01.04.2001

Spielend arbeiten: Der Verlierer räumt ein

Kommentar von James Woudhuysen

James Woudhuysen hält wenig von der neuen Capuccino-Kultur in Unternehmen. Die Arbeitsstätte als Freizeitparadies weckt mehr als nur falsche Erwartungen.

In der Commerzbank-Zentrale in Frankfurt verbringen 2300 Mitarbeiter die Mittagspause neben Kunden, Passanten und Touristen im gigantischen, in Holz und Glas gestylten Edelrestaurant im Parterre des von neun Gärten lichtdurchfluteten Bankhochhauses.

Auch beim Versicherer LVA in Lübeck steht die Gastronomie hoch im Kurs. Dessen Beschäftigte will ein bewusst chaotisch anmutender Lobbybereich zu ungezwungener Kommunikation und dem Besuch des sich anschließenden Restaurants verleiten. In “Sonnenflecken” an allen Ecken und Enden des für DM 156 Mio. errichteten neuen LVA-Quartiers dürfen Mitarbeiter ihren Tee und Kaffee in eleganten Cafés bereiten. Englische Lifestyle-Analysten beschreiben diese Errungenschaften als “Integration von Arbeit und Freizeit” zum Wohle der “Gemeinschaft” am Arbeitsplatz.[1]

Für Deutschlands behäbige Finanzinstitute ist dieser generöse Stil noch etwas ungewohnt. Im Jahre 1959 erfand Walter Schnelle in Quickborn bei Hamburg die Bürolandschaft: Zellenartige Büros wurden durch offene Großräume mit Schreibtischgruppen, beweglichen Trennwänden, Pflanzen und Sitzecken ersetzt. Das Konzept wurde zunächst bei Bertelsmann in Gütersloh eingeführt und war Ausgangspunkt einer Art Industrialisierung des Dienstleistungssektors. Was wir heute erleben, ist etwas Anderes: Nun wird das Büro zum Erlebnisraum und Freizeitparadies, und die Arbeit wird zum Spiel.

Was ist geschehen? Die berühmte These des Unternehmensberaters McKinsey, die Unternehmer befänden sich in einem “Krieg um Talente”, hat inzwischen breite Resonanz gefunden.[2] Personalagenturen trichtern ihren Kunden ein, dass sich qualifiziertes Personal vor allem im IT-Sektor heute nur noch mit Cappuccinokultur und Massage am Arbeitsplatz ködern lässt.

Metaphern aus der Welt des Spiels haben sich der Wirtschaftssprache bemächtigt. Wir entwerfen “game plans”, bewegen uns auf der Überholspur, spielen mit harten Bällen und sind vor allem immer Teamplayer. Auf Wochenendseminaren wird uns beigebracht, worauf es bei der Arbeit ankommt: Spaß haben ist Pflicht.

“Das Spielen gehört in den Bereich der Konsumtion, nicht der Innovation.”

Das Spiel gilt als besonders wirksame Belohung für anspruchsvolle Mitarbeiter. Psychologen haben entdeckt, dass Spielen nicht nur entspannt und erfreut, sondern auch sehr ernst, spannungsreich und konzentrationsfördernd sein kann. Im Spiel entstehen bestimmte Formen sozialen Zusammenhalts auf Grundlage anerkannter Regeln und der endlichen Grenzen von Raum und Zeit. Manchmal geht es im Spiel um Mythen und Riten, manchmal um die Neuordnung bestehender Elemente in ästhetisch ansprechenderer Form.[3]Zweifellos arbeitet es sich besser, wenn die Arbeit auch Spaß macht. Aber die neue Doktrin, dass Arbeit unterhaltsam und dekorativ zu sein habe, wird die Innovationsfreude, die mit solchen Mitteln angeregt werden soll, eher untergraben. Warum? Das Spielen gehört in den Bereich der Konsumtion, nicht der Innovation. Da geht es nicht um Erkenntnisgewinn oder neue Fertigkeiten, sondern um Zufall, Illusion, Phantasie und Schein. Im Spiel stellt man sich dar, um Anerkennung zu erlangen und signalisiert Charakterstärke durch Gleichmut auch in der Niederlage.

Im Spiel bewegt man sich, anders als in der Wirtschaft, in einer selbstbezüglichen, von der Außenwelt abgeschotteten Sphäre der Gefühle, Symbole und Bilder. Ganz absichtlich und mit Lustgewinn werden im Spiel Wirklichkeit und Rationalität außer Kraft gesetzt.Daher ist es widersinnig, die Arbeitswelt in eine Spielwiese verwandeln zu wollen. Hierdurch lassen sich bestenfalls vorübergehend Identifikation mit dem Job, Produktivität und Innovationsfreude anregen. Die regelinduzierte Disziplin im Spiel hat mit den Anforderungen der Arbeitswelt wenig zu tun, denn das Spiel ist ein freiwillig ausgeübter Zeitvertreib. Deshalb dreht den meisten von uns die NS-Parole “Arbeit macht frei” schließlich auch heute noch den Magen um.

Der amerikanische Management-Guru Jeremy Rifkin preist die “Theatralisierung des Wirtschaftslebens” und erklärt in seinem neuesten Werk, Kultur sei ganz allgemein Spiel.[4]Aber die Gleichsetzung von Spiel und Arbeit weckt nicht nur falsche Erwartungen: Sie unterstellt, Erwachsene im Arbeitsleben sollten genauso handeln und behandelt werden wie Schulkinder. Auch Gary Hamel, an sich einer der vernünftigeren Unternehmensberater, glaubt, um kreativ zu arbeiten, solle man “so tun, als sei man wieder ein Kind – mit einem großen Legokasten”[5].Ob das klappt, ist mehr als zweifelhaft, denn Kindergärten sind zwar nett, aber nicht der Ort, an dem bahnbrechende Ideen und Projekte umgesetzt werden.

Auch deutsche Arbeitgeber sind heute bestrebt, an der Börse mit jugendlicher Modernität, Wirtschaftsethik und E-Commerce Eindruck zu machen und hoffen, mit spielerischen Methoden die anstrengenden Praktiken des Arbeitslebens der Nachkriegsära hinter sich zu lassen. Architekten und Designer verkaufen aufstrebenden Jungunternehmern verspieltes Bürodekor als optisches Kennzeichen von Reife und müheloser Wertschöpfung. Wie bei Plato erscheint in dieser idealen Welt der Mensch als Spielzeug der Götter, und um den Göttern zu gefallen, gilt es, das Leben als Spiel zu leben.

Doch gerade wer wirklich das freie, ungezwungene Spiel liebt, sollte darauf bestehen: Arbeit ist Arbeit, Kollegen sind Kollegen, und Restaurants sind für Freunde.

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