19.02.2010

Über das Recht, Katzen zu essen

Von Johannes Richardt

Weshalb man Katzen sowohl liebhaben als auch essen darf...

Erinnern Sie sich vielleicht noch an den etwas exzentrischen Außerirdischen ALF vom Planeten Melmac? Dieser am ganzen Körper behaarte TV-Alien setzte Ende der 80er-Jahre im Vorabendprogramm mit anarchischen und respektlosen Scherzen einen erfrischenden Kontrastpunkt zur ach so heilen Schwarzwaldklinik- und Traumschiffidylle der öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten. ALF war schlagfertig, lustig, ein bisschen verrückt und sagte immer schonungslos, was er dachte. Und vor allem verging keine Folge, in der ALF nicht unter Gelächter der Fernsehzuschauer versuchte, den Hauskater seiner terrestrischen Gastfamilie zu verspeisen.
      Niemand kam damals auf die Idee, ALF, wegen dessen derben Humors und Heißhungers in Bezug auf Katzen zu zensieren und die Macher mit moralischen Vorwürfen zu überziehen. Der Fall des italienischen TV-Kochs Beppe Bigazzi – nicht wie ALF eine fiktive Figur, sondern ein zurechnungsfähiger Erwachsener aus Fleisch und Blut – beweist, dass sich die Welt seitdem verändert hat. Bigazzi äußerte vor kurzem im italienischen TV die Überzeugung, dass Katzenfleisch besser schmecke als Hühnchen oder Kaninchen und lieferte dazu gleich einen passenden Rezeptvorschlag. Mit seinen Aussagen löste er prompt einen Sturm der Entrüstung aus. Die italienischen Grünen protestierten heftig, eine Staatssekretärin des Gesundheitsministeriums nannte seine Aussagen „schädlich“  und am Ende stand der „notwendige Schritt“ des Fernsehsenders RAI, Bigazzis allmittägliche Kochsendung sofort einzustellen.
      Dabei hatte sich Bigazzi keines Verbrechens schuldig gemacht. Er hat lediglich über seine in unseren Breiten etwas exotischen kulinarischen Erfahrungen und Vorlieben gesprochen und wollte vielleicht auch ein bisschen provozieren. Wie konnte es nun aber dazu kommen, dass er für seine leicht exzentrischen Aussagen derartig angeprangert und mundtot gemacht werden konnte? Sicher über Geschmack lässt sich trefflich streiten. Ich bitte Katzenliebhaber um Verzeihung: Dies gilt natürlich auch für den Geschmack verschiedener Fleischsorten (Menschenfleisch selbstverständlich ausgenommen). Die Frage, welche Tiere man essen möchte oder ob man überhaupt Tiere essen möchte, ist keine primär moralische oder politische Frage, sondern eine der persönlichen Neigungen und Vorlieben.
      In einer Zeit, die durch eine schleichende Entwertung des Menschen im Namen eines immer stärker moralisierenden Tierschutzes gekennzeichnet ist, verliert solch ein Gedanke allerdings zunehmend an Gewicht (vgl. dazu das Titelthema „Mensch und Tier“ der aktuellen Ausgabe von Novo Nr. 105 1–2 2010). Der Unterschied zwischen Menschen als Vernunftbegabten moralisch handelnden Subjekten und instinktgetrieben amoralischen Tieren beginnt immer mehr zu verschwimmen. So kann es dazu kommen, dass es moralisch für legitim erachtet wird, die Freiheitsrechte eines erwachsenen Menschen massiv einzuschränken - dessen Recht auf freie Meinungsäußerung ebenso wie dessen Recht auf die Entfaltung seiner Persönlichkeit – letztlich aus dem Grund heraus, weil man die Essvorlieben eines eigensinnigen TV-Kochs im Bezug auf Katzen irgendwie eklig findet.
      Solch ein bedenklicher Mangel an Toleranz lässt sich auch nicht mit den in Europa üblichen kulturellen Gepflogenheiten rechtfertigen. Die Vorsitzende des italienischen Tierschutzverbandes begrüßte Bigazzis Suspendierung, weil dieser die „in unseren Breitgraden üblichen kulturellen Kategorien ignoriere“. Selbstverständlich hat sich Bigazzi mit seinen Aussagen in einer populären Kochsendung sehr unsensibel gegenüber den Gefühlen von vielen Katzenliebhabern gezeigt, die in ihren Haustieren mit gutem Recht sehr viel mehr sehen als einen potenziellen Sonntagsbraten. Dafür kann man seine Aussagen auch gerne kritisieren. Letztlich sollte es aber in einer freien Gesellschaft der subjektiven Entscheidung jedes einzelnen überlassen bleiben, ob man Katzen eher verspeisen oder liebhaben möchte.
        Tiere sind unmenschlich, wie Franz Kromka in Novo 105 (S.54-57) überzeugend dargelegt hat. Deshalb werden ihnen zu Recht keine dem Menschen vergleichbaren Rechte zugeschrieben. Sie sollten primär menschlichen Zwecken dienen. Bigazzis Aussagen deshalb mit einem Verweis auf eine mehr als diffuse und zudem im ständigen Wandel begriffene kulturelle Identität zivilisierter Europäer tabuisieren zu wollen, ist ebenso absurd wie sie falsch ist (in manchen Gegenden Italiens ist es z.B. Tradition, Katzen zu essen, und auch während und nach dem zweiten Weltkrieges soll hierzulande die ein oder andere Katze im Kochtopf gelandet sein). Außerdem zeugen solche Aussagen von einer Nichtbeachtung der starken kulturellen Wurzeln Europas in den Prinzipien und Werten von Humanismus und Aufklärung. Dort werden vor allem das freie Individuum, Menschenrechte, wie Meinungs- und Gedankenfreiheit, Moral, Vernunft und Autonomie betont. Ein Verbot, über die schmackhafte Zubereitung von Katzen öffentlich zu sprechen, wäre den großen europäischen Denkern mit Sicherheit nicht in den Sinn gekommen.

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