21.10.2022

Biodiversität und Landwirtschaft

Von Karl-Heinz Dehner

Titelbild

Foto: USDA via Flickr

Die Artenvielfalt verändert sich mit den Formen der Landnutzung. Ziel der modernen Landwirtschaft ist es, Nahrungsmittel zu produzieren, und nicht, die Artenzusammensetzung des Hochmittelalters wiederherzustellen.

Biodiversität ist ein vielschichtiger Begriff, der die Vielfalt und Variabilität allen Lebens auf der Erde umfasst, angefangen von der genetischen Ebene (die Vielfalt innerhalb einer bestimmten Art) bis hin zur Ebene der Arten und der Ökosysteme (die Vielfalt der Ökosysteme). Die Artenvielfalt bezieht sich in der Regel auf die Anzahl der in einem bestimmten Gebiet – oder in der Welt als Ganzes – vorkommenden Arten. In Deutschland zählen hierzu etwa 48.000 Tier-, 9500 Pflanzen- und 14.400 Pilzarten sowie eine Fülle von Mikroorganismen.

Analog zur „Klimakrise“ ist heute oft von einer „Biodiversitätskrise“ die Rede. Die EU-Kommission zeichnet ein düsteres Bild. Sie sieht 80 Prozent der europäischen Lebensräume in schlechtem Zustand und will in allen Ökosystemen „die Natur wiederherstellen". Die Menschen in Europa sollen dazu gebracht werden „im Einklang mit der Natur zu leben und produzieren". EU-Vizepräsident Frans Timmermans betont, dass wir auf die Natur angewiesen seien und dass „wenn wir die Natur wiederherstellen, sie weiterhin saubere Luft, sauberes Wasser und Lebensmittel hervorbringen [kann]".

Wir sind zwar abhängig von der Natur, doch es ist nicht die Natur, sondern die Landwirtschaft, die uns mit Lebensmitteln versorgt. Die Menschen haben seit der neolithischen Revolution die natürliche Vegetation bewusst in Nutzflächen umgewandelt, um eine ganz bestimmte Ökosystemleistung zu maximieren: die Nahrungsmittelproduktion. Ein Übermaß an biologischer Vielfalt steht dem Erfolg der Landwirtschaft im Wege. „Landwirtschaft ist der hartnäckige Versuch, der Natur etwas Essbares abzuringen. Je weiter sie sich dabei von der ‚reinen Natur’ entfernte, desto reichhaltiger, vielfältiger und gesünder wurden unsere Lebensmittel“, schreiben Dirk Maxeiner und Michael Miersch.1

„Wir sind zwar abhängig von der Natur, doch es ist nicht die Natur, sondern die Landwirtschaft, die uns mit Lebensmitteln versorgt."

Die moderne Landwirtschaft hat es geschafft, die Erträge derart zu steigern, dass sie eine auf inzwischen mehr als acht Milliarden Menschen gewachsene Weltbevölkerung allemal besser als in allen früheren Zeiten mit Nahrungsmitteln versorgen kann, und zwar dank einer Reihe von Techniken, mit denen die Erträge gesteigert und die gesundheitlichen und stofflichen Eigenschaften der für die Ernährung oder andere Zwecke bestimmten Kulturen verbessert werden konnten.

In Deutschland wird heute mehr als die Hälfte der Landesfläche landwirtschaftlich genutzt; davon rund 70 Prozent als Ackerland, 28 Prozent als Dauergrünland und der Rest für Dauerkulturen, wie Wein- und Obstbau.­

Historisch gewachsene Biodiversität

Entgegen der landläufigen Meinung sind bewirtschaftete Flächen nicht „arm" an Artenvielfalt. Das Gegenteil ist der Fall. Europäische Agrarlandschaften beherbergen die reichste Fauna hinsichtlich der Anzahl der Vogelarten, da fast 50 Prozent der europäischen Arten (d. h. mehr als 250 Arten) in Kulturlandschaften leben. In dieser Gruppe von Arten, die von landwirtschaftlichen Umgebungen abhängig sind, sind einige allerdings im starken Rückgang begriffen.  Der gegenwärtige Rückgang wird als Verlust gesehen. Arten, die von der Landbevölkerung als schädlich angesehen werden, finden bei der Stadtbevölkerung aus ethischen oder ästhetischen Gründen Verteidiger.

„Entgegen der landläufigen Meinung sind bewirtschaftete Flächen nicht ‚arm' an Artenvielfalt. Das Gegenteil ist der Fall."

Dieser Verlust an Biodiversität wird der intensiven Landwirtschaft mit hohem Düngemittel- und Pflanzenschutzmitteleinsatz zum Vorwurf gemacht. Dabei wird allerdings ausgeblendet, dass für viele Tier- und Pflanzenarten überhaupt erst durch die mehr als 7000 Jahre zurückreichende landwirtschaftliche Nutzung die Bedingungen geschaffen wurden, sich in Deutschland anzusiedeln sowie ihr Verbreitungsgebiet auszuweiten.

Es erscheint paradox, dass die biologische Vielfalt, die wir in Deutschland und Europa schützen wollen, nicht ursprünglich ist, sondern sich vor allem menschlichen Aktivitäten verdankt. Viele der Arten, deren Rückgang jetzt beklagt wird, verdanken ihr Vorkommen historischen Formen der Landwirtschaft, die in jüngster Zeit durch ertragreichere Arten der Bewirtschaftung verdrängt worden sind.

Nach dem Ende der letzten Eiszeit breiteten sich in Mitteleuropa mit dem allmählich wärmer und feuchter werdenden Klima einander ablösende Waldformen aus. Um 6000 v.u.Z., als in Mitteleuropa ein feuchtmildes Klima herrschte und die durchschnittlichen Sommertemperaturen rund 1,5 bis 2 Grad höher waren als im 20. Jahrhundert, war Mitteleuropa zum weitaus größten Teil von stabilen sommergrünen Mischwäldern bedeckt.2

Zu dieser Zeit lebten in Europa Kleingruppen mittelsteinzeitlicher nomadischer Jäger und Sammler. Der Übergang vom Jäger- und Sammlertum zu einer seßhaften Lebensweise mit Ackerbau und Tierhaltung begann im Vorderen Orient vor gut 11.000 Jahren. Von dort verbreitete sich die Ackerbaukultur ab ca. 5500 v.u.Z. mit der Einwanderung der Linienbandkeramiker aus Kleinasien und Südosteuropa nach Mittel- und Westeuropa.

Die ersten jungsteinzeitlichen Bauern haben Ackerbau in Form der Feldgraswirtschaft betrieben, wobei die durch Rodung des Waldes geschaffenen Ackerflächen nur wenige Jahre bestellt und dann zu langjähriger Brachweide aufgelassen wurden, bevor sie der Wald zurückeroberte.3 Bis zur Völkerwanderungszeit hatte in weiten Gebieten Mitteleuropas die Viehwirtschaft vorrangige Bedeutung. Noch bis zur Neuzeit wurden die verbliebenen Waldbestände für die Viehwirtschaft als Laubheulieferant, Mastproduzent und Weidefläche genutzt. Waldweide, Mastnutzung, Laubheugewinnung und Streunutzung haben über Jahrhunderte den verbliebenen mitteleuropäischen Waldbestand geprägt.2

Die Feldgraswirtschaft mit dem Wechsel von Getreideanbau und langen Brachestadien wurde seit der Zeit der Karolinger durch die Dreifelderwirtschaft ersetzt. In diesem Landbausystem lösten sich Wintergetreide, Sommergetreide und Brachland in dreijähriger Folge ab. Ein Jahrtausend lang wurde die europäische Landwirtschaft durch die extensive Bewirtschaftungsform der Dreifelderwirtschaft bestimmt.3 Der Acker wurde dabei ausschließlich zum Anbau von Getreidearten verwendet und diente somit überwiegend zur Erzeugung von Nahrungsmitteln für den Menschen. Zur Ernährung des Viehs wurde neben den Grünlandflächen auch der Wald genutzt.

Die Ausweitung der landwirtschaftlichen Nutzung führte immer mehr zum Rückgang der großflächigen Wälder und zu einer Anreicherung der Landschaft mit kleingliedrigen Strukturen aus Wiesen und Feldern, sowie einer Vielzahl von Wäldern, Gehölzgruppen und Hecken und ermöglichte es vielen Offenlandarten einzuwandern sowie von Naturstandorten in die Kulturlandschaft zu wechseln.

Feldvögel zum Beispiel sind Arten der offenen und halboffenen Lebensräume, die die entstandene und sich wandelnde Kulturlandschaft besiedeln konnten. Ursprüngliche Lebensräume für Arten wie Kiebitz und Wiesenschafstelze waren vor allem ausgedehnte Niedermoore und Flussauen. Rebhuhn und Feldlerche, aber auch der Feldhase sowie viele Ackerwildkräuter stammen ursprünglich aus steppenartigen Lebensräumen.

Ein Höchstmaß an Vielfältigkeit dürfte die Vegetation und mit ihr der faunistische Artenreichtum zu Beginn des Hochmittelalters erreicht haben.4 Nur ein kleiner Teil der auf den Äckern siedelnden Pflanzen war schon vor Beginn des Ackerbaus in Mitteleuropa heimisch. Der damals entstandene Reichtum an Biodiversität ist es, der sich heute in den Roten Listen der gefährdeten Arten wiederfindet.

Die Dreifelderwirtschaft mit ihrem Wechsel Wintergetreide – Sommergetreide – Brache blieb bis ins 18. Jahrhundert die vorherrschende Wirtschaftsform. In der Fruchtfolge dominierte Getreide, da es in Form von Brot oder Brei Hauptbestandteil der menschlichen Ernährung war. Die Getreideerträge können deshalb als Indikator für die Produktivität der neuzeitlichen Landwirtschaft dienen. Agrarhistorikern zufolge dürften die Bauern in Deutschland um 1800 im Mittel Erträge von 10 dt Weizen, 9 dt Roggen und 8 dt Gerste je Hektar erzielt haben.5 Für die meisten Bauern waren die Überschüsse aus der eigenen Produktion, die nicht für Eigenbedarf und Pacht benötigt wurden, zu gering, um auf den lokalen Märkten größere Einnahmen zu erzielen. Überwiegend war Landwirtschaft reine Subsistenzwirtschaft.

Übergang zur modernen Landwirtschaft

Seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts wurde unter dem Einfluss der Aufklärung der Feldbau zunehmend intensiviert. Man ging über zur verbesserten Dreifelderwirtschaft, bei der auf den besseren Böden die Brache durch den Anbau von Hackfrüchten und Futterpflanzen ersetzt wurde. Der Anbau von Futterfrüchten ermöglichte die Stallhaltung und führte zur Aufgabe des Viehtriebs und der Waldweide. Dadurch fiel wiederum mehr natürlicher Dünger an, der für die vermehrte Beanspruchung der Böden benötigt wurde. Schließlich wurden seit Beginn des 19. Jahrhunderts die althergebrachten Feldsysteme durch die Fruchtwechselwirtschaft abgelöst, bei der Halmfrüchte (Getreide) und Blattfrüchte (einerseits Hackfrüchte wie Kartoffeln, Zuckerrüben oder Ölpflanzen, anderseits Futtergräser) auf derselben Fläche in regelmäßigem Wechsel angebaut werden.6 Der Wegfall der Brache vollendete die Trennung von Grünland und Ackerflächen, die schon zur Zeit der Dreifelderwirtschaft eingeleitet worden war.

Bessere Arbeitsgeräte zur Bodenbearbeitung und Techniken zur Saatgutreinigung ermöglichten es den Landwirten, die Kulturpflanzen besser vor der Konkurrenz durch unerwünschte Wildkräuter zu schützen.

Die Fortschritte in der Landwirtschaft vom Mittelalter bis in die Neuzeit hatten noch keine gravierenden Folgen für den Artenreichtum.  Auch die Fruchtwechselwirtschaft des 19. Jahrhunderts, die gebietsweise bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts praktiziert wurde, bot vielerorts günstige Bedingungen für eine artenreiche Flora und Fauna.

Die überwiegende Zahl der Pflanzen- und Tierarten Deutschlands hat somit ihren Platz in der Kulturlandschaft gefunden. Einer Literaturstudie7 zufolge nutzen etwa 2/3 bis 3/4 der über 2500 bewerteten Arten landwirtschaftliche Nutzflächen oder von der Nutzung beeinflusste Flächen (Ruderalstandorte, Säume) als Lebensraum. Die Anteile dieser Arten an der Gesamtartenzahl belaufen sich auf rund 60 Prozent bei Vögeln und Großschmetterlingen, 75 Prozent bei Wildbienen, 80 Prozent bei Säugern und 90 Prozent bei Amphibien und Heuschrecken. Insbesondere tagfliegende Schmetterlinge, Wildbienen und Schwebfliegen sind in Mitteleuropa im hohen Maße auf landwirtschaftlich genutzte Lebensräume angewiesen. Fast ein Viertel aller Wildbienenarten sind ausschließlich in Kulturlandschaftslebensräumen anzutreffen.

Intensivierung durch synthetische Düngung

Das Wachstum der Bevölkerung in Mitteleuropa im späten 18. Jahrhundert führte zu einem Anstieg der Nahrungsmittelpreise und hielt sie bis über die Mitte des 19. Jahrhunderts hinaus auf hohem Niveau. Die steigenden Getreidepreise veranlassten viele Bauern zu einer verstärkten Belieferung der Märkte und zum Versuch, die Anbauflächen auszuweiten und die Erträge durch vermehrte Düngung zu steigern. Das führte im Verlauf des 18. Jahrhunderts zu einer Ausweitung der Ackerfläche auf Kosten der Wiesen und Weiden und, aufgrund von Düngermangel, zu einer Aushagerung der ohnedies dürftigen Weiden und Hutewälder.

Mit der Fruchtwechselwirtschaft konnten zwar höhere Erträge erzielt werden, als das mit der Dreifelderwirtschaft im ausgehenden 18. Jahrhundert möglich war, doch Brache, Fruchtwechsel und Stalldünger reichen nicht aus, um die Nährstoffverluste auszugleichen, die die Ausfuhr landwirtschaftlicher Produkte aus dem Agrarökosystem zur Folge hatten.

Mitte des 19. Jahrhunderts lieferten Karl Sprengel und Justus von Liebig mit ihren Arbeiten zur Pflanzenernährung die wissenschaftliche Basis für die mineralische Düngung, die es den Landwirten ermöglichte, die Nähstoffverluste durch Zufuhr nicht-organischer Substanzen auszugleichen.

Pflanzen benötigen für ihr Wachstum Nährstoffe. Die Hauptnährelemente sind Stickstoff, Phosphor, Kalium, Schwefel, Calcium und Magnesium. Der Bedarf des in Europa bis zum 19. Jahrhundert als Minimumfaktor geltenden Phosphors wurde zunächst mit Knochenmehl und später durch die Nutzung der bei der Stahlerzeugung anfallenden Schlacke (Thomasmehl) gedeckt. Als mineralischer Stickstoffdünger wurde bis Anfang des 20. Jahrhunderts überwiegend Chile-Salpeter (Reste von abgelagertem Vogelkot, dessen organische Anteile verwittert sind) eingesetzt. Die katalytische Ammoniak-Synthese von Fritz Haber und das von Carl Bosch entwickelte Verfahren zur großtechnischen Herstellung von Ammoniak bildeten dann die Voraussetzungen für die industrielle Produktion von synthetischem Stickstoffdünger.

Allerdings setzte sich die intensive mineralische Düngung nur langsam durch. Bis weit ins 20. Jahrhundert hinein basierte die Nährstoffzufuhr in der Landwirtschaft zum größten Teil auf dem, was wir heute Wirtschaftsdünger nennen. Der Stallmist war dabei die mit Abstand wichtigste Form des Wirtschaftsdüngers. Entsprechend gering blieben die Steigerungen der Erträge, die um 1900 bei Getreide bei etwa 16 dt/ha pro Jahr und 1950 bei 23 dt/ha lagen.5

Der flächendeckende Einsatz des Mineraldüngers setzte erst ab der Mitte des letzten Jahrhunderts ein. Er machte es möglich, die Produktion im Ackerbau und im Grünland um ein Vielfaches zu steigern. So lag der durchschnittliche Weizenertrag im Jahre 1950 bei etwa 25 Dezitonnen/ha, in den letzten zehn Jahren meist über 75 Dezitonnen. Die Kehrseite dieser notwendigen Produktionssteigerung: Die intensive Düngung hatte einen Rückgang nährstoffarmer Standorte und der auf sie angewiesenen Arten zur Folge.

Effiziente Nahrungsmittelproduktion

Gleichzeitig wurden auch effektive neue Methoden des Pflanzenschutzes entwickelt. Seit den Anfängen der Landwirtschaft vor etwa 10.000 Jahren mussten die Landwirte darum kämpfen, dass ihre Ernte nicht schädlichen Organismen - tierischen Schädlingen, Pflanzenpathogenen und Unkräutern (d. h. konkurrierenden Pflanzen) - zum Opfer fiel. Mit der Bodenbearbeitung haben die Landwirte seit jeher versucht, die mit den Kulturpflanzen konkurrierende Ackerwildflora zu beseitigen. Mit dem Einsatz chemischer Pflanzenschutzmittel zur Bekämpfung von Unkräutern und zur Abwehr von Schädlingen und Krankheiten gelang es immer besser, die Ertragsverluste zu verringern. Entsprechend zeigen vegetationskundliche Wiederholungsaufnahmen einen Rückgang der Wildkrautdeckung von etwa 40 Prozent in den 1950/60er-Jahren auf heute weniger als 4 Prozent.

Doch heute ist es verpönt, von „Schädlingen" oder „Unkräutern" zu sprechen. Diese Begriffe stammen aus der Landwirtschaft, die sich mit Wildarten auseinandersetzen musste, die die Ernten zerstörten. In den Schulbüchern des frühen 20. Jahrhunderts wurden Organismen von vornherein als „schädlich" und „nützlich" eingestuft, weil das Überleben der bäuerlichen Welt von ihnen abhing.

Nach einer grundlegenden Schätzung8 wurden in den Jahren 2001-2003 weltweit durch Pflanzenschutzmaßnahmen die ansonsten aufgetretenen Verluste von fast 50 Prozent der erreichbaren Weizenernte (davon durch Unkraut 23 Prozent, tierische Schädlinge 9 Prozent, Krankheitserreger 19 Prozent) auf Verluste von rund 28 Prozent (davon durch Unkraut 8 Prozent, tierische Schädlinge 8 Prozent, Krankheitserreger 12 Prozent) begrenzt. Pflanzenschutzmaßnahmen haben also weltweit 22 Prozent der erreichbaren Weizenproduktion vor dem Verlust bewahrt.

Bei Kartoffeln wären ohne Pflanzenschutz weltweit fast 75 Prozent der erreichbaren Kartoffelproduktion verloren gegangen (davon durch Unkräuter 30 Prozent, tierische Schädlinge 15 Prozent, Krankheitserreger 29 Prozent). Die tatsächlich erlittenen Verluste beliefen sich auf 40 Prozent der erreichbaren Ernte (davon durch Unkraut 8 Prozent, tierische Schädlinge 11 Prozent, Krankheitserreger 21 Prozent). Pflanzenschutzmaßnahmen haben also verhindern können, dass weltweit fast 35 Prozent der erreichbaren Kartoffelproduktion Schädlingen zum Opfer fielen.

Green Deal: Rückbau der Landwirtschaft

Heute ist der Wandel in der Landwirtschaft, der zunächst von den Regierungen in Europa stark gefördert wurde, unter Beschuss geraten und wird als umweltschädlich angeprangert. Der Landwirt wird in den Augen der Öffentlichkeit als ein Naturfeind gesehen, der Praktiken und Techniken anwendet, die die biologische Vielfalt zerstören.

„Der Landwirt wird in den Augen der Öffentlichkeit als ein Naturfeind gesehen, der Praktiken und Techniken anwendet, die die biologische Vielfalt zerstören."

Naturschützer beklagen den Rückgang großer Teile „unserer Ackerbegleitflora" (vulgo Unkräuter), zum Beispiel der Saat-Wucherblume, die im 19. Jahrhundert als gefürchtetstes Ackerunkraut in Norddeutschland bezeichnet wurde. Für die Nichtbeseitigung wurden zum Teil Geldstrafen verhängt. Besonders große Probleme bereitete die Saat-Wucherblume der Landwirtschaft im Westerwald. Vom 16. bis ins 19. Jahrhundert berichten Reisende und Botaniker mehrfach von einer verheerenden Verbreitung über ganze Landstriche zwischen Limburg und Hachenburg. Insbesondere der Hafer konnte flächendeckend überwuchert werden.

Doch ist es zu beklagen, dass eine Artenvielfalt zurückgedrängt wurde, die der Gewinnung von Nahrungsmitteln entgegensteht? Hat nicht die Landwirtschaft den Zweck, Ernten zu erzielen, die uns alle ernähren, statt eine spontan entstehende und für die Kulturen schädliche wildlebende Biodiversität zu hegen?

Der EU-Kommission scheint den Schutz der Artenvielfalt über alles setzen zu wollen. In ihrer Biodiversitätsstrategie formuliert sie das Ziel, 30 Prozent der EU-Landfläche gesetzlich zu schützen und ein Drittel dieser Fläche unter strengen Schutz zu stellen. Darüber hinaus schlägt sie mit Blick auf die Landwirtschaft vor, mindestens 10 Prozent der landwirtschaftlichen Fläche so zu nutzen, dass hier nicht mehr die Produktion landwirtschaftlicher Erzeugnisse im Vordergrund steht, sondern die Bereitstellung von Lebensraum für Wildtiere und -pflanzen.

Der Landwirtschaft, die diese Vielfalt mit ihren historischen Praktiken geschaffen hat, soll nun auferlegt werden, diese keineswegs natürliche, sondern historisch entstandene Vielfalt wiederherzustellen. Begründet wird das unter anderem mit dem abstrakten Verweis auf den „Wert der Biodiversität“. Doch dieser ist, wie Jonas Kathage beschreibt, in Hinblick auf einen konkreten Nutzen kaum zu begründen.

„Hat nicht die Landwirtschaft den Zweck, Ernten zu erzielen, die uns alle ernähren, statt eine spontan entstehende und für die Kulturen schädliche wildlebende Biodiversität zu hegen?"

Und das ist noch nicht alles. Die Biodiversitäts-Strategie ist im Rahmen des Green Deal eng verknüpft mit der Farm to Fork-Strategie (F2F) der EU-Kommission. Diese ergänzt die Strategie zur Erhaltung der biologischen Vielfalt durch Vorgaben für den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln und die Landnutzung. Bis 2030 sollen demnach 25 Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche für den ökologischen Landbau genutzt werden (2020 waren es 9,1 Prozent), der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln und „der damit verbundenen Risiken" auf die Hälfte reduziert und der Einsatz von chemischen Düngemitteln um 20 Prozent vermindert werden.

Die Reduzierung des chemischen Pflanzenschutzes und die zunehmende Umstellung auf den ökologischen Landbau werden zu geringeren Erträgen führen. Mehrere Studien haben gezeigt, dass die Umsetzung dieser Strategie drastische Einbußen bei der Nahrungsmittelproduktion zur Folge haben wird. Eine vom wissenschaftlichen Dienst (JRC) der Europäischen Kommission erstellte Folgenabschätzung kommt zu dem Ergebnis, dass bei einer Umsetzung der Strategien in der gesamten EU die Produktion von Getreide und Ölsaaten um 15 Prozent, die von Obst und Gemüse um 12 Prozent und die von Milchprodukten um 10 Prozent sinken würde. Den Berechnungen zufolge werden die angestrebten Umweltvorteile global gesehen weitgehend durch die Verlagerung der Nahrungsmittelproduktion in Länder außerhalb der EU zunichte gemacht. 

Eine Studie von Wissenschaftlern der Universität Wageningen, die von von den Handelsorganisationen CropLife International und CropLife Europe in Auftrag gegeben wurde, hat die Auswirkungen der Vorgaben der Farm-to-Fork- und der Biodiversitätsstrategie auf die Produktion ausgewählter Kulturen untersucht. Ihren Berechnungen zufolge wird  die Verwirklichung der beiden Strategien in der gesamten EU zu einem Ernterückgang von durchschnittlich 10 bis 20 Prozent führen.  Einige Kulturen wie Äpfel würden sogar einen Produktionsrückgang von 30 Prozent erleiden. Für Deutschland werden nach einer länderspezifischen Folgenabschätzung trotz erwarteter Anpassungen der Anbausysteme Produktionsrückgänge von 15 Prozent bei Weizen, Raps und Zuckerrüben sowie 26 Prozent bei Hopfen prognostiziert.

Darüber hinaus machen die Forscher der Wageningen Universität auch auf die Qualitätsverluste an den Ernteprodukten aufmerksam, zu denen die Maßnahmen aus der Farm-to-Fork-Strategie führen würden. Einen Vorgeschmack auf das Kommende gibt die Ankündigung des Bundeslandwirtschaftsministerium, die Qualität von Backweizen neu bewerten zu wollen, um Weizen mit geringerem Eiweißgehalt als Brotweizen definieren zu können.

Noch ist Deutschland sowohl ein Industriestaat als auch ein Land, das hochwertige Lebensmittel unter Einhaltung hoher Umweltstandards in erheblichem Umfang produziert. Statt durch immer weitere Auflagen auf ein niedrigeres Niveau der Vergangenheit zurückzufallen, sollten wir anstreben, die Landwirtschaft bei hoher Umweltverträglichkeit durch Innovationen in der Pflanzenzucht und beim Pflanzenschutz noch effizienter zu machen.

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