01.03.2002

Trotz des Terrors ergebnislos: die Biowaffenkonvention

Analyse von Thilo Spahl und Thomas Deichmann

Thilo Spahl und Thomas Deichmann fordern statt einem internationalen Maßnahmenkatalog gegen die Herstellung von Biowaffen eine Offenlegung der staatlichen Forschung.

Im letzten November trafen sich in Genf Vertreter der 144 Unterzeichnerstaaten der Biowaffenkonvention von 1972 und berieten über deren Novellierung. Bis zu den Terroranschlägen vom 11. September schien es, dass die Konferenz ergebnislos verlaufen werde, denn der neue US-Präsident George W. Bush hatte bald nach seiner Amtseinführung zu verstehen gegeben, dass er an der diskutierten Implementierung von Überwachungssystemen, auf die 1972 verzichtet wurde, nicht interessiert sei. So endeten am 25. Juli 2001 nach sechseinhalb Jahren kurzerhand alle Bemühungen, die Biowaffenkonvention mit einem Kontrollmechanismus zu versehen. Die Vertreter der USA verkündeten auf der 24. und letzten Sitzung der Expertengruppe, die das entsprechende Zusatzprotokoll ausarbeiten sollte, die vorliegende Fassung stelle keine Grundlage für weitere Verhandlungen dar. Das anvisierte kostspielige Überwachungskonzept mit Routineuntersuchungen und Inspektionssystemen auch auf dem Hoheitsgebiet „rechtstreuer“ Staaten (wie sie beispielsweise in der Vereinbarung zu chemischen Waffen von 1993 vorgesehen waren) sei aus Sicht Washingtons zur Wirkungslosigkeit verdammt, weil sich Rechtsbrecher nicht an solche Konventionen hielten.

Die USA stehen mit dieser Position bis heute allein auf weiter Flur. Die meisten Vertragsstaaten, darunter seit 1983 auch Deutschland, sind der Meinung, dass ein Kontrollmechanismus dringend erforderlich ist, um der Biowaffenkonvention mehr Gewicht zu geben. Angesichts der Tatsache, dass sich seit 1972 die Zahl der Länder, die unter Verdacht stehen, biologische Waffen zu entwickeln bzw. zu besitzen, verdoppelt hat, scheint diese Forderung plausibel.

Nach den Anschlägen von New York und Washington verhärteten sich zunächst die Fronten. Aus Sicht des US-Establishment sollten von nun an auch die Entwicklung und der Besitz von Biowaffen nicht mehr relevante Kriterien einer internationalen Übereinkunft sein. Im Vertrag von 1972 war festgehalten worden, dass außer der Verwendung auch die Entwicklung, Herstellung und Lagerung von Biowaffen „niemals und unter keinen Umständen“ legitim sei. Avis Bolen, assistierender US-Staatssekretär für Waffenkontrolle, hielt dieser Regelung am 15. Oktober die US-Position entgegen: „Die Ereignisse vom 11. September haben uns in der Ansicht bestärkt, dass das Hauptaugenmerk auf der Anwendung liegen muss... Wir müssen unsere nationalen Gesetze hinsichtlich Anwendung und Weitergabe verschärfen, und wir müssen darüber einig sein, dass Anwendung und Weitergabe Verbrechen sind, die einen Auslieferungsgrund darstellen.“ Diese Einschränkung stellte Artikel 1* der Biowaffenkonvention von 1972 in Frage.

Bohlen warf außerdem eine neue US-Interpretation von biologischen Waffen in die Diskussion. Er erläuterte, mit Waffen seien „hier biologische Organismen gemeint, die mit Tötungsabsicht eingesetzt werden“. Mit anderen Worten: Biowaffen, die nicht auf Tötung von Menschen zielen, sondern beispielsweise Ernten oder Nahrungsmittelvorräte zerstören, sollten nach Ansicht der USA von der Konvention ausgeschlossen werden. Bereits in den frühen 50er- und 60er-Jahren hatte es deshalb Konflikte gegeben. Amerika wurde damals vorgeworfen, im Korea-Krieg 1951/52 biologische Waffen eingesetzt zu haben. Das wurde dementiert. Unstrittig blieb jedoch, dass später im Vietnam-Krieg Tränengas und Entlaubungsmittel Anwendung fanden. Kambodscha erhielt von Washington noch bis 1969 Schadenersatzleistungen für die Zerstörung landwirtschaftlich genutzter Flächen.

Angesichts der anhaltenden Kritik an der US-Position und der gewachsenen Furcht vor Bioterrorismus machte das Weiße Haus am 1. November ein scheinbares Zugeständnis. Von einer „Kehrtwende“ der Bush-Adminstration war plötzlich die Rede. Bush rückte von seinem „unilateralen“ Ansatz ab. Er zeigte sich bemüht, die internationale Allianz gegen den Terrorismus zu stärken und Kritik an seiner früheren Haltung in eine US-Meinungs- und Handlungsführerschaft auch in diesem Politikfeld umzumünzen. Der US-Präsident rief die Unterzeichnerstaaten der Biowaffenkonvention zu einer „Stärkung der Konvention über biologische Waffen als Teil einer umfassenden Strategie zur Bekämpfung der komplexen Bedrohungen durch Massenvernichtungswaffen und Terrorismus“ auf.

Dem Wunsch Washingtons, den Terrorismus entschiedener als zuvor zu bekämpfen, wollte sich auf der Konferenz in Genf niemand verschließen. Angesichts der Initiative der USA von einer Kehrtwende zu sprechen, war allerdings verfrüht. Denn alle bedeutenden Konfliktpunkte blieben unangetastet. Bush formulierte sieben konkrete Forderungen: strenge nationale Gesetzgebung, UN-Kontrollen bei verdächtigen Krankheitsausbrüchen bzw. Beschuldigungen, Vorgehen bei Verdacht des Verstoßes gegen die Biowaffenkonvention, Verbesserung internationaler Seuchenkontrolle, nationale Sicherheitsvorschriften für den Umgang mit Krankheitserregern, einen universellen Verhaltenskodex für Mikrobiologen sowie Bemühen um verantwortungsvollen Umgang bei der Untersuchung, Modifikation und dem Versand von pathogenen Organismen.

Alles deutete darauf hin, dass es in Genf keine US-Zustimmung zu einem Zusatzprotokoll über ein Kontrollsystem geben werde. Und so blieb die Konferenz in den entscheidenden Punkten dann auch ergebnislos.

Die Haltung der Bush-Administration wurde allgemein als Arroganz der Mächtigen, die sich nicht in die Labore schauen lassen wollen, beklagt. Sie hat jedoch auch etwas ernüchternd Gutes: Sie ist mit der Wirklichkeit eher in Einklang zu bringen als mit wohlmeinenden Appellen an den zahnlosen Tiger Vereinte Nationen.

In einer „idealen“ Welt, von der nach dem Ende des Kalten Krieges oft geträumt wurde, wäre ein internationales Regime zur Kontrolle von Biowaffen ohne Zweifel wünschenswert. Aber angesichts der Entwicklungen der letzten Jahre und der aktuellen globalen Lage erscheinen solche Vorstellungen als Träumereien. Nicht nur hinsichtlich biologischer, sondern auch atomarer und chemischer Waffen haben wir zur Kenntnis nehmen müssen, dass ihre Entwicklung und Verbreitung durch UN-Konventionen nicht gestoppt werden konnte.

Als realistischere Alternative für eine Kontrolle der Biowaffenentwicklung der mächtigen Industrienationen erscheint die Implementierung demokratisch legitimierter Kontrollsysteme auf nationaler Ebene. Würden Regierungen dazu angehalten, statt auf Mammutkonferenzen der UN vor der eigenen Bevölkerung ihre Waffenpläne offen zu legen und zur Diskussion zu stellen, wäre dem Gemeinwesen viel geholfen. Dann würde nicht mehr nur hinter verschlossenen Türen, sondern auch an den Wahlurnen darüber entschieden werden können, welche Position die vernünftigste ist, bzw. die meisten Anhänger findet.

Bei näherem Hinsehen zeigt die US-Position zur Biowaffenkonvention in dieser Hinsicht sogar sympathische Züge. Washington unterstützt nämlich seit geraumer Zeit statt nutzloser Kontrollsysteme die Herstellung verbesserter Transparenz durch eine regelmäßige Berichterstattung der Unterzeichnerstaaten über ihre bisherigen und geplanten Aktivitäten auf diesem Gebiet. Würden solche Berichte auch den eigenen Bevölkerungen zugänglich gemacht und eine Diskussion darüber von oberster Stelle ermöglicht, wäre man der Kontrolle von Biowaffen sicher näher als mit anhaltenden Debatten über Zusatzprotokolle.

Zu glauben, dass diese Offenlegung einfach so passieren wird, wäre freilich naiv. Das zeigt schon ein neuer Gesetzesentwurf des US-Kongresses, demzufolge die Zugriffsmöglichkeiten von Bürgern und zivilen Einrichtungen auf Informationen zum US-Biowaffenprogramm erschwert werden sollen. Die Demokratie braucht also mehr denn je mündige Bürger, die Politiker zur Rechenschaft ziehen.

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