31.03.2023

Rechte Genderkritik – ein Wolpertinger?

Von Anke Behrend

Titelbild

Foto: Matt Hrkac via Flickr / CC BY 2.0

Linke und liberale Gegner von Queertheorie und Transgenderpolitik finden sich in einer Querfront mit sehr Konservativen wieder, die von der Selbstbestimmung der Frau nichts halten.

Kennen Sie den Wolpertinger? Er ist ein bayerisches Fabelwesen, ein Unding! Eine Mischung aus Hase, Katze oder Ente mit Geweih, zusammengesetzt von gewitzten Präparatoren, um leichtgläubige Touristen zu foppen. Im Roman „Wolpertinger oder Das Blau“ von Alban Nikolai Herbst (1993) steht der Wolpertinger symbolisch für die Inkonsistenz und Postfaktizität der Postmoderne, die auf wundersame Weise der unkomfortablen Wirklichkeit zu entkommen versucht.

Ebenso skurril und aus einem Frankenstein-Labor entsprungen mag genderkritischen Linken die boomende „Genderkritik“ aus dem rechtskonservativen Lager, speziell im angloamerikanischen Sprachraum, anmuten – ist Kritik an Gender, gelesen als soziale Rolle, Gesamtheit aus Erwartungen, Zuschreibungen und Normen, doch das feministische Anliegen schlechthin.

Wie kommen also ultrakonservative, teils streng religiöse meist männliche Protagonisten wie Matt Walsh, Ben Shapiro oder Jordan Peterson dazu, scheinbar ein feministisches Anliegen zu unterstützen? Was verstehen sie unter Gender und was wollen sie erreichen?

  • Matt Walsh (36) ist in den USA bekannt als politischer Kommentator aus dem rechten Spektrum. Er ist Podcaster bei The Daily Wire und machte 2022 mit dem Dokumentarfilm „What is a Woman“ über die amerikanische Transgender-Bewegung international von sich reden. Walsh vertritt streng katholische Moralvorstellungen, äußerst sich gegen die Homo-Ehe, gegen reproduktive Selbstbestimmung von Frauen und vertritt ein patriarchales Familienbild mit klarer Geschlechterhierarchie. „Es ist ein Warnsignal, wenn ein Mann bereit ist, den Namen seiner Frau anzunehmen“, sagt er zum Beispiel. Walsh meint, das Letzte, was Männer brauchen, sei Feminismus. Andererseits betont er aber auch: „‚Transgenderismus" tötet den Feminismus.
  • Ben Shapiro (39) ist Autor, Rechtsanwalt, arbeitete bei Breitbart News und gründete 2015 die Plattform The Daily Wire, auf der er wie Matt Walsh als politischer Kommentator und Podcaster hauptsächlich innenpolitische Themen bearbeitet. Shapiro ist Abtreibungsgegner und äußert sich gegen die Homo-Ehe.
  • Jordan Peterson (60), 2018 von der New York Times als „Hüter des Patriarchats“ beschrieben, sieht eine Krise der Männlichkeit. Er ist ein kanadischer Sachbuchautor und emeritierter Psychologieprofessor. Seine Vorträge, die sich zu einem großen Teil um die traditionelle Rolle des Mannes in der Gesellschaft drehen, füllen Hallen. In Petersons konservativ-biologistischem Weltbild ist für Veränderung der Machtstrukturen kein Platz. Er hat klare Vorstellungen über die mentalen Eigenschaften der Geschlechter und die daraus resultierende Hierarchie. Die F.A.Z. nennt ihn 2018 einen „Antifeministen“. Zugleich kritisiert er die postmoderne Identitätspolitik.

Dem neoliberalen Abdriften des vermeintlich sprachsensiblen Queerfeminismus in ‚Veruneindeutigung von Begrifflichkeiten ist es geschuldet, dass sowohl die Gesellschaft als Ganzes als auch die Queertheorie und (ultra)konservative Kräfte nicht mehr zwischen Sex und Gender, Nature und Nurture, unterscheiden können oder wollen.

„Bereits in den Anfängen des Queer-, Netz- und Genderfeminismus in den 1990er und 2000er Jahren waren totalitäre Praktiken der Diskursraumverengung angelegt.“

Die wichtigste feministische Theoriebildung des 20. Jahrhunderts, die Trennung der sozial konstruierten Geschlechtsrolle vom biologisch existierenden Körper und alle daraus folgenden Forderungen nach Emanzipation, ist damit zunichte gemacht worden. Doch genau dieser Trennung hätte es bedurft, die feministische Utopie zu verwirklichen, dass Frauen mit ihrem Körper und wegen ihrer Körper keine gesellschaftlichen Nachteile erfahren.

Frühe kritische Stimmen gegen die Queertheorie kamen folgerichtig aus den Reihen der Feministinnen der zweiten Welle. Als erste Prominente äußerte sich die feministische Akademikerin Germaine Greer 2015 gegenüber der BBC, dass Transgender-Frauen „‚keine Frauen‘“ sind.

Die Entwicklung war anfangs schwer absehbar und die feministischen Ideale von Toleranz und Emanzipation für alle marginalisierten Gruppen, machte die Debatte schwierig und im weiteren Verlauf nahezu unmöglich. Bereits in den Anfängen des Queer-, Netz- und Genderfeminismus in den 1990er und 2000er Jahren waren totalitäre Praktiken der Diskursraumverengung angelegt. Mit Hilfe von Triggerwarnungen, einem sich ständig wandelnden pseudoakademischen Jargon und rigider Moderation in Diskussionsforen wurden kritische Stimmen ausgegrenzt, als transphob gebrandmarkt und gecancelt. Sogar sehr prominente Stimmen wie Martina Navratilova und J. K. Rowling wurden Opfer von Rufmord und Boykottaufrufen.

So war im Laufe der Jahre die Debatte gedreht und aus der Forderung nach „Freiheit von“ Genderstereotypen ein „Anspruch auf“ Genderstereotype geworden: Männliche Transaktivisten forderten mit Verweis auf eben jenes feministische Ideal, der biologische Körper solle keine soziale Platzanweisung sein, dass ihre männliche Biologie sie nicht am „Frausein“ hindern dürfe, denn selbiges wäre angeboren, allerdings nicht in Form von Genen und Fortpflanzungsorganen, sondern im Gehirn. Die Genderidentität begann, die biologische Identität zu verdrängen. Wie zum Hohn waren bald biologisch männliche Personen die besseren Frauen.

Eine der ersten prominenten Transfrauen, Cathlyn Jenner, gewann 2015 den „Woman of the Year“-Preis des US-Magazins Glamour. Transfrauen können nun auf Quoten-Listenplätze gelangen, im Frauensport gewinnen und all das mit Unterstützung des Queerfeminismus, der dazu die entsprechende Theorie lieferte: Nicht nur das soziale Geschlecht, das Gender, sondern auch das biologische Geschlecht sei sozial konstruiert. Der Feminismus war (und ist?) im Begriff, an sich selbst zu scheitern.

„Konservative und rechte Transkritik ist reaktionärer Etikettenschwindel.“

Gleichzeitig feierte der auf dem Rückzug befindliche konservative Biologismus mit seinem Dogma, auch das Soziale am „Frausein“ wäre angeboren, fröhliche Urständ. Aus Abwehrreflexen der Konservativen gegen alles Feministische wurde die Ablehnung von „Gender“ schlechthin, aber nicht als Ablehnung der Geschlechtsrollen, im Gegenteil: Die Ablehnung von Gender bedeutete in konservativen Kreisen die Ablehnung von emanzipatorischen Bestrebungen seitens derjenigen, die nun auch ihrerseits die Kritik an sozialen Rollen zunehmend aufgegeben hatten.

Reaktionäre Antifeministen applaudierten, war Frausein für sie doch immer schon eine Art Geisteskrankheit und Feminismus die klinische Form dessen gewesen. Allerdings führte der generelle Abwehrreflex gegen alles Feministische und nunmehr als „Gender“ bezeichnete dazu, dass sich plötzlich linke genderkritische Feministinnen mit Schwulen und Lesben, die sich nicht als „queer“ verstehen, neben rechten Konservativen scheinbar auf der gleichen Seite der Debatte gegenüber dem zunehmend aggressiver werdenden Transaktivismus wiederfanden, denn oberflächlich betrachtet sind kaum Unterschiede in der Argumentation auszumachen.

Für genderkritische Feministinnen zählt das biologische Geschlecht, weil Frauen andere reproduktive Rechte beanspruchen als Männer und ihre Körper einen Unterschied machen. Frauen und Transpersonen haben verschiedene Schutzbedürfnisse, die nicht gegeneinander ausgespielt werden dürfen.

Konservative tun aber genau das. Ihnen dient die wie eh und je Biologie zur Legitimation und Festschreibung von sozialen Machtstrukturen. Genderkritische Frauen, Homosexuelle und andere eher linksliberal orientierte Akteure befinden sich also nur scheinbar in einer Diskurs-Allianz mit Ultrakonservativen, religiösen Hardlinern und Antifeministen, deren Kampf gegen „Gender“ eben keine Kritik an althergebrachten Geschlechtsrollen ist, sondern ein Kampf gegen emanzipatorische Bewegungen schlechthin, sowie der Versuch, gleichzeitig mit dem Transaktivismus auch die Errungenschaften der Frauenbewegung rückgängig zu machen und das „traditionelle“ Geschlechter- und Machtverhältnis zu reinstallieren. Konservative Kritik an „Gender“ ist nicht interessiert an Frauenrechten oder den Ursachen für den Boom von Transidentität bei Kindern und Jugendlichen. Konservative und rechte Transkritik ist reaktionärer Etikettenschwindel – ein postfaktischer Wolpertinger aus biologistischen Versatzstücken.

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