18.11.2022
Solar auf dem Acker
Wenn es um die Energiewende geht, ist der Flächenverbrauch offenbar nicht mehr von Belang.
Flächen sind knapp in Deutschland. Das Bundesumweltamt beklagt regelmäßig den zu hohen Flächenverbrauch und fordert, Böden und Landschaften zu erhalten: „Im Jahr 2017 wurde täglich eine Fläche von rund 58 Hektar neu ausgewiesen – meist zulasten der Landwirtschaft und fruchtbarer Böden. [...] Ökologisch wertvolle Flächen werden in Bauland und Standorte oder Trassen für Infrastrukturen wie Kläranlagen, Flugplätze, Straßen oder Bahnlinien umgewidmet. Negative Umweltfolgen sowie schädliche städtebauliche, ökonomische und soziale Auswirkungen sind unausweichlich.“ Das könne so nicht weitergehen. Die Bundesregierung habe „sich deshalb im Rahmen der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie zum Ziel gesetzt, bis zum Jahr 2030 die Neuinanspruchnahme von Flächen für Siedlungen und Verkehr auf unter 30 Hektar pro Tag zu verringern.“ Insgesamt seien die Inanspruchnahme immer neuer Flächen und die Zerstörung von Böden auf die Dauer nicht vertretbar und sollten beendet werden. Angesichts global begrenzter Landwirtschaftsflächen und fruchtbarer Böden sowie der wachsenden Weltbevölkerung sei der anhaltende Flächenverbrauch mit all seinen negativen Folgen unverantwortlich.
Auch das Landwirtschaftsministerium beklagt Flächenverluste: „Ohne Landwirtschaft kann die Ernährung der Weltbevölkerung nicht sichergestellt werden. Damit die Landwirtschaft diesen Auftrag erfüllen kann, ist sie auf eine ausreichende und verfügbare Ressource „Boden" angewiesen. Das Reduzieren von Flächenverlusten ist daher nicht nur aktiver Natur- und Umweltschutz. Es ist vielmehr Grundvoraussetzung für einen lebenswichtigen Teil der Wirtschaft.“ Daher sei es ein wichtiges Ziel des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft, „landwirtschaftliche Flächenverluste so weit wie möglich zu reduzieren. Idealerweise sollte die vorhandene landwirtschaftliche Fläche vollständig und nutzbar erhalten werden."
So weit, so dringend. Doch geht es um das liebste Kind der Energiewende, die Photovoltaik, so spielt der Flächenverbrauch schlagartig keine Rolle mehr. Das UBA sieht in der „Anpassung der Flächenkulisse für PV-Freiflächenanlagen" kein Problem und erkennt einen Bedarf, angesichts der Ausbauziele neben den im EEG bestehenden bereits geförderten Gebietskategorien in Zukunft verstärkt landwirtschaftliche Flächen in Anspruch zu nehmen. Flächen seien ausreichend vorhanden. Im Jahr 2030 könnten Freiflächenanlagen auf 0,5 bis 0,6 Prozent der landwirtschaftlich genutzten Fläche Deutschlands installiert sein.
„Geht es um das liebste Kind der Energiewende, die Photovoltaik, so spielt der Flächenverbrauch schlagartig keine Rolle mehr.“
Den Zielsetzungen des novellierten EEG 2023 („Osterpaket") zufolge soll die installierte PV-Leistung bis 2030 auf 215 GW und bis 2040 auf 400 GW ausgebaut werden. Dazu müssen pro Jahr bis 2030 durchschnittlich 22 Gigawatt neu installierter Leistung hinzukommen.
Der Ausbau der Photovoltaik auf der Freifläche soll hierzu einen deutlich größeren Anteil als bislang bei der Nutzung der Sonnenenergie haben. Künftig wird eine in etwa hälftige Aufteilung zwischen dem Zubau auf Dächern und Fassaden einerseits und den Freiflächen andererseits angestrebt.
Wie hoch ist der Flächenbedarf für die im „Osterpaket" festgelegten Ausbauziele?
Laut Energieagentur Rheinland-Pfalz beanspruchen PV-Freiflächenanlagen je nach Geländeprofl und Modul-Ausrichtung 0,7 bis 1,5 Hektar pro MW installierter Leistung.
Aktuelles Beispiel für eine geplante Freiflächenanlage: Der Solarpark Dettmannsdorf in Mecklenburg-Vorpommern mit einer Gesamtleistung von 130 Megawatt, der auf 150 Hektar Ackerland errichtet werden soll. Der spezifischer Flächenbedarf beträgt hier 1,15 ha/MW.
Große Solarparks kommen zum Teil auf bessere Werte. Der Solarpark Weesow-Willmersdorf des Stromversorgers EnBW benötigt bei einer Gesamtleistung von 187 Megawatt 164 Hektar Fläche, das sind 0,9 ha/MW.
Gehen wir für die Berechnung des Flächenbedarfs des bis 2030 geplanten Zubaus an Freiflächenphotovoltaik von einem Durchschnittswert von 1,1 ha/MW aus, so würden für den Zubau von 11 GW Freiflächenphotovoltaik im Jahr gut 12.000 Hektar Fläche benötigt, das sind 120 km2 (zum Vergleich: Die Fläche der Stadt Bremerhaven beträgt 101 km2). Pro Tag wären das 33 Hektar. (Wir erinnern uns an das Nachhaltigkeitsziel für die Flächeninanspruchnahme von insgesamt „unter 30 Hektar“!) Für den bis 2030 angestrebten Zubau von insgesamt 77 GW würden 8.400 Hektar Fläche benötigt, das sind 840 km2 (zum Vergleich: Die Fläche der Stadt Hamburg beträgt 755 km2).
Was bringt es?
Für neue Freiflächen-PV-Anlagen ist laut Fraunhofer ISE in Süddeutschland eine jährliche Stromerzeugung von 1.300 kWh pro Kilowatt installierter Leistung und in Norddeutschland von 900 kWh/kW möglich, das entspricht einem Jahresnutzungsgrad (berechnet als das Verhältnis der tatsächlichen Einspeisung zu einer konstanten Einspeisung mit maximal möglicher Leistung) von 14,8 bzw. 10,3 Prozent.
Der Solarpark Dettmannsdorf in Mecklenburg-Vorpommern zum Beispiel soll jährlich 140 GWh Strom liefern. Das sind 1075 kWh/kW und entspricht einem Jahresnutzungsgrad von 12,3 Prozent.
Die Übertragungsnetzbetreiber gehen in ihrem Trendszenario 2021 von Jahresnutzungsgraden je nach witterungsbedingter Sonneneinstrahlung zwischen 10,4 und 12,2 Prozent aus.
Rechnen wir auf Basis der optimistischen Annahme von 1070 kWh/kW, also einem Jahresnutzungsgrad von 12,2 Prozent aus, so würde die jährliche Einspeisung der zusätzlichen 78 GW Freiflächen-PV-Anlagen insgesamt rund 83,5 TWh betragen. Gut die gleiche Menge klimaneutralen Strom, nämlich 84,6 TWh (laut AGEB), erzeugten Im Jahr 2016 noch die damals in Deutschland in Betrieb befindlichen acht KKW mit einer Gesamtleistung von 10,8 GW.
Anders als Kernkraftwerke aber liefern Solaranlagen die meiste Zeit des Jahres keinen Strom, nämlich während der Nacht und an dunklen Wintertagen. In den anderen Zeiten variiert die PV- Stromproduktion mit der Sonneneinstrahlung. In der dunklen Jahreszeit erreicht die Leistung der PV-Anlagen nur einen Bruchteil ihrer Nennleistung und die Einspeisung kann über Wochen fast ganz ausbleiben. Da Stromspeicher in der benötigten Kapazität auf absehbare Zeit nicht zur Verfügung stehen, können PV-Anlagen somit keine fossilen und nukleare Kraftwerke ersetzen. Werden im Vollzug der Ausstiegspläne Kohle- oder Kernkraftwerke stillgelegt, so müssten zur Gewährleistung der Versorgungssicherheit neue regelbare Gaskraftwerke gebaut werden, die den Wegfall der gesicherten Leistung ersetzen (laut McKinsey bis 2030 jährlich mindestens zwei neue Kraftwerke). So hat zum Beispiel der Stromerzeuger RWE Generation neben dem Gelände des früheren KKW Biblis ein Gaskraftwerk, das ausschließlich als Netzstabilitätsanlage ausgelegt ist, d. h. nur auf Anforderung der Netzbetreiber zur Sicherung der Stromversorgung zum Einsatz kommt, etwa wenn Wind- und Solarstrom nicht zur Verfügung stehen. Ob angesichts der aktuellen Weltlage an diesem Gas-Backup-Szenario festgehalten werden kann, ist fraglich.
Durch den PV-Ausbau werden anderweitig keine Flächen für andere Nutzungen freigesetzt, vielmehr ist das Gegenteil der Fall. Während bislang konventionelle Großkraftwerke für die Netzstabilität sorgten, soll diese Aufgabe nun von großen Batterienspeichern übernommen werden. Laut einer Studie von Fraunhofer ISE werden für die Systemintegration der fluktuierenden Einspeisung von Solar- und Windstrom bis 2030 etwa 100 GWh Batteriespeicherkapazität benötigt. Diese ersetzen nicht die Backup-Kraftwerke, sondern dienen lediglich der Stabilisierung des Netzes, das durch kurzfristige Schwankungen bei Wind und Sonne belastet wird. (Sie würden nicht einmal reichen, um den deutschen Stromverbrauch für 2 Stunden zu decken.) Derzeit sind in Deutschland keine Großspeicher im Gigawattbereich realisiert. Sie müssen also zusätzlich errichtet werden. Und auch sie kosten nicht nur viel Geld, sondern brauchen auch Platz.
„Die Bundesregierung ist offenbar fest entschlossen, neben der flächendeckenden Verspargelung der Landschaft auch die Verspiegelung in riesigem Umfang voranzutreiben.“
Fraunhofer ISE schätzt den Platzbedarf für Batteriespeicher auf 5 ha/GWh. Das scheint recht optimistisch. Die von RWE geplanten Speicher an den Kraftwerksstandorten Neurath und Hamm werden eine Kapazität von 0,22 GWh haben und auf einer Fläche von 2,1 Hektar errichtet. Der spezifische Flächenbedarf dort ist somit 9,55 ha/GWh.
Für die benötigten 100 GWh Kapazität wären also mindestens 500 Hektar erforderlich. Hinzu kommen noch Flächen für die Umspanntechnik und Verkehrswege für die Wartung. Der naheliegende Vorschlag ist, die Batteriespeicher an den Standorten von ehemaligen fossilen oder nuklearen Kraftwerken zu errichten. Der Berechnung von Fraunhofer ISE zufolge könnte die Hälfte der 2030 benötigten Speicherkapazität auf den ehemaligen KKW Standorten platziert werden, nimmt man noch die Standorte der Steinkohle- und Braunkohlekraftwerke hinzu, reicht es für 65 Prozent. Bleiben noch 35 Prozent.
Ein großer Nachteil der erneuerbaren Energien ist neben der stark fluktuierenden Erzeugung und dem sehr hohen Materialbedarf der unvermeidlich große Flächenbedarf. Die Bundesregierung ist offenbar fest entschlossen, neben der flächendeckenden Verspargelung der Landschaft auch die Verspiegelung in riesigem Umfang voranzutreiben. Die Folgen sind nicht nur eine immer unzuverlässigere Energieversorgung, sondern auch weniger landwirtschaftliche Nutzfläche, höhere Pachtpreise und teurere Lebensmittel.