30.08.2013

Syrien-Krise: Krieg als Therapie

Von Brendan O’Neill

Die Befürworter westlicher Militärinterventionen in Syrien verfolgen keinerlei politische Agenda, meint Brendan O’Neill, Chefredakteur des britischen Novo-Partnermagazins Spiked. Es geht ihnen vor allem um die narzisstische Inszenierung der eigenen moralischen Überlegenheit.

Bislang galt Krieg als Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln. Heute ist er, wenn man auf die Äußerungen der Politiker und Beobachter des Westens überhaupt etwas geben kann, die Fortsetzung der Therapie mit anderen Mitteln. Am meisten überrascht und beunruhigt der Aufruf einiger Westler zur schnellen und gewaltvollen Bestrafung des Assad-Regimes durch seine unverhohlen narzisstische Natur. Alle realpolitischen und geostrategischen Ansätze sind auf einmal wie weggefegt und man verzichtet sogar auf die politisch korrekte Glasur, mit denen man die anderen Interventionen des Westens noch verschönt hat - von der Behauptung, man würde für die Menschenrechte eintreten, bis hin zu der Erklärung, dem Terrorismus müsse etwas entgegengesetzt werden. So zeigt sich das eigentliche Wesen des modernen Interventionismus: Die Sehnsucht, die moralische Unordnung in der Heimat durch das Aufstellen einer Flotte und einen bombastischen, moralischen Showdown kompensieren zu können, der sich in entlegenen Teilen der Welt abspielt, in denen das Böse bekämpft werden muss.

Auffällig bei der Debatte über Assads angeblichem Gebrauch von Chemiewaffen ist zunächst das Fehlen jedweder geostrategischer Überlegungen oder eines wenigstens halbwegs ernsthaften Gedankens dazu, was für regionale oder internationale Konsequenzen es nach sich zieht, wenn man Bomben über einer Kriegsregion abwirft, in der ohnehin schon die Hölle los ist. Stattdessen geht es bei dem ganzen Gerede doch nur darum, uns unserer selbst in einer schnellen, moralischen Geste zu versichern, indem wir ein paar Raketen auf die Boshaftigkeit selbst abfeuern. Es sind „sehr komplexe Fragen“, was Syrien angeht, „aber als Amerikaner sind wir moralisch verpflichtet, ohne Verzögerung einzugreifen“, äußerte ein demokratisches Mitglied des US-Komitees für Außenpolitik. Wen interessiert also Komplexität, wenn man die Gelegenheit hat, den eigenen moralischen Anstand unter Beweis zu stellen?

„In ihrem Dünkel meinen die Befürworter einer Bombardierung Syriens, der Krieg der anderen drehe sich in Wirklichkeit nur um sie selbst.“

Der Fokus der Diskussion lag bisher nicht auf den moralischen Konsequenzen einer Bombardierung Syriens, sondern auf den moralischen Bedürfnissen derer, die bombardieren. Der Außenminister der USA, John Kerry, behauptet, wenn man es versäumen würde, in Syrien Maßnahmen zu ergreifen, dann werde das den „eigenen moralischen Kompass“ [1] des Westens in Frage stellen. Andere reden von einer „Prüfung Europas“ [2], als sei das kriegszerrüttete Land mehr als eine Bühne, auf der wir unsere Werte inszenieren können. Der Narzissmus der Befürworter einer Bombardierung Syriens ist so ausgeprägt, dass ein Vertreter dieser Ansicht den Einsatz chemischer Waffen gar als „ein in Blut gemaltes Fragezeichen, gerichtet an die internationale Gemeinschaft“ [3] bezeichnete. In ihrem Dünkel meinen die Befürworter, der Krieg der anderen drehe sich in Wirklichkeit nur um sie selbst. Im selben Artikel sagt der Kommentator, die Situation in Syrien „hält Großbritannien den Spiegel vor“ und wirft die Frage auf, „was für ein Land wir sind?“. Wie Narziss interessieren sich die kriegstrommelnden Assad-Gegner nur für sich selbst, ihr eigenes Spiegelbild und dafür, ob sie sich selbst noch im Spiegel betrachten können, wenn es ihnen misslingt, irgendetwas zu tun.

Aber die Befürworter eines Angriffs ignorieren nicht nur offenkundig geopolitische Problemlagen – auch lästig komplexe moralische Fragen werden aktiv beiseite gekehrt, wenn möglichst umgehend der moralische Volltreffer gelandet werden soll, der sich gemäß dieser Logik einfach daraus ergibt, dass man das Böse ausbombt. Ein Beobachter gab zu, dass die Maßnahmen in Syrien natürlich keinen „Erfolg garantieren“, aber uns dennoch die Gelegenheit dazu geben, für moralische Entschlossenheit und Prinzipien zu werben. Philipp Collins, der ehemals Reden für Tony Blair geschrieben hat, gibt offen zu, dass Intervention „Chaos mit sich bringen wird.“ [4] Und er ergänzt: „Aber es herrscht dort ohnehin bereits Chaos“. Aber das von uns verursachte Chaos verleiht wenigstens unserer „Abscheu“ vor den Verbrechen Assads eine Stimme. Es ist „eine zu tiefe Abscheu, als dass man sie einfach als kindisch oder unrealistisch abtun könnte“, so Collins: „Es ist wichtig unserem moralischen Impuls Gewicht zu verleihen.“

„Wichtig ist lediglich, dass wir im Westen unserem „moralischen Impuls“ physisches Gewicht verleihen – und zwar durch Bomben.“

Denken wir mal darüber nach, was hier überhaupt gesagt wird: Es ist völlig egal, ob unser Angriff auf Syrien erfolglos sein könnte (das genaue Vorgehen ist bisher noch nicht zur Sprache gekommen) oder ob sich das Blutvergießen und das Chaos in dieser ohnehin bereits überschatteten Nation dadurch weiter intensiviert. Wichtig ist lediglich, dass wir im Westen unserem „moralischen Impuls“ physisches Gewicht verleihen – und zwar durch Bomben. Der Kriegsbefürworter Norman Geras zieht die logischen Schlüsse dieser bornierten Barbarei: „Da dringend auf irgendeine Weise reagiert werden muss, aus Solidarität und aufgrund des ‚gemeinsamen menschlichen Erbes‘, das uns mit den Opfern verbindet, müssen wir jetzt Maßnahmen ergreifen, selbst wenn das bedeutet, dem Chaos mit Chaos zu begegnen und dass (in Folge) das Chaos, das wir verursachen, sich als größer herausstellt als das Chaos, das wir zu beenden versuchen. [5] (Hervorhebungen vom Autor).

Das sind mal bemerkenswerte Aussagen. Es enthüllt das Wesen des modernen, westlichen Interventionismus – das innere Streben eine gewaltige Zurschaustellung unseres eigenen „moralischen Impulses“, des Gefühls des „gemeinsamen menschlichen Erbes“, abzufeuern, das in Wirklichkeit zunehmend verblasst – und zwar ohne Rücksicht auf die Konsequenzen. In unserer Zeit verlangt man nach westlichen Interventionen und verfolgt sie, nicht als eine spezielle, gezielte Maßnahme zur potentiellen Veränderung der Form eines Konflikts oder gar der geopolitischen Interessenslage der westlichen Nationen, sondern letztlich als blutigen Verstärker der vorgeblichen Rechtschaffenheit der politischen Klasse des Westens. In einer Zeit, in der Politik und Moral zu Hause in tiefgehender Unordnung stehen, in der das Fundament, auf dem die Bevölkerung und die Eliten des Westens sich einigen könnten, sehr klein ist, sehen wir, wie die Politiker verzweifelt auf fremdes Gebiet ausweichen. Sie suchen eine Welt, in der alles ganz klar in Schwarz und Weiß gehalten ist, und fühlen sich von einer Mission berufen, die sie davon abbringt, vor der eigenen Haustüre zu kehren. Deshalb behauptet John Kerry auch, dem Bösen in Syrien etwas entgegen zu setzen, sei eine „Überzeugung, die sogar von Ländern geteilt wird, die sonst nur in wenigen Punkten mit uns übereinstimmen.“ [6] Vielleicht bringt das Abfeuern von Raketen einfach die moralischen Impulse der verwirrten Elite des Westens zwar auf kurzlebige aber dafür prickelnde Weise in Schwung. Und wenn das die Sache am Ende gar noch schlimmer macht? Völlig egal. Pech gehabt. Wenigstens haben wir unserer kollektiven Abscheu eine Stimme verliehen.

„Wir haben es heute mit einer rein moralistischen Kriegsführung zu tun, die sich selbstbewusst von allem Handfesten – etwa Geopolitik, nationale Interessen oder regionale Stabilität – nichts mehr wissen will.“

Wir haben es heute mit einer rein moralistischen Kriegsführung zu tun, die sich selbstbewusst von allem Handfesten – etwa Geopolitik, nationale Interessen oder regionale Stabilität – nichts mehr wissen will. Ein derart prätentiöser Interventionismus ist auf noch viel tödlichere Weise unvorhersehbar, als alles, was es zuvor im früheren Imperialismus und Kolonialismus gab. Die alten Kriegstreiber waren tendenziell wenigstens von irgendwelchen klaren politischen oder territorialen Ambitionen geleitet, so dass ihre Interventionen einer gewissen Logik folgten und potentiell einen klaren Endpunkt besaßen. Heute wird Krieg jedoch eher durch Narzissmus als durch eigentlich politische Interessen motiviert, so dass das Ziel in emotionaler Erfüllung und nicht mehr etwa in territorialen Zugewinnen liegt – daher tendiert das Verhalten heutiger Kriegstreiber potentiell zur Maßlosigkeit.

In den 1990er-Jahren hatte der kanadische Politiker und Denker Michael Ignatieff einen seltenen Augenblick der Klarheit. Er fragte sich, ob seine Forderung und die Forderung anderer Westler nach einer Bombardierung der bosnischen Serben „vom Narzissmus getrieben“ sei. „Wir haben nicht interveniert, um andere zu retten, sondern um uns selbst, oder mehr noch unser Selbstbild als Verteidiger der universellen Sittlichkeit zu bewahren.“ Und so ist es auch heute mit dem Aufruf, der Westen solle Syrien angreifen. Es sollen keine Syrer gerettet oder Assads Regime beendet werden, sondern der Westen, der sich selbst zum Verteidiger der menschlichen Sittlichkeit aufspielt, will sich besser fühlen, wenn er in den Spiegel schaut. In dieser erschreckend narzisstischen Weltanschauung ist Syrien keine kriegszerrüttete Nation, sondern eine Bühne für die moralistische Zurschaustellung des Westens, und Syrer sind keine Menschen mit politischen Bedürfnissen und Wünschen, sondern nebensächliche Requisiten in einer westlich-„liberalen“ Pantomime, die die Guten gegen die Bösen ausspielt. Wenn Philip Collins sagt, das Drängen des Westens auf Attacken gegen das Böse in fernen Ländern lasse sich nicht als „kindisch abtun“, dann ist sein Protest viel zu voreilig – denn niemand ist kindischer als derjenige, der ohne Rücksicht auf die Folgen handelt.

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