30.09.2024

Tod eines Terrorfürsten

Von Daniel Ben-Ami

Der getötete Hisbollah-Führer Hassan Nasrallah hatte sich der Vernichtung des jüdischen Staates verpflichtet. Die existenzielle Bedrohung Israels durch seine islamistischen Feinde bleibt.

Hassan Nasrallah, der Führer der Hisbollah, wurde vor wenigen Tagen bei einem israelischen Luftangriff auf Beirut getötet. Der Angriff war Teil der laufenden israelischen Offensive im Südlibanon. Nasrallahs Tod macht die eklatanten Versäumnisse der Berichterstattung der meisten Medien deutlich. Nur wenige scheinen bereit, der Tatsache ins Auge zu sehen, dass Israel durch die vom Iran unterstützte Terrorgruppe und ihren islamistischen Verbündeten existenziell bedroht wird.

In den Medienberichten wird bestenfalls eingeräumt, dass die Hisbollah seit dem 8. Oktober 2023, dem Tag nach dem Hamas-Pogrom, Tausende von Raketen auf den Norden Israels abgefeuert hat. Das ist auch der Grund, warum Israel 60.000 seiner Bürger aus seinen nördlichen Gebieten evakuieren musste. In seltenen Fällen erwähnen die Medien, dass die Hisbollah eine UN-Resolution, die einen Mindestabstand von zwölf Meilen zur israelischen Grenze vorschreibt, eklatant missachtet hat. Aber die tieferen Beweggründe des israelischen Konflikts mit der Hisbollah und der mit ihr verbündeten islamistischen Gruppen werden selten ernst genommen.

Stattdessen zeichnen die Medien ein Bild von Israel als einem bösartigen, irrationalen Akteur, der vorsätzlich unschuldige Zivilisten abschlachtet. Am deutlichsten ist dies bei Al-Jazeera zu sehen, einem internationalen Fernsehsender mit Sitz in Katar. Dort wird Israel immer wieder so dargestellt, als würde es wahllos palästinensische und libanesische Menschen angreifen, scheinbar einfach so. Die BBC und Sky stehen der Dämonisierung Israels in nichts nach.

„Die Hisbollah hat weder an der libanesischen Souveränität noch an der Freiheit der Palästinenser ein Interesse. Vielmehr formuliert sie ihr Projekt im Sinne der Umma.“

Die Vernichtungsfantasien der islamistischen Gegner Israels dürften kaum zu übersehen sein. Das Fehlen einer Diskussion darüber gehört zu den seltsamsten Aspekte in der Berichterstattung über Israels Kriege. Die Hisbollah, wörtlich die „Partei Gottes“, sagt unumwunden, was ihr Endziel ist. In ihrem Gründungsdokument, dem „Offenen Brief“ von 1985, heißt es:

Unsere Grundannahme im Kampf gegen Israel ist, dass das zionistische Gebilde von Anfang an aggressiv ist und auf Kosten der Rechte des muslimischen Volkes auf Land errichtet wurde, das seinen Besitzern entrissen wurde. Deshalb wird unser Kampf erst enden, wenn dieses Gebilde ausgelöscht ist. Wir erkennen keinen Vertrag mit ihm an, keinen Waffenstillstand und keine Friedensabkommen, weder separate noch gemeinsame.

Hier erklärt die Hisbollah, dass ihr Ziel in der Auslöschung Israels, der „zionistischen Einheit“, besteht. Dies ist keine Aussage zur libanesischen Souveränität oder ein Aufruf zur Freiheit der Palästinenser. Die Hisbollah hat an beidem kein Interesse. Vielmehr formuliert sie ihr Projekt im Sinne der Umma, der globalen muslimischen politischen Gemeinschaft.

Obwohl dieses Programm fast 40 Jahre alt ist, haben die Führer der Hisbollah im Laufe der Jahre unzählige ähnliche Erklärungen abgegeben. Im Juli dieses Jahres wiederholte der verstorbene Nasrallah eine gängige islamistische Metapher, als er Israel als „Krebstumor, der ausgemerzt werden muss“ bezeichnete.

„Die Hisbollah ist wohl am ehesten als terroristische Organisation mit den Fähigkeiten einer regulären Armee zu betrachten.“

All dies deckt sich mit den Äußerungen anderer islamistischer Gruppen, von der Hamas im Gazastreifen und den Huthis im Jemen bis hin zu ihrem wichtigsten Unterstützer, dem Iran. Dabei folgen sie alle den Grundsätzen des Islamismus, einer reaktionären politischen Bewegung, die in den 1920er Jahren in Ägypten entstand. Einem ihrer Gründungsideologen, Sayyid Qutb (1906-1966) zufolge befinden sich die Islamisten in einem Kampf gegen das kosmische, satanische Böse der Juden. Dies schrieb er 1950 in einem Werk mit dem bezeichnenden Titel „Unser Kampf mit den Juden“. Ali Khamenei, der derzeitige Oberste Führer des Iran, übersetzte vier von Qutbs Büchern ins Farsi. Obwohl Qutb ein ägyptischer Sunnit war und Khamenei schiitisch wie auch die Hisbollah, ist der antisemitische Kern der islamistischen Politik all diesen Gruppen gemeinsam.

Islamisten sind mehr als bereit, diese Ausrottungstheorie in die Praxis umzusetzen. Tatsächlich wurde das Pogrom der Hamas im Süden Israels am 7. Oktober 2023 zumindest teilweise durch einen ähnlichen Angriffsplan der Hisbollah im Norden Israels inspiriert.  Hinweise legen nahe, dass die Hisbollah nach dem Hamas-Angriff eine Bodenoffensive gestartet hätte, wenn Israel seine Reservekräfte nicht so schnell mobilisiert hätte.

Die Hisbollah verfügt über beachtliche militärische Kapazitäten, um ihre antisemitischen Ziele umzusetzen. Sie ist wohl am ehesten als terroristische Organisation mit den Fähigkeiten einer regulären Armee zu betrachten. Eine Studie des israelischen Instituts für nationale Sicherheitsstudien vom Juli schätzt, dass das Hauptarsenal der Hisbollah „aus mindestens 150.000 Raketen und anderen tödlichen Waffen besteht, darunter Hunderten von präzisionsgelenkten Mittel- und Langstreckenraketen, die das gesamte besiedelte Gebiet Israels abdecken“. Die jüngste israelische Offensive hat die Kapazitäten der Hisbollah verringert und viele ihrer Anführer ausgeschaltet, doch bleibt sie wahrscheinlich weiterhin eine große Bedrohung. Anfang letzter Woche versuchte die Hisbollah, ihre anhaltende Stärke zu demonstrieren, indem sie ihren ersten ballistischen Raketenangriff auf Tel Aviv startete.

Die Hisbollah verfügt auch über weitere bedeutende militärische Kapazitäten. Ein im Juli vom Britain Israel Communications and Research Centre (BICOM) veröffentlichter Bericht schätzt, dass die Hisbollah über etwa 45.000 Kämpfer verfügt, von denen 5.000 eine weiterführende Ausbildung im Iran absolviert haben.

„In diesem tragischen Konflikt steht die Existenz Israels auf dem Spiel.“

Manche behaupten, die Hisbollah als Bewegung sei erst als Reaktion auf eine frühere israelische Invasion im Südlibanon im Jahr 1982 entstanden. Dies ist teilweise richtig. Ihr Aufkommen muss jedoch im Kontext dessen gesehen werden, was der israelische Historiker Yigal Kipnis kürzlich als „den langen Krieg im Libanon“ bezeichnet hat.

Der Libanon ist eine Nation, die seit langem unter einem schwachen Zentralstaat leidet. Dies hat es nichtstaatlichen Akteuren immer ermöglicht, zu gedeihen. Es stimmt also, dass die Hisbollah, die in der schiitischen Minderheit des Libanon verwurzelt ist, zum Teil als Reaktion auf die israelische Invasion von 1982 gegründet wurde. Doch in den Jahren vor der Entstehung der Hisbollah sah sich Israel noch mit einer Bedrohung durch andere Gruppen konfrontiert, die aus dem Libanon heraus operierten. Insbesondere die Palästinensische Befreiungsorganisation (PLO), die von Hunderttausenden in den Flüchtlingslagern der Region unterstützt wurde, nutzte den Libanon als Basis für häufige Angriffe auf Israel.

Diese lang anhaltenden Konflikte sollten nicht überraschen. Während seiner gesamten Geschichte war Israel ein relativ kleiner Staat, der von feindlichen Akteuren umgeben war, die sich weigerten, seine Existenz anzuerkennen. Einige behaupten nun, Israel führe einen Krieg an bis zu sieben Fronten. Einem Bericht der Zeitschrift Foreign Policy zufolge sind „an diesem Krieg die Hamas und andere militante Gruppen im Gazastreifen, die Hisbollah im Libanon, die Huthis im Jemen, verschiedene vom Iran unterstützte Milizen im Irak und in Syrien, Teheran mit seinen Bemühungen, militante Palästinenser im Westjordanland zu bewaffnen, und der Iran selbst beteiligt, der Israel im April zum ersten Mal direkt angegriffen hat“.

Israel ist von Feinden umgeben, die auf seine Zerstörung aus sind. Während ein Großteil der Medien deren Vernichtungsabsichten herunterspielt oder sich weigert, sie als Tatsache anzuerkennen, kann Israel es sich solche Selbstgefälligkeit nicht leisten. In diesem tragischen Konflikt steht die Existenz Israels auf dem Spiel.

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