01.09.2005

Sind „Hedge-Fonds“ besonders gefährlich?

Kommentar von Daniel Ben-Ami

Seit der „Heuschrecken“-Schelte von Franz Müntefering sind Hedge-Fonds auch hierzulande zum Inbegriff diffuser Ängste vor den Unsicherheiten der Marktwirtschaft geworden.

Hedge-Fonds verursachen seit einiger Zeit große Sorgen. Der Präsident der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin), Jochen Sanio, nannte sie im Spiegel „die schwarzen Löcher des Weltfinanzsystems“.[1] Bundeskanzler Gerhard Schröder sprach sich vor dem Treffen der G8-Staaten im vergangenen Juli für eine Harmonisierung der Regeln zu ihrer Beobachtung und Kontrolle aus. An den Hedge-Fonds soll sogar die Konzernspitze der Deutschen Börse nach wochenlangem Machtkampf gescheitert sein. Die Folgen waren der Rücktritt des Börsenchefs Werner Seifert sowie das angekündigte Ausscheiden seines Aufsichtsratschefs Rolf E. Breuer. SPD-Chef Franz Müntefering verglich die Hedge-Fonds mit Heuschrecken und stieß damit die Kapitalismus-Debatte an. Doch was hat es mit diesen mysteriösen Fonds auf sich, und was stimmt mit ihnen nicht?
Tatsache ist zunächst einmal, dass es keine einheitliche Definition für Hedge-Fonds gibt. Eine Studie der Securities and Exchange Commission (SEC), die für die Kontrolle des Wertpapierhandels in den USA zuständig ist, vermerkt hierzu: „Obwohl die Anbieter von Finanzdienstleistungen, Kontrollinstanzen und die Medien häufig von Hedge-Fonds sprechen, gibt es keine genaue juristische oder universell akzeptierte Definition dessen, was hierunter zu verstehen ist.“[2] Die Zeitschrift The Economist bemüht sich auf ihrer Webpage um eine praktische Definition. Hedge-Fonds werden als „nur schwach regulierte Investmentfonds“ bezeichnet, „die durch ein hohes Risiko hohe Renditen erwirtschaften sollen.“ Dies entspricht zwar der gängigen Vorstellung von Hedge-Fonds, ist jedoch alles andere als eine präzise Definition. Es gibt auch andere Fonds, die hohe Rendite anstreben und dennoch keine Hedge-Fonds sind. Auch stimmt es nicht, dass sich alle Hedge-Fonds in erster Linie über eine außergewöhnlich hohe Renditeerwartung definieren.
Hedge-Fonds unterscheiden sich auf unterschiedliche Weise von den herkömmlichen Investmentfonds. Diese Unterschiede verblassen jedoch zunehmend:[3]
 

  • Unkonventionelle Techniken: Während herkömmliche Fonds auf Kurssteigerungen von Finanzanlagen wie Obligationen, Aktien und Immobilien setzen, verfügen Hedge-Fonds über eine größere Flexibilität und über die Möglichkeit des Einsatzes unkonventioneller Techniken. Hierzu gehört z.B. die Verwendung verschiedenster Anlageinstrumente und Hilfsmittel (Derivate, deren Preise aus den ihnen zugrunde liegenden Anlagegütern abgeleitet werden). Weitere Techniken sind das Short-Selling (Leerverkauf: Verkauf von Aktien auf Termin, wobei auf sinkende Kurse spekuliert wird) und die Arbitrage (das Ausnutzen von Preisdifferenzen für ein und das selbe Gut am Markt).
  • Absolute Return Strategies: Traditionelle Fonds messen ihre Rendite überwiegend in Relation zu Indizes oder Anlagegütern, in die investiert wurde. Ein Fond, der in amerikanische Wertpapiere investiert, misst seinen Erfolg in Relation zu einem amerikanischen Aktienindex, wie z.B. dem S&P500. Ein Fond, der in englische Aktien investiert, wählt vielleicht den FTSE 100 als Referenzwert. Im Jargon der Finanzmärkte sind solche konventionellen Fonds „long-only“, da sie auf steigende Kurse (Hausse der Werte) setzen. Da Hedge-Fonds sich nicht an Vergleichsindizes oder Benchmarks orientieren, müssen entsprechend auch die erzielten Renditen nicht in Relation zu ihnen gesehen werden. Die größere Flexibilität bei Hedge-Fonds soll sowohl bei steigenden, als auch bei fallenden Kursen eine positive Renditeentwicklung ermöglichen. Bewegen sich die Kurse weder in die eine noch in die andere Richtung, sind die Bedingungen für Hedge-Fonds denkbar schlecht.
  • Schwache Regulierung: Traditionelle Fonds, die in erster Linie Ersparnismöglichkeiten für die Mittelschicht bieten, unterliegen in der Regel einer relativ strengen Regulierung. Demgegenüber sind Hedge-Fonds, in die häufig reiche Privatkunden investieren, relativ wenig reguliert. Die Mindesteinlage in Hedge-Fonds ist zudem oft bedeutend höher als die Einlage in traditionelle Fonds.
  • Leverage: Um zu investieren, finanzieren sich Hedge-Fonds häufig sehr stark durch Kreditaufnahmen. Der Jargon der Finanzexperten bezeichnet dies als „Leverage“ (will heißen, die Erzielung einer Hebelwirkung durch Fremdfinanzierung). Im Idealfall wirkt diese Hebelwirkung sich dahingehend vorteilhaft aus, dass die Fondsrenditen steigen. Wenn jedoch Probleme auftreten, wie z.B. eine unvorhersehbare Zinssteigerung, vergrößern sich die Probleme der Hedge-Fonds. Leverage bereitet vor allem in Zeiten steigender Zinsraten Kopfschmerzen. Viele Hedge-Fonds arbeiten daher mit kurzfristigen Anleihen zu niedrigen Zinsen, mit denen sie ihre Investitionen finanzieren.



Diese allgemeinen Charakteristika deuten darauf hin, warum Hedge-Fonds so unbeliebt sind. Die Tatsache, dass sie kaum reguliert werden und in erster Linie von den Reichen genutzt werden, genügt, um sie abzulehnen. Es ist daher kaum verwunderlich, dass Hedge-Fonds in der heutigen Zeit extensiver Marktregulierung argwöhnisch beäugt werden.
Dabei stimmt es nicht, dass Hedge-Fonds mit einer steigenden Risikobereitschaft gleichzusetzen sind. Tatsächlich ist das Ziel eines besseren Risikomanagements und einer Risikoreduktion der eigentliche Grund für ihre zunehmende Beliebtheit bei Großinvestoren. Indem die Investitionen gestreut werden und unterschiedliche Pakete, zu denen dann auch die Hedge-Fonds gehören, gekauft werden, lässt sich das Gesamtrisiko reduzieren.  Oben genannte SEC-Studie merkt an: „Die Zunahme von Hedge-Fonds wurde in erster Linie durch die Interessen institutioneller Investoren wie Rentenversicherungsgeber und Stiftungen ausgelöst. Diese wollten ihre Portfolios diversifizieren und aus strategischen Überlegungen heraus in Anlagengruppen investieren, von denen sie sich mehr Sicherheit bei der Erzielung höherer Renditen versprachen.“[4]


Zudem ist ein Großteil der in den vergangenen Jahren neu hinzu gekommenen Hedge-Fonds auf Dach-Hedge-Fonds zurückzuführen – das heißt, es wurde in Fonds investiert, die wiederum selber in eine Reihe von Hedge-Fonds investierten.
Auch wenn Hedge-Fonds spektakuläre Verluste verursachen, ist dies nicht generell auf eine hohe Risikobereitschaft zurückzuführen. Ein gutes Beispiel ist die Firma „Long-Term Capital Management“ (LTCM), die 1998 notverkauft wurde, nachdem sie Verluste in Höhe von vier Milliarden US-Dollar eingefahren hatte. Diese Hedge-Fonds beschäftigten die besten Finanzwissenschaftler – zu ihrem Team gehörten zwei Nobelpreisträger –, die mit ausgeklügelten Methoden und Modellen Risiken kalkulieren und der Firma ein optimales Risikomanagement ermöglichen sollten. Es war Pech für LTCM, dass die Berechnungen nicht stimmten. Die Spezialisten hatten erwartet, dass bestimmte widrige Umstände nur einmal alle 1.000.000.000.000.000.000 Jahre eintreten würden. In Wirklichkeit kam es zweimal innerhalb weniger Tage zu diesen äußerst ungünstigen Umständen.
In der zahlenmäßigen Zunahme von Hedge-Fonds kommt die verstärkte Abhängigkeit der Marktwirtschaft von der Technik des „Financial Engineering“ zum Ausdruck. Im Fall Enron, einer der größten Firmenpleiten in der Geschichte Amerikas, wurde das besonders deutlich. Enron war ursprünglich eine Gasfirma aus Houston in Texas, die jedoch bald Energie in Finanzdienstleistungen verwandelte und wie Aktien handelbar machte. The Economist kommentierte kurz nach dem Konkurs, dass Enron in „Wirklichkeit ein Hedge-Fond mit einer zufällig gelegten Gasleitung geworden sei“.[5]
Natürlich lassen es die meisten Firmen nicht ganz so weit kommen wie Enron. Die meisten produzieren nach wie vor Güter oder Dienstleistungen für ihre Kunden. Doch ist es vor allem bei großen Unternehmen üblich, auch auf hoch entwickelte Finanzinstrumente zurückzugreifen. Dabei gewinnt das Risikomanagement oft an Bedeutung und kann sogar wichtiger werden als die Herstellung der Güter, für die die Firma eigentlich bekannt ist.
 

„Die Angriffe auf Hedge-Fonds sind in Wirklichkeit Ausdruck eines tief liegenden Unbehagens am gegenwärtigen Kapitalismus.“



Große Firmen überwachen die Struktur ihrer Bilanzen in der Regel sehr genau. Um sich vor dem Risiko veränderter Zinssätze oder des Währungsverlustes zu schützen, greifen sie auf Derivate zurück. Manche konzentrieren sich zunehmend auf die Verwaltung ihrer Pensionsverbindlichkeiten, andere verkaufen sogar Finanzdienstleistungen direkt an die Konsumenten. Hedge-Fonds sind Ausdruck der stärksten Form von „Financial Engineering“. Auch wenn nur wenige Firmen über eine so große Flexibilität verfügen, dass sie zu Hedge-Fonds werden, entwickeln viele jedoch ähnliche Merkmale.
Die Angriffe auf Hedge-Fonds sind in Wirklichkeit Ausdruck eines tief liegenden Unbehagens am gegenwärtigen Kapitalismus. Sie verlangen mehr Regulierung und stärkere Einschränkungen des Marktes, indem sie dessen scheinbar schlimmste Exzesse attackieren. Sie greifen ein Symptom der Marktwirtschaft auf, ohne die diesem Symptom zugrunde liegenden Gesetze und Mechanismen zu hinterfragen. Sollten die Finanzmärkte tatsächlich zunehmend unbeständig werden, was in der Tat möglich ist, ist es einfacher, hierfür die Hedge-Fonds verantwortlich zu machen als die Schwächen des realen Marktes.


In manchen Fällen nehmen die Attacken gegen Hedge-Fonds sogar offen nationalistische Züge an. So ist Münteferings Kapitalismuskritik auch in Teilen Ausdruck eines tief sitzenden Antiamerikanismus und eine Art Rückfalloption der SPD, die immer dann wieder aktuell wird, wenn die Partei in einer Krise steckt. Das vermeintlich zivilisiertere „alte Europa“ mit seinen liberaleren Wirtschaftsformen wird dabei gegen die Hedge-Fonds-Kapitalisten aus den USA verteidigt.
Vielleicht ist es für derlei Kritiker sogar von Vorteil, dass sich bisher keine einheitliche Definition der Hedge-Fonds herauskristallisiert hat. Dadurch wird es leichter, zum Angriff zu schreiten, ohne genau zu definieren, was man eigentlich will. Gegen Hedge-Fonds kann sich jeder zusammenrotten, der die Turbulenzen der Markwirtschaft nicht mag, ohne dabei jedoch deren grundlegende Merkmale zu hinterfragen.

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