24.11.2021
Stockschläge von Transideologen
Von Uwe Steinhoff
Die britische Philosophin Kathleen Stock gab unlängst ihre Professur auf, nachdem sie von Transgenderaktivisten gemobbt worden war. Einige deutsche Journalisten treten nach.
Kürzlich wurde die britische Professorin Kathleen Stock, deren weithin positiv rezensiertes Buch „Material Girls“ eine inhaltlich und argumentativ durchschlagende Kritik an der Transgenderideologie präsentiert, von einem Mob eben dieser Ideologen – nach jahrelangen Belästigungen und Bedrohungen und einer neuen Eskalationsstufe – schließlich erfolgreich aus ihrer Position herausgeekelt. So haben das weite Teile der Presse, auch in Deutschland, ganz richtig berichtet. Nicht allen passt diese Berichterstattung. So auch nicht dem Journalisten Andrej Reisin (unter anderem beim NDR tätig), der auf der Plattform Übermedien unter dem Titel „Die Professorin und der ‚Mob‘: Wenn Medien vor lauter Empörung nicht mehr den Konflikt erklären“ seiner eigenen Empörung über eben diese Berichterstattung Ausdruck verleiht. Einige Kommentatoren kommen dabei nicht gut weg, aber er hat auch Helden, wie etwa Peter Weissenburger (Redakteur bei der taz) oder Tilmann Warnecke (Redakteur beim Tagespiegel).
Alle drei Autoren zeichnet aus, dass sie in Ihren Beiträgen über das Mobbing von Stock dieses zwar offiziell verurteilen, aber doch um Verständnis für die feindselige Haltung ihrer Gegner werben. Zudem setzen alle drei die Richtigkeit der Transgenderideologie voraus und wischen Stocks biologisch fundierte Argumente schlicht beiseite. Es steht zu erwarten, dass eine solche keineswegs auf Argumenten, sondern auf deren Ignorieren beruhende Selbstgewissheit zu einer unparteilichen Berichterstattung nicht beitragen wird. Dieser Erwartung werden die Autoren gerecht. Der Fokus liegt im Folgenden auf Reisin, dessen Text auch der bei weitem längste ist.
„Bedrohung“ und Drohgebärden
Reisin meint, der Kommentar des taz-Redakteurs Jan Feddersen, der ebenfalls von einem „Mob“ und einem „antifreiheitlichem Wokistan“ spricht, sei „schrill.“ Dagegen sei der später in derselben Zeitung erschienene Essay von Weissenburger ein „inhaltlicher Artikel zur Sache“. Was sagt dieser Artikel inhaltlich zur Sache? Zum Beispiel dies: „Warum wird eine Philosophin für das, was sie über Geschlecht sagt, bedroht? Die Antwort ist: Weil sie für viele selbst eine Bedrohung darstellt. Das rechtfertigt nichts. Aber es kann helfen zu verstehen.“ Für den Essayisten ist Prof. Stock also eine Bedrohung für Transmenschen. Das klingt – wie soll man sagen? – bedrohlich. Insbesondere Stock könnte es bedrohlich finden und meinen, dass es genau diese Art von leichtfertiger Rede ist, die mitverantwortlich für das Mobbing und die Gewaltandrohungen zeichnet, denen sie ausgesetzt war und ist.
Denn es ist ja nicht ganz richtig, dass das Vorliegen einer Bedrohung nichts rechtfertigt. Das kommt auf die Bedrohung an. § 34 StGB (rechtfertigender Notstand) erklärt, dass man unter bestimmten Umständen sehr wohl in die Rechtsgüter anderer Menschen, insbesondere bedrohlicher Menschen, eingreifen darf, und zwar eventuell auch mit Gewalt, wenn dies ein verhältnismäßiges und angemessenes Mittel ist, um eine gegenwärtig drohende Gefahr (also eine Bedrohung) für ein geschütztes Interesse von sich oder einem anderen abzuwenden. Nun mag Weissenburger erklären, dass er Stock ja nicht für eine Bedrohung dieser Art halte. Für was für eine Art von Bedrohung hält er sie aber dann? Wir erhalten Auskunft, wenn er erklärt: „Gleiches mit Gleichem vergelten, ist in keinem Fall ein guter Ansatz für eine soziale Bewegung, selbst wenn man annähme, dass Stock entscheidend zur Verschlechterung des Lebens von trans Personen beiträgt. So absolut ist aber Stocks Einfluss nicht, auch wenn sie zweifellos beiträgt zur transfeindlichen Stimmung.“
„Aus transgenderideologischen Kreisen generieren sich tatsächliche Mobs, aus Stocks Kreisen nicht.“
Offenbar ist sie also eine „Bedrohung“ dadurch, dass sie zur einer „feindlichen Stimmung“ „beiträgt“. Aber kommen wir Weissenburger großzügig entgegen und nehmen hypothetisch einmal an, sie trüge tatsächlich sogar entscheidend zur Verschlechterung des Lebens von Transpersonen bei. Was folgt daraus? Recht wenig. Auch ein Restaurantbesitzer, der der Konkurrenz durch besseren Service und Küche die Kundschaft abjagt oder sie gar ruiniert, trägt entscheidend zur Verschlechterung des Lebens dieser Konkurrenten bei. Politiker wiederum, die den Kohleausstieg vorverlegen, tragen entscheidend zur Verschlechterung der Lebensverhältnisse der Kumpel bei. Reicht das vernünftigerweise aus, um „Verständnis“ für einen Mob zu generieren, der den Restaurantbesitzer und die Politiker massiv beschimpft, deren Arbeitsplätze mit hasserfüllten Plakaten tapeziert und ihnen derart zusetzt, dass die Polizei den Nachgestellten rät, sich nur noch unter Polizeischutz zur Arbeit zu wagen? Und was ist mit Weissenburger selbst? Sein Beitrag trägt zweifellos zu einer Stimmung bei, die feindselig gegenüber Stock und genderkritischen Feministinnen ist. Würde er es „verstehen“, wenn er zum Zielobjekt von deren Drohungen und Mobbing würde?
Was er jedenfalls nicht zu verstehen scheint, ist die Funktionsweise der marktwirtschaftlichen, freiheitlichen Demokratie. In einer solchen ist man nämlich aus guten Gründen nicht gegen jedwede entscheidende Verschlechterung der Lebensverhältnisse rechtlich oder moralisch geschützt. Insbesondere ist man weder vor einer Schlechterstellung durch die Konkurrenz anderer geschützt (Markwirtschaft), noch vor einer solchen durch parlamentarische Entscheidungen (Demokratie), noch vor seiner solchen durch die Ausübung der Rede- und Wissenschaftsfreiheit (Liberalismus). Genau darum ist die legale und die hinter ihr stehende moralische Argumentationsfigur des rechtfertigenden Notstandes selbst unter der kontrafaktischen Voraussetzung, dass Stock entscheidend zur Verschlechterung der Lebensverhältnisse von Transmenschen beitrüge, auf Stock nicht anwendbar.
Diese Erkenntnis, einmal goutiert, sollte dann aber auch das „Verständnis“ erheblich mildern, denn es wird hier eben nicht „Gleiches mit Gleichem“ vergolten. John Stuart Mill, der große Verteidiger der Redefreiheit, hat darauf hingewiesen, dass es einen gewaltigen Unterschied mache, ob man in einer Zeitung schreibe, Kornhändler ließen das Volk verhungern, oder ob man dies in einen aufgebrachten Mob ruft, der bereits gewaltbereit vorm Haus des Kornhändlers steht. Und natürlich gibt es einen Unterschied zwischen dem linken antikapitalistischen Kommentator in der Zeitung und dem Mob selbst. Selbst wenn Stock also Feindseligkeit gegen Transmenschen geschürt hätte, indem sie Bücher schreibt und Vorträge hält, so hat sie sich doch nicht mit anderen genderkritischen Feministinnen zusammengerottet, genderkritische Studenten bis an deren Arbeitsplatz verfolgt, diese mit feindseligen Plakaten zugepflastert und eine derartige Bedrohlichkeit entwickelt, dass Polizei besagten Studenten geraten hat, sich gegen Stock und ihren Mob sicherheitshalber mit Bodyguards aufzurüsten. Anders gesagt, aus transgenderideologischen Kreisen generieren sich tatsächliche Mobs, aus Stocks Kreisen nicht.
„Operationen an Geschlechtsmerkmalen sind keine Geschlechtsumwandlungen und Harry Potter ist Fiktion.“
Reisin aber verkündet: „Die von Stock behauptete Position, sie stehe für den Austausch von Argumenten, während ihre Gegner:innen lediglich eine Schmutzkampagne aufführten, lässt sich so nicht halten.“ Warum nicht? Er verweist auf „Twitter-Threads, in denen es unter anderem darum geht, wie Stock ihre Machtposition als Professorin dazu benutzt hat, Kontrahent:innen mundtot zu machen, vor allem auch solche, die als Student:innen oder wissenschaftliche Mitarbeiter:innen in der Hierarchie weit unter ihr stehen.“ Erstens aber behauptet keiner in diesen Threads, dass Stock ihnen gegenüber zu jenen Mobmitteln gegriffen hätte, wie sie im letzten Absatz beschrieben wurden. Selbst wenn die Threads wahrhaftig wären, bliebe also ein gewaltiger Unterschied bestehen. Zweitens ist erstaunlich, dass sich ausgerechnet unser Medienkritiker auf die Verlautbarungen und das Hörensagen von Twitter-Threads verlässt. Seine journalistischen Standards werden hier deutlich.
Erstaunlich sind auch die Gegenüberstellungen von Reisin. So fragt er rhetorisch, ob es hier „um Meinungsfreiheit versus ‚Woke-Mob‘“ gehe oder nicht vielmehr „um einen politischen Kampf“. Als ob Menschen in politischen Kämpfen noch nie zu Mobmitteln gegriffen hätten. Er bietet auch eine eigene Abschnittsüberschrift, welche erklärt: „Stock ist Aktivistin.“ Ja, ist sie. Und?
Verkennen biologischer Fakten
Nun, offenbar hat Reisin ein Problem damit, wofür sie Aktivismus betreibt. Unglücklicherweise stellt er aber weder ihre Position noch ihre Argumente richtig dar. Das ist nicht überraschend, denn er signalisiert von vornherein seine Voreingenommenheit mit der Überschrift „Biologistische Argumentation“. „Biologisch“ reicht offenbar nicht, denn es muss gleich klar sein, dass Stocks Argumentation nicht legitim ist. Reisin erklärt, Stock behaupte „zwar, sie trete selbstverständlich für ein Recht auf ein diskriminierungsfreies Leben von trans Personen ein – auf juristischer Ebene jedoch kämpft sie dagegen, dass diese ihr Geschlecht unbürokratischer ändern können. Mithin: Sie suchte den politische Konflikt – und machte daraus in ihren Texten auch überhaupt keinen Hehl.” Erstens, das darf sie. Zweitens, die Transgenderideologen, welche die entsprechenden Gesetzesänderungen gegen Widerstand von Frauenrechtsorganisationen durchsetzen wollen, suchen ebenfalls den Konflikt und machen daraus überhaupt keinen Hehl. Drittens hat Stock rein gar nichts dagegen, dass Menschen ihr Geschlecht unbürokratisch ändern könnten – zum Beispiel durch Schwingen eines Zauberstabes oder eine unbürokratische tatsächliche Geschlechtsumwandlung. Sie bestreitet vielmehr ganz richtig, dass dies möglich ist (Operationen an Geschlechtsmerkmalen sind keine Geschlechtsumwandlungen und Harry Potter ist Fiktion).
Anschließend schreibt Reisin sowohl eine korrekte als auch eine falsche Aussage, indem er Stock die Position zuschreibt, „dass es ein essenziell unveränderbares biologisches Geschlecht gebe, das man sich nicht aussuchen und dass man nicht ändern könne. Transgender Personen blieben in Wahrheit (auf biologischer Grundlage) Mann oder Frau – auch, wenn sie zum anderen Geschlecht übertreten.“ Natürlich aber bestreitet sie, dass man zum andern Geschlecht einfach „übertreten“ könne (zu einer anderen Spezies kann man ja auch nicht übertreten), gerade weil sie in der Tat darauf besteht, dass es ein „essenziell unveränderbares biologisches Geschlecht“ gibt. Und da hat sie Recht.
Reisin gefällt das nicht. Er sagt, diese „biologistische Argumentation ist in mehrfacher Hinsicht umstritten.“ Eine Position dadurch zu diskreditieren zu suchen, dass man sie „umstritten“ nennt, ist inhärent parteilich, denn wenn es Streit gibt – und den gibt es ja offenbar – dann ist logischerweise die Gegenposition ebenfalls „umstritten“. Wenig vertrauenerweckend ist auch, woher Reisin seine Informationen bezieht. So verweist er auf einen Beitrag in MDR Jump, welcher kurz nachdem er seinerseits auf einen Beitrag im Spektrum der Wissenschaft verweist (zu dem Reisin auch nochmals selbst verlinkt), sogleich apodiktisch erklärt: „Es existieren also, das sei hier vielleicht schon einmal festgehalten, mehr als zwei Geschlechter. Da gibt es nichts zu diskutieren.” Da ist wohl was zu diskutieren (nicht zuletzt, warum gebührenfinanzierte Radiosender unwissenschaftlichen Unfug verbreiten), denn derweil der Beitrag in Spektrum der Wissenschaft sich erkennbar alle Mühe gibt, postmoderne Empfindlichkeiten und die Transgenderideologie nicht zu brüskieren (in der Tat ist er bei dieser beliebt und wird viel zitiert), hat er es peinlichst vermieden, rundheraus zu behaupten, es gebe mehr als zwei Geschlechter (womöglich weil der Autor, ein Arzt, sich in der Zunft nicht der Lächerlichkeit preisgeben will). Was die anderen Beiträge angeht, auf die MDR Jump verweist, haben die entweder mit der Frage nichts zu tun, beten Transgenderideologie nach oder sind schlicht selbst transgenderideologische Propagandaseiten.
„Geschlechterrollen sind auch historisch und kulturell bedingt, ja, aber Geschlechter sind es nicht.“
Nachdem Reisin somit zum zweiten Mal in seinem Text seine geringen Ansprüche an Informationsquellen unter Beweis gestellt hat, informiert er den konsternierten Leser sodann – ganz ohne irgendeinen Verweis – dass „Geschlechter und ihre Rollen natürlich auch historisch und kulturell bedingt und geprägt“ sind. Natürlich? Natürlich nicht. Geschlechterrollen sind auch historisch und kulturell bedingt, ja, aber Geschlechter sind es nicht. Es zeugt von der Verwirrung von Transgenderideologen, dass sie das Geschlecht einerseits und damit sozial assoziierte Rollen andererseits nicht klar voneinander unterscheiden können. Diese Unterscheidung ist aber notwendig, denn das Geschlecht gab es – buchstäblich natürlich – schon lange vor der menschlichen Kultur. Geschlecht ist biologisch definiert als Entwicklungsrichtung eines Organismus hin auf die Produktion einer anisogametischen (ungleichartigen) Keimzelle. Von diesen gibt es genau zwei Arten: kleine bewegliche (männlich) und große unbewegliche (weiblich). Daher gibt es kein drittes Geschlecht, geschweige denn ein Spektrum.
Die Anisogamie, also die zweigeschlechtliche sexuelle Reproduktion, hat die Isogamie (Gleichkeimzelligkeit) abgelöst und zu einer Explosion der Artenvielfalt auf dem Planten geführt, inklusive zur Spezies Mensch. Die menschliche Kultur verdankt also dem Geschlechtsunterschied zwischen männlich und weiblich ihre Existenz, nicht umgekehrt. Wenn man statt MDR Jump zu konsultieren und auf transgenderideologische Propaganda zu vertrauen, es mal bei einer Entwicklungsbiologin, einer Sexualwissenschaftlerin, oder bei einem biologische Fachtexte rezipierenden und auf logischer Analyse bestehenden Philosophen versucht hätte (zu Diensten), wäre einem das möglicherweise aufgefallen und hätte erkannt, dass Stock recht hat.
Der bei Reisin so beliebte Weissenburger übrigens braucht erst gar keine Verweise; ihm ist ganz allein ein schlagendes Argument gegen Stocks „platten Biologismus der zwei Geschlechter“ eingefallen. Der ist „überholt“ verkündet er, „denn LGBTI-Menschen existieren ja nun mal. Sich von ‚Penis = Mann, Vagina = Frau‘ zu lösen, ist keine Spielerei, sondern Beschreibung der Welt.“ Dies ist so, als sagte man, die Zweigeschlechtlichkeit sei überholt, da es neben blonden und schwarzhaarigen Menschen ja auch rothaarige gebe. Die angemessene Entgegnung darauf ist, dass das eine mit dem anderen nichts zu tun hat. Blonde, Schwarzhaarige und Rothaarige sind Männer oder Frauen, was Drittes in puncto Geschlecht gibt es nicht. Das gleiche gilt für „LGBTI-Menschen.” Übrigens ist Stock selbst lesbisch, aber anders als Weissenburger verwechselt sie diese sexuelle Orientierung nicht mit dem Geschlecht. Auch „G” (gay) und „B” (bisexual) sind sexuelle Orientierungen. „T” (trans) beschreibt kein Geschlecht, sondern ein psychisches Phänomen, dass im gegenwärtig gültigen ICD-10 (International Classifiation of Diseases) noch immer als Störung gelistet ist, und „I” (intersex) beschreibt eine weitere Störung (manchmal „Variante” genannt), diesmal der sexuellen Entwicklung, aber keineswegs ein drittes Geschlecht, da es einen dritten Keimzellentyp nun einmal nicht gibt. Und schließlich soll auch nicht verschwiegen werden, dass Stock nirgendwo die Gleichung „Penis = Mann, Vagina = Frau“ aufstellt. Hätte Weissenburger Stocks Buch gelesen, wüsste er das und hätte womöglich seine platte biologische Unkenntnis überwunden.
Im Frauengefängnis und auf der Toilette
Stocks Beschreibung der Realität, nämlich dass es nur zwei Geschlechter gibt und man die nicht durch Selbstidentifikation hinter sich lassen kann, ist korrekt. Wie aber steht es um die Berechtigung ihrer politischen Forderungen? Nämlich dass es Männer (Frauen stellen hier ein weniger großes Problem dar) nicht erlaubt werden soll, ihren amtlichen Geschlechtseintrag und damit ihren rechtlichen Status durch simple Selbstdeklaration zu ändern – also ohne vorangegangene medizinische Eingriffe an den Geschlechtsmerkmalen. Denn dies würde ihnen Zugang zu normalerweise und aus guten Gründen Frauen vorbehaltenen Räumen verschaffen und Kriminalitätsstatistiken zuungunsten von Frauen verändern (Frauen würden dank der Hilfe von „Transfrauen“ auf einmal mordender und vergewaltigender erscheinen, als sie es tatsächlich sind).
Reisin muten solche Vorstellungen Stocks „diffamierend an: So warnt sie immer wieder davor, dass trans Frauen, die in Wirklichkeit Männer seien, auf Toiletten, in Umkleideräumen und ähnlichen Orten Sexualstraftaten begehen könnten. […] Doch werden männliche Sexualstraftäter wirklich in größerer Anzahl ihren Willen zur Geschlechtsumwandlung bekunden, um dann in einem Frauengefängnis weitere Straftaten zu begehen?“ Reisin verdreht, was Stock sagt. Sie warnt nicht speziell vor „Transfrauen“, sondern davor, dass Männer allgemein, ob sie nun trans sind oder nicht, sich einfach zur Frau erklären und damit Zugang zu geschützten Räumen erlangen könnten. Wie der Direktor der Britischen Gender Identity Clinic Tavistock, Dr. James Barrett, erklärt: „Es wird ziemlich naiv angenommen, dass niemand im Gefängnis einen transsexuellen Status vorgeben würde, wenn das nicht wirklich der Fall wäre. Es gibt jedoch, für jene von uns, die die Gefangenen tatsächlich befragen, tatsächlich sehr viele Gründe, warum Leute dies vorgeben mögen“ inklusive dem „Wunsch, anschließend sexuelle Straftaten leichter begehen zu können, da Frauen in dieser Hinsicht als geringeres Risiko wahrgenommen werden.“
„Männer, die trans sind, sind im Durchschnitt keineswegs weniger gewalttätig als andere Männer.“
Kurz gesagt, da Männer im Durchschnitt bedeutend gewalttätiger sind als Frauen, auch und gerade was Sexualstraftaten anbelangt, wie auch im Durchschnitt bedeutend stärker als Frauen, ist es keine gute Aussicht für Gefangene in Frauengefängnissen, wenn diese mit Männern angefüllt werden. Das wäre übrigens selbst dann so, wenn man sicherstellen könnte (was man natürlich nicht kann), dass ausschließlich Männer, die auch wirklich trans sind, in Frauengefängnisse kommen. Denn entgegen einem von Transgenderideologen gern verbreiteten Mythos, hat die empirische Evidenz gezeigt, dass „Transfrauen“ „ein männliches Verhaltensmuster bei der Kriminalität bewahrten. Dies galt auch für Gewaltverbrechen.“
Reisin ist das alles aber offenbar ganz egal (jedenfalls hat er sich keine erkennbare Mühe gemacht, die Fakten herauszufinden). Er fragt rhetorisch, ob man dem Ansinnen männlicher Gewaltverbrecher, die sich Zugang zu Opfern in Frauengefängnissen verschaffen wollen, „nicht buchstäblich anders einen Riegel vorschieben“ kann „als mit der Verhinderung der rechtlichen Besserstellung aller trans Personen? Wie es umgekehrt trans Frauen im Männerknast ergeht, ist dagegen eindeutig: Sie sind unfassbarer Gewalt ausgesetzt.“ Erstens, „Besserstellung“ ist das passende Wort: Männer, die trans sind, sollen hier gegenüber anderen Männern privilegiert werden, und zwar auf Kosten der Frauen. Denn den Riegel könnte man ja auch im Männergefängnis vorschieben. Da der Riegel aber eben nicht ganz buchstäblich ist (keine dauerhafte Einzelhaft), reden wir hier tatsächlich von verstärkten Sicherheitsvorkehrungen. Frauengefängnisse haben normalerweise (aufgrund der geringeren Gewalttätigkeit von Frauen) relativ geringe Sicherheitsvorkehrungen, was das Leben dort angenehmer macht als in Männergefängnissen. Reisins Vorschlag würde das ändern – wiederum auf Kosten der Frauen. Und was die Gewalt angeht, welche Männer, die trans sind, in Männergefängnissen zu ertragen haben, so geht erstens aus der Studie, auf welche Reisin verweist, nicht hervor, ob diese nicht auch andere Gruppen von Männern trifft (zum Beispiel besonders effeminierte Homosexuelle) – und wenn ja, sollen die mit ins Frauengefängnis kommen?
Und zweitens sei nochmals darauf hingewiesen, dass Männer, die trans sind, im Durchschnitt keineswegs weniger gewalttätig sind als andere Männer. Somit sind sie umgekehrt im Durchschnitt bedeutend gewalttätiger als Frauen. Jemand kann aber durchaus in dem einen Gefängnis Opfer sein und in dem anderen Täter werden. Und schließlich wird den Männern, die trans sind, die Flucht ins Frauengefängnis wenig helfen, da natürlich eine gehörige Anzahl anderer Männer, wie Dr. Barrett feststellt, sich in „Frauen“ umdeklarieren und ihnen folgen wird – wiederum zum Nachteil der Frauen. Reisins Analyse mangelt es also sowohl an Fakten als auch an der Logik. Klar aber ist, was bei ihm Priorität hat: Die Interessen von Männern, die trans sind, müssen auf Kosten der Interessen von Frauen durchgesetzt werden. Während er genüsslich eine Autorin zitiert, die meint, es sei „keinesfalls eine Lüge“, Stocks Position als „transfeindlich“ zu beschreiben, ist es wohl eher so, dass seine Position schlicht misogyn ist.
„Es gefährdet das Kindeswohl, Jugendlichen Pubertätsblocker auszuhändigen, als seien sie Lakritze.“
Reisin erklärt ferner: „Auch den Zugang zu öffentlichen Toiletten, Umkleiden und ähnlichen Orten erhält man nicht, weil man sich rechtlich als Mann oder Frau definieren kann, sondern aufgrund sozialer Normen und Praktiken. Wer im Auge der Gesellschaft aussieht wie das passende Geschlecht, betritt den entsprechenden Ort. So lange es keine Genitalkontrolle auf öffentlichen Toiletten gibt, ist dieses ‚Problem‘ also weder lösbar, noch wird sexuelle Gewalt dadurch bekämpft, dass man trans Personen das Recht verweigert, ihr Geschlecht auch juristisch selbstbestimmter zu definieren.“ Da wir gerade von Mangel an Logik sprachen: Wenn sich jeder Mann mit Bart und Penis zur Frau umdeklarieren kann, dann macht es keinen Sinn mehr, davon zu sprechen, dass jemand „im Auge der Gesellschaft aussieht wie das passende Geschlecht.“ „Frauen“ und „Männer“ sind dann nicht einmal mehr an ihren Genitalien zu unterscheiden. Und daher lassen sich Männer dann auch nicht mehr von Frauentoiletten ausschließen, nicht zuletzt da solche Ausschlussversuche für den Versuchenden unangenehme rechtliche Konsequenzen haben könnten. Dies verschafft potentiellen männlichen Gewalttätern, ob sie trans sind oder nicht, einfachen Zugang, mit entsprechend erhöhtem Risiko für Frauen (tatsächlich ist das Risiko schon jetzt in Unisextoiletten deutlich erhöht).
Identitäre Selbstbestimmung
Die in Ihrer Leichtfertigkeit und Ignoranz vielleicht skandalöseste Aussage Reisins ist die Folgende: „Stocks weitere Befürchtung, junge lesbische Frauen würden reihenweise genötigt, Männer statt Lesben zu werden, erinnert fatal an ähnlich gelagerte, teils überwundene Warnungen vor der Entkriminalisierung von männlicher Homosexualität: Damit würden ganze Generationen von jungen Männern dazu ‚verführt‘, ebenfalls schwul zu werden. Angesichts der sehr geringen Zahl von trans Personen erscheint es doch relativ weit hergeholt, dass sich Heerscharen junger Frauen den physischen und psychischen Strapazen einer Geschlechtsumwandlung unterziehen, um als heterosexuelle Männer statt als Lesben zu leben.” Reisin weiß nicht, wovon er redet. Spätestens seit Lisa Littmans Studie ist das Phänomen der „plötzlich einsetzenden Genderdysphorie“ bekannt, bei der insbesondere junge Mädchen aufgrund sozialer Ansteckung (trans zu sein ist „in“) sich plötzlich im falschen Körper wähnen. Was die „geringe Zahl“ angeht, so belegt Abigail Shrier in ihrem Buch „Irreversible Damage: The Transgender Craze Seducing Our Daughters“, dass die Zahl der weiblichen Teenager mit Geschlechtsdysphorie in Großbritannien innerhalb eines Jahrzehnts um 4400 Prozent anstieg und in den Vereinigten Staaten immerhin noch um 1000 Prozent. Das Buch wie auch die Studien, auf welche es zurückgreift, zeigen, dass es unverantwortlich ist, den Glauben von Kindern und Jugendlichen, trans zu sein, sogleich affirmativ zu stützen statt kritisch zu hinterfragen. Ebenso gefährdet es das Kindeswohl, Jugendlichen im gleichen Geiste der Affirmation Pubertätsblocker auszuhändigen, als seien sie Lakritze. Wie die Gesetzesentwürfe zur „Selbstbestimmung der geschlechtlichen Identität“ zeigen, hat die kommende Ampel mit solcher Gefährdung des Kindeswohls übrigens keine Probleme. Wie auch bei Reisin, ist die Hauptsache die, dass die Ideologie stimmt.
Während die zur Debatte stehenden „Selbstbestimmungsgesetze“ Minderjährigen diesen zu deren Nachteil zu viel Autonomie zumuten, beschneiden sie die Autonomie Erwachsener drastisch. Das Etikett „Selbstbestimmungsgesetz“ verschleiert dies. Die Ausführungen Weissenburgers hingegen offenbaren es – unfreiwillig natürlich. Er erklärt: „Trans Menschen fordern ein, über ihr Geschlecht selbst bestimmen zu dürfen – von der Frage, mit welchem Namen und welchen Pronomen sie anzusprechen sind, über den behördlichen Geschlechtseintrag bis hin zu möglichen körperlichen Veränderungen, sofern gewünscht. Und warum auch nicht? Immerhin müssen sie allein mit diesem Geschlecht leben. Neuere Gesetze, die mehr Selbstbestimmung garantieren, beziehen sich daher auf die ‚Geschlechtsidentität‘. Das ist das Geschlecht der Person, wie es von ihr selbst erlebt wird. Zentral bei Stock ist, dass sie das Konzept ‚Genderidentität‘ ablehnt und ‚biologisches Geschlecht‘ über alles stellt.“
„Wie immer eine Person ihr Geschlecht auch erleben mag, dieses Erlebnis ist nicht ihr Geschlecht.“
Wie immer eine Person ihr Geschlecht auch erleben mag, dieses Erlebnis ist nicht ihr Geschlecht. Ich mag einen Film als spaßig erleben, aber Spaß ist kein Film. Vielleicht aber ist das „wie“ ein Lapsus von Weissenburger, und er meint, die Geschlechtsidentität ist das Geschlecht, das man sich selbst zuschreibt. Dies jedoch führt zu Zirkularitäten und Widersprüchen, welche die Hoffnungen notwendig enttäuschen, welche Transgenderideologen in „Genderidentität“ setzen. (Nicht das Transgenderideologen dies abschreckt. Ideologie kann auch ohne Logik.) Da Stock, anders als offenbar Weissenburger, um diese Probleme weiß, lehnt sie den Begriff zu Recht ab.
Aber wir sprachen von Autonomie. Stock hat kein Problem damit, dass sich Erwachsene Operationen an ihren Geschlechtsmerkmalen unterziehen. Damit müssen sie in der Tat selbst leben. Mit dem „behördlichen Geschlechtseintrag“ muss jedoch die gesamte Gesellschaft leben, insbesondere wenn dieser den Rechtsstatus ändert, was ja gerade damit bezweckt wird. Es eröffnet Männern damit leichten Zugang zu aus guten Gründen Frauen vorbehaltenen Bereichen. Davon sprachen wir bereits. Was die Pronomen angeht: Sie können gerne für sich selbst bestimmen, mit welchen Pronomen sie sich selbst anreden, aber wenn sie andere dazu zwingen wollen (zum Beispiel mit Sanktionen, wie sie die Grünen in ihrem Gesetzentwurf vorsehen), dann ist das nicht Selbstbestimmung, sondern Fremdbestimmung. Der Druck auf die Tränendrüse ändert daran nichts.
So beklagt Weissenburger Stocks Position als „eine wissenschaftlich-fein formulierte Variante des schmerzhaften und erniedrigenden Anwurfs, dem trans Personen immer wieder ausgesetzt sind: ‚Du bist keine echte Frau‘ oder ‚du bist kein echter Mann‘.“ Trump mag es auch schmerzhaft und erniedrigend finden, wenn man ihm sagt, er sei nicht der beste Präsident aller Zeiten (hier freilich zeigen Woke erstaunlich wenig Rücksicht), aber dann hat er eben Pech gehabt, denn Menschen haben nun einmal kein Recht darauf, von anderen in ihrem irrigen Selbstverständnis unterstützt zu werden. Zudem ist anzumerken, dass längst nicht alle Männer, die sich als „Transfrauen“ bezeichnen, den Hinweis darauf, keine Frauen zu seien, schmerzhaft und erniedrigend finden. Debbie Hayton zum Beispiel findet ihn zutreffend, wie auch die Forderung, „Transfrauen“ aus bestimmten Frauen vorbehaltenen Räumen auszuschließen. Viele Transgenderideologen überziehen solche „Transfrauen“ freilich mit Hasstiraden – so ernst meint man es mit der Selbstbestimmung dann doch nicht, insbesondere selbständiges Denken ist nicht gefragt.
„Menschen haben ein Recht darauf, nicht als zur Lüge verpflichtete Projektionsflächen der beschönigenden Selbstbespiegelung einer Minderheit missbraucht zu werden.“
Umgekehrt mögen es viele Frauen schmerzhaft und erniedrigend finden, wenn ihnen von Transgenderideologen erklärt wird, dass das weibliche Geschlecht nur ein „soziales Konstrukt“ sei statt Teil der biologischen Realität, welche den Forstbestand der Art ermöglicht. Und sie mögen es erniedrigend und schmerzhaft finden, wenn man von ihnen verlangt, ihre Gruppenbezeichnung, nämlich „Frau“, nicht über eben jene biologische Realität zu definieren, sondern sie gefälligst den narzisstischen Bedürfnissen sich mit ihnen eins fühlender Männer unterzuordnen. Sie mögen es des Weiteren widerlich finden, wenn ihnen erklärt wird, man dürfe den Ausdruck Mutter nicht benutzen, weil ja nun angeblich auch Väter gebären könnten. Solcher Schmerz und solche Erniedrigung sind Weissenburger freilich keine Erwähnung wert. Wie bei Reisin sind auch bei ihm die Prioritäten klar.
Wie dem auch sei: Es ist schlicht Propaganda, von „Selbstbestimmung“ zu sprechen, wenn Bürger dazu gezwungen werden sollen, wider ihr besseres Wissen und Gewissen den vor ihnen stehenden Mann als Frau „anzuerkennen“ und entsprechend anzureden. Es handelt sich um eine Verletzung der Meinungs-, Rede- und Gewissensfreiheit. Menschen haben ein Recht darauf, nicht als zur Lüge verpflichtete Projektionsflächen der beschönigenden Selbstbespiegelung einer Minderheit missbraucht zu werden.
Vermeintliche Transfeindlichkeit
Abschließend sei nur noch auf ein paar Details verwiesen. Wie eingangs gesagt, gefällt Reisin der Text von Warnecke. Angeblich habe der sich „intensiver mit den Argumenten von Stocks Gegner:innen auseinandersetzt.“ Hat er nicht, sondern sein Text zeigt nur, dass er alles als „transfeindlich“ begreift, was der Transgenderideologie widerspricht. Nach dieser Logik wäre freilich auch die eben genannte Transperson Debbie Hayton transfeindlich, was gewisse Fragen an der Logik aufkommen lässt (fragen darf man auch, wie frauen- und freiheitsfeindlich umgekehrt Warnecke ist). Zudem behauptet er, „die Studierenden“ hätten die „Proteste“ legitim gefunden und „Studierende“ hätten sich „marginalisiert“ gefühlt. Nicht wirklich. Einige Studenten vielleicht, andere hingegen haben sich mit Stock offenbar solidarisiert. Ebenso bezieht Reisin sich positiv auf ein von Paula-Irene Villa Braslavsky über Stock gegebenes Interview. Das ist keine gute Wahl, denn Villa Braslavky wirft Steine im Glashaus.
Besonders amüsant ist Reisins Versuch, Stock durch ihre Verbindung zur „LGB Alliance“ zu diskreditieren, welche sich „vom größten britischen Lesben-, Schwulen-, Bisexuellen-, trans- und intergeschlechtlichen Verband ‚Stonewall‘ abgespalten hat – weil er ihnen zu transfreundlich ist. […] Die Gruppe und ihr Status als ‚gemeinnützig‘ sind in Großbritannien Gegenstand heftiger Auseinandersetzungen und mehrerer Klagen, einigen gilt sie als ‚Hate Group‘, die gegen Transgender-Personen hetze.“ Unglücklicherweise vergisst er zu erwähnen, dass mit Sicherheit auch „einigen“ (etwa diversen Mitgliedern besagter LGB Alliance) die Organisation Stonewall als Hassgruppe gelten wird, dass ein ehemaliges Gründungsmitglied sie des Extremismus bezichtigt, dass gegen sie selbst Klage angestrengt wurde und dass ihr inzwischen ganz allgemein die Felle davonschwimmen, da eine mehrteilige BBC-Sendereihe die dubiosen Praktiken dieses Vereins durchleuchtet hat.
Reisin redet von der journalistischen „Pflicht zur umfassenden Wiedergabe von Sachverhalten – und dem Anhören beider Seiten einer Geschichte.“ Wäre er dieser Pflicht tatsächlich nachgekommen, wäre er zu einer anderen Einschätzung der Causa Stock gelangt.