27.01.2016

Reichtum: Ungerecht, aber nützlich

Kommentar von Thilo Spahl

Eine Welt ohne Reiche wäre in mehr als einer Hinsicht eine ärmere Welt. Die verbreitete Kritik an den Superreichen erkennt nicht deren positive Funktion. Reichtum eröffnet Möglichkeiten und verhindert ein staatliches Umverteilungsmonopol, meint Thilo Spahl

Eines der großen Probleme unserer Zeit, hören wir immer wieder, bestehe darin, dass die Schere zwischen arm und reich immer weiter auseinandergehe.  Zuletzt hat Oxfam [1] vorgerechnet, dass die 62 reichsten Menschen gemeinsam so viel besäßen wie die ärmere Hälfte der gesamten Menschheit zusammen. Der extreme Reichtum dieser wenigen Menschen hört sich überaus ungerecht an, ist aber nichts Schlechtes. Denn unser Problem ist nicht zu viel Reichtum, sondern zu viel Armut. Und die gute Nachricht ist: Während die paar Dutzend Superreichen reicher geworden sind, sind einige hundert Millionen extrem Arme auch reicher geworden. Das eine schließt also das andere nicht aus.

Die meisten Leute halten Reichtum für eine gute Sache. Sie wären gerne selbst reich und finden es auch bei anderen meist okay. Als der 1,5-Milliarden-Dollar-Jackpot der US-Lotterie vorletzte Woche geknackt wurde, ist die Welt nicht ungerechter geworden und die meisten Leute haben sich mit den drei neuen Superreichen gefreut. Warum? Weil es einfache Leute sind, von denen man weiß, dass sie ehrlich zu ihrem Geld gekommen sind, indem sie es gewonnen haben. Beim Lotto liegt es in der Natur der Sache, dass sich niemand auf unfaire Weise Vorteile verschaffen kann.

„Nicht die Superreichen diskreditieren den Reichtum, sondern gierige Karrieristen“

Ein bisschen ähnlich ist es bei Internet-Milliardären. Die haben ihr Geld eindeutig auch nicht durch Arbeit verdient. Im Gegensatz zu den Lottogewinnern ist es allerdings kein reines Glück, sondern es gehört auch Geschick, Gespür, ein glückliches Händchen, eine gute Idee, Beharrlichkeit, Überzeugungsvermögen, usw. dazu. Viele kommen also gewissermaßen zwar mehr oder weniger unverdient, aber auch „unverschuldet“ zu Reichtum. Die Umstände machen sie reich. Und deshalb sollte man Ihnen dafür auch keinen Vorwurf machen. Eher untypisch für großen Reichtum ist heute, dass er durch Ausbeutung entsteht. Die Mitarbeiter bei Facebook oder Microsoft gehören zweifellos nicht zu den Unterprivilegierten dieser Welt.

Eine wachsende Gruppe von Superreichen kommt aus Schwellenländern. Im Jahr 1996 waren weniger als drei Prozent der Fortune 500 Firmen aus solchen Regionen, heute sind es rund 30 Prozent. An ihrer Spitze stehen oft neue Milliardäre. Diese haben ihren Aufstieg nicht auf Kosten der Bevölkerung dieser Länder gemacht, denn Reichtum entsteht nicht, wie gerne behauptet wird durch „Umverteilung von unten nach oben“. Vielmehr haben sie durch ihren persönlichen Aufstieg oft entscheidend dazu beigetragen, dass viele Millionen von Menschen der Armut entkommen sind.

Mythos Leistungsträger

Zurecht werden in erster Linie nicht die verachtet, die auf die eine oder andere glückliche Art und Weise zu Geld gekommen sind, sondern die, die sich selbst ungebührlich bereichern, indem sie einen Kult der finanziellen Selbstbefriedigung treiben, um sich als hyperpotente Leistungsträger fühlen zu können. Das ist auf jeden Fall kein gutes Rezept, um Sympathien zu erlangen. Natürlich leistet ein hochqualifizierter Top-Manager in seiner 80-Stunden Woche viel, aber sich per Überweisung einzureden, er leiste vierhundertmal so viel wie der Mann an der Maschine, ist Selbstbetrug. Nicht die Superreichen diskreditieren den Reichtum, sondern gierige Karrieristen, die es freilich in den seltensten Fällen zu echtem Reichtum bringen. Das sind die Typen, die keiner leiden kann. Dennoch können auch sie eine positive Rolle spielen.

Konsum ist besser als Konsumverzicht

Egal, wie einer zu Geld gekommen ist: Wenn er es ausgibt, erfüllt er eine wichtige Funktion. Kaufkraft ist gut für die Konjunktur. Und als Konsumenten sind die Reichen auch nur Menschen und unterscheiden sich nicht grundsätzlich von uns Normalverdienern. Sie kaufen halt nur alles in teuer. Wenn sie auf die Uhr schauen, ist es eben ein 50.000-Euro-Exemplar statt eines für 50 Euro. Ihr T-Shirt kostet 200 Euro statt zehn, ihr Auto 200.000 statt 20.000. Abgesehen vom Statusgewinn unterscheiden sie sich in ihrem Lebensstandard nicht grundsätzlich von der Mittelschicht. Bei vielen Dingen haben sie überhaupt keinen Vorteil: Sie nutzen den gleichen Strom, im Großen und Ganzen die gleichen Medikamente, schauen das gleiche Fernsehen, lesen die gleichen Bücher, nutzen das gleiche Internet, fliegen oft auch mit den gleichen Flugzeugen, nur ein paar Reihen weiter vorne.

„Egal, wie einer zu Geld gekommen ist: Wenn er es ausgibt, erfüllt er eine wichtige Funktion“

Durch ihren extensiven Konsum vernichten die Reichen das Geld nicht, sondern sie verteilen es um. Wenn sie es verschwenderisch zum Fenster hinauswerfen, stehen unten Leute:  Friseure, Uhrmacher, Sportwagenbauer, Modedesigner, Psychiater, Tierpfleger in Krokodilfarmen, Starköche nebst deren Küchenhelfer, Vermögensberater nebst Sekretärin, Journalisten, die tagein tagaus über die Reichen und Schönen berichten, usw. usf. So gesehen gilt: je konsumfreudiger, desto besser. Dabei wird sogar so manches vom Aussterben bedrohte Handwerk erhalten.

Reiche sind so gesehen auch Vorbilder. Nicht wegen ihres Charakters, ihres Verhaltens oder ihrer Leistungen – da dürften sie sich nicht allzu sehr von der Allgemeinbevölkerung unterscheiden. Sondern eben im Geldausgeben. Sie sind Wegbereiter eines wachsenden Lebensstandards. Sie sind die ersten, die sich Sachen leisten, die wir dann auch haben wollen. Sie haben Smartphones gekauft, als die noch verdammt teuer waren. Sie haben Kopf-, Fuß- und Ellenbogen-Airbags in ihren Limousinen, die in ein paar Jahren auch in der Mittelklasse Standard sein werden. Sie haben Kreuzfahrten gebucht, als die noch überaus exklusiv waren. Heute gibt’s die auch bei Aldi und Lidl. Sie sind keine Vorbilder des Verzichts, und das ist gut so. Ferraris for All ist der Titel eines Buches des britischen Journalisten Daniel Ben-Ami. Wie sollten wir dieses Ziel je erreichen, wenn nicht einige einmal damit angefangen hätten?

Freiheit und Umverteilung

Das Heikle am Reichtum ist nicht, dass es einige gibt, die sehr viel mehr Geld ausgeben können als andere. Geld unters Volk zu bringen ist generell gut für die Gesellschaft. Die Gefahr besteht darin, dass Geld Macht ist. Und damit bedeutet Reichtum auch eine Akkumulation von Macht. In einer funktionierenden Demokratie sollte allerdings auch das kein Problem sein. Macht kann hier nicht zur Unterdrückung und Beherrschung anderer genutzt werden, sondern nimmt die gutartige Gestalt großer Freiheit, also eines großen Handlungsspielraums an. Geld weitet den Handlungsspielraum. Auch wenn viele Reiche diesen nicht optimal nutzen, ist es für eine Gesellschaft gut, wenn es Menschen mit sehr großem Handlungsspielraum gibt, Menschen, die über die Mittel verfügen, etwas zu bewegen.

„Die Gefahr besteht darin, dass Geld Macht ist. In einer funktionierenden Demokratie sollte allerdings auch das kein Problem sein“

Der Vorteil des Reichtums ist also, dass er Menschen die Möglichkeit gibt, schwer erreichbare Ziele zu verfolgen, von deren Verwirklichung sehr viele oder alle Menschen profitieren: neue Quellen billiger Energie, Impfstoffe, Raumschiffe, große Telekommunikationsnetze, usw. Die entscheidende Frage ist damit nicht, wieviel reicher als der Normalbürger die Reichen sind, sondern, wie sie ihr Geld investieren. Versuchen sie damit, Gutes für die Menschheit zu tun? Oder lassen sie das schöne Geld unnütz rumliegen oder immer nur dahinfließen, wo die Vermögensberater hoffen, dass es sich am besten vermehrt?

Natürlich sollten Reiche ordentlich Steuern zahlen. Man darf es damit aber nicht übertreiben. Denn das liefe auf ein staatliches Umverteilungsmonopol hinaus und Monopole sind keine gute Sache. Lassen wir den Staat in Maßen umverteilen, aber ruhig auch die Reichen und Superreichen ihre Akzente setzen – als Konsumenten, Mäzene, Forschungsförderer, Unternehmer und Investoren.

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