28.06.2012

Übers Ziel hinaus geschossen

Analyse von David Fahnert

Die Verleihung des deutschen Computerspielpreises an den Ego-Shooter Crysis 2 löste Kritik aus. Ein "Killerspiel" sei nicht preiswürdig. Diese Kritik zeugt ebenso wie die Reaktionen darauf von Infantilität und mangelnder Ehrlichkeit. Plädoyer für mehr Realitätssinn

Crysis 2 erhielt 2012 den deutschen Computerspiel-Preis. In ihrer Begründung betonte die zur Hälfte vom Bundestag und zur anderen Hälfte von Industrievertretern ernannte Jury, dass mit Crysis 2 erstmalig auch Entwickler aus Deutschland technologisch, qualitativ und ökonomisch ein weltweites Publikum und die Fachwelt überzeugen und begeistern konnten. Zudem bestäche das Spiel durch hohen Spielspaß, eine innovative Spielmechanik und eine herausragende Grafik. Solcherlei Lobhudeleien kann man ruhig mal kritisch unter die Lupe nehmen: Sonderlich innovativ ist nämlich z.B. die Spielmechanik nicht. Es geht in erster Linie darum, sich schießend seiner Haut vor Massen von Angreifern zu erwehren, während man von A nach B läuft. Ob dieser technische Aspekt aber wirklich primärer Verleihungsgrund sein sollte, wird zweifelhaft, wenn man sich die Verleihungskriterien des 2007 von der Regierung ins Leben gerufenen Preises anschaut. Dort wird explizit auch der „kulturelle und pädagogische“ Gehalt eines Spieles genannt. Das kann man jetzt erst mal finden wie man will, aber der kultur- und medienpolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Wolfgang Börnsen, hat genau danach gefragt.

In einer Pressemitteilung unter der Überschrift „Killerspiele sind nicht preiswürdig“ kritisierte der Unionspolitiker vorab die Nominierung des, wie er es formulierte, „sogenannten Ego-Shooters oder Killerspiels“ Crysis 2. Es sei falsch, den technischen Aspekt in den Vordergrund zu stellen, während man kulturelle und pädagogische Inhalte in den Hintergrund rücke. Seine Kritik wurde in der Computerspielszene weitestgehend ignoriert. Stattdessen ging es vor allem um das kleine, aber gewichtige Worte Killerspiel. Dieser seltsam martialisch daherkommende Begriff, der Spiele mit besonders hohem virtuellem Gewaltgehalt umschreiben soll, ist in den Augen vieler Jugendlicher nicht ganz zu Unrecht ein rotes Tuch. In Zeiten von Waffendeals und Kriegen soll auf einmal der kleine Gamer, der tausend virtuelle Tode stirbt, das große Problem sein? Dass die Kritik dann ausgerechnet noch aus einer „Ecke“ kam, die sich in der „Gamer“-Wahrnehmung gerne in Verbindung mit Schießvereinen zeigt, half auch nicht sonderlich. So wurde dann auch eben nicht die Verleihung des Preises, sondern die Kritik, aber vor allem auch die Person Börnsen angegriffen. Dabei ging leider unter, dass Börnsen im Unrecht war. Das Spiel ist zwar weder kulturell geschweige denn pädagogisch besonders wertvoll (was ein Computerspiel ja auch nicht zwangsläufig zu sein hat), den Preis verdient hatte es trotzdem – bedauerlicherweise einfach deshalb, weil es hierzulande zu wenig gute Konkurrenz gibt.

Die Aliens greifen an

„Killerspiele“ haben eine – zumindest in Videospielmaßstäben – lange Tradition. Den Anfang machten 1978 die inzwischen legendär gewordenen Raumschiffe aus dem Videospielhit Space Invaders. Das Spielprinzip, das die Zeit recht gut überstand, ist schnell erklärt: Man muss sich die Feindbewegungen einprägen und dann bei Gelegenheit den Feind, also in diesem Fall die titelgebenden Space Invaders, auslöschen. Komplexere und wahrscheinlich auch zivilisierte Problemlösungsstrategien, wie Verhandlungen zu führen oder den Gegner gar zu verschonen, waren damals weder technisch machbar, noch wäre vor allem Letzteres wirklich spielerisch ansprechend. Das reduktionistische Spielprinzip „lösche jene aus, die dir Probleme bereiten“ überstand die Jahre, während die Technik immer besser wurde. In genau jener Tradition steht auch Crysis 2, das, seinem geistigen Vorfahr Space Invaders gleich, den Spieler dazu beruft, die Menschheit von einer Alien-Plage zu befreien.

Die Killerspieledebatte ist indes genauso alt. Bereits in den 80ern wurde um „gewaltverherrlichende“ Spiele gestritten, mit der Folge, dass in den kommenden Jahrzehnten eine Menge auf dem Index landeten. Etliche englischsprachige Originalversionen von genreprägenden Spiele-Klassikern können hierzulande unter Verweis auf ihren jugendgefährdenden Inhalt nicht frei verkauft werden. Dabei trifft es nicht nur die vielgescholtenen Ego-Shooter, sondern auch Strategiespiele wie etwa Command & Conquer oder mit Resident Evil ein Spiel, in dem man Gewalt nicht gegen Pixel-Menschen, sondern gegen Pixel-Phantasiewesen, wie Zombies und Monster, anwendet. Kenner der Serie wissen zudem, dass Gewaltanwendung dank starker Munitionsbeschränkung nicht das probateste Mittel zum Erfolg darstellt.

Häufig wurde in der Verbotsdebatten mit der durch technologische Fortentwicklungen bedingten immer realistischer werdenden grafischen Darstellung von Gewaltszenen argumentiert. Aber dieses Argument zieht nicht. Seit 2010 kann das Remake der Videospielumsetzung des James-Bond-Filmes Goldeneye hierzulande frei verkauft werden. 1997 wurde das Original noch mit einer deutlich schlechteren Grafik indiziert und ist bis heute nicht frei erhältlich – wobei „nicht erhältlich“ es nicht ganz trifft: In Österreich etwa kann man das Spiel ohne Probleme erwerben. Trotzdem blieben in der Alpenrepublik killerspiel-„bedingte“ Amokläufe aus. Die Verbotsdiskussionen allerdings nicht.

Unter dem Eindruck der deutschen Hysterie um den Amoklauf von Emsdetten sah sich im Jahr 2006 die damals im österreichischen Bundesland Wien regierende große Koalition aus ÖVP und SPÖ dazu veranlasst, einen Index für „Killerspiele“ zu erstellen – diese also de facto zu verbieten. In Deutschland wurde ein ähnliches Gesetz bereits nach dem Amoklauf von Erfurt im Jahr 2002 durchgesetzt. Denkmuster hüben wie drüben: Singulare und rational nur schwer erklärbare Ereignisse wie Amokläufe werden vergesellschaftet und solch harmlose Handlungen wie Videospielkonsum als kausale Ursache postuliert. Dies soll wohl zuallererst dem beruhigenden Gefühl dienen, etwas gegen das Unerklärliche getan zu haben. Amokläufe erschrecken, da sie aus der Mitte der Gesellschaft zu stammen scheinen. Da wird zuvörderst nach einem trennenden Merkmal gesucht und Killerspiele scheinen sich aufgrund ihrer „realistischen“ Gewaltdarstellung besonders für das Erklärungsmuster zu eignen, dass virtuelle baldige reelle Gewalt bedingt.

Doch das ist im allerbesten Fall nur ein Teil der Wahrheit. Weltweit finden sich Millionen und Abermillionen von Spielern in Chats und E-Sports-Veranstaltungen gemeinsam vor der Konsole oder MMO-Games (Massive Multiplayer Online) wie World of Warcraft wieder. Während in technikaffineren Ländern, wie Japan, den USA und insbesondere Südkorea, das Computerspielen weitestgehend akzeptiert, und im Falle Südkoreas sogar staatlich gefördert wird , fristet die Game-Community in Deutschland ein Nischendasein. Sie wird von Politik und Medien kritisch beäugt – nicht zuletzt, weil sie immer wieder mit den bösen „Killerspielen“ in Verbindung gebracht wird. Dieses gesellschaftliche Nischendasein, das die eigentliche Relevanz von Computerspielen für jüngere Menschen komplett verleugnet, trug mit dazu bei, dass die Killerspieldebatte in den aktuellen Grabenkämpfe festgesteckt. Wäre dem nicht so, wären wohl auch die Reaktionen auf Böhrnsens Einwurf deutlich gelassener und sachlicher ausgefallen.

Etwas mehr Realitätssinn bitte!

Zwischen Space Invaders und Crysis waren Spiele, die Gewalt und Tod explizit negativ interpretieren, selten. Hauptursache dafür ist – von der schwereren Programmierbarkeit anspruchsvollerer Spiele und der Einfallslosigkeit der Entwickler einmal abgesehen – vor allem der Markt. Die Menschen haben und hatten ein großes Interesse am äußerst simplen Problemlösen. Der gewaltige kommerzielle Erfolg der Egoshooter-Reihe Call of Duty (der übrigens, nebenbei bemerkt, sogar den des erfolgreichsten Hollywoodblockbusters aller Zeiten, Avatar, bei weitem in den Schatten stellt) zeigt das auf eindrucksvolle Weise. Dies ist auch nicht verwerflich, befriedigt es doch Interessen, die schon immer da waren. Jugendliche wollen Grenzen testen, Dinge ausprobieren und über sich hinaus wachsen. Videospiele bieten die Möglichkeit dazu, Prinzessinnen zu retten, Zombies zu erschießen oder Heerscharen in den Krieg zu führen. Sie dienen eben nicht als Blaupause für die Realität, sondern für das Ermöglichen des Unmöglichen. So konnte das äußerst populäre Kriegsspiel Call of Duty nicht dafür sorgen, dass die amerikanische Armee populärer und der Job des Soldaten begehrter wurde (etwas, wofür der deutsche Staat einige Millionen Euro pro Jahr ausgibt).

Während man in Deutschland schnell wegen „Killerspielen“ auf die Barrikaden geht, sei es wegen der Verwendung des Wortes oder wegen der Spiele selbst, ist man im Ausland weiter. So kritisierten legendäre Spieleentwickler wie der Japaner Shigeru Miyamoto und der Amerikaner Warren Spector unabhängig voneinander den hohen Gewaltgehalt vieler Spiele und wie mit dieser Gewalt umgegangen wird. Von dieser ästhetischen Debatte und von Spielen, die realistisch programmierte Gewalt dazu einsetzen, dass sich Spieler unangenehm fühlen, ist Deutschland noch weit entfernt. Stattdessen bekommen hierzulande eher plumpe Actionspiele Preise und auf jegliche Kritik wird empört statt inhaltlich reagiert. Man wäre deutlich weiter, wenn man einfach zugeben könnte, dass in Deutschland leider so wenig innovative Games à la Crysis 2 preiswürdig sind.

Von der internationalen Klasse, bei der Games ausgezeichnet werden, welche erzählerisch durchaus mit Scorsese-Filmen mithalten können, kann man hierzulande nur träumen. Stattdessen werden Preise an die „Michael Bays“ der Szene verliehen. Der Regisseur Michael Bay verantwortet regelmäßig Actionfilm-Blockbuster wie Transformers, Bad Boys oder Armageddon, die zwar an den Kinokassen großen Erfolg haben, aber von Kritikern aufgrund des mangelnden Inhalts meist zerrissen werden. Und mit diesen audiovisuellen Spektakeln kann sich, so der Einspieler bei der Computerspielpreisverleihung, Crysis 2 messen lassen. Maßstäbe wurden schon höher gesetzt. Noch viel weiter wäre man, würde man Computerspiele als das anerkennen, was sie sind. Sie verbinden weltweit Menschen, sind Freizeitbeschäftigung für Familien, bieten Freiräume und Erlauben das Unmögliche.

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