unverändert. Insofern ist die Vorstellung von absoluten Grenzen der Ressourcen irreführend und auch als Leitbild ungeeignet.


8. “Unverzichtbar ist ein Umweltkrisenatlas: zur Früherkennung und gezielten Bekämpfung von Umweltschäden. Krisenszenarien erleichtern es, das Ausmaß akuter Umweltverschmutzung zu erkennen…”


Szenarien erlauben es, sich Zukünftiges auszumalen, nicht Akutes zu erkennen. Szenarien zu kolportieren ist einfach und schädlich. Was wir brauchen, ist gesichertes Wissen und zuverlässige, ideologiefreie Voraussagen. Man denke nur an die gigantischen so genannten Klimaschutzkampagnen, die, auf zweifelhaften, aber öffentlichkeitswirksamen Szenarien basierend, in simplifizierender Weise das Wohl des Planeten an das Maß des CO2-Ausstosses koppeln und damit die gesamte industrielle Entwicklung massiv beeinflussen.


9. “Ein kontrolliertes Wirtschaftswachstum ist nur durch ein verbessertes Umweltrecht, einen geringen Energieverbrauch und eine Entwicklungspolitik unter der Maxime ‘Hilfe zur Selbsthilfe’ zu erreichen.”


Wirtschaftswachstum in Entwicklungsländern ist nur durch massive Investitionen in Infrastruktur, Industrie und Landwirtschaft zu erreichen. Insbesondere muss die zur Verfügung stehende Energie und damit der Energieverbrauch um ein Vielfaches erhöht werden, wenn Armut und Hunger wirklich überwunden werden sollen.


10. “Eine Verringerung des Verkehrs ist die Voraussetzung für die Wahrung unserer Mobilität. Die Überwindung größerer Entfernungen muss teurer werden.”


Die zugrunde liegende Logik ist rätselhaft.


11. “Der gesamte Energieverbrauch wird sich nur dann drastisch reduzieren lassen, wenn konsequenter gespart, effizienter gewirtschaftet und die Umstellung auf weniger energieaufwendige Strukturen vollzogen wird.”


Wachsende Effizienz ist eine normale Begleiterscheinung technischen Fortschritts. Eine absolute Reduktion des Energieverbrauchs ist nicht notwendig, da in unserem Sonnensystem keine Energieknappheit herrscht. Die Gewinnung von Energie aus der Sonne (fossile Energieträger, Solarenergie, Windenergie, nachwachsende Rohstoffe) und Materie (Kernspaltung, Kernfusion) ist unbegrenzt möglich.


12. “Datenautobahnen und Neue Medien sind die Basisinfrastrukturen des zukünftigen Lebens. Es besteht allerdings die Gefahr, dass mögliche Einsparungen von Ressourcen durch einen Rebound-Effekt wieder aufgefressen werden.”


Hier muss man erst mal erläutern, was gemeint ist: Ein Chat-Room im Internet ist energiespartechnisch klasse, weil alle zu Hause sitzen bleiben können, birgt aber die Gefahr, dass sich dort Menschen kennen lernen, die sich nicht scheuen, irgendwann Worte wie die folgenden in die Tastatur zu hämmern.
“Hey, vielleicht können wir uns ja auch mal so irgendwo treffen. Wo wohnst denn du?”
“Das ist ne super Idee, ich bin nämlich unheimlich gespannt, ob du auch so aussiehst, wie du chattest, ich wohn in Flensburg.”
“Oh, ich wohne in Garmisch, aber macht nichts, es gibt ja jetzt die Billigflüge von der Lufthansa.”
Das ist dann der gefürchtete Rebound, bei dem das Energiesparen plötzlich jäh ins Verpulvern umschlägt. Ob man da nicht besser doch Internet-Ortsnetze und ein überregionales Chat-Verbot einführen sollte?

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