11.06.2012

Urheberrechtsdebatte: Äpfel und Birnen

Essay von Monika Bittl

In ihrer Erzählung nähert sich Monika Bittl auf literarische Weise der aktuellen Urheberrechtsdiskussion an. Die Hauptfiguren: Ihr Gemüsehändler, sie selbst und ein junger Herr mit Schiebermütze – Mitglied einer Partei, deren zentrales Anliegen die kostenlose Gemüsegrundversorgung ist

Aus verschiedenen Gründen kaufe ich jeden Tag beim türkischen Gemüsehändler um die Ecke ein. Erstens unterstütze ich kleine Läden gegen Supermarktketten, zweitens brauche ich für mich und Familie Lebensmittel und drittens gefällt mir der Alltagsplausch mit Hakan. Völlig verschiedene Welten prallen da bisweilen aufeinander, er sieht mich tief entsetzt an, wenn ich nach „Halva“ frage („Das ist griechisch!“) und ich blicke wahrscheinlich umgekehrt verwirrt drein, wenn er fragt: „Du doch Schriftsteller. Wie schreibt man Zucchini?“ Manchmal erzähle ich ihm von meinen Existenznöten als Schriftstellerin („bin pleite, Auftrag geplatzt“), manchmal berichtet er mir von seinen Existenznöten als Gemüsehändler („Großhändler ging pleite, Diebe nehmen sich aus den Auslagen, was sie wollen“).

Heute habe ich mir vorgestellt, wie es wäre, wenn sich jemand in unser Verhältnis einmischen würde. Da käme ein junger Herr mit Schiebermütze in den Laden, während ich gerade an der Kasse Salat und Äpfel bezahle.
„Warum kaufst du hier zu überteuerten Preisen Äpfel und Salat?“, würde er mich fragen. „Draußen in der Natur gibt es das völlig umsonst!“
„Na hör mal!“, würde ich nach einer Atempause erwidern. „Ich lebe hier in der Großstadt. Ich hab keinen Garten. Und abgesehen davon, würd ich auch gar nichts anbauen wollen!“
„Was stänkern du herum?!“, würde Hakan zornig schimpfen. „Nix überteuert, ganz knapp kalkuliert!“
„Ich mein ja eigentlich nicht dich“, lenkte der Schiebermützenmann ein. „Die Großhändler setzen dich doch so unter Druck, das liegt am System, die beuten dich aus, ich steh doch auf deiner Seite!“
„Und warum klaust du ihm dann die Birnen?“, würde ich dem Schiebermützenmann mit Blick auf seine Tasche zuraunen.
„Dieb! Dieb!“, würde mein Gemüsehändler rufen, den Schiebermützenmann hinauswerfen und ihm mit der Polizei drohen, sollte er sich noch einmal umsonst bedienen wollen.

Mein Gemüsehändler regte sich noch Tage über die Unverschämtheit auf und berichtete mir ausführlich, wie lange er brauchte, seinen Laden aufzubauen. Was für einen Wert er auf die Qualität der Ware legt und deshalb jeden Tag um vier Uhr morgens im Großmarkt steht, um die besten Tomaten und Salate zu ergattern. Welche Risiken er mit den schnell verderblichen Produkten eingeht. Wie oft er schon schlaflose Nächte verbrachte, wenn der Laden schlecht lief und er sich Gedanken darüber machte, wie er weiter seine Familie ernährte. Welch guten Kontakt er mit den Großhändlern pflegt, die selbst ein vielleicht noch größeres Risiko mit der Frischware eingehen. Wie oft schon seien ganze Stiegen bei Ankunft unbrauchbar gewesen. Welche Lebensmittelskandale wie zuletzt Ehec hätten nicht schon zu unzähligen Pleiten geführt. Und da käme so ein Kerl daher und würde ihm sein Geschäft „erklären“ wollen, bloß weil er Äpfel und Birnen gratis genießen wolle?

Wieder ein paar Tage später finde ich Hakan vor dem Laden auf einem Stuhl sitzend und kopfschüttelnd Zeitung lesend vor. Er schaut so finster drein, dass ich frage, ob mit seiner Familie alles in Ordnung sei. Alle gesund? Ja, ja, die Familie schon, meint er, aber die Welt nicht mehr. „Da, schau!“ Ich nehme die Zeitung und lese, dass eine Schiebermützengruppe eine Partei gründete, deren zentrales Anliegen kostenlose Gemüsegrundversorgung ist. Niemand dürfe mit dem, was die Natur uns gibt, so ein Geschäft machen und deshalb müsste jeder Diebstahl zukünftig auch straffrei als Mundraub gewertet werden.

„Nimm das doch nicht ernst“, beruhige ich Hakan. „Wer wählt die schon?“
„Doch!“, empört er sich. „Andere Parteien auch schon rufen nach kostenlosen Obst!“ Erregt springt der Händler auf und greift zu einer Birne.
„Schau!“, Hakan zerquetscht die Birne in seiner Hand, bis das Fruchtfleisch zu Boden tropft. „So mein Gefühl! Ich wie Birne.“
„So weit kommt es nicht!“, höre ich mich sagen, auch wenn ich die existentielle Bedrohung verstehe.
Hakan schüttelt den Kopf. „Kann mir alles vorstellen. Aber gut, vielleicht kommt es nicht so weit. Aber Gefühl, seltsame Burschen plötzlich über unsere Arbeit bestimmen wollen, bleibt. Haben Deutsche keine anderen Probleme?“
Ich zucke mit den Schultern, hatte ich doch gehört, auch in anderen Ländern gibt es bereits solche Debatten.

Ich gehe zur Tagesordnung über und lege Gurken, Tomaten und Trauben in den Korb. Plötzlich steht Hakan neben mir.
„Jetzt ich weiß was, damit du mich verstehen! Stell dir vor, du schreibst doch Bücher und Filme, jetzt wollen Leute einfach deine Bücher und Filme kostenlos oder viel, viel billiger! Und würden sagen, dein Verleger böse, beutet dich aus. Oder Produzent. Würden keinen Respekt vor Arbeit von dir haben!“

Ich nicke. Schwer vorstellbar, dass es so etwas gibt.
In den Weiten des Internets werde ich später trotzdem dazu noch fündig. Die beste Zusammenfassung findet sich hier

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