18.01.2011
Tunesien: Starke Bildung, schwache Wirtschaft
In Tunesien hat die Jugend revoltiert. Dies zeigt uns auch, dass die Idee ein Anheben der Bildungsausgaben führe automatisch zu Wirtschaftswachstum, zwar intuitiv plausibel, aber in ihrer Einfachheit falsch ist.
In Tunesien hat die Jugend revoltiert und einen alternden Autokraten aus dem Land gejagt. Begonnen hat der Aufstand vor Weihnachten mit der Selbstverbrennung eines jungen Informatikers, der seinen Lebensunterhalt als Gemüsehändler verdiente und dem die Obrigkeit die Lizenz für seinen Stand entziehen wollte. Dass Mitglieder des Verwaltungsapparats geringschätzig über Gemüsehändler denken, sollte uns nicht überraschen – das kommt auch hierzulande vor. Dass in Tunesien offensichtlich viele hochqualifizierte junge Menschen die Verzweiflung des Täters nachempfinden konnten, schon eher. Ein Aspekt, der den Aufstand der Jugend bemerkenswert macht, ist, dass dies in einem Land geschieht, in dem höhere Bildung seit Jahren ausgebaut und staatlich gefördert wurde.
Der ehemalige Machthaber erhoffte sich davon der Wirtschaft einen positiven Impuls geben zu können, die Lage zu stabilisieren und damit auch die eigene Macht zu festigen. Keines dieser Ziele konnte durch die Bildungspolitik erreicht werden. Am Beispiel Tunesiens zeigt sich, wie sehr eine Regierung irrt, wenn sie glaubt, wirtschaftliche und soziale Probleme durch ein Mehr an Bildung lösen zu können.
Dabei war die Förderung der Bildung, vor allem derjenigen von der man sich die größte wirtschaftliche Breitenwirkung versprach, oberste Priorität. Ein Universitätsbesuch ist in Tunesien kostenlos und für Kinder bis 14 Jahre besteht Schulpflicht. Auch die Ausrichtung der Bildung lag bisher ganz im internationalen Trend: Vor allem die sogenannten MINT Studienfächer (Mathematik, Ingenieurwesen, Naturwissenschaften und Technik) wurden in den letzten Jahrzehnten massiv ausgebaut. „Tunesien hat es wie viele andere Länder gut gemeint und sehr viel getan, um viele junge Leute an die Universitäten zu bringen. Die Zahl der Absolventen hat sich in den vergangenen zehn Jahren verdoppelt, derzeit sind es rund 100.000 pro Jahr“, sagte ein GIZ (ehemals GTZ) Experte kürzlich(1). Im Zentrum dieser Politik stand die Überzeugung, es gebe eine Korrelation zwischen Bildung und Wachstum.
Die intuitiv plausible, aber in ihrer Einfachheit falsche Idee, ein Anheben der Bildungsausgaben führe automatisch zu einem Wachstum der Wirtschaftskraft, wird seit Jahren auch von unseren eigenen Experten vertreten – allen voran aus der OECD und anderen Wirtschaftsorganisationen. Man mag über die Naivität der tunesischen Regierung staunen, die zwar das Bildungssystem ausbaute, aber trotzdem hochgradig korrupt gewesen zu sein scheint: „Der Arbeitsmarkt hält allerdings nicht mit. Wer keine Beziehung hat oder nicht die Richtigen besticht, findet nur schwer einen Job. Und der Weg nach Europa ist durch die rigide Einwanderungspolitik der EU begrenzt“(2), so die taz. Dennoch sollte uns die Situation in Tunesien Anlass geben, auch unsere eigenen Vorstellungen über die höhere Bildung als Zaubermittel zur Lösung wirtschaftlicher und sozialer Probleme zu überdenken. Auch hierzulande ist die Vorstellung, man könne die Ursache für wirtschaftliches Wachstum in einzelne Faktoren aufteilen, weit verbreitet. Es schadet nichts, wenn auch wir uns daran erinnern, dass Wirtschaftswachstum mehr ist als die Summe verschiedener Inputs. Wirtschaftswachstum basiert auf einem vielschichtigen Gesamtprozess, bei dem die produktiven Fähigkeiten einer Gesellschaft entwickelt werden und es spricht nichts dafür, dass ausgerechnet eine staatlich gesteuerte Bildung in diesem Prozess der entscheidende Faktor ist.
Die Vorstellung, es seien die Bildungsausgaben gewesen, die den ungeheuren Aufschwung der Asiatischen Tiger ermöglicht habe, hat viele Dritte Welt Länder veranlasst ähnlich wie Tunesien zu handeln. Auch Länder wie Ägypten oder Sri-Lanka und zahlreiche andere afrikanische Staaten mussten feststellen, dass höhere Ausgaben für Universitäten keine positive Wirkung auf die wirtschaftliche Situation zeigten. Die Bildungsexpertin Alison Wolf beschreibt in ihrem Buch den verzweifelten Versuch Ägyptens, passende Arbeitsplätze für Hunderttausende gut ausgebildete, junge Akademiker zu schaffen. Die Folge war eine riesige Armee unterbeschäftigter Staatsbediensteter und eine wachsende Unzufriedenheit bei denjenigen, die trotzdem keinen behördlichen Arbeitsplatz bekommen konnten. (3)
Ökonomen beschäftigen sich seit vielen Jahren mit der Frage, weshalb manche Staaten reich und warum manche arm sind. Der unkritische Glaube an die unmittelbaren wirtschaftlichen Vorzüge einer richtigen Bildungspolitik haben zu hohen Ausgaben und zu zahlreichen Fehlurteilen in der Politik geführt. Im Falle Tunesiens ist es bestimmt gut, dass sich die Jugend erst einmal von einem diktatorischen Herrscher befreit hat. Nehmen wir dies zum Anlass, uns selbst von einigen überholten Konzepten zu befreien, die aus der Bildung ein simples Instrument für Wirtschaftswachstum und Politik gemacht haben.