05.08.2022

Die Trans-Transformation

Von Anke Behrend

Ein Aktivismus, der objektive biologische Fakten wie die Zweigeschlechtlichkeit des Menschen subjektiven Maßstäben unterwirft, ist gefährlich für Wissenschaft und Gesellschaft.

„Nichts in der Biologie ist sinnvoll, außer im Lichte der Evolution betrachtet“, Theodosius Dobzhansky, 1973

Dass der Mensch ein besonders komplexes Sozialleben hat, welches zweifelsohne ein Gegenstand der Forschung sein muss, steht außer Frage. Er ist aber auch ein biologisches Lebewesen. Als Resultat der Evolution hat der Mensch biologisch viel gemein mit seinen nächsten Verwandten im Tierreich, den Primaten. Menschen sind diploide Lebewesen, ihre Zellen besitzen einen doppelten Chromosomensatz. Sie pflanzen sich geschlechtlich fort. Die jeweils haploiden Keimzellen (Gameten) mit je einfachem Chromosomensatz beider Eltern verschmelzen zu einem neuen diploiden Kern.

Den ersten Nachweis sexueller Fortpflanzung fanden Forscher in einem 425 Millionen Jahre alten Fossil in Form eines männlichen Krebstieres. Die Nachfahren dieses Tieres, bei dessen Fossil Augen, Kiemen, Gliedmaßen und das bislang älteste männliche Geschlechtsorgan zu erkennen ist, leben noch heute nahezu unverändert in Gewässern auf der ganzen Welt. Selbstverständlich ist klar, dass dieser Urkrebs Colymbosathon ecplecticos  wie die überwiegende Mehrheit der sich geschlechtlich vermehrenden Lebewesen kein nennenswertes Sozialleben aufwies. Das Soziale ist unbestreitbar der Biologie nachrangig.

Die sexuelle, zweigeschlechtliche Fortpflanzung hat zu einer immensen Vielfalt nicht nur an Lebensformen, sondern auch zu etlichen Varianten ihrer selbst geführt. Sie ist neben der DNA vielleicht das erfolgreichste Konzept der Evolution. Auch der Mensch verdankt seine Vielfalt und seine Fähigkeiten der Rekombination elterlicher Gene. Jeder Mensch, der jemals gelebt hat und jeder der derzeit ca. acht Milliarden Menschen ist auf diese Weise als Kind zweier Eltern entstanden.

„Aus den über 430 Millionen Jahren erfolgreicher geschlechtlicher Fortpflanzung ist kein einziger Fall eines dritten Geschlechtes bekannt.“

Weil zur Bildung eines neuen doppelten Chromosomensatzes zwei Eltern vonnöten sind, gibt es zwei biologische Geschlechter. Diese Aussage erfüllt die Kriterien der Wissenschaftlichkeit. Man kann sie beobachten, Voraussagen treffen, Hypothesen daraus ableiten, und man könnte sie durch die Entdeckung eines dritten oder weiterer Geschlechter falsifizieren. Weitere oder andere Geschlechter müssten natürlich eine andere, aber vergleichbare biologische Funktion erfüllen, um als Drittes oder Weiteres in die Definition von Geschlecht eingehen zu können. Eine individuelle Ausformung, eine Variante oder eine von vielen, aber seltenen Anomalien würde diese Kriterien nur erfüllen, wenn sie eine neue andersartige Gamete hervorbringen und vererben würde. Bei einem doppelten Chromosomensatz stehen die Chancen dafür eher schlecht. Aus den über 430 Millionen Jahren erfolgreicher geschlechtlicher Fortpflanzung ist kein einziger Fall eines dritten Geschlechtes bekannt. (Pilze bilden keine Gameten und können nicht als Vergleich herangezogen werden.)

Jeder Mensch hat eine von zwei Möglichkeiten, sich biologisch fortzupflanzen: als Mutter oder Vater. Diese Eigenschaft unserer Körper prägt unser Leben und ist eine ständig präsente Konstante unserer Existenz. Ganz gleich, wie wir sie in unserem Sozialleben ausgestalten, wir können uns ihr nicht entziehen. Das Geschlecht ist anhand nachvollziehbarer, objektiver Kriterien feststellbar und zwar auch bei seltenen Anomalien. Intergeschlechtlichkeit ist nur möglich, da es zwei Geschlechter gibt, und meist im Laufe der Embryonalentwicklung die Differenzierung zu einem von beiden nicht erwartungsgemäß erfolgt ist. Viele als intergeschlechtlich geltende Menschen können sich normal fortpflanzen.

Soziales Geschlecht

Abgesehen von der Biologie hat das Geschlecht bei Menschen einen enormen sozialen Aspekt, der uns in seiner Immanenz und Tragweite nur selten bewusst ist. Die Vorstellung, Geschlechtsrollen seien „sozial konstruiert“, ist vielen daher nicht nachvollziehbar. Biologistische Erklärungen sind in ihrer Einfachheit zu verführerisch. Bei aufmerksamer Beobachtung kann man allerdings feststellen, dass Geschlechtsrollen abgesehen von der reinen Biologie tatsächlich diskursiv hergestellt, geformt und tradiert werden und sich je nach gesellschaftlichem Umfeld relativ schnell adaptieren können.

Es ist also sinnvoll und wissenschaftlich präzise, Geschlecht und Geschlechtsrolle sprachlich unterschiedlich zu benennen und für die soziale Rolle den Begriff „Gender“ zu benutzen, denn Geschlecht und Gender sind nicht identisch. Die soziale Rolle ist der Biologie nachrangig. Ein Mensch kann eine andere soziale Rolle vorziehen, als ihm anhand seiner Biologie zugedacht wird. Das gilt sogar für ganze Gruppen. Die Frauenbewegung ist entstanden, weil Frauen mit ihrer sozialen Rolle nicht einverstanden waren und hat in relativ kurzer Zeit die gesellschaftlichen Verhältnisse verändert. Transgenderpersonen beweisen noch drastischer, dass die Identifikation mit einer Geschlechtsrolle nicht abhängig von der Biologie ist.

„Dass das Vorhandensein von Organsystemen gesellschaftlich konstruiert sei, ist schlichtweg absurd.“

„Welchem Geschlecht sich jemand zugehörig fühlt, das ist keine Entscheidung von Richtern, Medizinern und Psychologen.“ Das schreibt Sven Lehmann, Queerbeauftragter der Bundesregierung, in einem Gastbeitrag bei der Zeit. Und damit hat er im Grunde Recht. Wie man sich fühlt, ist jedem selbst überlassen. Nichts ist so individuell wie das eigene Fühlen. Korrekt wäre seine Aussage, wenn sie sich auf das Gender bezöge. Einem Geschlecht kann man sich ebenso wenig zugehörig fühlen wie einer Blutgruppe. Es existiert a priori.

Aktivismus

Politische Aktivisten behaupten nun aber, laut aktuellen Forschungsstand sei das Geschlecht die Kombination aus biologischem Geschlecht, sozialer Zuschreibung, sexueller Orientierung, und auch das biologische Geschlecht – die objektiv vorhandenen Gene und Organe – sei eine soziale Konstruktion. Diese Auslegung ist nicht sinnvoll und in ihrem Wesen pseudowissenschaftlich, denn sie entzieht sich intersubjektiver Überprüfbarkeit, ist nicht verifizierbar und somit auch nicht falsifizierbar. An das subjektive Empfinden eines Menschen bezüglich seines Körpers, seiner Geschlechtsrolle und seine Identität können keine objektivierbaren Maßstäbe angelegt werden. Nur die betreffende Person kann darüber Auskunft geben. Dass das Vorhandensein von Organsystemen hingegen gesellschaftlich konstruiert sei, ist schlichtweg absurd.

De facto wird die Kategorie Geschlecht bis zur Unkenntlichkeit aufgebläht durch Hinzuziehung beliebiger Kriterien und Vorannahmen in die Definition von Geschlecht: die zahlreichen Formen der Intergeschlechtlichkeit, der sexuellen Orientierung, des Auslebens von Stereotypen, der Persönlichkeit, das subjektive Erleben und Wunschvorstellungen. Folgerichtig wird jede Kritik an diesem Konzept als feindlicher persönlicher Angriff gewertet. Wissenschaft kann so nicht stattfinden, denn es gibt keine sinnvolle Möglichkeit mehr, über Geschlecht zu sprechen, medizinische Forschung zu betreiben oder Rollenzuschreibungen zu überwinden. Immer neue „Geschlechtsidentitäten“ entstehen, über deren Differenzierung teils erbittert gestritten wird. Auf Facebook waren 2014 von 60 „Geschlechtern“ 26 Auswahlmöglichkeiten für „Trans“ verzeichnet.

Vertreter der neuen Glaubensrichtung schotten sich systematisch ab. Diffamierungsvokabular und Cancel Culture sind an der Tagesordnung. Jede Kritik und sogar das Aussprechen simpler biologischer Tatsachen wird als transfeindliche sprachliche Gewalt bezeichnet, einen sinnvollen Diskurs gibt es nicht. Notfalls wird er durch lautstarke Proteste von Aktivisten unterbunden.

„Rechter Biologismus und Transgender-Ideologie gehen beide davon aus, dass Geschlechtsrollen bzw. die „Geschlechtsidentität“ angeboren und nicht veränderbar sind.“

Sven Lehmann setzt auf Twitter „Transfeindlichkeit“ – den Tatbestand erfüllt für ihn bereits die Aussage, Frauen haben keinen Penis – mit Antisemitismus gleich:

Nein, wir müssen Transfeindlichkeit nicht „aushalten“.

Wir müssen auch Antisemitismus und Rassismus nicht „aushalten“.

Wir müssen dagegen vorgehen und laut widersprechen! - um als offene Gesellschaft die Menschen zu schützen, die täglich darunter leiden.

Dies ist nicht nur eine eklatante Verharmlosung von Antisemitismus, es ist totalitärer Biologismus im neuen Gewand. Rechter Biologismus und Transgender-Ideologie haben eines gemeinsam: Beide gehen davon aus, dass Geschlechtsrollen bzw. die „Geschlechtsidentität“ angeboren und nicht veränderbar sind. Im Klartext bedeutet dies nichts anderes, als dass die gesellschaftliche Machtverteilung zwischen den Geschlechtern, deren Mittel der Platzanweiser „Gender“ ist, eine natürliche ist, und jeder Versuch, sie zu ändern wäre widernatürlich.

Jugendpsychiater Alexander Korte urteilt hingegen: „Die neurobiologische Forschung ist definitiv den Beleg schuldig, dass Geschlechtsidentität genetisch bedingt sein könnte. Auch aus der Sicht der Entwicklungspsychologie ist es abwegig, davon auszugehen, dass Identität etwas ist, mit dem man zur Welt kommt. Aus meiner Sicht ist Identität stets das Resultat einer individuellen Bindungs- und Beziehungs- und auch Körpergeschichte.“

Gefühle statt Fakten

Die Behauptung einer angeborenen „Geschlechtsidentität“ ist die eigentliche Bedrohung für eine gleichberechtigte Stellung und Teilhabe der Frau in der Gesellschaft. Warum soll eine Frau MINT studieren oder Karriere machen, wenn das nicht ihre Natur ist? So werden Frauenrechte heute von zwei Seiten aus in die Zange genommen: von Konservativen und von vermeintlich Progressiven.

Denn Frauen und Mädchen sind inzwischen am stärksten betroffen. „85 Prozent der trans Identifizierten sind ja biologische Mädchen. Das ist ein internationales Phänomen. In Schweden stieg die Diagnosehäufigkeit bei 13- bis 17-jährigen Mädchen von 2008 bis 2018 um 1.500 Prozent. Es fragen Eltern von Siebenjährigen: Wann soll meine Tochter Hormone bekommen? Und wann sollen die Eierstöcke raus?“

„Gefühlte Wahrheiten stehen über feststellbaren Fakten, Ursache und Wirkung werden verdreht.“

Diese Entwicklung ist erschreckend. Und sie ist frauenfeindlich. Ein gesellschaftliches und mediales Umfeld übt einen so starken Druck auf Mädchen aus, dass junge Mädchen und ihre Eltern den einzigen Ausweg in hormoneller und chirurgischer Kastration und optischer Anpassung an männliche Rollenbilder sehen.

Statt Biologismus bekämpft man die Biologie. Statt die Gesellschaft den menschlichen Bedürfnissen anzupassen und diverse Rollenbilder zu akzeptieren, müssen sich Menschen operativ der Gesellschaft anpassen und werden zum Rohstoff für ein neues Geschäftsmodell der Medizin-Industrie, gestützt auf eine ideologisch motivierte Pseudowissenschaft, die vorgibt, dass Gefühle mehr zählen als Fakten, aber letztlich die Gefühle für ihre Agenda missbraucht. Es ist „Menschenverachtung im Laborkittel“ – eine Formulierung, mit der auf Radio Eins ein Vortrag über die Evolution des biologischen Geschlechtes kommentiert wurde, der anlässlich der „Langen Nacht der Wissenschaft“ der Humboldt-Universität Berlin nach der Androhung von Protesten durch Transaktivisten gecancelt wurde.

Hierbei handelt es sich durchaus um einen Paradigmenwechsel, allerdings nicht innerhalb des wissenschaftlichen Erkenntnisgewinns, sondern aus der Wissenschaft hinaus in vor-aufklärerische, magische Denkmuster. Gefühlte Wahrheiten stehen über feststellbaren Fakten, Ursache und Wirkung werden verdreht und fast möchte man annehmen, die gesamte Denkrichtung wäre abgedriftet in einen kindlich-egozentristische Geisteshaltung, in der die eigene subjektive Sicht einen objektiven Status einnimmt. Es wäre der Rückfall in ein geistiges Mittelalter.

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