18.11.2024

Trumps Triumph und die europäischen Eliten

Von Andrea Seaman

Titelbild

Foto: Michael Vadon via Flickr / CC BY 2.0

Die Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten sollte nicht zu der Einschätzung verleiten, dass in Europa ähnliche Veränderungen anstehen. Die hiesigen Eliten werden ihren Kurs erst recht beibehalten.

Nach der Wiederwahl von Donald Trump verbreitet sich eine Hoffnung unter denjenigen, die Harris’ Niederlage und Trumps Sieg herbeigesehnt haben. Sie verkünden nun freudig: „Endlich ist die Ära des Wokeismus und der Zensur vorbei. Europa, inspiriert vom amerikanischen Beispiel, wird langsam wieder frei atmen können.“ Doch diese Vision klingt weniger nach einer überzeugenden Perspektive als nach einem Märchen.

Anstatt sich zurückzuziehen, werden die autoritären Tendenzen diesseits des Atlantiks wahrscheinlich zunehmen. Der Schatten Trumps bietet den technokratischen Eliten Europas die perfekte Entschuldigung, ihren Würgegriff zu verstärken – natürlich unter dem hehren Vorwand des „Schutzes der Demokratie“. Solche Entwicklungen sind uns nur allzu vertraut. Erinnern wir uns an die großspurigen Prophezeiungen vom Ende des Wokeismus – sei es während der Covid-Pandemie, nach dem Brexit oder Trumps erstem Wahlsieg. Doch Europa bleibt unbeirrt: Jede Krise wird als Gelegenheit genutzt, Zensur und Kontrolle noch entschlossener durchzusetzen.

Die von Trumps Triumph erschütterten europäischen Eliten werden sich in moralischer Überlegenheit sonnen. Wie sonst könnten sie sich einreden, auf der Seite der Engel zu stehen? Indem sie Trumps Amerika als Wüste des Lasters und der Grausamkeit darstellen, werden die europäischen Regierungen ihre „aufgeklärten“ Agenden mit noch größerem Eifer vorantreiben. Und die Meinungsfreiheit? Sie wird unter dem Deckmantel von Maßnahmen gegen die angebliche Bedrohung durch populistische Desinformation und Hate Speech weiter eingeschränkt. Kritiker der grünen Agenda oder der Klimapolitik? Man will sie zum Schweigen bringen, natürlich zum Wohle der Allgemeinheit, damit sich ihre Zweifel nicht als vermeintlicher Nihilismus à la Trump verbreiten.

Die Ironie dabei ist, dass Trumps Kritiker oft genau die autoritären Tendenzen verkörpern, die sie ihm vorwerfen. Wie die Kleriker früherer Zeiten, die Ketzer verbrannten, um die Reinheit der Kirche zu bewahren, sehen es die europäischen Eliten als ihre heilige Pflicht an, ihre Orthodoxien zu sichern – natürlich im Namen der Demokratie. Das Ergebnis ist Demokratie durch einen Zerrspiegel: Die Freiheit wird bewahrt, indem man jede abweichende Stimme irgendwie unterdrückt. Doch ihr Eifer verrät einen ihnen unangenehme Wahrheit: Sie spüren, dass die Geduld der Öffentlichkeit mit ihren selbstgefälligen Erzählungen gefährlich zu erodieren beginnt.

„Für die europäischen Eliten wird Zensur nicht nur zu einem Kontrollinstrument, sondern zu einem existenziellen Rettungsakt.“

Manche behaupten nun sogar: „Die Linke lernt! Sie hat begriffen, dass der Wokeismus ihr teuer zu stehen kommt.“ Dieser naive Optimismus sieht in einem winzigen Riss im Panzerglas der Woke-Doktrin bereits ein Zeichen für den bevorstehenden Zusammenbruch der gesamten Woke-Ideologie oder -Bewegung. Einige linke Stimmen murren, dass Identitätspolitik und Cancel Culture Wähler entfremden könnten. Aber, wie Oscar Wilde bemerkte, ist die Wahrheit selten rein und nie einfach. Die meisten dieser Kritiker – und oft sind es nicht die Unwichtigsten – betrachten den Wokeismus und den Widerstand dagegen als lästige Ablenkung. Sie sind kaum in der Lage, „woke“ zu definieren, und können keine kohärente Alternative dazu formulieren.

Diese kognitive Dissonanz garantiert, dass der Woke-Kreuzzug unbeirrt fortgesetzt wird – verteidigt von jenen, die weder das Wesen noch die Auswüchse dieses Phänomens verstehen. Je lauter die Alarmglocken schrillen, desto verbissener versucht die kulturelle Elite Europas, das Volk zum gewünschten Gehorsam zu ‚erziehen‘. Die Woken sind wie die Bourbonen, sie lernen nichts und vergessen nichts.

Betrachten wir diese heiligen Kühe: die grüne Agenda, den Kampf gegen „Hate Speech“, den Krieg gegen Desinformation. Mit dem Anstrich moralischer Notwendigkeit werden diese Anliegen gegen jede Kritik immunisiert. Wer es wagt, die Klimapolitik oder die ausufernden Löschungen in den Social Media in Frage zu stellen, riskiert, als Ketzer gebrandmarkt zu werden. Trumps Wiederauferstehung dürfte diese Tabus weiter zementieren. Für die europäischen Eliten wird Zensur nicht nur zu einem Kontrollinstrument, sondern zu einem existenziellen Rettungsakt – „um den Planeten zu schützen“, „um den sozialen Zusammenhalt zu bewahren“ und natürlich „um den schleichenden Einfluss des Populismus zu bekämpfen“.

„Trumps Triumph, so disruptiv er auch sein mag, ist kein deus ex machina, der uns vor uns selbst rettet.“

Hinter solchen Begründungen verbirgt sich ein tiefes Misstrauen gegenüber den Bürgern. Die herrschende Klasse Europas sieht in ihren Wählern einen Haufen klimaleugnender, fremdenfeindlicher Unruhestifter, die von Brüssel nur mit Mühe im Zaum gehalten werden. Ihr Motto könnte also lauten: „Freiheit, aber nicht für euch.“ Die europäischen Eliten haben ihre Identität darauf gegründet, als Gegenbild zu allem zu gelten, was Trump repräsentiert: kosmopolitisch, „progressiv“ und moralisch überlegen. Sein Sieg ist für sie kein Anlass zur Selbstkritik, sondern der Aufruf, ihre eigene Tugendhaftigkeit zu beweisen, indem sie all die „gefährlichen Tendenzen“ ausmerzen, die sie mit seinem Namen und seinen Wählern verbinden.

Der Rückzug der britischen Zeitung Guardian und ihrer Verbündeten von der Plattform X/Twitter ist weniger ein Grund zum Lachen als ein Lehrstück elitärer Selbstisolation. Ihre Flucht verstärkt die Mauern ihrer Echokammer, trennt sie noch weiter von den Sorgen der einfachen Menschen. Von außen können sie X umso effektiver überwachen, während sie sich selbst als Opfer stilisieren, die angeblich mundtot gemacht wurden. Oder noch dreister: Sie behaupten, wo die Zensur sie nicht treffe, existiere sie gar nicht. Und Heuchelei darf auch nicht fehlen. Man schaue nur auf Robert Habeck, den deutschen Vizekanzler, der vor einigen Jahren X verließ – nur um jetzt pathetisch zurückzukehren.

Trumps Triumph, so disruptiv er auch sein mag, ist daher kein deus ex machina, der uns vor uns selbst rettet. Das zu ignorieren wäre sträflich. Was steht auf dem Spiel? Nichts Geringeres als die Summe unserer Freiheiten. Der Kampf für Freiheit und Demokratie bleibt, wie eh und je, ein steiniger Aufstieg, eine Kletterpartie gespickt mit Fallstricken. Dies ist kein Terrain für Naive, sondern für Wachsame, die wissen, dass der Sieg in einer Schlacht den Sieg im Krieg nicht garantiert. Das Schlachtfeld ist bereitet, und die Verteidiger der Demokratie haben noch einen langen Kampf vor sich.

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