13.01.2009

Unheilige Allianzen oder: Warum man manchmal besser nicht mitdemonstriert

Von Matthias Heitmann

Es ist schon erstaunlich, welch seltsame Koalitionen sich auf Demonstrationen anlässlich des Konflikts zwischen Israel und der Hamas bilden. Neben der rot-grün-pazifistischen, sich internationalistisch gebenden Friedensbewegung finden sich auch linke wie rechte Globalisierungsgegner und Sympathisanten des radikalen Islamismus – eine fürwahr bunte Mischung, die allerdings weniger ein Indiz für Vielfalt, sondern Ausdruck politischer Einfalt ist.

Der vielfach sehr unpolitische Charakter der Proteste gegen den Krieg in Nahost führt dazu, dass die öffentlichen Reaktionen über die – verständliche – Betroffenheit angesichts des Leids der Zivilbevölkerung leider nur selten hinausgehen. Die Beschränkung auf das Zurschaustellen der eigenen Betroffenheit hat – ob man dies nun will oder nicht – klare politische Konsequenzen: Zwangsläufig entwickelt sich eine sehr einseitige Sichtweise des Konflikts, die die Palästinenser als „Opfer einer israelischen Aggression“ einstuft, welche angesichts der eher als spärlich und unorganisiert zu bezeichnenden Raketenangriffe auf israelische Zivilisten überdimensioniert wirken muss. Dies, noch verstärkt durch die allgemeine mediale Präsenz der zivilen Opfer des Krieges, hat unweigerlich das Erstarken antiisraelischer Sentiments zur Folge – eine Entwicklung, die nicht erst seit Dezember 2008 im Westen zu beobachten ist.

Tatsächlich ist vielen liberalen westlichen Kreisen der Staat Israel durch sein entschlossenes Vorgehen, seine Missachtung internationaler Friedensappelle und sein Ignorieren von UN-Resolutionen ein Dorn im Auge. Israel entwickelt sich zu einem Symbol für all das, was in der „postmodernen“ Öffentlichkeit des Westens zutiefst verabscheut wird: Das unilaterale Verfolgen nationaler Interessen, die Verteidigung staatlicher Souveränität, die Unversöhnlichkeit im Kampf gegen Terroristen – all dies sind Charakteristika einer Politik, die mit dem scheidenden US-Präsidenten George W. Bush in Verbindung gebracht werden, der auf Friedensdemonstrationen der letzten Jahren immer wieder als „Kriegsverbrecher“ und „Terrorist“ beschimpft wurde.

Dass selbst innerhalb europäischer Führungskreise diese Sentiments zunehmen, ist nicht, wie vielfach vermutet wird, einem Aufflammen des Antisemitismus geschuldet, sondern eher der Desillusionierung mit dem eigenen „Projekt des Westens“ sowie einer tiefen politischen Verunsicherung. Die Bereitschaft Israels, seine Interessen gegen die Hamas militärisch durchzusetzen und nicht auf „Verhandlungen mit Terroristen“ zu setzen, stellt die Rolle der EU als ewiger Vermittler in der Krisenregion infrage und setzt die Führer Europas unter den als unangenehm empfundenen Druck, klar Position zu beziehen. Dieses Unwohlsein spiegelt sich auch in den Friedensdemonstrationen wider, deren Appelle nicht über ein hilfloses „Stoppt den Krieg in Gaza!“ hinausgehen.

Dennoch – und das ist wohl neben dem impliziten Schulterschluss mit islamistischen und antisemitischen Gruppierungen der problematischste Aspekt dieser unpolitischen Demonstrationskultur – ist die Forderung nach dem Ende des Krieges nicht mit einer Forderung nach Selbstbestimmung der Völker in der Region gleichzusetzen. Denn tatsächlich ist der Adressat des Appells „Stoppt den Krieg!“ die internationale Staatengemeinschaft. Dabei war es gerade die Internationalisierung des Nahostkonflikts, die in den letzten Jahren die Entwicklung friedlicher Lösungen immer unwahrscheinlicher hatte werden lassen. Die 2003 beschlossene „Roadmap for Peace“ war nicht das Resultat israelisch-palästinensischer Friedensbemühungen, sondern wurde von den USA, der EU, der UN von Russland – mithin also von allen Staaten der Erde – ausgehandelt. Die Vorstellung, dass die Menschen in den Palästinensergebieten und in Israel evtl. eigene und gemeinsame Interessen entwickeln könnten, spielte hierbei keine Rolle. Stattdessen steht die hermetische Trennung der Bevölkerungsgruppen auf dem Plan, was u.a. zu der absurden Situation führte, dass der Gazastreifen – ein 40 Kilometer langer und zwischen 6 und 14 Kilometer breiter, dicht bevölkerter Wüstenstreifen ohne nennenswerte Industrie – zu einer quasi-staatlichen Entität aufgewertet wurde. Davon auszugehen, dies sei eine tragbare Basis für ein friedliches Nebeneinander, ist ebenso unrealistisch wie die Vorstellung, ein noch weitergehendes Eingreifen des Westens könnte Frieden in der Region schaffen.

Es ist zwar menschlich, spontan Solidarität mit den Opfern von Kriegen zu fühlen. Dennoch reicht dieses Gefühl nicht aus, um hieraus eine politische Haltung zu entwickeln, die dem Ziel – dem selbstbestimmten friedlichen Zusammenleben der Menschen in der Region – zuträglich wäre. Dies ist der Grund dafür, warum ich mich weder Demonstrationen, auf denen das militärische Vorgehen Israels als legitimer „Krieg gegen den Terror“ verteidigt wird, noch Friedensappellen, die den Westen auffordern, die Krise in Nahost zu „lösen“, anschließe.

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