29.03.2010
Pyrrhussieg für deutsche Gasverbraucher
„BGH stärkt Rechte der Gaskunden“ schallte es letzte Woche durch den Blätterwald. „Gaspreise für Privatleute dürfen nicht ausschließlich vom Ölpreis abhängen“. Nun gut, schauen wir uns die Sache etwas näher an.
Der BGH hat also nicht etwa die Ölpreisbindung aufgehoben, sondern die ausschließliche Bindung an Heizöl EL bei Privatkunden. Ob das für die Verbraucher von Vorteil ist, wird die Entwicklung noch zeigen müssen.
Aber der Reihe nach. Investitionen in der Energiewirtschaft sind immer sehr kapitalintensiv. Sie rechnen sich nur, wenn man entsprechend lange Amortisationszeiträume ansetzt. Dies gilt insbesondere für alle leitungsgebundenen Endenergien (Gas, Fernwärme, Strom). Deshalb ist es üblich, unter den Vertragspartnern sogenannte Preisgleitklauseln zu vereinbaren. Dies sind mehr oder weniger komplizierte Formeln, die die wesentlichen Kostengrößen quantitativ und qualitativ erfassen sollen. Der Vater dieses Prinzips ist die Erkenntnis, dass sich Kosten (Energie, Material, Löhne usw.) über Jahrzehnte stark verändern können und Verhältnisse unter den Vertragspartner ebenfalls. Man kann also keinen Festpreis über solch lange Zeiträume vereinbaren ohne eine Seite zu benachteiligen, will aber andererseits Streit und Rechtsunsicherheit vermeiden. Insofern ist eine Preisgleitklausel nichts Verabscheuungswürdiges. Im Gegenteil: Sofern sie vorab und eindeutig unter gleichberechtigten Partnern abgeschlossen wird und von beiden über die gesamte Laufzeit anerkannt wird.
Fragwürdig in diesem Sinne ist also gerade die Außerkraftsetzung. Vor Abschluss des Vertrages waren sich beide Partner darüber einig, dass sich die Welt verändern wird. In welche Richtung – sprich: zu wessen Vorteil und zu wessen Nachteil, war nicht vorhersagbar. Deshalb die Vereinbarung einer Preisgleitklausel, die übrigens in beide Richtungen wirksam ist. Geht man nicht diesen Weg, bleibt nur die Hinzuziehung eines Dritten, der das Risiko unvermeidlicher Veränderungen übernimmt: Gemeinhin wird er als Spekulant bezeichnet. Er wird das Risiko jedoch keinesfalls ohne Prämie übernehmen. Es wird also in jedem Falle teurer und nicht etwa billiger! Man kann also nur hoffen, dass das Urteil nicht Preisgleitklauseln im allgemeinen, sondern nur diese spezielle verbietet.
Rohöl und gewisse Mineralölprodukte haben sich als „Leitwährung“ in der Energiewirtschaft weltweit durchgesetzt. Öl wird nahezu überall auf der Erde gefördert und in großen Mengen verbraucht. Es ist leicht transportier- und lagerbar. Somit erfüllt es ideale Voraussetzungen um z. B. an Börsen gehandelt zu werden. Darüber hinaus ist es der Treibstoff für alle Verkehrssysteme und der Hauptrohstoff der chemischen Industrie. Hier zeigen sich die entscheidenden Unterschiede zum Mineralöl. Erdgas hat als Gas nur eine geringe Energiedichte. Es ist somit schwer zu transportieren. Es muss entweder hoch verdichtet werden um in Rohrleitungen transportiert zu werden oder bei extrem tiefen Temperaturen verflüssigt werden (LNG) um in Spezialtankern über die Weltmeere gefahren zu werden. Diese Eigenschaften haben es als Handelsgut bisher stark gegenüber Öl benachteiligt. Ursprünglich war Erdgas praktisch nur im Wärmemarkt nutzbar. Allerdings findet durch stark ansteigende Ölpreise eine verstärkte Nutzung in der chemischen Industrie und neuerdings auch im Verkehrssektor statt. Insofern sind Mineralöl und Erdgas eng miteinander verwandt. Die Substitution von Rohöl durch Erdgas als Treibstoff und „Wasserstoffträger“ koppelt auf den Weltmarktpreis für Öl zurück.
Seit kurzem wirken sich zwei Faktoren dämpfend auf die Erdgaspreise aus: Die neue Technologie des „Thin Gas“ und der Preisverfall auf dem Transportsektor durch verflüssigtes Erdgas (LNG). Findige – wie fast immer – eher mittelständische Unternehmen haben es geschafft, eine Technik wirtschaftlich zu machen, mit deren Hilfe bisher nicht zugängliche Lagerstätten in Ölschiefern nutzbar gemacht werden können. Hierbei werden die feinen Poren, in denen das Gas sitzt, aufgebrochen. Es kann plötzlich gefördert werden. Ein dramatischer Fortschritt: Denn nun können nicht nur gewaltige Gasmengen zusätzlich gewonnen werden, sondern diese liegen auch noch in – bisher – relativ gasarmen Gegenden wie USA und Zentraleuropa. Dies ist ein typisches Beispiel dafür, wie eine marktwirtschaftlich organisierte Gesellschaft auf Verknappungsszenarien a la Club of Rome mit ihren Weltuntergangsprognosen reagiert. Parallel hierzu wurde die Gasverflüssigung und LNG-Tanker konsequent weiterentwickelt und verbilligt. Eigentlich ein gedachter Vorteil für Russland: Gasprom plante große Mengen von LNG in die USA zu exportieren. Da diese auf Grund der neuen Fördertechnik jedoch zum Selbstversorger oder gar Exporteur werden, drücken diese Mengen nun auf den Weltmarkt. Erdgas ist zurzeit (relativ zum Öl) billig wie nie. Wer also den Gaspreis in Deutschland senken will, muss einen freien Import – vornehmlich über Häfen als LNG – ermöglichen. Wer dies fördert, hält gleichzeitig den Preis für Mineralölprodukte im Zaum, denn durch (relativ zum Öl) billiges Erdgas wird die Substitution von Öl in Chemie und Verkehr angeregt.
Andererseits führen staatliche Eingriffe in die Vertragsfreiheit lediglich zur Verunsicherung der privaten Investoren. Es handelt sich hier um sehr große Investitionen, die wegen ihres langfristigen Charakters mit hohem Risiko verbunden sind. Will der Staat diese Investitionen nicht mit Bürgschaften absichern (müssen), darf er nicht den Eindruck erwecken, dass diese Investitionen schon in wenigen Jahren durch staatliche Maßnahmen (quasi) enteignet werden.