01.10.2014

Verbotsdebatte: Der frühe Lebkuchen

Kommentar von Andreas Müller

Laut einer repräsentativen Umfrage wünscht sich ein Drittel der befragten Bundesbürger ein Verbot des frühzeitigen Verkaufs von Weihnachtsgebäck. Andreas Müller findet das reichlich absurd: Der Hang, alles gesetzlich regeln zu wollen, geht auf Kosten unserer Selbstbestimmung

Der frühe Vogel fängt den Wurm, aber der frühe Lebkuchen verdirbt das Weihnachtsfest. Das finden jedenfalls 63 Prozent der befragten rund 1000 Deutschen laut einer repräsentativen Online-Umfrage von YouGov im Auftrag der Nachrichtenagentur dpa. [1] Etwa ein Drittel fordert gar ein Verbot des vorzeitigen Verkaufs von Weihnachtsplätzchen und Glühwein. Im September soll es ihnen zufolge noch kein Festtagsgebäck geben dürfen.

Wie repräsentativ diese Umfrage wirklich ist, lässt sich kaum sagen. Es gibt immerhin noch keine wütende Gruppe von Demonstranten, die Schoko-Weihnachtsmänner aus den Regalen wirft. Einige der Befragten werden lediglich genervt gewesen sein, dass man sie schon wieder über Gott und die Welt befragt und mit einer ablehnenden Antwort reagiert haben. Es hat sich auch noch keine Partei gefunden, die das vorzeitige Angebot von Spekulatius gesetzlich untersagen möchte. Andererseits: Da Politik inzwischen auf der Grundlage von Meinungsumfragen gemacht wird, anstelle von Prinzipien, ist das vielleicht nur eine Frage der Zeit.

„Problematisch wird es, wenn von ‚Ich mag es nicht‘ auf ‚Man sollte es für alle Bürger verbieten‘ geschlossen wird.“

Nun kann man das herbstliche Angebot von Festtagsgebäck gut- oder schlechtheißen. Laut der Umfrage stört es eher die älteren Mitbürger als die jüngeren. Aber auch 33 Prozent der jüngeren Mitbürger fühlen sich durch das Weihnachtsgebäck belästigt. Möge jeder mit seiner Meinung glücklich werden. Problematisch wird es lediglich, wenn von „Ich mag es nicht“ auf „Man sollte es für alle Bürger verbieten“ geschlossen wird. Die subjektiven Vorlieben sind nicht das Maß aller Dinge. Es führt zu nichts Gutem, den eigenen, persönlichen Willen zu einem universell gültigen Gesetz zu erklären.

Die Menschen haben verschiedene Vorlieben. Ältere Menschen hören nur selten Rockmusik, viele junge Menschen könnten derweil auf Volksmusik verzichten, manche Genießer mögen Tee, andere schwören auf Kaffee. Ebenso hat jeder seine Favoriten unter den Festtagen. Für manche ist die Suche nach Schokoladeneiern an Ostern die größte Freude, andere sitzen lieber an Heiligabend am Kamin und hören Weihnachtslieder. So ist das nicht nur in einer pluralistischen Gesellschaft – auch in einer Diktatur mag nicht jeder dieselbe Art von Gurken. Der Unterschied besteht darin, dass man in Diktaturen keine Wahl hat. Man nimmt entweder das, was der Herrscher vorschreibt oder man bekommt gar nichts. Bei uns ist das zum Glück nicht so. Dafür gibt es einen Grund. Und wir sollten ihn besser nicht vergessen. Der Grund ist die Achtung vor dem individuellen Menschen, der Respekt für sein Recht, eigene Entscheidungen treffen zu dürfen, auch wenn man sie selbst nicht mag oder wenn man sie selbst für unsinnig hält.

Es gibt in jeder Gesellschaft alte Menschen, junge Menschen, Hitzköpfe mit feurigen Leidenschaften, kühle Rationalisten, Tratschtanten und stille Beobachter. Die Menschen sind hier wie dort bei allen Gemeinsamkeiten auch verschieden. Das ist kein Problem, sondern es liegt in der Natur der Sache. Wir müssen unsere Mitmenschen einfach nur gewähren lassen. Der Hitzkopf lässt den Denker in der Bibliothek in Ruhe grübeln, die Tratschtanten akzeptieren es, dass nicht jeder so viel redet. Wenn man Rücksicht aufeinander nimmt und die Unterschiede akzeptiert, kommen alle miteinander aus.

Gesetze dienen im Optimalfall dazu, dafür zu sorgen, dass jeder tun kann, was er für richtig hält, solange er anderen Menschen nicht schadet. Manchmal tun Menschen alberne und törichte Dinge, die sie später bereuen. Manche Menschen achten Traditionen nicht, die anderen heilig sind. Der Gesetzgeber kommt aber nur ins Spiel, wenn Menschen in die Rechte ihrer Mitbürger eingreifen.

Falls man einen Menschen mit staatlicher Gewalt dazu zwingen will, nur noch in einem bestimmten Zeitraum ertragreiche Produkte feilzubieten, so ist das ein Eingriff in seine Rechte. Man missachtet sein Recht, für sich selbst zu entscheiden und seinen Mitbürgern etwas anzubieten, was sie nach eigenem Gutdünken entweder annehmen oder nicht. Ich muss es nicht mögen, dass ein Händler bestimmte Produkte feilbietet. Ich mag zum Beispiel keine Lakritzstangen und kann sie gar nicht erst sehen. Ich fordere aber nicht, dass andere Menschen eine Geldstrafe zahlen und bei Weigerung ins Gefängnis geworfen werden, falls sie doch Lakritzstangen anbieten. Genau das bedeutet es allerdings, wenn man ein Verbot des subjektiv als „zu früh“ empfundenen Weihnachtsgebäcks fordert.

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