16.03.2012

Stärkung der Finanzmärkte, Schwächung der produktiven Basis

Analyse von Alexander Horn

Europa schlittert in die nächste Krise: Die Euro-Rettung wird eine Abwärtsspirale aus wirtschaftlicher Schwindsüchtigkeit und weiterer Kreditexpansion zur Folge haben. Alexander Horn sieht strukturelle und kulturelle Wachstumshemmnisse in Europa als die eigentliche Ursache der Eurokrise

Auf dem langen Weg zur Rettung des Euro türmen sich immer größere Hindernisse auf. Nun ist der Euro in Griechenland zwar vorerst gerettet, trotzdem glaubt aber niemand ernsthaft, dass diese Rettung von Dauer sein wird. Selbst nach dem erfolgreichen Schuldenschnitt gilt das Prinzip: „Nach dem Rettungspaket ist vor dem Rettungspaket.“ Das trifft offenbar auch auf die anderen Krisenländer zu, allen voran Portugal und Spanien, das mit ausufernden Staatsdefiziten kämpft. Obendrein problematisiert nun Bundesbankpräsident Weidmann die im Eurosystem entstandenen Kreditsalden zwischen den Zentralbanken. Diese sind im Wesentlichen eine Folge der Kapitalflucht in den am stärksten von der Krise betroffenen Ländern und summieren sich mit steigender Tendenz inzwischen auf viele hundert Milliarden Euro. Während die Euro-Retter von einem Brandherd zum nächsten eilen, wird nun schmerzhaft klar, dass sich die europäische Wirtschaft in eine Rezession hineinbewegt. Selbst die scheinbar über jeden Zweifel erhabene deutsche Volkswirtschaft kann dem freien Fall in den Krisenländern keine positiven Impulse mehr entgegensetzen. Es ist absehbar, dass die prekäre Situation in der Eurozone weiter eskalieren wird, sofern es nicht gelingt, eine Strategie zu formulieren, die glaubhaft geeignet ist, Europa zu wirtschaftlichem Wachstum zu verhelfen.

Dass eine solche Strategie aber vollkommen fehlt, ist an der griechischen Euro-Rettung sehr deutlich geworden. Im Zentrum der Diskussion stand von Beginn an die Frage, wie Griechenland im Euro verbleiben kann. Sehr früh und wiederholt hat nicht nur Bundeskanzlerin Merkel das Schicksal Europas mit der Rettung des Euro unmittelbar verknüpft. Da Europa nicht scheitern darf, gibt es zur Euro-Rettung keine Alternative. Mit dieser Festlegung stand die Stabilisierung des Euro und daher die Stabilisierung der Finanzmärkte im Zentrum der Politik. Das griechische Kreditrisiko wurde erfolgreich eingedämmt, so dass der nun vollzogene Schuldenschnitt keine Schockwellen durch die Finanzwirtschaft gesendet hat. Die Operation ist insofern geglückt. Aber Griechenlands Wirtschaft befindet sich nun im vierten Jahr in einer sich weiter verschärfenden wirtschaftlichen Depression.

Allein durch die immer weiter erodierende Wirtschaftslage, die permanent hinter den Prognosen zurückblieb, war Griechenland nie in der Lage, die Haushaltsdefizite wie geplant zurückzuführen. Griechenland ist aber noch längst nicht wettbewerbsfähig. Ökonomen schätzen, dass das Preis- und Lohnniveau um bis zu fünfzig Prozent gesenkt werden muss, damit Griechenland als attraktiver Investitionsstandort eine Rolle kann spielen und die griechische Wirtschaft international wettbewerbsfähig ist. Die düstere Perspektive ist ein über viele Jahre dauernder, sehr harter Anpassungsprozess des griechischen Wirtschafts- und Sozialsystems und eine Subventionierung durch die EU. Nur so wird die Schuldenlast in Anbetracht einer stagnierenden oder gar rückläufigen Wirtschaftsentwicklung in erträglichen Grenzen zu halten sein. Vielleicht wird Griechenland irgendeines fernen Tages sogar wieder auf eigenen Beinen stehen und sich zu akzeptablen Zinsen am Kapitalmarkt verschulden können. Erst nachdem das Griechenland-Risiko für den Euro und für die Finanzmärkte beherrschbar gemacht wurde, hat jetzt das fehlende Wirtschaftswachstum in Griechenland Aufmerksamkeit erzeugt. Die „Task Force“ der EU will nun Maßnahmen zum Ankurbeln der griechischen Wirtschaft benennen, was wegen der fehlenden Wettbewerbsfähigkeit Griechenlands unter einem zweifelhaften Stern steht. In Anbetracht der griechischen Kapitalflucht ist nicht davon auszugehen, dass die Investoren Schlange stehen.

Fatale Griechenlandrettung

Mit der alternativlosen Ausrichtung der Politik an der Euro-Rettung hat wirtschaftliches Wachstum, das grundlegende Problem Griechenlands und Europas, eine untergeordnete Bedeutung bekommen. Die fatalen Konsequenzen der Euro-Rettung zeigen sich nun in Griechenland. Die griechische Tragödie besteht darin, dass eine wirtschaftliche Restrukturierung, die auch die griechischen Staatsschulden einschließt und langfristig die Leistungsfähigkeit des Landes wiederherstellen könnte, seit Beginn der Krise vereitelt wird. Aus Angst vor den Konsequenzen einer Restrukturierung der griechischen Staatsschulden wurde die Insolvenz Griechenlands politisch verhindert. Mit dem nun aufgebauten Sicherheitsnetz und der Teilinsolvenz ist das Kreditrisiko weitgehend von der Privatwirtschaft auf den Steuerzahler übertragen worden. Die Politik hat aber nach wie vor kein Interesse an der Feststellung einer vollständigen Insolvenz Griechenlands, denn diese würde die EU-Partnerstaaten sofort mit zusätzlichen Lasten ihrer ohnehin desolaten Haushalte belasten. Außerdem würde die Insolvenz Griechenlands einem politischen Offenbarungseid gegenüber dem europäischen Steuerzahler gleichkommen, der dann noch deutlich umfassender in Haftung genommen werden müsste, als es bei der gerade erfolgten Umschuldung der privaten Gläubiger schon der Fall war. Die Euro-Rettung bedeutet aber auch, dass Griechenland auf lange Sicht nicht wieder wettbewerbsfähig werden kann. Schon jetzt ist Griechenlands Wirtschaft im freien Fall. Aufgrund der schlechten Wettbewerbssituation liegt die Vermutung nahe, dass eine derartige Krise die griechische Wirtschaft schädigen wird und am Ende des Anpassungsprozesses kaum noch Substanz erhalten bleibt.

Die Alternative eines Euro-Austritts vereitelt die Euro-Rettungspolitik aus Angst vor der Restrukturierung. Diese wäre ebenfalls schmerzhaft und würde eine deutliche Senkung des griechischen Lebensstandards bewirken. Die Abwertung der griechischen Währung böte aber sofort eine verbesserte Wettbewerbsfähigkeit gegenüber der Eurozone und die Chance für Investitionen und wirtschaftliches Wachstum. Griechische Unternehmen, die gegenwärtig mit vergleichsweise günstigen Produkten aus dem Euro-Raum konkurrieren müssen, hätten durch die Abwertung unmittelbar eine starke Wettbewerbsposition und eine wirtschaftliche Perspektive. Offenbar aber haben weder die geretteten Griechen noch die Rettungseuropäer Interesse an diesem Szenario. Die Retter Griechenlands würde die beim Austritt unmittelbar notwendige Restrukturierung der griechischen Schulden und des dortigen Bankensystems sehr teuer zu stehen kommen. Auch die griechische Mittelklasse scheint an einem solchen Szenario keinen Gefallen zu finden, denn es würde das soziale Gefüge und den erreichten Wohlstand erheblich treffen. Das immobile griechische Vermögen würde entwertet, was die gehobene Mittelschicht und die Vermögenden empfindlich treffen würde. Diese Werte können nicht wie seit Jahren die Geldvermögen einfach außer Landes gebracht werden.

In der griechischen Tragödie spiegeln sich die Probleme Europas in einer besonders akuten und krassen Form. Es ist einerseits völlig verfehlt, Griechenland als isolierten europäischen Sonderfall abzutun, wie die Bundesregierung gerne unterstellt. In Anbetracht der Krise, in der sich die gesamte Eurozone befindet, sollte eigentlich klar sein, dass hier nicht alleine die Besonderheiten der griechischen Gesellschaft und des Staates zum Tragen kommen. Andererseits ist es aber auch fehlleitend, in der gegenwärtigen Krise nur eine temporäre Komplikation zu sehen, die durch entsprechendes Krisenmanagement wieder behoben werden kann. Die Probleme, die sich in der aktuellen Staatsschuldenkrise zeigen, haben sich über einen langen Zeitraum aufgebaut. Anstatt ihnen zu begegnen, wurden sie in den letzten Jahrzehnten immer wieder aufs Neue verschleppt. Der Euro hat die Probleme in der Eurozone zusätzlich verschleiert und immer wieder Möglichkeiten geschaffen, der Konfrontation mit den Ursachen auszuweichen. Damit wurde die Krise in der Eurozone noch verschärft und ist nun heftiger als in den anderen Staaten. Die Problemursachen liegen im Wesentlichen in den geringen Investitionen im Industriesektor und daher im lahmenden Wirtschaftswachstum.

Die Euro-Falle: Konsum statt Investitionen

Die Ausgangslage der europäischen Wirtschaft vor der Euro-Einführung war bereits alles andere als günstig. Als Mitte der neunziger Jahre die Wechselkurse der Gründungsmitglieder festgelegt wurden, lag die Arbeitslosigkeit infolge des schwachen Wirtschaftswachstums auf historischen Höchstwerten nach dem Zweiten Weltkrieg. Mit der Einführung des Euro hat sich die Situation keineswegs gebessert. Nach einem anfänglichen Aufschwung ist das Wachstum der Eurozone seit dem Jahrtausendwechsel zurückgegangen. Vor dem Ausbruch der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008 wuchs die Wirtschaft jährlich gerade noch um ein Prozent. Die Weltwirtschaft aber wächst, angetrieben von Brasilien, Russland, Indien, China sowie einem großen Teil Asiens. Trotz des lahmenden europäischen Schwergewichts wächst sie seit Mitte des letzten Jahrzehnts sogar mit mehr als fünf Prozent. Europa wird wirtschaftlich abgehängt und trotz seiner Größe immer unbedeutender. Die Arbeitslosigkeit in der Eurozone erreicht inzwischen mit 10,4 Prozent absolute Spitzenwerte im internationalen Vergleich.

Der Euro hat wesentlich dazu beigetragen, die schon Mitte der neunziger Jahre eklatanten Schwächen Europas im internationalen Wettbewerb zu kaschieren. Europa konnte sich durchwursteln und ist nun mit einer noch schwierigeren Situation konfrontiert als noch vor zwei Jahrzehnten. Wesentlich hierfür waren die historisch einmalig niedrigen Kreditzinsen in den traditionellen „Weichwährungsländern“ und der damit einhergehende Kreditboom. Aufgrund der niedrigen Kreditzinsen konnten sich Privatpersonen, Unternehmen und auch die Staaten günstig verschulden. Das taten sie auch und bewirkten einen wirtschaftlichen Aufschwung, der in Spanien und Irland sogar in einem Bauboom mündete. Die gesamte Europeripherie profitierte von dieser kreditgetriebenen Expansion. Der Aufschwung reduzierte die Arbeitslosigkeit, die Staatseinnahmen wuchsen und infolge der drastisch gesunkenen Zinsen ging die Zinslast staatlicher Schulden zurück. Die Achillesferse dieses auf Pump finanzierten Konsums waren die niedrigen Unternehmensinvestitionen. Die Arbeitsproduktivität verbesserte sich infolgedessen kaum. Trotzdem stiegen, bedingt durch den Rückgang der Arbeitslosigkeit, die Löhne. Die Wettbewerbsfähigkeit ging drastisch zurück mit der Folge, dass diese Länder nun in der Euro-Falle sitzen.

Der kranke Mann Deutschland (noch) in der Komfortzone

Deutschland ist gewissermaßen das Spiegelbild dieser Entwicklung. Aber auch hierzulande hat der Euro dabei geholfen, die wirtschaftlichen Probleme zu verschleiern. Während die Europeripherie einen kreditgetriebenen Aufschwung erlebte, durchlitt Deutschland zwei Jahrzehnte eines harten wirtschaftlichen und sozialen Anpassungsprozesses mit hoher Arbeitslosigkeit. Diese lag Mitte der Neunziger und auch Mitte des letzten Jahrzehnts bei mehr als 12 Prozent. Deutschland galt in dieser Zeit als der „kranke Mann Europas“ und entwickelte sich vom traditionellen Einwanderungsland sogar zu einem Auswanderungsland. Die Reallöhne stagnierten in den letzen beiden Jahrzehnten und die Nettoinvestitionsquote, also die über die Abschreibungen hinausgehenden Investitionen im Verhältnis zum Bruttoinlandsproduktes (BIP), war bis Mitte des letzen Jahrzehnts rückläufig. Infolge der Investitionsschwäche floss das Kapital in die Finanzmärkte und sorgte dort für Wachstum. Die deutsche Wirtschaft befand sich in dieser Zeit aber trotzdem gewissermaßen in einer „Komfort-Zone“. Auch die USA und Großbritannien versuchten seit der Jahrtausendwende das Schwächeln ihrer Wirtschaften mittels Kreditexpansion zu überwinden. Dort wie auch in der Euro-Peripherie verursachte dies einen Anschub des Konsums und der Bauwirtschaft. Deutschlands Wirtschaft kam diese Entwicklung zugute, da sie zumindest den Zusammenbruch der Exportmärkte verhinderte. Zusätzlich vermied die Einbindung Deutschlands in die Eurozone eine historisch starke Aufwertung der eigenen Währung. Im Verbund mit europäischen Ländern, deren industrielle Basis teilweise wesentlich schwächer ist und denen es daher nur schwer gelingt, die Arbeitsproduktivität im gleichen Maß zu verbessern, blieb die Aufwertung hinter dem früher üblichen Ausmaß zurück. Deutsche Waren und Dienstleistungen wurden dadurch im Welthandel relativ günstiger. Zudem erreichte Deutschland durch Lohndruck einen relativen Wettbewerbsvorteil gegenüber allen Ländern in der Eurozone, die in dieser Zeit Lohnsteigerungen erreichten.

Kreditgetriebenes Miniwachstum ohne Substanz

So hat der Euro die Basis für das kreditgetriebene Wachstum in Europa gelegt. Trotz dieser Finanzspritzen ist die europäische Wirtschaft aber nur langsam gewachsen. Zudem hat sich das Wachstum auf die volkswirtschaftlich immer bedeutendere Finanzwirtschaft verlagert. Die europäische Industrie hingegen hat weder ihre Investitionen noch ihre Forschungsaufwendungen steigern können. So liegen die gesamten gesellschaftlichen Aufwendungen für Forschung und Entwicklung in der EU seit zehn Jahren bei knapp zwei Prozent des BIP, obwohl es das erklärte Ziel der EU war, diese auf mindestens drei Prozent zu steigern. Auch bei den Investitionen sieht es nicht besser aus. Die Nettoanlageinvestitionen des privaten Sektors stagnierten seit 2000 bei etwa sechs Prozent des BIP und sind seit 2007 abgestürzt.

Europa blieb aber trotz einer schlaffen wirtschaftlichen Entwicklung von einer harten Rezession verschont. Die gesamte Wirtschaft – insbesondere aber die Industrie – konnte auf diesem Weg eine Restrukturierung vermeiden. Diese hätte bedeutet, dass unproduktivere Wettbewerber ausgeschieden wären und sich den verbliebenen Unternehmen attraktivere Investitionsmöglichkeiten erschlossen hätten. Mit dem Ausbleiben einer heftigen Rezession in den letzten Jahrzehnten konnte aber auch die Politik immer wieder zur Tagesordnung übergehen, ohne die fundamentalen Probleme Europas angehen zu müssen. Andernfalls hätte man sich mit der Tatsache auseinandersetzen müssen, dass Europa kaum mehr wirtschaftlich wächst, dieses Wachstum vor allem in der Finanzwirtschaft stattfindet und billiger Kredit dessen Grundlage bildet.

Diese Fragen wurden durch den Ausbruch der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008 und nun auch durch die Krise der Eurozone akut. Allerdings bedient man sich nun erneut der gleichen Hebel, die auch in den letzten Jahrzenten dazu geeignet waren, die Probleme der europäischen Wirtschaft zu kaschieren. Eine Restrukturierung ineffizienter Strukturen, sei es im gewerblichen Bereich, der Finanzwirtschaft oder bei den Staaten, wird auch jetzt wieder unter allen Umständen vermieden. Die Euro-Rettung zielt darauf ab, diese Strukturen zu erhalten. Auf einer neuen Stufe der Kreditausweitung werden für die Staaten Rettungsschirme gebaut, die nicht nur die Restrukturierung ihrer Schulden vermeiden. Die Rettung bewirkt auch, dass die Strukturen des Finanzsystems, das in den letzen Jahrzehnten immer mehr zu einem Profiteur der stagnierenden Wirtschaft geworden ist, ebenfalls erhalten bleiben. Die nun erfolgte Flutung der Eurozone mit mehr als 1000 Milliarden Euro zinsgünstigem Zentralbankkredit ermöglicht es den Banken sogar, sich auf Kosten der Steuerzahler zu rekapitalisieren. Sie erhalten Kredite zu einem Prozent, kaufen Staatsanleihen, die deutlich höher rentieren und beleihen diese wieder, so dass sie die Zinsdifferenz einstreichen können. Auch die Unternehmen erhalten durch die günstige Kreditversorgung und die Stabilisierung der Nachfrage eine weitere Atempause.

Die politisch einfachere Alternative ist selbstverständlich der gegenwärtig eingeschlagene Weg. Er vermeidet harte Einschnitte und suggeriert, dass nichts grundlegend in Frage gestellt werden muss. Mit immer neuen Rettungsschirmen und „dicken Bertas“ werden die zugrundeliegenden Probleme wegretuschiert. Im Falle Griechenland werden Strukturen konserviert, die sich als unhaltbar erwiesen haben. Das behindert die dringende wirtschaftliche Umstrukturierung der griechischen Wirtschaft und blockiert deren Gesundung. Daher droht Griechenland mit seiner Wirtschaft langfristig am Kredithahn der Euro-Retter zu hängen. Dieses Schicksal droht aber nicht nur der griechischen Wirtschaft. Die Kreditausweitung in der Eurozone dehnt die Kreditlinien der Staaten, des Finanzsystems und der Wirtschaft immer weiter, verhindert eine notwendige Bereinigung und Restrukturierung und vereitelt somit dringend notwendige Investitionen und wirtschaftliches Wachstum.

Die kulturellen Grenzen des Wachstums in Europa

Die Hürden für ein gesundes wirtschaftliches Wachstum, das auf Investitionen in neue Technologien und verstärkter Forschung und Entwicklung basiert, sind in Europa indessen immer höher geworden. Dies zeigt sich sehr deutlich in Deutschland, das in vielerlei Hinsicht noch über exzellente Voraussetzungen wie ausgebildete Fachkräfte und eine industrielle Basis verfügt, um die Deutschland gerade in der Krise oft beneidet wird. Trotzdem werden Investitionen und damit auch wirtschaftliches Wachstum, das für ganz Europa wichtige Impulse geben könnte, so erheblich behindert, dass die Nettoinvestitionsquote der deutschen Wirtschaft seit Jahrzehnten kontinuierlich sinkt.

Kulturelle Veränderungen der letzten Jahrzehnte spielen hierbei eine wesentliche Rolle. So stößt wirtschaftliches Wachstum aufgrund der damit einhergehenden Zunahme des Ressourcenverbrauchs auf immer mehr Vorbehalte und sogar offene Ablehnung. Die politischen Leitlinien für ein nachhaltiges Wirtschaften liegen primär in der Ressourceneffizienz und nicht mehr in der Steigerung der Arbeitsproduktivität. Insofern werden Investitionen und Forschungsaufwendungen hinsichtlich des zukünftigen Ressourcenverbrauchs politisch in gut und schlecht differenziert. Vielleicht ist das ein wichtiger Grund dafür, warum die Forschungsförderung in Deutschland noch immer nicht einfach durch Steuergutschriften erfolgt, sondern diese ausschließlich an staatlich definierte Bedingungen geknüpft wird, die selbstverständlich auch auf kulturellen Werten beruhen. Entscheidend ist aber, dass die Ausrichtung der Wirtschaft auf Ressourceneffizienz, wie etwa die Fokussierung auf die Ökoenergien, die Arbeitsproduktivität in der Energiegewinnung sogar vermindert und neben hohen Kosten einen großen wirtschaftlichen Schaden verursacht, da die Wettbewerbsfähigkeit auf lange Sicht vermindert wird.

Eine weitere kulturelle Barriere zur Überwindung der Investitionsschwäche liegt in der zunehmenden Unfähigkeit der Politik, zu kontroversen gesellschaftlichen Fragen mit der Öffentlichkeit in einen konstruktiven Diskurs treten zu können. Sie orientiert sich daher an Meinungsumfragen, gut organisierten Verbänden, Initiativen und zunehmend an „Wutbürgern“. Die wirtschaftlichen Auswirkungen sind verheerend, denn Großinvestitionen stellen in Deutschland aufgrund der Wankelmütigkeit der Politik ein so enormes Risiko dar, das kaum ein Investor einzugehen bereit ist.

Infrastrukturprojekte, wie etwa Stuttgart 21 oder vielleicht auch die neue Landebahn des Frankfurter Flughafens werden so aufgrund der Ablehnung von Parteien, die diese zuvor getragen haben, zu Milliardengräbern oder zu milliardenschweren Investitionsruinen. Dies führt zu einer systematischen Schädigung der Investitionsbereitschaft und der Wettbewerbsfähigkeit, da Investitionen unterbleiben, die die wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit verbessern könnten. Die „Energiewende“ der Bundeskanzlerin resultiert ebenfalls daraus, dass der Politik die Fähigkeit abhanden gekommen ist, schwierige Diskussionen über kontroverse gesellschaftliche Fragen mit offenem Visier anzugehen.
Die wirtschaftlichen Folgen der Entscheidung, in Deutschland nun ausschließlich auf Ökoenergien zu setzen, ohne die erforderliche Infrastruktur zur Stromübertragung zu bieten, führen zu einer erheblichen wirtschaftlichen Belastung der Unternehmen und schwächen deren Investitionsbereitschaft. Ähnliches lässt sich auch bei anderen gesellschaftlich kontrovers diskutierten Fragen erkennen. So ist die Entscheidung der BASF, die Forschung für grüne Gentechnik von Deutschland in die USA zu verlagern und keine neuen Projekte in Europa zu verfolgen, letztlich die Folge eines Kultur- und Bewusstseinswandels, der u.a. von Lobbyorganisationen und NGOs vehement vorangetrieben und die Biotechnologie als eine unzumutbare „Risikotechnologie“ gebrandmarkt hat. Die Politik passt sich diesem gesellschaftlichen Klima an, blockiert die Nutzung dieser Technologien und sieht sich kaum mehr in der Lage, eine rationale Diskussion über diese emotional aufgeladenen Themen zu führen.

Zugegeben: Es ist eine Herkulesaufgabe und auch nicht über Nacht möglich, die Ursachen für die in Jahrzehnten aufgetürmten Wachstumsprobleme Europas zu lösen. Zudem wird eine Gesundung der europäischen Wirtschaft nicht ohne eine schmerzhafte Bereinigung und Restrukturierung der produktiven Basis, des Finanzsystems und letztlich sogar ganzer Staaten möglich sein. Im Falle Griechenlands wäre eine kontrollierte Restrukturierung mit Unterstützung der EU denkbar. Auch muss die Frage der Investitionsschwäche in Europa endlich auf die Tagesordnung gesetzt werden. Aber stattdessen ertönt nun von Seiten der Politik immer lauter der Ruf nach „Wachstum“. Erfahrungsgemäß ist damit aber leider genau nicht das Wachstum gemeint, das wir unbedingt brauchen, um aus der Krise wieder rauszukommen, sondern etwas anderes, nämlich: immer neue Konjunkturspritzen, die lediglich darauf abzielen, den Konsum künstlich anzufeuern. Die zugrundeliegenden Probleme bei der Produktion von neuem Wohlstand werden so weiterhin ausgeblendet und mit immer neuen Krediten übertüncht. Das Tragische dabei ist, dass es keine gesellschaftliche Kraft gibt, die sich dieser Problematik stellt. Es ist offenbar noch immer Konsens zu glauben, mit immer mehr billigem Geld die Probleme beherrschen zu können. Tatsächlich wird aber gerade dadurch die produktive, wohlstandsschaffende Basis Europas immer weiter geschwächt. Eine Abwärtsspirale aus wirtschaftlicher Schwindsüchtigkeit und weiterer Kreditexpansion könnte die Folge sein. Die Euro-Rettung wird diesen Trend noch verstärken.

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