19.08.2015

Verkehr: Hochrisikotechnologie Fahrrad

Von Fred F. Mueller

Fahrradfahren macht Spaß und hält fit. Politiker inszenieren es heute zudem als (umwelt-)heilsbringende Alternative zu Auto und öffentlichem Nahverkehr. Auch das risikoreiche Fahrradfahren kann jedoch nicht uneingeschränkt empfohlen werden, erklärt Fred F. Müller

Das liebste Accessoire deutscher Spitzenpolitiker ist dieser Tage das Fahrrad. Der eine oder andere unter ihnen kommt auch schon mal bei geeigneter Wetterlage und nach Absprache mit „zufällig“ anwesenden Kamerateams mit dem Drahtesel zu Besprechungen vorgefahren [1]. Mit der jetzt anlaufenden „Dekarbonisierung der Gesellschaft“ plädieren die beiden sozialdemokratischen Minister Sigmar Gabriel (Wirtschaft) und Barbara Hendricks (Umwelt) dafür, Beamte zur verstärkten Benutzung von Fahrrädern zu animieren und Fuß- und Radwege auszubauen, um so die deutschen CO2-Emissionen um jährlich 1,1 Mio. Tonnen zu verringern [2]. Doch was zunächst eher harmlos als Aufruf zu guten Taten erscheint, birgt Risiken in sich, die man gerade jetzt im Hochsommer gerne ausblendet.

Rutschgeräusche, Scheppern, Aufschlag, Ambulanz: Eine typische Szene für Wintertage mit tückischen Glatteisfallen, denen Radfahrer auf den selten gut geräumten Radwegen allzu häufig zum Opfer fallen. Und zugleich eine Verdeutlichung der hohen Risiken, denen Radfahrer selbst dann ausgesetzt sind, wenn kein Auto beteiligt ist. Fahrräder sind wie alle Zweiräder vom Prinzip her instabil, so dass es schon bei kleinsten Anlässen zu Stürzen kommt. Ohne Blechgehäuse oder Knautschzone sind mittlere bis schwerste Verletzungen dann vorprogrammiert. Zehn Prozent aller Verkehrstoten sind Radfahrer. Schon ein kurzer Blick in die Statistik reicht, um zu erkennen, welch ungleich höheren Risiken Zweiradfahrer im Vergleich zu Autofahrern ausgesetzt sind. Haben Sie diese Fakten schon mal aus dem Mund eines „umweltbewussten“ Politikers gehört?

Das Riesen-Risiko der Radfahrer

Das Unfallrisiko für Radfahrer liegt, bezogen auf die zurückgelegte Wegstrecke, mehr als neunmal so hoch wie das für Autofahrer und übertrifft sogar noch dasjenige der bekanntlich hoch gefährdeten Motorradfahrer. Wer also Menschen anhält, vom Auto auf das Fahrrad umzusteigen, nimmt in Kauf, dass die Betreffenden ein fast zehnfach höheres Risiko für Leib und Leben tragen, als wenn sie mit dem PKW unterwegs wären.



Abbildung 1: Das Unfallrisiko von Radfahrern ist 9,2 Mal so hoch wie das von Autofahrern und übertrifft sogar noch das von Motorradfahrern (Daten: ADAC [3] und Statistisches Bundesamt [4])


Im innerstädtischen Verkehr starben in Deutschland im Jahre 2011 sogar mehr Radfahrer als Fußgänger. Und dabei geht es nicht nur um Todesfälle: Viel schwerer wiegt die hohe Zahl der Schwer- und Leichtverletzten. Zwar geht die Zahl der Todesfälle im Verkehr seit vielen Jahren zurück, doch übersieht man hierbei leicht die viel höheren Zahlen der Schwer- und Leichtverletzten, von denen viele schwere bis schwerste gesundheitliche Langzeitfolgen – bis hin zum lebenslangen Pflegefall – davontragen. So kamen laut Untersuchungen des Statistischen Bundesamtes im Jahre 2011 bei Verkehrsunfällen zwar „nur“ 4009 Menschen zu Tode, doch gab es für jeden Toten 17 Schwerverletzte (insg. 69.000) und sogar 81 (insg. 323.400) Leichtverletzte.

Wo bleiben die Personalvertretungen?

Dabei ist der reine Vergleich von Arbeitswegen nur ein Teil des Gesamtbildes, denn viele Mitarbeiter müssen auch noch Dienstgänge zurücklegen. Nach Erhebungen des ADAC übertrifft die durchschnittliche Länge eines Dienstweges mit 20,4 Kilometer sogar noch diejenige des durchschnittlichen Arbeitsweges von 17,7 Kilometer. Sollten auch diese Strecken per Fahrrad zurückgelegt werden, dann stiege das persönliche Unfallrisiko nochmals um mehr als ein Drittel zusätzlich an.

Will man die Gesamtrisiken in konkrete Zahlen umrechnen, so muss man berücksichtigen, dass die Beförderungsleistung des Fahrrads nur 3 Prozent der Gesamt-Beförderungsleistung ausmacht, das Auto dagegen 76 Prozent erreicht. Wollte man nur die Hälfte der bisher per Automobil erbrachten Leistungen auf das Fahrrad verlagern, so stiege bei sonst unveränderter Risikostruktur die Zahl der Verkehrstoten von den 4009 des Jahres 2011 auf rund 13.000 an. Die Zahl der Schwerverletzten stiege von 69.000 auf 224.000 und die der Leichtverletzten sogar auf mehr als 1 Million. Angesichts solcher Zahlen ist schwer nachzuvollziehen, warum sich in dieser Angelegenheit bisher weder Personalvertretungen bzw. Gewerkschaften noch Berufsgenossenschaften oder sonstige Interessenvertretungen mit entsprechenden Stellungnahmen zu Wort gemeldet haben.



Abbildung 2: Anteile der Beförderungsleistung der verschiedenen Transportmittel im Jahre 2011 (Daten: Statistisches Bundesamt [5])

Zusätzliche Risiken

Nun mag der eine oder andere damit argumentieren, dass mit abnehmender Zahl an Autos im Straßenverkehr sich auch die Risikolage für Fahrradfahrer und Fußgänger verbessert. Es gibt jedoch eine Reihe von Gründen, warum dies wohl eher Wunschdenken bleiben dürfte. So dürfte mit zunehmendem Radverkehr auch das Risiko für Unfälle zwischen Radfahrern und Fußgängern merklich ansteigen [6]. Bereits heute ist vielfach ein oft rücksichtsloses Verhalten von Radfahrern gegenüber anderen Verkehrsteilnehmern festzustellen. Bisweilen muss man sich als Fußgänger gar körperliche Gewalt androhen lassen, wenn man es tatsächlich wagt, sich über die Benutzung von Fußwegen durch Fahrradfahrer – trotz vorhandener paralleler Radspur – zu beschweren.

„Das Unfallrisiko von Radfahrern ist 9,2 Mal so hoch wie das von Autofahrern und übertrifft sogar noch das von Motorradfahrern“

Zudem dürfte die durchschnittliche Geschwindigkeit der Radfahrer durch die massive Zunahme von Elektrobikes deutlich zunehmen. Bisher lag sie bei rund 10,4 km/h, bei manchen der – oft zusätzlich frisierten – Hochleistungs-E-Bikes werden jedoch die 25 km/h teils deutlich überschritten, mit entsprechend erheblich höheren Unfall- und Verletzungsrisiken sowohl für die Fahrer als auch für Fußgänger. Die rasant steigenden Verkaufszahlen dieser Fahrzeugkategorien machen sich bereits in den Unfallstatistiken bemerkbar. So stieg einem Bericht von Spiegel Online zufolge die Zahl der Verkehrstoten in den ersten 11 Monaten das Jahres 2014 gegenüber dem Vorjahr erstmals seit längerer Zeit wieder an. [7] Dabei stellte der gleichen Meldung zufolge der Deutsche Verkehrssicherheitsrat fest, dass „rund ein Fünftel aller Getöteten im Straßenverkehr auf Motorrädern, Rollern und E-Bikes unterwegs war. Die Zahl der Verkehrstoten auf Zweirädern sei in diesem Zeitraum im Vergleich zum Vorjahr teilweise im zweistelligen Prozentbereich gestiegen, so beispielsweise bei Fahrradfahrern um zwölf Prozent“.

Während sich also unsere Volksvertreter als Säulenheilige des Umweltschutzes inszenieren, sich zu diesem Zweck bereitwillig einem erhöhten Verletzungsrisiko aussetzen und auf das ökologisch korrekte Gefährt schwingen, lautet meine Empfehlung für sichere Fortbewegung: Einfach mal wieder das Auto nehmen!

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