27.02.2012

Stirbt die Biene, stirbt der Mensch?

Analyse von Eberhard Höfer

Einzelne Imker profilieren sich – etwa in der Gentechnikdebatte – als Fortschrittsfeinde. Das gilt aber nicht für alle Bienenhalter. Die Bedeutung der Imkerei. Dabei wird gleichzeitig mit dem ein oder anderen Mythos aufgeräumt: Auch ohne Bienen würde das Leben weitergehen

Die Bienenhaltung ist in den letzten Jahren immer wieder in die Schlagzeilen geraten, unter anderem durch die Klage eines Hobbyimkers, die bis vor den Europäischen Gerichtshof (EuGH) getragen wurde. Er hatte in seinem Honig Pollen gentechnisch veränderter Pflanzen nachweisen können, nachdem er seine Stöcke in unmittelbarer Nähe von Feldversuchen mit diesen Pflanzen aufgestellt hatte. Nach Meinung des Klägers war der Honig unverkäuflich. Der EuGH gab der Klage statt; die Richter bewerteten den Pollen als genehmigungspflichtige Zutat. Angesichts der unter Verbrauchern weit verbreiteten Vorbehalte gegen die Grüne Gentechnik erregte das Verfahren große Aufmerksamkeit.

Gentechnikgegner aus Naturschutzorganisationen und selbst Imkerverbänden hatten den Kläger unterstützt. Letztere könnten ihren Mitgliedern einen Bärendienst erwiesen haben. Das zeigt ein Blick auf die Bienenhaltung in Deutschland, ihre wirtschaftliche Bedeutung und mögliche Folgen aus diesem Urteil.

Imker und Bienen haben ihren festen Platz in unserer Kultur und in der Landwirtschaft. Sie sind eingebunden in die Verflechtungen von Natur, Ökologie und Ernährung. Die Rolle der Bienenhaltung erschöpft sich dabei keineswegs in der Honigerzeugung. Der Wert ihrer Bestäubungsleistung für landwirtschaftliche Kulturen wird bis zu zehnmal so hoch geschätzt. Das führt gelegentlich zu der elitären Vorstellung, die Imker säßen an einer entscheidenden Schaltstelle, an der sie eine Kontrolle über wichtige Bereiche von Wirtschaft und Gesellschaft ausüben können.

Albert Einstein war es nicht

Symptomatisch für den Versuch, die Bedeutung der Imkerei und der Bienen fast mystisch zu überhöhen, ist das Albert Einstein zugeschriebene, häufig kolportiere Zitat: „Wenn die Bienen von der Erde verschwinden, dann hat der Mensch noch vier Jahre zu leben; keine Bienen mehr, keine Bestäubung mehr, keine Pflanzen mehr, keine Tiere mehr, keine Menschen mehr“. Leider stimmt an dieser eingängigen Formel Einiges nicht. Erstens haben israelische Wissenschaftler nach gründlicher Durchforstung von Leben und Werk Albert Einsteins festgestellt, dass der Satz mit Sicherheit nicht von ihm stammt. Zweitens kann die Aussage schon deshalb nicht zutreffen, weil dann der amerikanische Kontinent vor Christoph Kolumbus nicht von Menschen bewohnbar gewesen wäre. Denn die Honigbiene ist erst mit den Europäern nach Amerika gekommen; die Ureinwohner nannten sie „die Fliege des weißen Mannes“.

In Deutschland gibt es derzeit nach Angaben des Deutschen Imkerbundes DIB rund
80.000 organisierte Freizeitimker; zusammen besitzen sie über 600.000 Völker. Dazu kommen noch etwa 1000 Berufsimker mit in der Regel deutlich über 100 Völkern, vertreten durch den Deutscher Berufs und Erwerbs Imker Bund DBIB. Zahlenmäßig wächst derzeit nur die Gruppe der Kleinstimker im städtischen Bereich mit ein bis drei Völkern. Etwa 20 Prozent des Honigverbrauchs in der Bundesrepublik werden aus heimischer Produktion gedeckt.

Freude an der Sache – magere finanzielle Ausbeute

Die ökonomischen Leistungen der deutschen Freizeitimker und der finanzielle Nutzen, den sie daraus ziehen, bleiben in einem überschaubaren Rahmen. In einer Imkerei mit zehn bis 20 Völkern können unter normalen Trachtbedingungen zwischen 300 und 1000 Kilogramm Honig pro Jahr geerntet werden. Bei Selbstvermarktung erzielt der Bienenhalter – abhängig von der Honigsorte – zwischen drei und sechs Euro je 500-Gramm-Glas. Gibt er seine Produkte an einen Aufkäufer weiter, halbiert sich der Preis.

Vom Bruttoertrag müssen die Kosten für Material, Transport, Energie, Helfer, Beiträge, Steuern usw. abgezogen werden. Die Bienenhaltung gilt als ein Gewerbe, das einige Qualifizierung voraussetzt und vor allem Einsatz und Begeisterung verlangt. Alle Imkerkollegen, mit denen ich gesprochen habe, sind sich einig, dass ein Mindestlohnempfänger hinsichtlich seines Stundenlohns im Vergleich zum Bienenhalter als Krösus dasteht.

Trotz der mageren finanziellen Ausbeute stehen mindestens die älteren Imker noch immer fest zu ihrer Sache. Sollte aber der Aufwand weiter steigen, z.B. durch staatlich verordnete Analysen- und Zulassungskosten oder die Begehrlichkeiten von Berufsgenossenschaften, werden viele aufgeben. Jüngere rechnen in der Regel schon vor einem Einstieg in die Bienenhaltung alles durch und lassen dann die Finger davon.

Selbstzerstörerische Negativ-PR

Der Rückgang an Imkereien mittlerer Größe ist langfristig vorprogrammiert. Übel an der derzeitigen Situation ist, dass dieser Vorgang durch einige Wirrköpfe unter den Imkern ungeheuer beschleunigt wird, aber auch durch Verbandsfunktionäre, die diesen Ablauf eigentlich nach Kräften bremsen sollten, um die zu erwartenden gesellschaftlichen Auswirkungen abzumildern. Stattdessen werfen sie sich einem Netzwerk von Esoterikern und Weltenrettern in die Arme, aus dem heraus noch vor wenigen Jahren gefordert wurde, die Honigbienen abzuschaffen, um das Überleben der Wildbienen zu sichern.

Gemeinsam verbreitete Schreckensmeldungen über angebliche Qualitätsminderungen durch „Genpollen“ im Honig tragen dazu bei, den Ruf des Produkts in Frage zu stellen. Zwar hat die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) eindeutig klargestellt, dass genetisch modifizierte Maispollen genauso wenig ein Gesundheitsrisiko darstellen wie Pollen von herkömmlichen Mais-Pflanzen. Man muss aber bezweifeln, dass diese Bewertung die Verbraucher erreicht.

Die Hobbybienenhaltung bietet noch immer vielen Menschen eine interessante Freizeitbeschäftigung. Sie schafft soziale Kontakte innerhalb der Imkerschaft, zu Nachbarn und Verbrauchern, und es entstehen für beide Seiten nutzbringende Beziehungen zur Landwirtschaft. Alles das ist gefährdet oder entfällt, wenn die Zahl der Imker zurückgeht. Verluste werden dann auch die Material-Lieferanten und Dienstleister der Imker, die Zeitschriften und – das ist besonders bedauerlich – die Bieneninstitute erleiden.

Die Folgen eines Ausfalls der mittleren Imker als Honigproduzenten auf den deutschen Honigmarkt dürften marginal sein. Es gibt auf der Welt genügend Honigerzeuger, die eine Versorgungslücke unverzüglich schließen könnten. Einige südamerikanische Länder signalisieren bereits, dass sie gegen eventuelle Handelsbeschränkungen nach dem Urteil des EuGH energisch vorgehen werden.

Weniger Bienen – schlechtere Ernten?

Ein starker Rückgang bei den Imkern mit mittelgroßen Beständen eröffnet natürlich auch Wachstumschancen für Berufsimker. Es gibt jedoch Befürchtungen, dass sie das entstehende Defizit bei den Bestäubungsleistungen nicht kompensieren können. Mir erscheint das unbegründet. Die Zahl der Kulturen und der Bedarf an Bienenvölkern zur Bestäubung sind in Deutschland geringer als üblicherweise propagiert. Unbedingt bestäubungspflichtig sind die Obstgehölze, daneben Spezialkulturen und Vermehrungsflächen, auf denen Saatgut erzeugt wird. Im Vergleich mit der insgesamt bewirtschafteten Fläche in Deutschland von 11,8 Millionen Hektar spielen diese Kulturen eine untergeordnete Rolle. Obst als größter Posten steht auf etwa 50.000 Hektar Fläche.

Für die Landwirte brächte eine Konzentration bei den Imkern sogar Vorteile. Sie hätten mit nur einem oder sehr wenigen Partnern mit jeweils Hunderten Völkern zu verhandeln. Heute haben es die Bauern zum Teil mit sehr vielen Imkern zu tun, die mit lediglich 10-20 Völkern anwandern.

Mögliche Lücken sind leicht zu schließen. Schon heute werden mehrere Tausend Bienenvölker bei Bedarf als „Paketbienen“ oder Kunstschwärme für Bestäubung oder Zucht importiert. Händler könnten jederzeit jede gewünschte Menge Bienen aus China oder anderen Ländern einfliegen lassen, wenn eine Kalamität eintritt. Die Kosten sind nicht wesentlich höher als für die Bestäubung durch einheimische Bienen.

Mein Optimismus stützt sich aber vor allem auf die Tatsache, dass die inzwischen oft riesigen Rapsfelder auch ohne gezielten Einsatz von Bienen durchweg gute Erträge bringen. Raps steht heute auf 1,5 Millionen Hektar, fast 13 Prozent der Ackerfläche. Wir wissen nicht, ob der Ertrag der Rapsfelder mit mehr Bienenbestäubung wesentlich steigen würde. Pro Hektar wären bei konsequenter Umsetzung des Vorhabens vier Bienenvölker nötig. Insgesamt müssten also sechs Millionen Völker beschafft werden – bei einem gegenwärtigen Bestand von ca. 800.000. Nach der Rapsblüte müssten diese Bienen unweigerlich verhungern, denn die Tracht aus der Sommerblüte reicht derzeit noch nicht einmal für die vorhandene knappe Million Völker. Da stimmt das Argument nachdenklich, „die Umwelt“ brauche die Honigbiene.

„Genfrei“-Honig: Exklusivität hat ihren Preis

Für weit überzogen halte ich die immer wieder behauptete mehrheitliche Aversion der Verbraucher gegen Gentechnik. In meinem Kundenkreis konnte ich dergleichen noch nie feststellen. So sehe ich auch keinen Anlass für eine amtliche Verordnung für Abstände zwischen „Genfeldern“ und Bienenständen.

In Europa werden nach gründlicher Prüfung durch die EFSA gentechnisch veränderte Organismen nur zugelassen, wenn sie keine gesundheitlichen Risiken bergen. Verbraucher müssen deshalb an der Qualität eines Honigs nicht zweifeln, wenn er einige Pollenkörner solcher Pflanzen enthält. Der EuGH sieht darin übrigens gleichfalls kein Problem.

Verlangt aber eine Kundengruppe von ihrem Imker, dass sein Honig absolut frei von gentechnisch veränderten (gv) Pollen ist, dann kann der Imker dem Rechnung tragen, indem er Gebiete anwandert, in denen kein Anbau von gv-Pflanzen erfolgt. Es gibt in Deutschland mittlerweile eine ganze Reihe Regionen, die diesen Status anstreben. Für den Imker können dann Kosten für Transporte, Untersuchungen, Zertifikate usw. entstehen. Solche Kosten kann er dann problemlos an seine speziellen Kunden weiter reichen, die das Entgegenkommen sicher honorieren werden. Überall in der Welt werden schließlich exklusive Waren – Stichwort Delikatessen – wegen des höheren Aufwands bei ihrer Erzeugung teurer verkauft als einfache Massenware. Damit wäre auch beim Honig allen Forderungen nach Koexistenz und Wahlfreiheit Rechnung getragen.

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