16.03.2014

Steuern in einem freiheitlichen Staat

Essay von Karen Horn

Wie der Konflikt zwischen Steuern und persönlicher Freiheit durch das Leistungsprinzip, wirksame Preismechanismen, Privateigentum und eine nicht diskriminierende, verlässliche und berechenbare Steuerpolitik lösbar ist.

Steuern sind eigentlich etwas Unerhörtes. Da muss man von seinem mehr oder weniger mühsam erwirtschafteten Geld erkleckliche Anteile abgeben und darf noch nicht einmal genau vorgeben, was damit geschehen soll. Steuern sind eigentlich nichts anderes als eine Form der Enteignung – und dann auch noch eine, zu der eine zumindest zähneknirschende Zustimmung des Bürgers unterstellt wird. Der Beobachtung, dass kaum jemand von sich behauptet, er zahle gern Steuern, widerspricht das nicht. Die Freiwilligkeit simulierende normative Konvention, man sei es als Bürger der Gemeinschaft schuldig, seinen finanziellen Beitrag zu leisten, stößt sich im Raum mit der Beklemmung der Unfreiwilligkeit, ausgelöst vor allem durch das verbreitete Unbehagen an der kaum zu beeinflussenden Verwendung der Mittel.

Aber sei’s drum – wenn man nicht gleich den Staat abschaffen will, dann müssen Steuern wohl eben sein. Selbst wenn man ihn tatsächlich abschaffen wollte, wie es Anarchokapitalisten fordern, müssten die von den Menschen gemeinsam zu erledigenden Aufgaben immer noch irgendwie finanziert werden – wenn auch, was kein geringer Unterschied ist, in völliger Freiwilligkeit. So, wie die Dinge stehen, hat sich historisch der Staat als Organisationsform kollektiven Handelns aber nun einmal herauskristallisiert. Dem Staat sind von Land zu Land unterschiedliche, durchaus legitime, also zustimmungsfähige Aufgaben zugeschrieben. Zu deren Erfüllung braucht er finanzielle Ressourcen, und diese treibt er kraft seiner Gewalt ein. Wobei man natürlich lange darüber streiten kann, welche Aufgaben dies denn konkret sind und ob das eine oder andere aus dem gegenwärtigen staatlichen Portfolio nicht gänzlich ohne Trauer wegzudenken wäre. Es steht zu vermuten, dass sich bei objektiver Betrachtung da so mancher Posten finden würde.

Steuern müssen sein – aber wie viel? Und was ist viel? Wie auch immer man die Grenzen genau ziehen möchte, ist es wohl keine sonderlich gewagte Quantitätsaussage, wenn man resümiert, dass der deutsche Bürger ordentlich viel Steuern zahlt. Die Steuerquote ist hierzulande mit rund 23 Prozent des Bruttoinlandsprodukts im Vergleich zum OECD-Ausland zwar nicht exorbitant. Niedriger ist sie nur in der Slowakei, in den Vereinigten Staaten und in Spanien – was dort allerdings wiederum kein gutes Zeichen ist, weil es auf die geringe Finanzkraft einer Wirtschaft in tiefer Rezession verweist. Aber wenig ist knapp ein Viertel der deutschen Wirtschaftsleistung bei Lichte betrachtet auch nicht. Und wenn man sich dann auch noch die umfassendere Abgabenquote ansieht, also die Quote von Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt, wo Deutschland bei gut 40 Prozent steht, dann erschließt sich die Gesamtbelastung etwas realistischer. Natürlich geht es immer noch schlimmer, beispielsweise in Frankreich, in Finnland oder in Dänemark mit mehr als 48 Prozent. Der Durchschnitt des Euro-Raums liegt einen Prozentpunkt höher als der deutsche Wert. Aber dass die Belastung woanders auch hoch ist, macht es beileibe nicht besser, dass sie bei uns hoch ist.

„Gerade für den Mittelstand, der die große Mehrzahl der deutschen Unternehmen ausmacht, ist eine starke Besteuerung ein ernstes Problem.“

Von der Hand weisen lässt sich auch nicht, dass Steuern, gleichgültig in welchen Zweck sie fließen, stets schädliche Folgen zeitigen. Sie sind eine Belastung für den Verbraucher, sie drücken sein verfügbares Einkommen und seine Kaufkraft. Steuern sind aber auch für den Unternehmer eine Belastung, der aus seinem Einkommen heraus Geld in sein Unternehmen investiert und so den gesamten Wirtschaftsmotor am Laufen hält. Die Fähigkeit hierzu wird durch Steuern gedrückt. Gerade für den Mittelstand, der die große Mehrzahl der deutschen Unternehmen ausmacht, ist eine starke Besteuerung ein ernstes Problem. Zwar ist der Mittelstand hierzulande erfreulicherweise derzeit ziemlich optimistisch, wie eine Umfrage des Verbandes „Die Familienunternehmen – ASU“ gezeigt hat. Auch in der Investitionsplanung und mit Blick auf die Schaffung neuer Arbeitsplätze ist der Aufwärtstrend signifikant. Doch die Stimmungslage ist nicht stabil, wie die starke Varianz im Zeitverlauf zeigt. Mit besonderer Sorge erfüllt den Mittelstand der Trend der steuerpolitischen Debatte, in der sich folgendes abzeichnet: a) eine Erhöhung der Einkommensteuer über eine Anhebung und ein früheres Einsetzen der Spitzensteuersätze abzeichnet, b) die Einführung einer Vermögensteuer oder die Erhebung einer angeblich befristeten Vermögensabgabe, c) die Erhöhung der Erbschaftsteuer und d) die Einführung einer expliziten Reichensteuer. Die Unternehmen fürchten bei alledem um ihre Eigenkapitalbasis. Zu Recht.

Prinzipien einer mit dem Wert der Freiheit verträglichen Besteuerung

Steuern sind aber nicht nur dazu angetan, den wirtschaftlichen Schwung einer Volkswirtschaft erlahmen zu lassen, wenn sie das rechte Maß überschreiten. Steuern drohen auch und vor allem, mit dem Wert der Freiheit zu kollidieren. Welche Freiheit? Gemeint ist die persönliche Freiheit, die Freiheit eines jeden Menschen, die unteilbar ist und sich in allen Sphären des Lebens vitalisierend auswirkt, wenn sie denn da ist, und deren Abwesenheit uns vertrocknen lässt wie eine Pflanze, die niemand gießt. Freiheit betrifft immer das Individuum und nicht das Kollektiv. Freiheit ist ein großes „Negativum“, wie Friedrich August von Hayek einmal gesagt hat, ein Abwehrrecht, das also „Nein“ sagt – Nein zu Übergriffen Dritter, aber Ja zur Selbstbestimmung und zur Eigenverantwortung eines Menschen, der natürlich keine Monade ist, sondern ein soziales, ständig mit seinesgleichen interagierendes Wesen. Ganz allgemein bedeutet Freiheit Abwesenheit von willkürlichem Zwang: Kein Mensch darf zum Instrument des Willens eines anderen oder mehrerer anderer gemacht werden.

„Steuern drohen auch und vor allem, mit dem Wert der Freiheit zu kollidieren. Welche Freiheit? Gemeint ist die persönliche Freiheit, die Freiheit eines jeden Menschen.“

Diese Prämisse ist vielleicht selbstverständlich, aber in der Praxis gar nicht so unkompliziert, wie sie zunächst klingt. Wo politische Entscheidungen auf dem Mehrheitsprinzip fußen, wie es in demokratisch verfassten Staaten üblich und in der Regel auch kaum anders praktikabel ist, da ist es an der Tagesordnung, dass Minderheiten zu Dingen verpflichtet werden, die ihrem Willen widersprechen, im Interesse der Mehrheit. Will man die Freiheit sichern, so muss deshalb der Minderheitenschutz in den Spielregeln des politischen Prozesses festgeschrieben, also auf Verfassungsebene unumstößlich gesichert sein.

Angewendet auf verschiedene Lebensbereiche bedeutet persönliche Freiheit natürlich politische Freiheit, also die Möglichkeit zur Partizipation, zur aktiven und passiven Teilnahme an den gemeinschaftlichen Entscheidungen, die in einem Gemeinwesen getroffen werden müssen. Und sie bedeutet mit gleichem Recht auch wirtschaftliche Freiheit, also die Möglichkeit, wirtschaftliche Entscheidungen im Rahmen des Rechts und des Respekts vor der Freiheit anderer nach eigenem Gutdünken und nicht nach dem Willen anderer zu fällen. So hat Joachim Gauck einmal gesagt, als er noch nicht Bundespräsident war: „Wer die Freiheit liebt, wird sich dahin bequemen müssen, Freiheit auch in den Wirtschaftsprozessen zu wollen.“

Warum aber ist die Freiheit der höchste aller Werte, der bei der Gestaltung der Politik stets bedacht werden muss? Weil sie ein Wert an sich ist; weil sie der menschlichen Würde entspricht. Weil erst persönliche Freiheit den Menschen in die Lage versetzt, sich zu entfalten, kreativ zu sein, seiner Natur gemäß selbstverantwortlich zu handeln und nach weiteren moralischen Werten zu streben. Aber auch, weil Freiheit schlicht zweckmäßig ist. Das Argument für die Freiheit leitet sich aus schlichter Demut ab, aus der Einsicht in die Begrenztheit des menschlichen Horizonts. Denn Freiheit hilft, mit dieser Begrenztheit umzugehen und neue Herausforderungen zu bestehen, als Einzelner wie in der Gruppe. „Freiheit ist wesentlich, um Raum für das Unvorhersehbare und Unvoraussagbare zu lassen“, erklärt Hayek. „Weil jeder Einzelne so wenig weiß, und insbesondere, weil wir selten wissen, wer von uns etwas am besten weiß, vertrauen wir darauf, dass die unabhängigen und wettbewerblichen Bemühungen vieler die Dinge hervorbringen, die wir wünschen werden, wenn wir sie sehen.“ Weil sie das Wissensproblem zu lösen hilft, ist Freiheit die Voraussetzung für Fortschritt und Wohlstand.

Wenn man die Freiheit als einen vorrangigen Wert begreift, dann folgen daraus auch für die allgemeine Wirtschaftspolitik und insbesondere für die Steuerpolitik einige grundlegende Prinzipien. Traditionell ist aus der Steuerlehre das Prinzip der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit bekannt – ein gar nicht so schlechtes, wenngleich unzureichendes Prinzip, das historisch eigentlich einmal nichts anderes als ein Übermaßverbot formulieren sollte und nicht etwa eine Empfehlung, die Leistungsfähigkeit des Steuersubjekts auch auszureizen. Aber so wird es heute oft verstanden. Dem steht das völlig obsolete Prinzip der fiskalischen Äquivalenz gegenüber, das auf Freiwilligkeit der Besteuerung setzt und deshalb verlangt, dass jeder so viel und auch nur so viel Steuern zahlt, wie er dafür an gemeinschaftlich finanzierten öffentlichen Gütern genießt. Doch es gibt auch noch andere Prinzipien, an denen sich die Politik orientieren kann. In der Folge seien vier große Denker vorgestellt, die hierzu Wegweisendes aufgeschrieben haben. Ihre Prinzipien können helfen, im Alltag die Messlatte dafür nicht zu verlieren, was eine mit dem Wert der Freiheit vereinbare Steuerpolitik sein kann.

Der ordnungspolitische Regelrahmen

Als erstes drängt sich der Name Walter Eucken auf. Eucken war als Ökonom der führende Kopf der Freiburger Schule, einer der Vordenker der Sozialen Marktwirtschaft. Nichts anderes als die Sicherung einer freiheitlichen und menschenwürdigen Ordnung, in der ein selbstverantwortliches Leben möglich ist, war sein Ziel. Dem Ganzen stellte er die lebenskluge Einsicht voran, dass „ von den Menschen … nicht gefordert werden [darf], was allein die Wirtschaftsordnung leisten kann: ein harmonisches Verhältnis von Einzelinteresse und Gesamtinteresse herzustellen … Freiheit und Ordnung sind kein Gegensatz. Sie bedingen einander“ – so schrieb er in den 1952 erschienenen „Grundsätzen der Wirtschaftspolitik“. Eine der wissenschaftlichen Leistungen der Freiburger Schule war es, sauber zwischen politischem Handeln im Alltag und der Gestaltung der Regeln für diesen Alltag zu unterscheiden. Ordnungspolitik zielt auf den Regelrahmen, Prozesspolitik besteht aus Eingriffen im laufenden Geschäft – und nicht selten läuft sie Gefahr, die Ordnungspolitik zu vergessen und sie damit zu konterkarieren. Deshalb gelten für sie besondere Anforderungen.

Im politischen Diskurs ist in den vergangenen Jahren übrigens immer häufiger eine schleichende Begriffsverschiebung im Zusammenhang mit dem – immerhin nach wie vor positiv besetzten – Wort „Ordnungspolitik“ festzustellen. Entgegen dem zunehmend um sich greifenden, falschen Wortgebrauch bezeichnet der Begriff „Ordnungspolitik“ gerade nicht eine Politik, die die Dinge zielsicher auf ein gewünschtes Ergebnis hin ordnet. Darin liegt ihr ganzer Witz. Sonst würde sie zum allzu leichten Opfer von Lobbyismus. Das zu verhindern, das war den Freiburgern und ihren neoliberalen Mitstreitern sehr wichtig. Das war es, was sie unter einem „starken Staat“ verstanden. „Der neue Liberalismus jedenfalls, der heute vertretbar ist, und den ich mit meinen Freunden vertrete, fordert einen starken Staat, einen Staat oberhalb der Wirtschaft, oberhalb der Interessenten, da, wo er hingehört“ – so sprach 1932 Alexander Rüstow. Also: Ordnungspolitik hat kein bestimmtes Ergebnis im Sinn, sondern definiert ein Verfahren nach klaren, fairen, freiheitlichen und zustimmungsfähigen Grundsätzen – natürlich im Bewusstsein, dass das auch gute Ergebnisse zeitigen wird, aber zugleich in der demütigen Erkenntnis, dass die genaue Form dieser guten Ergebnisse sich erst weisen wird und dass es deshalb die Freiheit zu bewahren gilt.

„Ordnungspolitik hat kein bestimmtes Ergebnis im Sinn, sondern definiert ein Verfahren nach klaren, fairen, freiheitlichen und zustimmungsfähigen Grundsätzen.“

Der Katalog von „konstituierenden Prinzipien der Wettbewerbsordnung“, den sich Walter Eucken für die Gestaltung der wirtschaftlichen Sphäre des gesellschaftlichen Miteinanders ausgedacht hat, ist von zeitloser Relevanz: Wirksamkeit des Preismechanismus, stabiles Geld, offene Märkte, Vertragsfreiheit, Privateigentum, Haftung, Konstanz der Wirtschaftspolitik. Aus diesen Prinzipien lassen sich für die Steuerpolitik einige Gebote ableiten. Es sind mindestens vier. Erstens: Steuern sollen neutral sein, also die wirtschaftlichen Entscheidungen der Menschen nicht verzerren (Wirksamkeit des Preismechanismus). Eine Umsatzsteuer mit uneinheitlichen Sätzen verstößt dagegen ebenso wie eine Einkommensteuer, die das Eigenkapital der Unternehmen aushöhlt und eine Begünstigung von Fremdkapital zur Folge hat. Zweitens, und damit verbunden: Steuern dürfen Haftung nicht unmöglich machen. Drittens: Steuern dürfen den Schutz des Privateigentums nicht unterlaufen. Auch Eucken unterstellt zwar das Privateigentum einer Art Sozialpflichtigkeit. Doch die höhere, vorrangige Norm ist die Sicherung der Verfügungsgewalt über das Eigentum. Grund dafür ist nicht nur die Zweckmäßigkeit: Wer Eigentümer ist, behandelt ein Ding besser, als wenn es ihm nicht gehört. Nein, Grund ist auch ein elementares persönliches Recht, philosophisch abgeleitet vom Gedanken des Eigentums des Menschen an sich selbst (John Locke). Und viertens: Die Steuerlast muss voraussehbar, stetig und klar berechenbar sein.

Fest bestimmte und nicht willkürliche Steuern

Der nächste Denker, an den zu erinnern sich lohnt, ist der schottische Moralphilosoph Adam Smith, von dem es immer wieder heißt, er sei der Gründervater der modernen ökonomischen Wissenschaft gewesen. In seinem 1776 erschienenen berühmten Buch über den „Wohlstand der Nationen“, der ersten umfassenden und zusammenhängenden Darstellung ökonomischer Theorie, finden sich vier elementare Kriterien für die Steuererhebung. Erstens: Das Prinzip der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit, das für Gleichmäßigkeit der Besteuerung sorgt. Zweitens: Die Berechenbarkeit der Steuer. „Die Steuer, die jeder einzelne zu zahlen hat, soll fest bestimmt und nicht willkürlich sein“, schreibt er. Drittens: Die Steuer soll so erhoben werden, wie es für den Steuerzahler am „bequemsten“ ist – das minimiert den Widerstand. Viertens: „Jede Steuer soll so eingerichtet sein, dass sie den Leuten sowenig wie möglich mehr aus der Tasche nimmt oder auf Dauer vorenthält, als sie dem Staat einbringt“. Das ist das Prinzip der Ergiebigkeit. Eine Steuer, die wie die Vermögensteuer mit mehr Verwaltungsaufwand als Ertrag behaftet ist, lohnt sich nicht. „Die offenkundige Gerechtigkeit und Nützlichkeit der obenstehenden Grundsätze hat sie mehr oder weniger der Aufmerksamkeit aller Völker empfohlen. Alle Völker trachten nach bestem Wissen und Gewissen, ihre Steuern so gleichmäßig, so bestimmt, so bequem für den Steuerpflichtigen (hinsichtlich Zahlungszeitpunkt und Zahlungsweise) und sowenig belastend für das Volk (im Verhältnis zum Ertrag für den Fürsten) zu machen wie nur irgend möglich“, schreibt Adam Smith.

Die Progression der Einkommensteuer

Wenn hier Wissenschaftler im Fokus stehen, die bewusst unter der normativen Prämisse der Freiheit gearbeitet haben, dann darf auch der bereits kurz zitierte Ökonom und Sozialphilosoph Friedrich August von Hayek nicht fehlen. Der Nobelpreisträger von 1974 kritisiert in seinem Buch Verfassung der Freiheit etwas, woran die Menschen sich offensichtlich längst gewöhnt haben und was in Zeiten massiver Umverteilung wohl auch weitgehend den Gerechtigkeitsvorstellungen entspricht: die Progression der Einkommensteuer. Aber man kann darüber auch anders denken. Alles, was Hayek hierzu schreibt, lässt sich auch auf die anderen kreativen Ideen übertragen, mit denen die Politik immer wieder an der Umverteilungsschraube dreht: die Idee einer Einführung einer Vermögensteuer oder Vermögensabgabe, die Anhebung und ein früheres Einsetzen des Spitzensteuersatzes, die Erhöhung der Erbschaftsteuer und der Abgeltungssteuer, ein Aufsatteln bei der Körperschaftsteuer. Was ist das eigentlich für eine Gerechtigkeit, wenn eine Mehrheit über die Macht verfügt, eine Minderheit immer mehr zur Kasse zu bitten, ohne erkennbare Schranken?

„Was ist das eigentlich für eine Gerechtigkeit, wenn eine Mehrheit über die Macht verfügt, eine Minderheit immer mehr zur Kasse zu bitten.“

Hayek hat ein paar gute empirische Gründe, weshalb er die Progression ablehnt – nämlich weil sie Leistungsanreize schwächt; weil „arme Länder, die verhindern, dass die Einzelnen reich werden, auch die allgemeine Zunahme des Reichtums verlangsamen“; und weil so die Trennung von Reich und Arm immer hermetischer wird. Vor allem aber ist ihm die offene Diskriminierung ein Dorn im Auge. Er setzt sich nicht etwa für eine Kopfsteuer, wohl aber für eine proportionale Besteuerung ein. Auch sie hat eine umverteilende Wirkung insofern, als die Beiträge der Reichen zu den öffentlichen Gütern des Staates absolut gesehen deutlich höher sind als die Beiträge der Armen. Das Prinzip der Leistungsgerechtigkeit ist also gewahrt. Doch ihr entscheidender Vorteil liegt darin, dass sie mit dieser Wirkung nicht auf Ungleichbehandlung angewiesen ist. „Wo, wie im Falle der Progression, das sogenannte Prinzip nichts anderes ist als eine offene Aufforderung zur Diskriminierung und, was noch schlimmer ist, eine Aufforderung an die Mehrheit, gegen eine Minderheit zu diskriminieren, muss das angebliche Gerechtigkeitsprinzip der Vorwand für reine Willkür werden“, schreibt Hayek. Das ist die Situation, in der wir uns heute befinden. Wenn eine Mehrheit von Begünstigten eine Minderheit von Zahlern immer mehr in die Mangel nehmen kann, verfügt das demokratische System ganz offensichtlich nicht über eine hinreichende Einhegung.

Die Steuer freier und mündiger Bürger

Hier passt nun auch noch das Werk von James M. Buchanan ins Bild, auch er Nobelpreisträger (1986). Seine Perspektive war nicht die eines Ratgebers der Politik, die darüber nachsinnt, wie sie möglichst effizient Steuern erheben kann. Buchanan dachte vielmehr darüber nach, welche steuerpolitischen Regeln sich mündige Bürger wohl geben würden, wenn sie frei und einstimmig darüber entscheiden könnten. Damit das Ganze gerecht abläuft, muss man sich eine solche Abstimmung hinter einem „Schleier des Nichtwissens“ vorstellen, wo niemand weiß, ob er dereinst reich oder arm sein wird. Buchanan war natürlich mitnichten so naiv, sich vorzustellen, dass sich so etwas simulieren lasse. Es geht in seinem Ansatz nur darum, steuerliche Regeln mit einer solchen gedanklichen Konstruktion zu begründen – oder eben nicht.

„Freie Bürger, die frei bleiben und den Fiskus zumindest einhegen wollen, würden sich für das Gegenteil des Üblichen entscheiden. Das heißt konkret: Steuerschlupflöcher: nicht schließen, offen lassen!“

In seinem Aufsehen erregenden Buch The Power to Tax, das Buchanan gemeinsam mit Geoffrey Brennan geschrieben hat, stellt er gleichsam die ganze optimale Steuertheorie auf den Kopf. Freie Bürger, die frei bleiben und den Fiskus zumindest einhegen wollen, würden sich für das Gegenteil des Üblichen entscheiden. Das heißt konkret: Steuerschlupflöcher: nicht schließen, offen lassen! Bemessungsgrundlagen: schmal halten, bloß nicht ausweiten! Non-Attribution der Steuereinnahmen: weg damit, möglichst viele Steuern direkt an ihre Verwendung knüpfen („Earmarking“), damit der Bürger sieht, wofür er zahlt und ob mit seinem Geld effizient gewirtschaftet wird; Verzerrungen: wenn sie der letzte Ausweg sind, um den Zugriff des Steuerleviathan abzuwehren, dann sei’s drum!

Die Anregungen dieser vier Denker, Walter Eucken, Adam Smith, Friedrich August von Hayek und James M. Buchanan, zu den Grundsätzen einer freiheitlichen Steuerpolitik lassen sich in den folgenden Empfehlungen zusammenfassen: Das Leistungsfähigkeitsprinzip gilt es im eigentlichen, begrenzenden Wortsinn zu beherzigen, die Wirksamkeit des Preismechanismus als marktliches Koordinationsinstrument nicht auszuhebeln, Privateigentum und Haftung nicht zu erodieren, Verlässlichkeit und Berechenbarkeit der Steuerpolitik zu wahren und Diskriminierung abzustellen – und zudem gilt es, Maß zu halten, auf dass der Steuerbürger sich nicht noch eines düsteren Tages veranlasst sieht, dem Steuerleviathan sein Handwerkszeug der optimalen Steuertheorie aus der Hand zu schlagen. Regeln zur Einhegung seines Zugriffs in die Verfassung zu schreiben, beispielsweise den Halbteilungsgrundsatz – das wäre schon mal ein guter Anfang.

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