03.04.2023

Vielleicht denkt Ihr bei Gelegenheit darüber nach?

Von Fabian Herrmann

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Foto: AnRo0002 via WikiCommons / CC0

Ein Offener Brief an die Aktivisten der Letzten Generation. Ist eine weltweite Dekarbonisierung realistisch? Welche Energieträger würden helfen?

Liebe LG-Aktivisten,    

es ist schön, dass Ihr euch für den Schutz der Natur und die Zukunft der Menschheit engagiert. Mir scheint allerdings, dass die Wege, die Ihr hierzu gewählt habt, etwas undurchdacht sind und in eine falsche Richtung gehen.

Die Absorption der Infrarotstrahlung durch das Kohlendioxidmolekül ist eine nachprüfbare physikalische Tatsache und die Rolle des Spurengases als Wärmeisolator von Planetenatmosphären daher eine wahrscheinliche Hypothese. Auswirkungen industrieller Emissionen auf den Wärmehaushalt der Erde wurden schon gegen Ende des 19. Jahrhunderts vermutet. Dennoch verbrennt die Menschheit bis heute fossile Kohlenwasserstoffe mit zunehmendem Tempo – die jährlich freigesetzten Kohlendioxidmengen steigen von Jahr zu Jahr und ein Ende ist nicht in Sicht (siehe Abb. 1, unten). Dies liegt daran, dass Öl, Erdgas und Kohle als Energieträger spezifische Eigenschaften haben, die sie für eine technische Gesellschaft besonders interessant machen:

  • Sie haben vergleichsweise hohe Heizwerte (30... 40 Megajoule pro kg), bieten also viel Kraft pro Materieportion. (1 Joule, kurz 1 J, ist die Energie, die es braucht, um eine Last von 1 kg 10 cm hoch zu heben, ein Megajoule ist eine Million Joule, z. B. die Energie zum Heben von 1 Tonne auf eine Höhe von 100 m.)
  • Sie sind leicht lager- und transportierbar.
  • Sie können in Maschinen sehr unterschiedlicher Leistung verwendet werden: vom Dieselgenerator mit wenigen Kilowatt, der das afrikanische Dorfkino mit Strom versorgt, bis hin zum gigawattstarken Turbogenerator im Stromkraftwerk. (1 Watt bedeutet einen Energieumsatz von 1 Joule pro Sekunde, ein Gigawatt entsprechend 1 Milliarde Joule pro Sekunde, entsprechend einem typischen Kraftwerksblock.)
  • Sie sind geeignet zum Antrieb von Fortbewegungsmitteln, auch von Schiffen und Flugzeugen. (Elektrische Antriebe, die Leistung und Reichweite einer Strahlturbine erreichen, sind absehbar schwer vorstellbar.)

Diesen Vorteilen entgegen stehen Bedenken bezüglich Klimaveränderungen durch Kohlendioxid und Umweltschäden durch Abgase, Aschen und Bergbau. Nichtsdestotrotz steigt der Verbrauch fossiler Brennstoffe weltweit weiter, wobei vor allem Schwellenländer wie Indien und China eine wichtige Rolle spielen. Klarer Fall: Inder und Chinesen wünschen sich Wohlstand, möchten Computer, Smartphones, Spielkonsolen benutzen, in den Urlaub fliegen, ihre Wohnungen klimatisieren, Essen im Kühlschrank aufbewahren, Auto fahren u.v.m. All diese Produkte und Aktivitäten benötigen viel Energie, und die am einfachsten verfügbare und vielseitigste Energieform, die sich hierfür anbietet, ist fossiler Kohlenstoff. Dies gilt unabhängig von Produktionsverhältnissen und Wirtschaftssystem – profitorientierte Unternehmen und Staatsbetriebe setzen gleichermaßen auf fossile Energieträger.

„Klarer Fall: Inder und Chinesen wünschen sich Wohlstand, möchten Computer, Smartphones, Spielkonsolen benutzen, in den Urlaub fliegen, ihre Wohnungen klimatisieren, Essen im Kühlschrank aufbewahren, Auto fahren u.v.m."

Deshalb wird es im Laufe der kommenden Jahrzehnte keine Senkung der Weltkohlendioxidemissionen geben. Es ist nicht realistisch. Ein Abflachen und Konstantbleiben der Emissionskurve (entsprechend einem nicht weiter wachsenden Verbrauch) wäre bereits eine außerordentliche Leistung, ein Absinken auf Null ist gänzlich implausibel. Dazu müsste jeder Lastkraftwagen in Nigeria, jede Heckenschere in Deutschland, jedes chinesische Kohlekraftwerk und jeder brasilianische Rasenmäher stillgelegt werden, und dies wird nicht eintreten. Im Gegenteil: Sofern es z. B. den zentralafrikanischen Staaten gelingt, ihre sozialen und wirtschaftlichen Probleme zu überwinden und industriellen Wohlstand aufzubauen, wird der Verbrauch an Öl, Gas und Kohle auch dort in die Höhe schießen.

Den größten Beitrag zur nichtfossilen Energiegewinnung leisten weltweit Wasserkraft und Kernenergie, doch sie sind im Vergleich mit fossilen Energieträgern sekundär. Solar, Wind, Biomasse, Gezeiten u.ä. tragen nur zu niedrigem einstelligem Prozentanteil bei – nahezu vernachlässigbar (Abb. 2, unten). Biomasse schlingt Landfläche und benötigt zu Ernte und Transport bereits im Vorfeld viel Energie (meist Diesel). Gezeiten und Geothermie mit hohem Energiedurchsatz sind nur an bestimmten, geeigneten Orten (z.B. Island) einsetzbar. Solar und Wind arbeiten zeitlich unregelmäßig und sind an den meisten Orten schlecht ausgelastet (die Nutzungsgrade von Onshore-Wind und Photovoltaik in Deutschland liegen bei 20 bzw. 10 Prozent) und benötigen, wenn sie ohne Unterstützung durch klassische Wärmekraftwerke ein Stromnetz stabil halten sollen, Speicheranlagen, die absehbar nicht zur Verfügung stehen. Unter Heranziehung der schweizerischen Pumpspeicherwerke kann Deutschland seinen Strombedarf gerade einmal 45 Minuten lang puffern – der Winter 2022/23 hat jedoch gezeigt, das tage-, ja wochenlange Ausfälle durch Windstille und Wolkendecke möglich sind. Um in Deutschland nur eine einzige windstille Nacht zu überbrücken, wären über 500 Exemplare der größten Batterieanlage der Welt, Moss Landing in Kalifornien, nötig.

(Anm.: der Nutzungsgrad einer Energiequelle ist der Quotient aus der Energiemenge, die diese über eine längere Zeitspanne, z. B. ein Jahr, tatsächlich zur Verfügung stellt, und der Menge, die zur Verfügung stünde, wenn sie während dieser Zeit pausenlos mit maximaler Leistung liefe. Bei fossilen Kraftwerken und Wasserkraft sind über 60% gebräuchlich, Kernkraftwerke schaffen über 90%, Photovoltaik und Windkraft in Deutschland erzielen weniger als 20%, Offshore-Windparks allerdings bis 60%. In den deutschsprachigen sozialen Medien ist es übrigens inzwischen üblich, den Nutzungsgrad „Kapazitätsfaktor“ zu nennen, ein Anglizismus, abgeleitet vom englischen Begriff „capacity factor“. Nicht zu verwechseln ist der Nutzungsgrad mit dem Wirkungsgrad, der die Effizienz der Wandlung einer Energieform in eine andere beschreibt.)

Die Wahrscheinlichkeit, dass die weltweiten Kohlendioxidemissionen weiter steigen und dies auch noch einige Jahrzehnte lang tun werden, beträgt daher 100 Prozent. Jede andere Vorstellung ignoriert physikalische, technische, kulturelle und ökonomische Tatsachen. Eine Drosselung auf Null innerhalb weniger Jahre ist in etwa so plausibel wie das Abschleppen eines Containerfrachtschiffs mit vorgespannten Seepferdchen. Das bedeutet, dass die Menschheit sich auf mögliche Klimaveränderungen vorbereiten und lernen muss, mit diesen zu existieren.

In vergangenen Erdzeitaltern waren Kohlendioxidkonzentrationen und Durchschnittstemperaturen zum Teil deutlich höher als heutzutage (Abb. 3 und 4, unten). Damals ist das Leben nicht ausgestorben. Ein Mensch, der mit einer Zeitmaschine in der Dinosaurierwelt landete, würde nicht tot umfallen. Er könnte die Luft atmen (es würde sich sogar erfrischend anfühlen, denn nicht nur der Kohlendioxid-, sondern auch der Sauerstoffgehalt war höher als heute); er fände, sofern er nicht in den Polargebieten gelandet wäre, die Hitze wahrscheinlich drückend und störend, aber er könnte leben – zumindest solange er keinem T-Rex begegnet.

„Ein Mensch, der mit einer Zeitmaschine in der Dinosaurierwelt landete, würde nicht tot umfallen."

In Klimamodelle gehen viele Parameter ein, denn Planetenatmosphären sind sehr komplizierte Systeme. Rotation und Magnetfeld des Planeten, zeitliche Schwankungen von Sonneneinstrahlung und Sonnenwind (ein Strom geladener Teilchen, der ebenso wie die Leuchtkraft des Sterns einem elfjjährigen Zyklus unterliegt, hinzu kommen Anomalien wie das Maunder-Minimum im 17. Jahrhundert), Vulkanismus und Wolken spielen eine Rolle und machen bereits die Modellierung der Gashüllen lebloser Körper wie Venus und Mars zu einer schwierigen Aufgabe, bei der Erde kommen Wechselwirkungen mit Ozeanen und Lebewesen (z. B. Pflanzenbewuchs) hinzu, sowie seit dem Neolithikum und in besonders hohem Maße seit der Industrialisierung mit der „Technosphäre“, den künstlichen Gebilden und Stoffumwandlungen der Menschheit.

Physikalische Systeme lassen sich durch mathematische Objekte beschreiben, die man partielle Differentialgleichungen nennt. Um Lösungen für sie zu finden (also Zeitkurven von Temperatur, Gaszusammensetzung etc.), müssen sie mit einer geeigneten Software diskretisiert werden: stetig veränderliche Größen werden angenähert durch sich stufenweise ändernde Variablen, so ähnlich, wie ein Digitalfoto das Aussehen eines realen Objektes durch viele quadratische Pixel annähert. Hierbei entstehen weitere Unsicherheiten und Ungenauigkeiten. Dass die Menschheit im 21. Jahrhundert weiterhin Kohlenstoff verbrennen wird, ist sicher; die Auswirkungen hiervon müssen dagegen abgeschätzt werden und sind nicht mit Sicherheit bekannt, weil das System Atmosphäre extrem komplex ist.

Doch auch wenn die extremeren Abschätzungen zutreffen – weitläufige Wüstenbildung, Meeresspiegelanstieg, tropische Temperaturen bis in die Arktis – stünde die Menschheit diesen Veränderungen keinesfalls hilflos gegenüber. Meerwasserentsalzungsanlagen, Kanäle, Deiche, Bewässerungssysteme u.v.m. könnten helfen, menschliche Zivilisation auf einer triasartigen Erde zu ermöglichen. All diese Technologien brauchen allerdings viel Energie.

„Wenn ich die Aktionen und Forderungen der Letzten Generation betrachte, dann scheinen mir diese ehrlich gesagt so, als ob jemand bei der Überschwemmung im Ahrtal gefordert hätte, das Wasser mit Teelöffeln wegzuschöpfen."

Wenn ich die Aktionen und Forderungen der Letzten Generation betrachte, dann scheinen mir diese ehrlich gesagt so, als ob jemand bei der Überschwemmung im Ahrtal gefordert hätte, das Wasser mit Teelöffeln wegzuschöpfen. „Essen retten, Leben retten“, „9-Euro-Ticket für immer“, „Tempo 100 auf allen Autobahnen“ – das sind zahme, überschaubare, lokalisierte Projekte, die eine gewisse Heimeligkeit und Beschaulichkeit ausstrahlen, harmlos und freundlich wirken – zur Kohlendioxidemissionsverringerung tragen sie jedoch, gerade weil sie so klein und überschaubar sind, nahezu nichts bei. Deutschland emittiert rund zwei Prozent der weltweit anfallenden technogenen Kohlendioxids, und die geforderten Maßnahmen würden den deutschen Beitrag um einige Zehntelprozent absenken (d.h. 0.1% von 2% weltweit, entsprechend zwei Hunderttausendsteln der Gesamtemission).

Um es etwas deutlicher zu sagen:

  • Ihr blockiert den Berufsverkehr und gefährdet dadurch euch selbst und andere,...
  • ...um die Regierung zu Maßnahmen zu bewegen, welche den weltweiten Verbrauch fossiler Brennstoffe um wenige Hunderttausendstel drosseln würden,...
  • ...während der Verbrauch global weiter steigt und deutlich erkennbar ist, dass es absehbar keine Dekarbonisierung geben wird.

Ihr protestiert also mit riskanten Mitteln gegen eine Entwicklung, die momentan unvermeidlich ist (der Chinese will seinen Kohlestrom, die Kenianerin ihr Auto, der Inder seine Klimaanlage) und fordert zudem Gegenmaßnahmen, die sich friedlich und beschaulich anhören, aber zugleich in punkto Wirkmächtigkeit vollständig vernachlässigbar sind.

Mir scheint: Nicht nur die Letzte Generation – die deutsche Klimabewegung insgesamt hängt einer seltsamen „Kräuterteedenkweise“ an. Es geht um „feel good“, einem riskanten globalen Problem soll mit kleinen, freundlichen, harmlos wirkenden Aktionen begegnet werden. Doch gegen einen Tsunami hilft keine kleine Sandburg – nur ein massiver, viele Meter hoher Wellenbrecher.

Auch wenn eine Verringerung des Weltkohlendioxidausstoßes absehbar nicht möglich ist, ist es gewiss nicht falsch, den Anstieg der Emissionskurve immerhin ein wenig abzuflachen. Was ist das Wirkmächtigste, was Deutschland diesbezüglich tun könnte? Es ist der Weiterbetrieb der sechs noch über Betriebserlaubnis verfügenden Kernkraftwerke.

Die Nutzung von Kernkraftwerken wirft bezüglich ionisierender Strahlung, Abfällen und möglichen Unfällen eigene Probleme auf. Zugleich haben sie einige wesentliche Vorteile: aufgrund der extremen Energiedichte von Uran und ähnlicher radioaktiver Schwermetalle (sog. Aktinide) von dem rund Zweimillionenfachen derjenigen von Kohlenstoff (80 Millionen Megajoule vs. 40 Megajoule pro Kilogramm!) muss pro bereitgestellter Energieportion sehr wenig Material bewegt werden – der Betrieb eines herkömmlichen 1-Gigawatt-Leichtwasserreaktors erfordert die Verarbeitung von 160 Tonnen Natururan pro Jahr, ein leistungsgleicher Kohleblock dagegen benötigt rund zehntausend Tonnen Kohle pro Tag (!). Ähnliches gilt für die zum Bau des Aggregats benötigten Materialien: Die Reaktorkuppel besteht zwar aus massivem Beton, doch es handelt sich um eine insgesamt sehr überschaubare Anlage von der Größe eines Bauernhofs. Beton, Stahl, Kupfer, Kunststoffe, etc. – von allen Materialien benötigen Kernkraftwerke pro Kilowattstunde Elektrizität viel weniger als fossile Kraftwerke oder erneuerbare Energiequellen. Man schaue sich eine 5-MW-Windkraftanlage aus der Nähe an und mache sich klar, wieviel Stahl der Koloss enthält!

Weil der Materialdurchsatz sehr niedrig ist, sind auch die Abfallmengen aus Kernkraftwerken gering. Bestrahlter Brennstoff kann leicht in robusten Betonzylindern untergebracht und oberflächennah bewahrt werden. Einlagerung in tiefen Gesteinsschichten wie in dem kürzlich fertiggestellten finnischen Endlager ist zwar möglich, aber unnötig. Der bestrahlte Brennstoff enthält viele Substanzen, die industriell oder energetisch genutzt werden könnten: insbesondere kann das Uran 238, das im Leichtwasserreaktor überwiegend als inerter „Füllstoff“ dient und über 90 Prozent der Masse des Brennstoffs ausmacht, in Kernreaktoren mit schnellen Neutronen, wie sie in Russland im Kraftwerk Belojarsk genutzt werden, als Energiequelle dienen. Nicht die Produktion von Atommüll ist meines Erachtens nach verantwortungslos gegenüber kommenden Generationen, sondern die Unzugänglichmachung dieser Abfälle, da sie viele wertvolle Stoffe enthalten, die für unsere Nachfahren u.a. zur Energiegewinnung von Nutzen sein könnten.

„Nicht die Produktion von Atommüll ist meines Erachtens nach verantwortungslos gegenüber kommenden Generationen, sondern die Unzugänglichmachung dieser Abfälle, da sie viele wertvolle Stoffe enthalten."

Es gab in der Geschichte der Kernenergie mehrere vermeidbare Unfälle. Der schwerste, Tschernobyl, beruhte auf einem Reaktormodell, das nur im ehemaligen Ostblock gebaut wurde und in westlichen Staaten nicht zulassungsfähig ist (RBMK-Reaktor mit Druckröhren und Graphitmoderator). Wieviele Todesopfer durch Tschernobyl genau zu beklagen waren, ist umstritten, wahrscheinlich handelt es sich jedoch um deutlich weniger als bei den schwersten Unfällen der chemischen Industrie (e.g. die Fabrikexplosion in Bhopal, Indien) oder Staudammbrüchen. Fukushima Daiichi forderte zwei Todesopfer, Three Mile Island überhaupt keine – bei letzterem Ereignis entstanden keinerlei Schäden außerhalb des Kraftwerksgeländes. Interessant ist, dass, wenn man die gesamte Evakuierungszone rund um Fukushima mit Solarmodulen bedecken würde, der jährliche Energieertrag geringer wäre als die Produktion des Kernkraftwerkes war.

Im Gegensatz zu 9-Euro-Tickets und Tempolimits haben Kernkraftwerke die Stärke und Wirksamkeit, die benötigt wird, um auf der Erde einen Unterschied zu machen. Schweden und Finnland, Kanada, Russland, China und Indien und einige andere Staaten setzen daher auf diese Technologie – teilweise sogar mittels „schneller Reaktoren“ (d.h. solchen mit schnellen Neutronen), die eine noch effizientere Nutzung des Brennstoffs ermöglichen und deshalb nur eine Tonne Uran pro Jahr benötigen und auch mit den Abfällen der üblichen Leichtwasserreaktoren betrieben werden können (siehe oben), allerdings in der Anschaffung deutlich teurer sind. Frankreichs Stromerzeugung war auch dann noch um den Faktor sieben kohlendioxidärmer als die deutsche, als das Land seine Kernkraftwerke wartungs- und hitzehalber drosseln musste. Interessant finde ich, dass Uganda kürzlich den Standort, an dem sein erstes Kernkraftwerk entstehen soll, bekanntgegeben hat.

Stellt euch mal folgendes vor: es sei wirklich möglich, die „Solartopia-Phantasien“ vieler Klimaaktivisten zu realisieren. Die Menschheit drosselt ihren Energie- und Produkteverbrauch so stark, dass er vollständig mittels Solar, Windkraft, Biomasse, Gezeiten u.ä. gespeist werden kann. Alle wohnen in hübschen, wärmegedämmten, photovoltaikgedeckten Häuslein im Grünen. Autos sind selten und werden fast nur noch von Rettungsdiensten genutzt, Flugzeuge wurden abgeschafft. Raumfahrt, Schwerindustrie, Fernreisen – existieren nicht mehr. Technische Fortschritte werden fast ausschließlich im Softwarebereich erzielt. Die Menschheit wäre klimaneutral – und praktisch hilflos gegenüber den Launen der Natur. Supervulkanismus, Meteoreinschläge, Tsunamis, Taifune, nicht-anthropogene Klimaveränderungen u.v.m. würden eine Solartopiazivilisation hinwegfegen. Sie hätte nicht die Energie, das Material, die Fähigkeiten, solchen Katastrophen entgegenzuwirken. Nach einigen Jahrhunderten würde sie den Weg der Dinosaurier gehen.

Doch dies wird aus den genannten Gründen nicht eintreten. Asiaten, Inder, Afrikaner, Lateinamerikaner werden den Teufel tun und ihren Energieverbrauch reduzieren. Sie werden ihn vielmehr weiter erhöhen, um Wohlstand und Industrie aufzubauen – momentan mittels fossiler Brennstoffe, zukünftig zunehmend mittels nuklearer Energiequellen. In einer wärmeren Welt mit ausgedehnten Wüstengebieten könnten Kernkraftwerke eine willkommene Methode sein, Meerwasser in Süßwasser zu wandeln (dies wurde am Kernkraftwerk San Onofre in Kalifornien bereits getestet) und dieses über Höhenunterschiede hinweg in Gebiete zu pumpen, die man bewässern möchte. Auch sog. Nuplexe wurden bereits vorgeschlagen – Industrieanlagen rund um ein zentrales Kernkraftwerk, welche mittels der erzeugten Energie Süßwasser, Düngemittel und sonstige Chemikalien und Produkte herstellen, die dann u.a. zur Nahrungsmittelerzeugung in umliegenden Farmen dienen. Dies ist freilich bislang Zukunftsmusik. Klar ist jedoch, dass die Menschheit, wenn sie eine Zukunft haben will, Probleme mit den stärksten verfügbaren Mitteln anpacken und selbstsicher voranschreiten muss, anstatt auf der Straße zu sitzen und Eisenbahn-Sonderangebote und Tempolimits einzufordern.

Vielleicht denkt ihr bei Gelegenheit über diese Dinge nach?

Mit freundlichen Grüßen von
Fabian Herrmann, Diplomphysiker

Abb. 1. Jährliche CO2-Emissionen seit Beginn der Industrialisierung. Man stellt fest, dass abgesehen von gelegentlichen Einbrüchen bei Wirtschaftskrisen ein unablässiger Anstieg stattfindet, dessen Ende nicht abzusehen ist. Quelle: Our World in Data.


Abb. 2. Weltprimärenergieverbrauch nach Energieträgern von 1990 bis 2021. Der allergrößte Beitrag kommt aus fossilen Energieträgern: grau – Kohle; blau – Öl; purpur – Erdgas. Kernkraft (rot) und Wasserkraft (hellblau) sind vergleichsweise unbedeutend. Solar und Wind sind am oberen Rand der Grafik nur mühsam erkennbar. Quelle: Our World in Data.


Abb. 3. Kohlendioxidkonzentrationen in vergangenen Erdzeitaltern. Mehrfach wurden 2000 ppm erreicht oder überschritten. Quelle: Earth.org.


Abb. 4. Man sieht in der Tat deutlich, dass hohe CO2-Werte mit höheren Durchschnittstemperaturen assoziiert sind. 8 Grad plus kamen während der Saurierzeit (Trias – Kreide) vor, im Kambrium (explosionsartige Zunahme der Artenvielfalt) und Devon (Zeitalter der Fische) sogar 14 Grad plus! Quelle: Earth.org.

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