15.11.2011

Rauchverbote - Geschichtlicher Exkurs

Essay von Walter Wippersberg

Seit der Tabak aus der neuen Welt nach Europa kam, steht er unter Verbotsvorbehalt. Eine Beschreibung wie seit dem 15. Jahrhundert immer wieder aufs Neue gegen die Freunde des Blauen Dunstes vorgegangen wird. Ein Exkurs in die Verbotsgeschichte des Tabakkonsums

Verteufelungen, Verbote und Sanktionen begleiten das Rauchen in Europa von allem Anfang an. Schon den armen Rodrigo de Jerez, einen der Gefährten des Columbus, hat man für zehn Jahre ins Gefängnis gesteckt, weil er in Spanien geraucht hat. Das meinte die Heilige Inquisition, nicht dulden zu können, sie vermochte im Rauch, der da ausgeatmet wurde, nichts anderes zu sehen als Teufelswerk: In den unchristlichen, heidnischen Gegenden, aus denen der Raucher kam, musste der Satan in ihn gefahren sein, und der blies jetzt Höllenrauch aus ihm heraus. „„Als Indiz für die Gefährlichkeit des Rauchens dient hier“, schreibt Claus-Marco Dieterich, „also nicht die Aufnahme des Rauches, sondern das sichtbare Ausatmen desselbigen. In der Verbindung zwischen dem ausgeblasenen Rauch und dem Dampf der Hölle liegt ein Motiv, das in der Konfliktgeschichte um das Rauchen vor allem von kirchlichen Vertretern immer wieder herangezogen wurde und Anlass gab, gegen das Rauchen vorzugehen.“

Frühzeit der Tabakverbote (17.–19. Jhdt.): Verbote, Diffarmierung und Wiederstand

Es wagten denn auch nicht viele, öffentlich zu rauchen, bis mit Sir Walter Raleigh der Umschwung kam, dem freilich die Verdammung des Rauchens fast augenblicklich folgte – ausgesprochen gar von einem gekrönten Haupt, dem englischen König Jakob I. In seinem Werk „Misocapnus“ listet er schon 1619 vieles von dem auf, was noch jahrhundertelang dem Rauchen und den Rauchern vorgeworfen werden sollte. Der Tabakkonsum sei „der Schande entsprungen, auf Irrtum aufgenommen, durch Torheit verbreitet“. Durchs Rauchen werde „des Gottes Zorn gereizt, des Körpers Gesundheit zerstört, das Hauswesen zerrüttet, das Volk im Vaterlande herabgewürdigt und auswärts verächtlich gemacht.“ Das Rauchen sei eine Verschwendung und dazu noch ungesund. „Das Erbgut manches jungen Edelmannes wird ganz erschöpft und verfliegt mit dem Dampf dieses Rauches rein in nichts.“ Liederlich und schwächlich würden die Tabaktrinker: „Denn genau wie hysterische Weiber ihr Leben verbringen, so kennt Ihr infolge der Erschlaffung nur noch diese eine Sorge um Euer Laster.“ Das Rauchen zu verbieten gelang Jakob I. freilich nicht, also wollte er, wie schon berichtet, wenigstens daran verdienen – durch eine enorme Erhöhung der Einfuhrzölle auf Tabak.
In Japan und in China, wohin der Tabak zu dieser Zeit auch schon gekommen war, galt zu König Jakobs Zeit bereits ein Rauchverbot. Das Eigentum eines Tabakverkäufers konnte eingezogen werden – zugunsten dessen, der ihn denunziert hatte. Raucher konnten ab 1619 zu Geldstrafen verurteilt werden. Aber schon 1625 wurden die Verbote in Japan wieder aufgehoben, weil sich inzwischen, wie es heißt, auch viele Fürsten das Rauchen angewöhnt hatten.
In weiten Teilen Kontinentaleuropas war das Rauchen im Dreißigjährigen Krieg populär geworden, in umliegenden Gegenden aber konnte das im frühen 17. Jahrhundert sehr gefährlich sein. Der persische Schah Abbas I. (der Große) ließ Rauchern gern die Nasen und Lippen abschneiden. Mit dem Nasenabschneiden drohte auch der russische Zar Michael Feodorowitsch. Er ließ außerdem Prügelstrafen verhängen und angeblich den einen oder anderen Tabakverkäufer kastrieren.
Der rabiateste Potentat, der die Raucher hasste und verfolgte, war aber ohne Zweifel der türkische Sultan Murad IV. Die von ihm in Gang gesetzte Diffamierung der Raucher erinnert ein wenig an die Christenverfolgung unter Nero, der ja, wie behauptet wird (man zweifelt heute daran), Rom hat anzünden lassen und dann, weil das Volk darüber empört war, den Christen die Schuld dafür in die Schuhe geschoben hat, um sie grausam verfolgen zu lassen. Sultan Murad soll aus Anlass der Geburt eines Sohnes ein Feuerwerk abgebrannt haben, und das sei irgendwie außer Kontrolle geraten, zwanzigtausend Häuser in Konstantinopel seien daraufhin verbrannt. Murad aber behauptete nun, die Brandkatastrophe habe auf einem Schiff, auf dem geraucht worden sei, ihren Ausgang genommen. Eine blutige Raucherverfolgung setzte ein, und der Sultan soll dabei selbst Hand angelegt haben. Verkleidet sei er – als das Rauchen schon streng verboten war – an die Orte gegangen, an denen angeblich heimlich immer noch Tabak verkauft wurde. Er habe viel Geld dafür geboten und, wenn er tatsächlich Tabak bekommen habe, den Säbel gezogen und den Verkäufer (den „Dealer“) augenblicklich einen Kopf kürzer gemacht. Er muss ein türkischer Puritaner gewesen sein, denn er hat auch Opium und Kaffee verbieten lassen, Wein sowieso. Er ist kaum dreißig Jahre alt geworden, soll aber hunderttausend Menschen zum Tod verurteilt und nicht wenige davon selbst hingerichtet haben. 
In Mitteleuropa ging es zivilisierter zu, doch kamen, als der Dreißigjährige Krieg zu Ende war, die ersten regionalen Rauchverbote: In Salzburg und Bayern 1652, in Kursachsen 1653, in Württemberg 1656, in Tirol 1667. Wolfgang Schivelbusch   interpretiert das als „Rückzugsgefechte mittelalterlicher Weltanschauung“.
Ein schönes Beispiel dafür, wie unsicher man sich der Begründung für die Rauchverbote war, liefert die Stadt Bern, wo die Obrigkeit 1661 das Tabakrauchen untersagte. Dass damit sündhaftes Tun unterbunden werden sollte, darüber war man sich einig. Aber mit welchem der zehn biblischen Gebote sollte man das Rauchen in einen Zusammenhang bringen? Man entschied sich für den Ehebruch. Claus-Marco Dieterich vermutet, „daß dies in Folge der Überzeugung mancher Ärzte geschah, die dem Tabak nachsagten, er mache zeugungsunfähig.“ Schließlich beschloss man, den Dekalog zu erweitern. Elftes Gebot: „Du sollst nicht rauchen!“ Doch hat sich das, wohl zum Leidwesen mancher, nicht durchgesetzt.
Die Haltung der Kirchen war unterschiedlich. Dass bei den Katholiken (als sie schon nicht mehr an die Mitwirkung des Teufels glaubten) das Rauchen überhaupt und selbst in den Kirchen einmal erlaubt, dann verboten, dann wieder erlaubt und wieder verboten war, davon war schon die Rede. Wie auch davon, dass man den Klerikern, der angeblich die Fleischeslust dämpfenden Wirkung des Tabaks wegen, das Rauchen nachsah, wenn nicht sogar empfahl. Mitte des 19. Jahrhunderts war es katholischen Priestern vom Vatikan her übrigens ausdrücklich untersagt, Schmähschriften gehen den Tabak zu verfassen oder gegen das Rauchen zu predigen.
Wo die Protestanten weltliche Macht hatten, in Norddeutschland etwa oder in der Schweiz, dort war jedenfalls die Versuchung, das Rauchen von oben her zu verbieten und dem Verbot zum Beispiel durch die Androhung der Auspeitschung Nachdruck zu verleihen, größer als in katholischen Ländern. Die Franzosen und die Italiener etwa gingen im 17. Jahrhundert mit dem Rauchen eher pragmatisch um. Statt es zu verbieten, wollten sie – wozu sich Jakob I. von England schon entschlossen hatte – lieber durch die Einhebung von Steuern und Abgaben aller Art dran verdienen. „Natürlich“, meint Oliver Pohl , „von der Absicht getragen, durch die Reduktion des Tabakkonsums die Gesundheit der Untertanen zu schonen. Aus gesundheitlichen Gründen führte auch Richelieu 1629 in Frankreich die Tabaksteuer ein.“  Diese Sorge konnte seltsame Blüten treiben – und treibt sie heute noch: „1631 verbot das Parlament in Paris aus gesundheitlichen Gründen das Rauchen in den höchst ungesunden Gefängnissen“, schreibt Pohl, „so wie heute US-amerikanische Behörden Todeskandidaten sogar noch unmittelbar vor der Hinrichtung die letzte Zigarette verweigern.“
Über zweihundert Jahre hin glaubten manche, es gäbe kaum ein Leiden, das nicht durch die vielfältigen wohltätigen Wirkungen der Tabakpflanze geheilt werden könnte, und es gab von allem Anfang an, seit der Tabak in Europa bekannt war, manche, die ihn für alles verantwortlich machten, was nur an Krankheiten, Elend, Verfall der Sitten und sonstigen Übeln denkbar war. Als der Glaube an die schier wundertätige Wirkung auf den Körper allmählich schwand, entdeckte man jene den Geist belebende Wirkung. Wolfgang Schivelbusch: „Rauchen und geistige Arbeit, das ist für die Autoren des 17. und 18. Jahrhunderts ein eng zusammengehöriges Paar.“ Das hinderte die andere Seite nicht, den Tabak, vor allem das Rauchen, weiterhin zu verdammen und, wenn sie die Macht dazu hatte, zu verbieten.
Überblickt man die Frühzeit des Tabakkonsums in Europa, so begegnet man einigen wenigen Motiven hinter der leidenschaftlichen Ablehnung. Die Sorge um die Gesundheit der Raucher ist das vordergründigste davon. Dass Rauchen nur schädlich sein konnte, das wussten manche schon, ehe sie irgendetwas sonst über den Tabak wussten. Aber woher? Sie wussten es einfach und trugen ihre Behauptung (damals schon) wie eine ein für allemal gesicherte Wahrheit vor. (Daran hat sich bis heute nichts geändert. Wir wissen jetzt, dass das Rauchen gesundheitsgefährdend sein kann, aber jene, die dem generellen Verbieten das Wort reden, übertreiben die Risiken nicht nur, sondern behaupten, dass Rauchen die Gesundheit auf jeden Fall schädige.)
Ein kaum je offen ausgesprochenes, aber von allem Anfang an durchschimmerndes Motiv: Tabak ist ein Genussmittel, das von außen her nach Europa gekommen ist. Allein deswegen schon war ihm nicht zu trauen, allein deswegen musste es gefährlich sein. Das ist ein un-verzichtbarer Bestandteil aller xenophoben Denkschemata: Das Gefährliche, das Verhängnis-volle, das Böse kommt von außen. Auch hier zieht sich eine Linie bis in die jüngere Vergangenheit: Für Hitler war das Rauchen ein Laster der „minderwertigen Rassen“, und manch ein Fundamental-Christ im amerikanischen Bible Belt mag darin die ausrottungs-würdige Sitte jener Ureinwohner sehen, die auszurotten man sich immerhin bemüht hatte.
In den protestantisch eingefärbten Verboten schwingt immer mit, was der überzeugte Presbyterianer (also wesentlich calvinistisch geprägte) König Jakob I. in seinem „Misocapnus“ schon angesprochen hat: Das Rauchen sei Verschwendung, unnütz – also schädlich in mehrfacher Hinsicht. Und vor allem: Rauchen diene – ein Horror für jeden Puritaner – nur dem Genuss.
Und noch ein Motiv für die Rauchverbote gibt es, dem – meine ich – zu wenig Beachtung geschenkt wird: Die Lust am Verbieten. Wer die Macht dazu hat, erlässt Verbote. In der Gegenwart scheinen nach etlichen sehr liberalen Jahrzehnten viele Staaten ausprobieren zu wollen, wie viel sich ihre Bürger eigentlich bieten und verbieten lassen. Bürgerrechte werden unter vielerlei Vorwänden (beliebt zum Beispiel die Terrorismusbekämpfung) eingeschränkt, der Staat mischt sich immer stärker in die Privatsphären der Menschen ein, und die Tendenz, das öffentlich-gesellschaftliche Leben mittels Verboten zu regeln, ist unübersehbar. Das könnte endlich dorthin führen: „Wo viel verboten ist, wird leicht noch mehr verboten“, schrieb 2007 Jens Jessen in „Die Zeit“, „weil das Unverbotene so stark auffällt und am Ende nur noch in Form des ausdrücklich Erlaubten geduldet wird“. (Freilich nährt sich ja – diese Hoffnung bleibt – auch die Lust an den Verboten: Viele Katholiken können etwa, haben sie erst ein gesetzteres Alter erreicht, der rigiden Sexualmoral ihrer Kirche durchaus etwas abgewinnen, wissen sie doch, dass ihre ersten sexuellen Erfahrungen nur halb so reizvoll gewesen wären ohne das Bewusstsein, ein strenges Verbot zu übertreten.)
Mit der Binsenweisheit, Verbote seien zur Aufrechterhalten der öffentlichen Ordnung notwendig, hat im frühen 19. Jahrhundert der Preußische Staat das Rauchen streng reglementiert. Raucher galten – man weiß gar nicht mehr so recht, warum – als verdächtige, möglicherweise staatsfeindliche Elemente.
1810 erklärte der Berliner Polizeipräsident: „Da das öffentliche Tabakrauchen auf den Straßen und Promenaden ebenso unanständig als gefährlich und dem Charakter gebildeter, ordnungsvoller Städte entgegen ist, so wird dasselbe nicht nur für Berlin, sondern auch für Charlottenburg und den Thiergarten hierdurch aufs Strengste untersagt.“  Leopold III. Friedrich Franz, Fürst und Herzog von Anhalt-Dessau, sonst ein durchaus aufgeklärter Mann, erlaubte und riet sogar seinen Untertanen, jedem, der auf der Straße rauche, die Pfeife oder Zigarre aus dem Maul zu schlagen.
Doch regte sich Widerstand. Im Mai 1813 geschah es in Berlin, dass ein Sergeant, der einem Raucher die Pfeife wegnehmen wollte, sich plötzlich von zwanzig anderen Rauchern umringt sah, worauf er die Flucht ergriff. Gerade in dieser hier bewiesenen Solidarität unter den Rauchern sah man eine Gefahr für den Staat und die rechte Ordnung, zumal Standes-unterschiede sich aufzulösen begannen. Es werde nämlich schon, wurde tadelnd vermerkt, als das Recht eines freien Mannes angesehen, jeden anderen um Feuer zu bitten, „ganz gleich welchen Standes er war.“
Im Revolutionsjahr 1848 musste man, wie schon erwähnt, auch in Berlin das Rauchen in der Öffentlichkeit wieder erlauben, „nicht zuletzt“, wie Oliver Pohl anmerkt, „um die auf¬gebrachten Massen zu einem friedlichen Abzug vor dem Schloß des Königs zu bewegen.“ Aber noch in diesem Jahr schrieb die soeben gegründete, streng reaktionäre Neue Preußische Zeitung (nach dem Eisernen Kreuz auf dem Titelblatt auch Kreuz-Zeitung genannt, das „Blatt der Partei der feudalen Junker und orthodox evangelischen Pastoren“): „Die Cigarre ist ein Scepter der Ungeniertheit. Mit der Cigarre im Munde sagt und wagt ein junges Individuum ganz andere Dinge, als es ohne Cigarre sagen und wagen würde.“ – Dieses revolutionäre Image verdankt die Zigarre, wie Wolfgang Schivelbusch schreibt, vor allem den Zigarrendrehern, die im Vormärz die militante Avantgarde der Arbeiterbewegung bildeten. „Sie gründen in Deutschland die erste und radikalste Gewerkschaft. Eine kuriose Wendung nimmt die Symbolik der Zigarre später, als sie Statussymbol des kapitalistischen Unter¬nehmers wird.“

USA: Puritanismus und Prohibition

Stand in Preußen (und nicht nur dort) in den Jahren vor der bürgerlichen Revolution die Sorge um die Aufrechterhaltung der Ordnung im Staat im Vordergrund, so war die nächste Angriffswelle gegen das Rauchen und die Raucher wieder deutlich religiös motiviert. Sie rollte in den USA und wurde angeführt von resoluten puritanischen Damen, die sich zu einer „Christlichen Frauenvereinigung für Enthaltsamkeit“ zusammengetan hatten, zur „Women’s Christian Temperance Union“.
Imre von der Heydt: „Prominente Vorreiterin der Kampagne gegen den Tabak war die evangelikale Methodistin und Schullehrerin Lucy Gaston, die in den 1890er Jahren damit begonnen hatte, Jungen und Mädchen in Schulen und Kirchen zum ‚Clean Life Pledge’ (Pledge = Gelöbnis, Schwur, Bekenntnis) zu bewegen: Hiermit gelobe ich mit Gottes Hilfe von allen berauschenden Getränken und dem Gebrauch von Tabak in jedweder Form zu entsagen.“  Frau Gaston gründete 1899 die „Chicago Anti-Cigarette League“, die sich zwei Jahre später mit gleichgesinnten Gruppen zur „National Anti-Cigarette League“ verband, zu der sich dann bis zu dreihunderttausend Menschen bekannten. Protestantische Funda-mentalisten hauptsächlich, voll Misstrauen gegen alles Neue und Fremde, gegen die euro-päische Aufklärung und Säkularisierung. „Vor allem aber“, schreibt Heiner Hess, „führten sie ganz in der Tradition der puritanischen Lustverneinung einen moralischen Kreuzzug gegen moderne verdorbene Sitten aller Art, gegen Boxkämpfe, Glücksspiele, öffentliche Tanzveranstaltungen, Jazz, den Sonntag entweihende Vergnügungen, gegen das Trinken von Alkohol (Anfang der zwanziger Jahre gab es Bibelausgaben, in denen das Wort Wein durch Traubensaft ersetzt war) und gegen den Tabakgenuß in jeder Form, besonders aber in der neuen Form der Zigarette.“
Was den Kampf gegen den Tabak betrifft, hatte man Erfolg: In den Jahren 1893 bis 1921 kam es in insgesamt vierzehn Bundesstaaten der USA zu strikten Rauchverboten. Die Argumente dafür waren ja auch schier unwiderlegbar, Tabak (wie auch Alkohol) macht schließlich – wer wollte daran zweifeln – die Menschen zu Verbrechern: „Man frage die Kriminologen und die Gefängnisbeamten nach den Beziehungen zwischen Tabak und Verbrechen; es wird sich zeigen, daß der wirkliche Verbrecher, der wirklich verdorbene, gewerbsmäßige Einbrecher, Straßenräuber und Dieb, der Zögling ebenso des Tabakhändlers wie des Kneipenwirts ist.“ Gar schauerlich sind die Folgen des Tabakkonsums, nicht nur des Rauchens, auch des Tabakkauens: „Trägen Geist und schlaffe Körper, unstillbaren Durst und zitternde Hände, Delirium tremens, Wahnsinn – und Tod, all das haben wir als Konsequenzen deutlich beob-achten können bei ursprünglich grundanständigen jungen Leuten, die ihr Studium mit den besten Vorsätzen und Erfolgsaussichten begonnen hatten und dann dem unseligen Tabak-genuß frönten.“ 
Anhaltenden Erfolg hatten Lucy Gaston und die „National Anti-Cigarette League“ freilich nicht. Nach internen Querelen gibt Gaston schließlich entnervt auf und kehrt nach Chicago zurück, wo sie – Ironie der Geschichte – 1924 an Kehlkopf-Krebs stirbt. Drei Jahre später widerruft Kansas seine Anti-Zigaretten-Gesetze – und von 1930 an sind Zigaretten wieder in allen Bundesstaaten erlaubt. Mit ein Grund für das Scheitern der Bewegung war, dass sich die amerikanischen Soldaten des Ersten Weltkriegs das Rauchen nicht so einfach hatten verbieten lassen wollen.
Ähnlich war es mit der Prohibition, an deren Durchsetzung gleichfalls die „Women’s Christian Temperance Union“ stark beteiligt war: Von 1917 (bzw. 1919) bis 1933 waren in den USA die Herstellung, der Transport und der Verkauf von Alkohol verboten. Was daraufhin geschah, ist Gegenstand vieler amerikanischer Filme geworden. Speakeasys entstanden, „Flüster-kneipen“, in denen eben heimlich getrunken wurde. Ihre Zahl soll allein zwischen 1922 und 1927 von fünftausend auf über dreißigtausend (nach anderen Schätzungen sogar auf hunderttausend) gestiegen sein. Eine blendende Einnahmequelle für das organisierte Verbrechen. Das war die große Zeit von Al Capone, George Moran oder Dutch Schultz, den man den „Bierbaron der Bronx“ nannte. Auch Lucky Luciano erlebte seinen Aufstieg in dieser Zeit. Ohne die Prohibition wäre, das ist nicht übertrieben, die Mafia nicht geworden, was sie dann in den 1940er Jahren war und zum Teil bis heute noch ist. So wie das Rauchverbot musste auch das Alkoholverbot wieder zurückgenommen werden, doch ganz ohne Verbote wollte man anscheinend in den USA doch nicht leben. So wurde 1937 halt Marihuana verboten.

Nazizeit: Reinheitswahn und Rassenideologie

Die Auswirkungen dieser amerikanischen Eskapaden auf Europa blieben gering. Zwar wurde etwa 1912 in Dresden der „Bund Deutscher Tabakgegner“ gegründet, doch hat er nicht viel bewirkt. Auch der erbitterte Tabakgegner Hitler hat ja das Rauchen allenfalls nur ein wenig einschränken, aber nicht abschaffen oder gar verbieten können. Gewollt hat er es gewiss, und für die Zeit nach dem „Endsieg“ hatte er sich das auch ganz fest vorgenommen.
Hitler war Konvertit, Ex-Raucher, und das sind nicht selten die besonders fanatischen Rauchgegner. Er war überzeugt, dass er als Raucher, also nikotin-kontaminiert, bestimmt nicht Reichskanzler hätte werden können. Besessen von der Reinheit des Körpers, auch von der Reinheit des „Volkskörpers“, war er immer voll Angst, der eine wie der andere könnten konta¬miniert, also verunreinigt werden: Der Körper des einzelnen Menschen etwa durch Tabak, der „Volkskörper“ durch Juden oder Zigeuner. Er sah im Tabak ein „Rassengift“ – und konnte, bemerkenswert bei seiner Machtfülle – doch nicht viel dagegen tun. In den Zügen wurden Nichtraucher-Abteile eingeführt, auch rauchfreie Zonen in Postämtern und Parteibüros, die Werbung für Tabakwaren wurde rigoros eingeschränkt, weder Athleten noch Frauen durften auf den Plakaten abgebildet werden. Die Losung „Die deutsche Frau raucht nicht!“ wurde ausgegeben und, wie Claus-Marco Dieterich es formuliert, „mit scharfer Gesundheits¬propaganda, rassenbiologischen Argumenten und kulturkritischen Untergangs-szenarien ideologisch untermauert.“ Andererseits konnten Frauen über die Raucherkarte ab 1939 Zigaretten beziehen, freilich nur halb so viele, wie den männlichen Rauchern zustanden. Übrigens hat Hitler auch seiner Geliebten Eva Braun das Rauchen nicht ganz ausreden können. Zweierlei dürfte Hitler davon abgehalten haben, das Rauchen zu verbieten: Erstens brauchte er das Geld aus der Tabaksteuer (die SA hat übrigens bis 1934 eigene Zigarettenmarken verkauft, „Sturm“, „Trommler“ oder „Alarm“), zweitens wollte er es sich mit den Soldaten nicht verscherzen.
„Zu Kriegsbeginn“, sagt der amerikanische Medizinhistoriker Robert N. Proctor, „war es sehr umstritten, ob die Wehrmacht Zigaretten erhalten sollte. Hitler nannte es später einen großen Fehler, den Soldaten Tabak gegeben zu haben. Damals erschien eine ganze Serie von Studien, die zeigen sollten, wie Tabak die Kampfkraft der deutschen Soldaten schwächte, die Fähigkeit, geradeaus zu schießen, das Durchhalten bei Märschen und die Aufnahme von Nahrung. Die Kampagne gegen das Rauchen erreichte ihren Gipfel zwischen 1939 und 1941. Man sprach schon von einer ‚Endlösung der Tabakfrage’.“  Goebbels, einer der starken Raucher in der Nazi-Nomenklatura, schwächte von 1941 an – gegen den Willen Hitlers – die allzu rabiate Propaganda gehen den „Tabak als Volksfeind“ ab, weil hier das Volk seinem Führer einfach nicht so recht folgen wollte. Übrigens hat es wenig Sinn, wenn militante Raucher immer wieder darauf hinweisen, dass Hitler zu den fanatischen Gegnern des Rauchens zählte – damit suggerierend, dass die Rauchgegner allesamt Faschisten seien. Es gab am Anfang des 20. Jahrhunderts auch unter den Sozialdemokraten strikte Gegner des Tabakkonsums: „Für die Burschen war klar – nicht rauchen, nicht trinken, keine Krawatte, offenes weißes Ausschlaghemd und das blaue Hemd der Organisation, kurze Hose“, so beschreibt Franz West   linke Jugendliche der Zwischenkriegszeit.
Hitler wollte systematisch vorgehen: Im Jahr 1941 überwies Hitler 100.000 Reichsmark an die Universität Jena, auf dass dort ein „Institut zur Erforschung der Tabakgefahren“ errichtet werde. Dem jungen Kölner Mediziner Franz Hermann Müller war es schon zwei Jahre vorher gelungen, Zusammenhänge zwischen dem Rauchen und dem Lungenkrebs aufzuzeigen: Er hatte festgestellt, dass Raucher öfter Lungenkrebs bekommen als Nichtraucher. Er schloss viele andere Entstehungsursachen (Staub, Autoabgase, Tuberkulose, Röntgenstrahlen und Fabrik¬abgase) nicht aus, meinte aber, dass „die Bedeutung des Tabakrauchs immer mehr in den Vordergrund gerückt“ sei. Das sollte nun weiter erforscht werden. Die Universität Jena war der richtige Platz dafür, denn der Rektor, der „Rassenforscher“ Karl Astel, war ein ebenso strammer SS-Mann wie fanatischer Nichtraucher, der über seine Uni schon 1940 ein Rauchverbot verhängt hatte und Studenten, wenn es denn sein musste, die Zigarette aus dem Mund riss.
Zu den Forschern, die sich in der NS-Zeit intensiv mit den Gefahren des Tabakkonsums beschäftigten, gehörte auch Fritz Lickint (1898-1960), ehemals Mitglied der SPD und des „Vereins sozialistischer Ärzte“, zunächst von den Nazis diskriminiert, dann aber vom „Reichsgesundheitsführer“ Leonardo Conti protegiert. Dem wird, das sei hier angemerkt, gelegentlich widersprochen. Lickint sei vielmehr 1939 als einfacher Sanitäter zur Wehrmacht eingezogen worden. Ich bezweifle das, erspare es mir aber, mit großem Zeitaufwand nach Indizien zu suchen, die das eine oder das andere oder etwas Drittes beweisen könnten, denn dies steht fest: Fritz Lickint verdankt die Welt das Wort „Passivrauchen“. Er war überzeugt, dass Tabakrauch auch für Nichtraucher gefährlich sei. Beweisen konnte er es trotz angestrengter Forschungstätigkeit freilich nicht.

Passivrauchen & Co.: Gegenwärtige Verbotstrends

Als dann ein paar Jahrzehnte später in Amerika erneut zum Heiligen Krieg gegen die Raucher aufgerufen wurde, da wusste man, der Kampf würde (auch diesmal) nicht zu gewinnen sein, so lange Raucher und Nichtraucher so friedlich wie bis dahin mit- und nebeneinander leben. Also mussten – Strategiepapiere dieser Art sind bekannt – die beiden Gruppen erst einmal gegen¬einander aufgebracht und ausgespielt werden. Die Raucher mussten als asozial und unverantwortlich, als Schädlinge dargestellt werden. Die Nichtraucher sollten – bis dahin weitgehend unbekannt – Angst vor den Rauchern kriegen. Auf der Suche nach einem so richtig angsterregenden Schlagwort fand man die von Fritz Lickint erfundene Vokabel: „Passivrauchen“. Zunächst genügte die Behauptung, dass Secondhand Smoke gesundheits-gefährdend, ja lebensgefährlich sei. Das sollte dann auch wissenschaftlich bewiesen werden – was Lickint nicht geschafft.
Gesinnung und Sendungsbewusstsein hatten sich seit den Tagen der „National Anti-Cigarette League“ nicht verändert, aber man wollte jetzt, in den 1970er und 1980er Jahren, die Fehler vom Anfang des Jahrhunderts nicht wiederholen. Dass moralisierende oder religiös motivierte Aufrufe nicht den gewünschten Erfolg bringen, das durfte als erwiesen gelten. Schauergeschichten über die verheerenden Folgen des Tabakkonsums waren weiterhin unverzichtbar, aber nun wollte man sie als wissenschaftlich erwiesene Tatsachen präsentieren. Dabei zeigte sich rasch zweierlei: So leicht war das, was als bewiesen gelten sollte, nicht zu beweisen, aber siehe da: Es reichte ja schon, wenn man einfach behauptete, dies oder das sei wissenschaftlich – ganz eindeutig und zweifelsfrei! – bewiesen.
Schon 1964 war der „Terry-Report“ veröffentlicht worden, benannt nach dem damaligen US-Surgeon General (dem höchsten amerikanischen Gesundheitsbeamten) Dr. Luther L. Terry. Hier war in einem umfangreichen Papier zusammengefasst worden, was man im wesentlichen schon lange wusste, dass nämlich Rauchen nicht wirklich gesund ist. Doch hatte man nun auch mit zwar nicht bewiesenen, aber errechneten Zahlen aufwarten können, etwa: Die Gefahr von Rauchern, an Lungenkrebs zu erkranken, sei bis zu elfmal größer als bei Nichtrauchern. Das hatte weltweit einiges Aufsehen unter den Rauchern erregt und auch einige Verunsicherung. „Der Spiegel“ (23/1964) hatte damals berichtet, dass manch ein Zigaretten¬raucher den Umstieg auf Pfeife oder Zigarre (die beide ja nicht „auf Lunge“ geraucht werden) überlege. Freilich hatte „Der Spiegel“ auch konstatiert, dass der Zigarettenverbrauch in Deutschland wenige Monate nach der Veröffentlichung des „Terry Reports“ „um rund vier Prozent höher als im gleichen Zeitraum des Vorjahres“ liege.
Der Wissensstand war 1964 nicht wesentlich größer als zwanzig Jahre zuvor an der Universität Jena, doch konnten die Erkenntnisse nun nicht mehr als obskure Theorien von Nazi-Forschern abgetan werden, wurden vielmehr mit dem ganzen Prestige der damals führenden Macht des freien Westens verkündet. In Amerika waren die maßgeblichen Forscher der Zeit versammelt, was aus Amerika kam, daran orientierte sich die Welt, aus Amerika kam alles Heil. So wurde der „Terry Report“ viel kommentiert. Eine Veränderung der Rauchgewohnheiten hat er freilich nicht bewirkt, dagegen dies: Seither rauchen viele mit schlechtem Gewissen. Der große Triestiner Schriftsteller Italo Svevo, der viel vom Rauchen verstand, hat übrigens gemeint: „Wenn man schon raucht, dann ist es besser fröhlich zu rauchen, denn das schadet weniger.“ Und das scheint sogar beweisbar. Angst vor Krankheit kann krank machen, für dieses Phänomen prägte Walter Kennedy 1961 den Begriff Nocebo – als Pendant zum Begriff Placebo für Scheinmedikamente ohne Wirkstoff. Die Wirkung ist in beiden Fällen psychologischer Natur. Der Glaube kann manchmal offenbar tatsächlich Berge versetzen. Placebos können heilen, weil der Glaube, es handle sich um ein Heilmittel, anscheinend die Selbstheilungskräfte des Körpers aktiviert. Ein Nocebo hingegen, das Wissen um eine mögliche Gefahr, kann die Gesundheit gefährden, weil es die Selbstheilungskräfte blockiert. Die Krankheiten, von denen man liest, zieht man sich unter Umständen zu, und das hat, wie es aussieht, nichts mit Hypochondrie zu tun.
Auch das amerikanische Bemühen, Lickints Thesen von der Schädlichkeit des „Passiv-rauchens“ zu beweisen, hatte kaum ernsthafte Erfolge aufzuweisen, auch wenn, wie Günter Ropohl   schreibt, „Legionen von Epidemiologen, Toxikologen und Medizinern“ daran arbeiteten.“ In den 1980er Jahren wurden 53 Studien zu einer sogenannten Metastudie zusammengefasst, sie ergab freilich, „dass es keine überzeugenden Beweise für ein erhöhtes Sterberisiko gibt, das Nichtraucher vom Umgebungsrauch zu gewärtigen hätten.“ Allerdings behaupteten Veröffentlichungen der staatlichen Behörde für Umweltschutz EPA (Environmental Protection Agency), die Schädlichkeit des „Passivrauchens“ sei sehr wohl bewiesen. Das blieb nicht ohne Widerspruch und wurden sogar Gegenstand von Gerichtsverhandlungen, bei denen Richter feststellten, die Untersuchungen der Behörden seien durch Vorurteile und unangemessene Methoden verfälscht worden. Und doch war es für viele von da an amtlich: „Passivrauchen“ ist eine ernsthafte, ja eine tödliche Gefahr für die Gesundheit.
Ein fast unschlagbares Kampfmittel, das im Krieg gegen die Raucher noch oft zum Einsatz kommen sollte, war damit erprobt und etabliert: Eine Behauptung wird zur Wahrheit, wenn sie nur von offiziellen oder offiziösen Stellen stammt und im Wissenschaftsgewand daher kommt. Die Wissenschaftlichkeit muss nicht gegeben sein, sondern kann wiederum schlicht behauptet sein. Mit einem Meisterwerk dieser Art werde ich mich noch ausführlicher beschäftigen – mit einer „Studie“ nämlich, die errechnet, also „bewiesen“ hat, dass im Jahr 2005 in Deutschland 3.301 (!) Menschen an den Folgen des „Passivrauchens“ verstorben sind.
Der Zweck heiligt die Mittel, und der „Kreuzzug gegen das Rauchen“, zu dem in den 1980er Jahren in den USA aufgerufen wurde, ist ein Zweck, der für viele jedes Mittel heiligt.

 

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