26.11.2014

Sand im Wertschöpfungsantrieb

Essay von Alexander Horn

Unternehmen werden heutzutage immer mehr gefordert, z.B. durch „grüne“ Maßnahmen ihre „gesellschaftliche Verantwortung“ zu übernehmen. Der Autor erinnert daran, dass die soziale Funktion des Unternehmens aber in seinem Wertschöpfungsbeitrag besteht

Was macht ein gutes Unternehmen aus? Diese Frage scheint heutzutage weniger umstritten denn je. Als gute Unternehmen gelten jene, die sich das Vertrauen der Öffentlichkeit, der Kunden und der Mitarbeiter erarbeiten, indem sie „gesellschaftlich verantwortlich“ handeln. Es geht darum, sich über gesetzliche Rahmenbedingungen hinaus für soziale und ökologische Ziele einzusetzen, also etwa den CO2-Ausstoß zu reduzieren, Ressourcen zu sparen, Frauen gezielt in Führungspositionen zu bringen, Lieferketten so unter Kontrolle zu bringen, dass weder Kinderarbeit noch ausbeuterische Arbeitsbedingungen herrschen oder etwa das Tierwohl besonders zu achten.

CSR und Nachhaltigkeit gelten als Schlüssel zum Unternehmenserfolg. Unternehmen, die zeigen können, dass sie „gesellschaftlich verantwortlich“ handeln, erweitern ihren Marktanteil, sind innovativer, gewinnen die besseren Arbeitskräfte und bewirken eine hohe Mitarbeitermotivation in der Erreichung von Nachhaltigkeitszielen. Dies läuft oft genug auf Ressourceneffizienz hinaus, was das Unternehmen auch wirtschaftlich stärken kann. Dies ist jedenfalls die vorherrschende Einschätzung, der sich die Wirtschaft in den letzten Jahrzehnten zunehmend geöffnet hat [1]. Dabei versuchen Unternehmen und deren Verbände, ihre eigene Vorstellung „gesellschaftlicher Verantwortung“ in diesen Diskurs einzubringen. Selbst sie folgen diesen Maximen, um nicht Gefahr zu laufen, in negativer Art und Weise am eigenen Anspruch „gesellschaftlicher Verantwortung“ gemessen zu werden.

Verantwortung und Vertrauen

Es ist fraglich, ob die hauptsächlich bei Großunternehmen und international agierenden Konzernen vorherrschende Agenda zur Übernahme gesellschaftlicher Verantwortung in den letzten Jahren tatsächlich in der Lage war, das allgemeine Vertrauen zu stärken. Der Ausbruch der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008 und die seitdem übliche Unternehmens- und Managerschelte hat eher gezeigt, dass die Unternehmen und ihr Führungspersonal nachhaltig wenig Vertrauenskredit haben. Wie Umfragen zeigen, scheint – trotz erheblicher Anstrengungen in Sachen CSR und Nachhaltigkeit – weder vor der Finanz- und Wirtschaftskrise noch danach eine Besserung in Punkto Vertrauen in Sicht. [2]

„Die meinungsstarken und auch wirtschaftlich wirkmächtigen NGOs beherrschen die Diskussion“

Vielmehr macht den Unternehmen schwer zu schaffen, dass sie an ihrem eigenen Anspruch, „gesellschaftlich verantwortlich“ zu handeln, gemessen werden. Solange es Unternehmen nicht gelingt, ihre schärfsten Kritiker mit ins Boot zu holen und dadurch zu besänftigen, setzen sie sich dem nicht unerheblichen Risiko aus, von diesen verurteilt zu werden. Gezielte Kampagnen sind oft die Folge, wenn sich die Unternehmen verweigern. „Green-“ oder „Blue“-Washing, lautet oft der Vorwurf, wenn Unternehmen den Anforderungen ihrer Kritiker nicht gerecht werden. Die Schwammigkeit des Konzeptes macht letztlich diejenigen verletzlich, die in diesem Diskurs nicht die Definitionsmacht ausüben. In der Regel sind es die meinungsstarken und auch wirtschaftlich wirkmächtigen NGOs, die die Diskussion beherrschen. Da sie vordergründig keinerlei wirtschaftliche Ziele verfolgen, erscheinen sie als die natürlichen und daher glaubwürdigen Protagonisten einer „gesellschaftlichen Verantwortung“. Den Unternehmen, denen es trotz aller Ernsthaftigkeit in der Sache letztlich immer auch um den privaten Profit ihrer Eigentümer geht, sind in diesem Diskurs im Nachteil, was ihre Glaubwürdigkeit unterminiert.

Während sich vor allem international agierende Großunternehmen auf die CSR- und Nachhaltigkeitsagenda eingelassen haben und sich vielleicht mehr als zuvor in einer misslichen Lage befinden, scheinen Unternehmen, die sich bislang am distanziertesten gegenüber CSR und Nachhaltigkeitsdoktrin gezeigt haben, sogar mehr Vertrauen zu genießen.  Das auf PR-Beratung spezialisierte Unternehmen Edelman verkündete in seinem Anfang 2014 veröffentlichten „Trust Barometer“ gar, dass der deutsche Mittelstand zum „Vertrauensweltmeister“ aufgestiegen sei. [3] Im Vergleich zu anderen Institutionen wie etwa den NGOs, die einen Vertrauenswert von 69 Prozent erreichen, liegen KMUs (Kleinere und mittlere Unternehmen) bei 77 Prozent. Familienunternehmen erreichen sogar einen Vertrauenswert von 86 Prozent.

Auch die Vertrauenskriterien, mit denen die Mittelständler besonders punkten konnten, lassen Zweifel am Nutzen von CSR und Nachhaltigkeitsstrategien in den Unternehmen aufkommen. Besonders gut schnitten die Mittelständler bei den Themen ab, die in keinem Zusammenhang mit CSR und Nachhaltigkeit stehen. So zeigen die Umfrageergebnisse, dass mittelständischen und vor allem inhabergeführten Unternehmen in besonderem Maße die Fähigkeit zugeschrieben wird, auf Kundenbedürfnisse einzugehen. Ebenso entscheidend für die hohen Vertrauenswerte ist die Zuordnung einer hohen Produkt- und Dienstleistungsqualität, langfristige Orientierung und unternehmerisches Denken. [4] Offenbar erkennen die Befragten den Wert unternehmerischer Aktivität in erster Linie in den Aspekten, die den Wertschöpfungsbeitrag der Unternehmen beschreiben und nicht in einer „gesellschaftlichen Verantwortung“. Vertrauensweltmeister sind Mittelständler dieser Umfrage zufolge offenbar in erster Linie, weil sie einen Nutzen erzeugen, der aus einer erstklassigen Wertschöpfung resultiert: Gute Produkte und Dienstleistungen, die exakt die von den Kunden erwartete Funktionen erfüllen und ein an langfristiger Profitabilität ausgerichtetes unternehmerisches Denken, das gute Arbeitsplätze sichert.

„‚Gesellschaftliche Verantwortung‘ stellt eine sehr defensive Reaktion auf die Unternehmensschelte der letzten Jahrzehnte dar“

Die Vorstellung, Unternehmen könnten durch die Übernahme von „gesellschaftlicher Verantwortung“ mehr gesellschaftliches Vertrauen aufbauen, ist in Anbetracht der tatsächlichen Entwicklung mindestens fragwürdig. Noch zweifelhafter wird der Ansatz, wenn man sich vor Augen führt, dass „gesellschaftliche Verantwortung“ eine sehr defensive Reaktion auf die Unternehmensschelte der letzten Jahrzehnte darstellt.

Hierbei spielt die Globalisierungsdiskussion eine wesentliche Rolle. Vor allem große Unternehmen scheinen den Globalisierungskritikern so übermächtig, dass sie selbst mächtigen Nationalstaaten ihre Bedingungen aufdrücken können und somit auch die Demokratie aushebeln. Dies zeigt auch die aktuelle Diskussionen um das EU-Freihandelsabkommen mit den USA (TTIP). Dessen Umsetzung wird von den meisten Kritikern als Anschlag auf die Demokratie gewertet, da die Unternehmen vermeintlich etwa durch den Investorenschutz noch mehr Handlungsspielräume erhalten.

Vor diesem Hintergrund erscheint die „gesellschaftliche Unternehmensverantwortung“ als hilfreiches Konzept, das Unternehmenskritiker und Unternehmen versöhnt. Denn diese Forderung vereint sowohl diejenigen, die davon ausgehen, dass den Unternehmen diese Haltung entgegen ihrem eigenen Willen aufgezwungen werden muss mit all jenen, die die Unternehmen als fähig ansehen, tatsächlich über ihre rein wirtschaftliche Orientierung hinaus soziale und ökologische Ziele integrieren zu können. Entscheidend ist dabei die gemeinsame Einschätzung, wonach Unternehmensziele heute weniger denn je mit gesellschaftlichen Zielen konform gehen. Die Gewinnerzielung erscheint dementsprechend nicht mehr als Beleg für gut funktionierende Unternehmen, denen es gelingt, Wertschöpfung zum Nutzen ihrer Kunden zu betreiben. Stattdessen erscheint sie geradezu als Gegenpol zu einer für die Gesellschaft sinnvollen Unternehmensfunktion, die sich auf die neben der Wertschöpfung liegenden sozialen und ökologischen Themen fokussiert. Erst dadurch liefern die Unternehmen demnach einen wahren gesellschaftlichen Wert.

In Europa vertritt die EU-Kommission federführend diese Konzeption. Durch Gesetzgebung und behördliche Regulierung „zur Schaffung von Marktanreizen für verantwortliches Unternehmerisches Handeln“ [5] macht sie die „gesellschaftliche Verantwortung“ zunehmend zu einer unternehmerischen Pflichtveranstaltung. Damit leistet sie der Auffassung Vorschub, dass Unternehmen ansonsten keine nützliche Funktion erfüllen, da diese nur dem privaten Nutzen nacheifern und sich der Gesellschaft gegenüber unverantwortlich gebärden. In ihrer CSR-Definition geht sie daher von einer allumfassenden „Verantwortung von Unternehmen für ihre Auswirkungen auf die Gesellschaft“ aus,  die „soziale, ökologische, ethische, Menschenrechts- und Verbraucherbelange“ in die Unternehmensstrategie aufnimmt. [6]

„Die Neubewertung durch CSR und Nachhaltigkeit entwertet den eigentlichen gesellschaftlichen Nutzen von Unternehmen.“

Die CSR-Konzeption transportiert ein völlig neues Verständnis über die Rolle der Unternehmen in einer Marktwirtschaft. Aus der Einschätzung heraus, dass Unternehmen in einer globalisierten Welt quantitativ und qualitativ neue Freiheiten erlangt haben, gilt es offenbar die Profitorientierung zugunsten einer gesellschaftlichen Einbettung zu zügeln. Vermeintlich spielen Unternehmen erst durch die Einbettung mittels Nachhaltigkeits- oder CSR-Verantwortung eine positive gesellschaftliche Rolle.

Die gesellschaftliche Rolle der Unternehmen

Damit gerät aber völlig aus dem Blick, dass die Unternehmen schon vor der Erfindung einer „gesellschaftlichen Verantwortung“ eine zentrale gesellschaftliche Funktion übernahmen. Sie besteht auch heute noch darin, die gesellschaftliche Wertschöpfung zum Wohle der gesamten Gesellschaft voranzutreiben. Die Neubewertung, die die Unternehmensfunktionen durch CSR und Nachhaltigkeit erhalten, degradiert schließlich diese nützliche und elementare gesellschaftliche Funktion und entwertet damit den eigentlichen gesellschaftlichen Nutzen von Unternehmen. Dies wird nicht ohne Folgen für die Legitimität von Unternehmen und das von der Gesellschaft entgegengebrachte Vertrauen bleiben.

Bereits die klassische Nationalökonomie, die mit den Werken von Adam Smith und David Ricardo im ausgehenden 18. Jahrhundert ihre Blüte erreichte, befasste sich mit dem für den Kapitalismus typischen Spannungsfeld zwischen Unternehmen und Gesellschaft. Auf die Frage nach der Legitimität und der Rolle der Unternehmen in der Gesellschaft gab sie eine eindeutige Antwort. Sie erkannte einen Spannungsbogen in der kapitalistischen Produktionsweise, der sich zwischen der gesellschaftlichen Produktion und den privaten Interesse der Unternehmer, ihren persönlichen Reichtum zu mehren, ergab. Die klassische Nationalökonomie beantwortete diesen Widerspruch, indem sie einen beiderseitigen Nutzen erkannte.

So erklärte Adam Smith, dass privates Unternehmerinteresse und gesellschaftlicher Nutzen zusammenfallen. Indem nämlich der Bäcker sein eigenes Wohlergehen im Auge hat, produziert er Dinge, die gleichsam einen gesellschaftlichen Nutzen haben, obwohl ihm das gesellschaftliche Wohlergehen jedenfalls nicht der erste Antrieb seines Tuns ist. Der Unternehmer muss jedoch den Kundennutzen im Blick haben. Nur wenn das Ergebnis des Wertschöpfungsprozesses gesellschaftlich nützlich ist, also eine in den Augen des Kunden nützliche Funktion erfüllt, wird er bereit sein, dafür zu zahlen. Der Markt überwindet so nicht nur den Widerspruch zwischen gesellschaftlicher Produktion und dem privaten Profitinteresse. Er vermittelt auch den Wettbewerb zwischen den einzelnen Produzenten und stachelt sie zu einer immer effektiveren und effizienteren Organisation des Wertschöpfungsprozesses an. Dies treibt Produktivitätsverbesserungen und Innovationen voran, da diese den Unternehmen im Wettbewerb nützen. Smith erkannte, dass der Wohlstand der Nationen, so der Titel seines Hauptwerkes, auf der unter kapitalistischen Bedingungen rasant weiter fortschreitenden Arbeitsteilung beruhte. Sie ermöglichte eine bis dahin unbekannte Steigerung der Arbeitsproduktivität und damit des allgemeinen gesellschaftlichen Wohlstands.

Für diese gesellschaftlich nützliche Rolle der Unternehmen als Wertschöpfungsmotoren der Marktwirtschaft gibt es, angefangen mit der Industriellen Revolution, unzählige Beispiele. Typisch war in dieser Hinsicht der Beitrag Henry Fords, dessen Einführung der Fließfertigung in der Automobilproduktion einer fertigungstechnischen Revolution glich. Sie machte Henry Ford nicht nur in kürzester Zeit zu einem reichen Mann, sondern löste einen massiven Produktivitätsschub in der industriellen Produktion aus. Die enorme Steigerung der Arbeitsproduktivität ermöglichte es ihm, die Preise kontinuierlich so massiv zu reduzieren, dass Mobilität immer erschwinglicher wurde und schließlich ein Massenmarkt entstand. Fords Vermächtnis ist der Siegeszug der auf standardisierten Produkten und Prozessen beruhenden Fließfertigung, die nicht nur die Automobilproduktion revolutionierte, sondern auf die Wertschöpfungsprozesse in allen Bereichen der Wirtschaft ausstrahlte. Dies gilt auch für unzählige Innovationen anderer Unternehmen vor und nach seiner Zeit, die einen maßgeblichen Beitrag zur Erreichung des heutigen Wohlstands leisteten.

„Die Rechtfertigung des privaten Unternehmens liegt nicht im persönlichen Nutzen der Unternehmer, sondern im Nutzen der Allgemeinheit.“

Die klassische Ökonomie und auch heutige wirtschaftsliberale Vorstellungen wie die Soziale Marktwirtschaft beruhen auf der gleichen Annahme. Demnach trägt die Verfolgung wirtschaftlicher Ziele durch die Unternehmen in einer geeigneten Wettbewerbsordnung zur Steigerung des Gemeinwohls bei. Die Marktwirtschaft und die mit ihr verbundene, möglichst freie Verfolgung persönlicher wirtschaftlicher Ziele erscheint legitim, da die Gesellschaft insgesamt von der Unternehmertätigkeit profitiert. So sieht der Wirtschaftsethiker Karl Homann die Unternehmen funktional im Dienst der Gesellschaft, da sie sich aus dem unternehmerischen Tun einen größeren Nutzen als ohne dieses Tun verspricht. Die ethische Rechtfertigung für die privatwirtschaftlich verfasste Marktwirtschaft beruht demnach darauf, dass „die Gesellschaft vom Vorhandensein von Unternehmen, also von der Institution Unternehmung, einen größeren Nutzen erwartet, als wenn es keine Unternehmen geben würde“. [7] Die Rechtfertigung des privaten Unternehmens liegt demnach also nicht im persönlichen Nutzen der Unternehmer, sondern im Nutzen der Nicht-Unternehmer, also der Allgemeinheit.

So unterliegt der Erfolg eines Unternehmens den individuellen Bedürfnissen der Kunden. Durch die Summe dieser individuellen Bedürfnisse ergibt sich gewissermaßen ein gesellschaftliches Werturteil darüber, was die Gesellschaft als Nutzen ansieht. Auf diesem Weg realisieren die Unternehmen, vermittelt über einen funktionierenden Markt, ihre gesellschaftliche Nützlichkeit. Der vom Unternehmen im Wertschöpfungsprozess bestmöglich erzeugte Kundennutzen entscheidet letztlich über den unternehmerischen Erfolg. Unternehmen, die sich Wettbewerbsvorteile gegenüber der Konkurrenz erarbeitet haben, also in den Augen der Kundschaft herausragende Funktionen vergleichsweise günstig anbieten, sind besonders profitabel.

Diese Überlegungen lagen dem Denken des Wirtschaftsnobelpreisträgers Milton Friedman zugrunde, als dieser in den 1960er- und 1970er-Jahren behauptete, die soziale Verantwortung der Unternehmen sei es, ihre Profite zu vergrößern. Indem sich die Unternehmen also darauf konzentrieren, langfristig hohe Gewinnmargen zu erzielen, müssen sie besonders wettbewerbsfähige Produkte und Dienstleistungen anbieten können, die den Kunden mehr nutzen als das Angebot der Konkurrenz. In der konsequenten Profitorientierung also sieht Friedmann, wie auch die klassische Ökonomie, die Gewähr, dass Unternehmen ihrem gesellschaftlichen Auftrag zur Mehrung des allgemeinen Wohlstands bestmöglich nachkommen.

Unternehmen in der Defensive

Die wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland und Europa nährt immer stärkere Zweifel daran, ob die Unternehmen dieser ihnen zukommenden Funktion tatsächlich nachkommen. Mit der Finanz- und Wirtschaftkrise wurden die Schwächen eines in den entwickelten Ländern inzwischen weitgehend auf Kreditexpansion basierenden Wachstumsmodells aufgedeckt. Vom vorübergehenden Entzug der Kreditdroge hat sich die europäische Wirtschaft nicht erholt. Im Gegenteil hat die noch massivere Ausweitung der Kreditmöglichkeiten durch die EZB die darniederliegende europäische Wirtschaft nicht wiederbeleben können. Die meisten Ökonomen bezweifeln inzwischen, dass dies so überhaupt möglich ist.

„Der CSR- und Nachhaltigkeitsdiskurs entspricht den Bedingungen einer stagnierenden Wirtschaft.“

Deutschland gehört seit 20 Jahren gemeinsam mit Griechenland, Italien und Portugal zu den zwölf Wachstumsschlusslichtern weltweit. Im ersten Jahrzehnt des Jahrtausends lag das Wachstum durchschnittlich nur noch bei 1,0 Prozent mit weiter fallender Tendenz. Nach 8,4 Prozent in den 1950er-Jahren und 4,4 in den 1960er Jahren ist das Wirtschaftswachstum kontinuierlich zurückgegangen. Es ist daher nicht überraschend, dass die Reallöhne in Deutschland seit Anfang der 1990er-Jahre praktisch stagniert haben und Sondereffekte größere Wohlstandseinbußen verhindert haben. Einen besonderen Effekt hatte die Reduzierung der Lebenshaltungskosten durch drastisch verbilligte Konsumgüter aus Schwellenländern wie China oder der Türkei. Der Wohlstand stagniert und für viele Beschäftigtengruppen, Arbeitslose und Rentner nimmt er sogar ab.

Das Konzept der „gesellschaftlichen Verantwortung“ der Unternehmen definiert die gesellschaftliche Rolle von Unternehmen weitab vom traditionellen Verständnis als Kraftzentrum zur Steigerung des allgemeinen Wohlstands. Damit entspricht der CSR- und Nachhaltigkeitsdiskurs den Bedingungen einer stagnierenden Wirtschaft. Gerade in Zeiten relativer Ratlosigkeit darüber, wie wirtschaftliches Wachstum überhaupt zu generieren ist und Wachstum zudem skeptisch betrachtet wird, bietet die „gesellschaftliche Verantwortung“ einen Rahmen, der sinnstiftend wirkt. Die Aufmerksamkeit und die Erwartungen der Gesellschaft werden auf Dinge gelenkt, die die Unternehmen vielleicht leichter leisten können oder sich die verantwortlichen Unternehmenslenker selbst eher zutrauen. Die Messlatte dafür, was gute Unternehmen sind, wird verschoben.

Diejenigen Unternehmen, die sich dem CSR- und Nachhaltigkeitsdiskurs verschrieben haben, belegen diese Absenkung der eigenen Erwartungshaltung hinsichtlich der Auswirkungen des Unternehmenshandelns auf die Gesellschaft sehr eindrucksvoll in ihren CSR- und Nachhaltigkeitsberichten. Es erscheint leichter den Ressourcenverbrauch, notfalls auch unter das Niveau, welches unter Kosten-Nutzen-Betrachtungen akzeptabel erscheint, abzusenken und dies als Maßstab für gutes Unternehmertum ins Zentrum zu stellen, als bahnbrechende Innovationen zum Maßstab zu machen.

Gleiches gilt für soziale Dinge, wie beispielsweise ein Betriebskindergarten, der im Einzelfall nicht nur aus rein unternehmerischen Erwägungen eingerichtet wird. Der Betriebskindergarten könnte auch einen zusätzlichen betrieblichen Aufwand rechtfertigen da er im Sinn „gesellschaftlicher Verantwortung“ auch einen Nutzen verspricht. Das Unternehmen wird damit der gesellschaftlichen Erwartung bezüglich Frauen-, Familien- und Kinderförderung gerecht. Es sind die kleinen, wenn auch oft nicht einfachen Dinge, die sich die Unternehmen zutrauen um ihren gesellschaftlich wertvollen Beitrag zu zeigen. Dieser Rahmen unternehmerischen Handelns soll in einer Gesellschaft, die sich die Zukunft kaum anders als Ressourcensparvariante der Gegenwart vorstellen kann, sinnstiftend wirken.

„Die Mehrheit der Bevölkerung sieht den Sinn der Unternehmen in erster Linie in ihrem Wertschöpfungsbeitrag, den sie durch immer bessere Produkte und Dienstleistungen realisieren“

CSR- und Nachhaltigkeitsdenken reflektieren daher einen – vielleicht auch intuitiven – Selbstschutz, da sich die Unternehmen mit den niedrigen Erwartungen, die an sie herangetragen werden, versöhnen. Damit handeln sie ganz im Sinn der CSR-Doktrin der EU-Kommission. Demnach wird von den Unternehmen erwartet, sich gesellschaftlich verantwortlich zu verhalten, indem sie umfassende „Verantwortung […] für ihre Auswirkungen auf die Gesellschaft“ übernehmen. [8] Im Umkehrschluss ist es demnach umso leichter, gesellschaftliche Verantwortung zu übernehmen, wenn die Auswirkungen auf die Gesellschaft minimal bleiben. Wer würde es im Rückblick heute noch wagen den Verbrennungsmotor zu erfinden, ist er doch wesentlich verantwortlich für Ressourcenverbrauch, CO2-Ausstoß, Massenmobilität, Verkehrstote und vieles mehr? Unter derartigen Vorgaben muss Risikominimierung im Fokus der Unternehmensstrategien stehen, also im Zweifelsfall nur gegebene Technologien verfeinern, deren Auswirkungen dann abschätzbar und kontrollierbar bleiben.

Es ist mehr als fraglich, ob es gelingen kann, die Gesellschaft mit Hilfe des CSR- und Nachhaltigkeitsdiskurses dauerhaft mit niedrigen Erwartungen oder gar einer stagnierenden Ökonomie zu versöhnen. Zwar gibt es eine meinungsbildende große Koalition aus Besserverdienern, denen wirtschaftliche Stagnation aufgrund ihres Wohlstands- und Bildungsstandes wenig anhaben kann, Weltverbesserern, die aus ideologischen Gründen gerne auf Wohlstand verzichten, und Politik- und Wirtschaftsvertretern, die sich lieber an „gesellschaftlicher Verantwortung“ oder Glücksindikatoren als an Wirtschaftswachstum, Produktivitäts- und Wohlstandssteigerung messen lassen wollen.

Die eingangs erwähnte Edelman-Studie spricht in dieser Hinsicht aber eine andere Sprache. Offenbar sieht eine Mehrheit der Bevölkerung den Sinn der Unternehmen in erster Linie in ihrem Wertschöpfungsbeitrag, den sie durch immer bessere Produkte und Dienstleistungen realisieren. Solange das der Fall ist, wird es den Unternehmen wohl kaum gelingen, mit dem Konzept „gesellschaftlicher Verantwortung“ mehr Vertrauen aufzubauen. Die Gefahr besteht aber, dass die Unternehmen in der Fokussierung auf diese neue gesellschaftliche Rolle immer weniger ihrer gesellschaftlichen Funktion nachkommen, nämlich Innovationen und Fortschritt voranzutreiben und dies den gesellschaftlichen Wohlstand weiter unterminiert.

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