01.03.2002

„Schutzmittel für Bio-Salat stammt aus der Anthrax-Familie“

Analyse von Thilo Spahl und Thomas Deichmann

Thilo Spahl und Thomas Deichmann stellen den Milzbrand-erreger und seine Doppelgänger einmal genauer vor.

Die meisten Bakterien sind uns nicht mit Namen bekannt. Eines hat jedoch in den letzten Jahren Eingang ins Vokabular der naturwissenschaftlich einigermaßen gebildeten Menschen gefunden: das Bacillus thuringiensis (Bt), das zum Lieblings-Genlieferant der Grünen Gentechnik wurde, die uns Bt-Mais, Bt-Baumwolle, Bt-Kartoffeln usw. beschert hat – alles Nutzpflanzen, die durch vom Bacillus thuringiensis geliehene Gene Abwehrkräfte gegen Schadinsekten entwickelt haben. In den letzten Monaten hinsichtlich der Prominenz alle anderen in den Schatten gestellt hat jedoch ein anderes Bakterium: das Bacillus anthracis (Ba), der gefürchtete Milzbranderreger.

Nun hat sich in den letzten Wochen etwas auf den ersten Blick höchst Seltsames herumgesprochen: Bt und Ba sind weitgehend identisch! Sie gehören zur selben Art und unterscheiden sich nur äußerst geringfügig. Bt ist sozusagen der harmlose Zwillingsbruder von Ba und daher als fast perfekter Doppelgänger zum beliebten Protagonisten so genannter „Anthrax-Hoaxes“ in den USA geworden.

Solche vorgetäuschten Anthrax-Anschläge sind in den USA seit Ende der 90er zu einem veritablen Volkssport geworden. Im Mai 1999 sagte der zuständige FBI-Direktor Neil J. Gallagher: „Es vergeht kein Tag, an dem wir nicht aus irgendeiner Ecke der USA eine Anthrax-Drohung gemeldet bekommen.“ Die Firma Tempest Publishing, die Infomaterial zu biologischen und chemischen Kampfstoffen vertreibt, hat sogar „Anthrax Concern Cards“ in ihr Sortiment aufgenommen: kleine gelbe Kärtchen, die an Menschen verteilt werden, die bei Evakuierungen nach Hause geschickt werden. Aufgedruckt sind Anweisungen, auf welche Symptome man achten soll und wo im Zweifelsfall anzurufen ist.

Passende Gelegenheiten für Fehlalarme scheint es viele zu geben: Jemand will eine Party platzen lassen, zu der er nicht eingeladen ist, oder einen Gerichtstermin, zu dem er nicht erscheinen möchte. Das Gros dieser vermeintlichen Anthrax-Anschläge geht auf Spinner zurück. Eine terroristische Zielstellung lässt sich noch am ehesten bei den Drohungen gegen Abtreibungskliniken konstatieren, die mit über 100 Fällen einen großen Teil der Hoaxes der letzten Monate ausmachen und häufig mit der Organisation „Army of God“ in Zusammenhang gebracht wurden. Zu den ersten Anthrax-Drohungen zählen übrigens zwei Ereignisse in Deutschland aus den frühen 70er-Jahren: Die Rote Armee Fraktion drohte mit der Versendung von Anthrax-Briefen und ein Biologe, der Geld erpressen wollte, mit der Verseuchung von Trinkwasser.

Bei den meisten Anthrax-Hoaxes wird kein großer Aufwand getrieben. Ein anonymer Anruf oder ein Brief mit irgendwelchem Pulver, manchmal mit einer entsprechenden Aufschrift versehen, genügen, um einen Alarm auszulösen. Die Verwendung des harmlosen Anthrax-Doppelgängers Bacillus thuringiensis (Bt) zählt zu den ausgefeilteren Methoden der kriminellen Absender. Der Effekt ist hier, dass Angst und Verunsicherung gesteigert werden, weil einfache Bakteriennachweise positiv ausfallen können und erst langwierige Tests ergeben, ob Milzbranderreger oder das für Menschen unbedenkliche und leicht erhältliche Pflanzenschutzmittel Bt im Umschlag waren.

Vorgetäuschte Milzbrand-Anschläge sind in den USA seit Ende der 90er ein veritabler Volkssport.

Eine ähnliche Doppelgängerübung hat nach Angaben von UNSCOM auch der Irak in der Anlage Al Hakam veranstaltet. Sie wurde seit 1991 regelmäßig inspiziert, bis UNSCOM 1996 ihr „standby biological weapons capability“ bescheinigte und die Zerstörung anordnete. In der Anlage wurde ebenfalls das „Anthrax-Double“ Bt produziert, jedoch laut UNSCOM in für das Pflanzenschutzmittel unüblich kleine Partikel gemahlen. Das schien verdächtig. Die Inspektoren mutmaßten, die Anlage sei eigentlich dafür konstruiert worden, auf Anthrax umgestellt zu werden.

Das US-Verteidigungsministerium hat Ende 1999 einen bemerkenswerten Test mit dem Pfanzenschutzmittel Bt durchgeführt: das Projekt BACUS. Dabei wurde eine Gruppe von Wissenschaftlern beauftragt, auf einem verlassenen Gelände in der Wüste Nevadas die Produktion von Milzbranderregern durch eine Terrorgruppe zu simulieren. Erlaubt waren nur handelsübliche Ausrüstungsgegenstände, die Mikrobiologen und Ingenieure hatten keine Spezialausbildung. Dennoch gelang es ihnen innerhalb weniger Wochen mit einem Mitteleinsatz von 1,6 Millionen Dollar eine Anlage zur Produktion von Bt in einem verlassenen Friseursalon aufzubauen. Mit der gleichen Anlage hätte auch der Milzbranderreger Ba in ausreichender Menge für einen größeren Anschlag mit Tausenden von Opfern produziert werden können. Nach offiziellen Angaben wurden die Bakterien im BACUS-Projekt jedoch nicht durch feines Mahlen und eine spezielle Beschichtung waffenfähig gemacht, was gemeinhin als sehr schwierig gilt. Dieser Verzicht darauf wurde damit begründet, dass man mit BACUS nicht gegen die Biowaffenkonvention verstoßen wollte.

Eine andere Art von Trittbrettfahrern nutzt die Anthrax-Angst und warnt neuerdings mit dem Hinweis auf die Bt-Ba-Verwandschaft vor Produkten der Gentechnik. So haben in Australien Aktivisten Alarm geschlagen: Sie versuchen, die Verunsicherung zu nutzen, um Angst vor der Gentechnik zu schüren. In einem Brief an alle Abgeordneten des Staates Victoria hat Bob Phelps, Leiter des GenEthics Network, dazu aufgefordert, die Verabschiedung eines neuen Gentechnik-Gesetzes zu verschieben. Der Brief war angstmacherisch überschrieben: „Gift in Gentech-Getreide stammt von der Anthrax-Familie.“ Die auch in Australien grassierenden Milzbrand-Ängste sollten so in Richtung Bt-Sorten umgelenkt werden.

Auch in Deutschland ist man in Sachen Grüner Gentechnik für gewöhnlich lieber auf der vorsichtigen Seite. Das Ressort Verbraucherschutz hat sich dem Vorsorgeprinzip verpflichtet. Dieses lautet in grüner Kurzform: „Man kann nie wissen.“ Und es fordert, dass, egal wie unwahrscheinlich ein gefährliches Ereignis ist, Vorsorge zu walten hat, solange es nur irgend theoretisch denkbar ist. Deshalb wurde im Jahre 2000 durch eine ministerielle Weisung die Sortenzulassung einer von allen bedeutenden Forschungszentren und Zulassungsbehörden hinlänglich als sicher befundenen Bt-Maissorte blockiert.

Angesichts der breiten Ablehnung der Grünen Gentechnik scheint das australische Szenario auch hierzulande möglich, und es stellt sich die Frage: Warum haben wir aus dem Hause Künast noch nichts über die Identität des Gentechbakteriums Thuringiensis und des Killerbakteriums Anthracis gehört?

Der Milzbrand-Doppelgänger Bt ist nicht nur der Liebling der Gentechniker, sondern auch der deutschen Biobauern.

Ein Teil der Antwort ist schlicht und einfach: Bt ist nicht nur der Liebling der Gentechniker, sondern auch der deutschen Biobauern. Eine Warnung wie „Schutzmittel für Bio-Salat stammt aus der Anthrax-Familie“ würde zwar zum mitunter irrationalen Vorsorgeverständnis des Verbraucherschutzministeriums passen, nicht aber ins grün-deutsche Weltbild.

Bt ist das beliebteste und verbreitetste Pflanzenschutzmittel im ökologischen Landbau. Während in Genpflanzen nur einzelne Gene aus Bt übertragen werden, von denen beim besten Willen keine Gefahr ausgehen kann, versprühen Ökobauern tonnenweise die lebenden Bakterien – und zwar bis zum Tag der Ernte.

Gibt es tatsächlich Grund zu Besorgnis? Könnte Bt durch eine Mutation Ba plötzlich noch ähnlicher werden und dessen mörderische Eigenschaften übernehmen? Bakterien tauschen nicht selten Gene untereinander aus. So könnte zum Beispiel Bt von Ba genau jene Gene übernehmen, die für die gefährlichen Gifte verantwortlich sind, die zu den schweren Symptomen einer Milzbranderkrankung führen. Diese Gene stecken nämlich nicht im Bakterienchromosom, sondern in so genannten Plasmiden, die als bequemes Vehikel für den Transport von Genen zwischen Bakterien fungieren. Diese Übertragung wurde im Labor bereits durchgeführt. Experten gehen jedoch davon aus, dass sie in der Natur nicht vorkommt, da Ba und Bt viel zu wenig in Kontakt kommen, um Bakteriensex zu haben. Bt ist ein Bodenbakterium, das sich in Insekten vermehrt, Ba lebt in Säugetieren. Insofern geht weder vom Bio-Insektizid Bt noch von gentechnisch veränderten Bt-Pflanzen eine Gefahr aus.

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