30.05.2023

Studenten für Linientreue

Von Mona Aranea

Titelbild

Foto: Christoph Lövenich

Die Uni Bonn will ihre politisch missliebig gewordene Professorin Ulrike Guérot loswerden. An der Cancel-Kampagne gegen sie beteiligen sich einige Studenten mit fragwürdigem Aktivismus.

 Die Politikwissenschaftlerin Ulrike Guérot ist Teilen der deutschen Diskurselite ein Dorn im Auge. Die renommierte Wissenschaftlerin und bekannte öffentliche Intellektuelle verursachte in den letzten Jahren immer wieder laute Störgeräusche im Mainstream linientreuer „Experten“ – erst als mahnende Stimme gegen die Maßnahmenwut der Pandemiepolitik, dann als Kritikerin der Politik Deutschlands und der USA im Ukrainekrieg. Ihr Ausscheren aus der politisch-medialen Diskurskoalition lässt innerhalb dieser alle Beißhemmungen fallen: Der Politikwissenschaftler Markus Linden wirft Guérot in der F.A.Z. „Profilierung im Namen der Meinungsfreiheit“ vor, pathologisiert ihre erfolgreichen Publikationen als „rauschhafte Produktivität“ und diagnostiziert „ein gestörtes Verhältnis zur Wahrheit“. Der Soziologe Armin Nassehi nennt ihre Sprache „faschistoid“. Die FDP-Politikerin und Rüstungslobbyistin Strack-Zimmermann wundert sich öffentlich, dass jemand wie Guérot in Deutschland tatsächlich noch Studenten unterrichten darf.

Trotz oder gerade wegen der existenzgefährdenden Kampagne gegen die Politikwissenschaftlerin ist Guérot inzwischen eine wichtige intellektuelle Stichwortgeberin der außerparlamentarischen Opposition. In oppositionellen Medien ist Guérot eine beliebte Gesprächspartnerin, seit Markus Lanz und Sandra Maischberger nicht mehr den Mut haben, sie in ihre Talkshows einzuladen. Ihre aktuellen Bücher „Wer schweigt, stimmt zu" und „Endspiel Europa“ verkaufen sich gut und inspirieren die Friedens- und Grundrechtebewegung auf der Straße.

Die Universität Bonn hat inzwischen den politischen Konflikt zwischen der unbequemen Intellektuellen und reichweitenstarken Meinungsmachern wie dem F.A.Z.-Redakteur Patrick Bahners transformiert zu einem juristischen Konflikt zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmerin. Die Uni nahm fragwürdige Plagiatsvorwürfe, vorgebracht unter anderem vom erwähnten Markus Linden von der Universität Trier1 zum Anlass, der Professorin für Europapolitik ohne Abmahnung die Kündigung auszusprechen. Ein Schlichtungstermin vor dem Arbeitsgericht Bonn am 28. April 2023 zwischen den Anwälten der Prozessparteien blieb ergebnislos. Eine gütliche Einigung war bisher nicht möglich.

„Einige Studenten haben sich im Zuge ihrer Ablehnung abweichender oder gar oppositioneller Meinungen bereits weit jenseits akademischer Debatten radikalisiert.“

Zwei Professoren der Uni Bonn sehen eine unschöne historische Parallele: 1935 kam es in der Stadt bereits zu einer Entlassung eines prominenten Professors. Der protestantische Theologe Karl Barth musste die Uni Bonn verlassen, weil er den Eid auf den Führer verweigert hatte. Ein Honorarprofessor für Philosophie und ein emeritierter Mathematikprofessor entwarfen daher eine Ringvorlesung im Rahmen des Studium Universale der Uni Bonn mit dem Titel „Plagiat? Politik? Wissenschaftsfreiheit? – zur Entlassung der Politikwissenschaftlerin Ulrike Guérot“. Die geplanten Vorlesungen zum Konzept des geistigen Eigentums, zur Meinungsfreiheit, zur Rolle der Wissenschaft in der Pandemiepolitik und zur Macht der Medien finden wegen des noch laufenden Arbeitsgerichtsprozesses nicht wie geplant im Sommersemester statt, sondern sollen erst nach der Gerichtsentscheidung im Herbst in ggf. angepasster Form nachgeholt werden. So oder so müssen die Dozenten der Ringvorlesung wahrscheinlich mit Protest durch Studentenvertreter der Uni Bonn rechnen. Denn einige Studenten haben sich im Zuge ihrer Ablehnung abweichender oder gar oppositioneller Meinungen bereits weit jenseits und abseits akademischer Debatten radikalisiert.

Als sich am 28. April rund 80 Demonstranten vor dem Arbeitsgericht Bonn einfanden, um gegen die Kündigung Guérots zu protestieren, standen ihnen knapp 20 Studenten gegenüber. Der Allgemeine Studierendenausschuss (AStA) der Uni Bonn hatte sich eingeschaltet, um anlässlich des Schlichtungstermins für die Entlassung der regierungskritischen Intellektuellen zu demonstrieren. Ein Banner des AStA, gezeigt auch im WDR-Beitrag zur Demo, verlangte ein Verbot lateralen Denkens an der Hochschule („Kein Platz für Querdenken an der Uni Bonn!"). Ein weiteres spielte mit dem völlig sachfremden und zu Prof. Guérot in keiner Verbindung stehenden Vorwurf des Antisemitismus („Das Problem heißt Antisemitismus"). Die Studenten missbrauchen arglos eine Bezichtigung, die an das dunkelste Kapitel deutscher Geschichte erinnert, für ein übereifriges Tortenwerfen auf eine politisch unliebsam gewordene Professorin.

Diese würdelose Rufmordkampagne radikalisierter statt gut informierter Studenten gegen ihre derzeit bekannteste und meist gelesene Professorin führt jedes Studium ad absurdum. Im Bericht des WDR vom 28. April äußert AStA-Sprecherin Madita Mues unbelegte Vorwürfe gegen Ulrike Guérot auf bedenklichem Sprachniveau („Sie hat in ihren Büchern plagiarisiert"). Als Kronzeugin gegen Guérot, die ein halbes Dutzend Bücher veröffentlicht hat und drei Sprachen fließend beherrscht, spricht ausgerechnet eine junge Frau, der für ihre Vorwürfe die Worte fehlen. Dass sie die Plagiatsvorwürfe gegen die Professorin selbst überprüft hat, ist unwahrscheinlich. Videoaufnahmen der AStA-Demo belegen Gewaltaufrufe in den abgespielten Musiktiteln („Ich will Querdenker klatschen") und ausfällige Sprechchöre auf unterstem Niveau („Schwurbler verpisst euch, keiner vermisst euch"). Die Botschaft ist klar: Der Mob ist von der Leine. Auf der Strecke bleiben bei dieser Verrohung und Verdrehung zivilisierte Verhaltensnormen ebenso wie der unverstellte Blick auf Fakten.

„Selbst die missbräuchliche und sinnentleerte Verwendung des Antisemitismusbegriffs scheint nicht mehr auszureichen, um sich für eine Gedenkfeier für die Opfer des Nationalsozialismus zu disqualifizieren.“

Als Gipfel der Geschmacklosigkeit spricht wenige Tage nach der unwürdigen AStA-Demo, am 10. Mai 2023, eine Vertreterin des AStA auf der Bonner Gedenkfeier anlässlich der Bücherverbrennung 1933, bei welcher radikalisierte Studenten Bücher verbrannten, deren Inhalte oder Autoren nicht in den damaligen Zeitgeist der beginnenden Nazi-Herrschaft passten. Zu den Themen Toleranz, Meinungsfreiheit und „Wehret den Anfängen“ gibt die Stadt Bonn ausgerechnet jenen Studenten eine Bühne, deren Protest gegen laterales Denken wegen seines unfassbar niedrigen Niveaus auf Twitter viral ging und deren evidenzlose Anschuldigungen im WDR jedem Hochschulrektor die Schamesröte ins Gesicht treiben sollten. Selbst die missbräuchliche und sinnentleerte Verwendung des Antisemitismusbegriffs scheint in Deutschland nicht mehr auszureichen, um sich für eine Gedenkfeier für die Opfer des Nationalsozialismus zu disqualifizieren. Erlaubt scheint, was gefällt. Erinnerungskultur hin oder her.

Es wird Zeit, wieder zu fragen, wie es möglich war, dass 1933 zahlreiche Studenten die Werke regierungskritischer deutscher Intellektueller mit solcher Begeisterung auf den Scheiterhaufen warfen. Der Umgang der Hochschulleitung, des AStA und der Medien mit Guérot führt wie in einem Brennglas die Geschichtsvergessenheit der Entscheidungsträger vor. Wissenschaftseinrichtungen und Medien in Deutschland gehen rigoros vor gegen vormals angesehene Personen des öffentlichen Lebens, wenn diese sich regierungskritisch äußern. Sei es, dass diese die weitgehend grundgesetzwidrige, pharmanahe und erstaunlich wissenschaftsferne Pandemiepolitik kritisieren, oder dass sie zu hinterfragen wagen, ob immer mehr, immer schwerere Waffen eine heiße Kriegssituation tatsächlich befrieden können.

Wenn der Zeitgeist auf (Selbst-)Gleichschaltung steht, brauchen Regierungen keine Gulags und keine Erschießungskommandos. Zur Disziplinierung der Massen setzt man stattdessen auf die mediale Beseitigung einzelner Hochschulprofessoren, Wissenschaftler und Personen des öffentlichen Lebens, die den Finger in die Wunde legen. Die Vehemenz des Angriffs auf Guérots akademischen Ruf und Arbeitnehmerrechte erzeugt inzwischen bei vielen Wissenschaftlern Rufe nach einer Sicherung der Wissenschaftsfreiheit. Beim nächsten Verhandlungstag zwischen Guérot und ihrer Hochschule am 13. September am Arbeitsgericht Bonn ist weiterer Protest für Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit programmiert.

Die Universität Bonn wie auch die Stadt Bonn hofieren einen AStA, der das kritische Denken an der Uni unterbinden will, der den Antisemitismusbegriff durch themenferne Abnutzung entwertet und der im WDR haarsträubende Behauptungen über eine international renommierte Professorin verbreitet. Die Hochschulleitung und die grüne Oberbürgermeisterin der Stadt Bonn leisten sich dies alles, weil es niemanden zu stören scheint. Ein paar Menschen stört es aber doch. Die Bürgerinitiative Bonn zeigt Gesicht kritisiert in einem Offenen Brief das Verhalten des AStA und verlangt von der Hochschulleitung eine Stellungnahme zu den unglaublichen Vorgängen. Den Brief unterzeichnen können Unterstützer hier.

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