01.03.2009

Von Heulschrecken und Leidmedien

Kommentar von Matthias Heitmann

Die Medienkrise lässt sich nicht dadurch bekämpfen, dass man ihr die journalistische Qualität opfert. Doch leider „verbloggen“ die Medien zunehmend selbst. Von Matthias Heitmann

In Zeiten von Politik- und Wirtschaftkrisen hat Journalismus Hochkonjunktur – dies sind die Zeiten des Fragenstellens, der tief gehenden Analysen, der scharfen Kommentare und Kritiken. Daher müssten Redaktionssitzungen eigentlich auch heute überaus aufregende Veranstaltungen sein. Doch die den Redaktionen von den Verlagen im Hintergrund aufgezwungene Realität sieht häufig anders aus. Dort sind immer seltener publizistische Visionäre am Ruder, sondern vorrangig renditeorientierte Medienmanager. Ihr Heulen und Zähneklappern angesichts sinkender Auflagen und Einnahmen diktiert den Rhythmus.

Bei Qualitätszeitungen wie der Financial Times Deutschland, der Frankfurter Rundschau und der Welt wird heute nur noch die Hälfte (oder weniger) der Druckauflage zum realen Stückpreis verkauft. Ein Großteil der Auflagen wird z.B. in Form von Bordexemplaren (zu Niedrigpreisen) oder gar kostenlos unters Volk gebracht.1 Das künstliche Aufblasen der Auflagen hat Gründe: Etwa zwei Drittel der Einnahmen der Tageszeitungsbranche werden im Anzeigengeschäft generiert. Kein Wunder also auch, dass sich die aktuelle Wirtschaftskrise und die antizipierten Anzeigeneinbrüche massiv auf die Medienkonzerne auswirken. In vielen Redaktionen herrscht die Angst vor dem Rotstift. Die Arbeit mit freien Journalisten wurde vielerorts aufgekündigt, Redaktionen werden ausgedünnt und zusammengelegt – wie etwa beim Verlag Gruner + Jahr, der die Wirtschaftstitel Financial Times Deutschland, Capital, Impulse sowie Börse Online unter dem Dach einer Einheitsredaktion zusammenfassen will. Man kann es drehen und wenden, wie man will: Journalistische Qualität verliert durch diese Entwicklungen zwangsläufig an Relevanz. Was immer mehr zählt, ist die Einhaltung von Budgetplänen.

Neben der Ausdünnung von Redaktionen suchen viele Verlagshäuser ihr Glück im Internet. „Papier ist tot, es lebe der Cyberspace!“, lautet das vielfach geäußerte Credo. Millionen und Abermillionen von Euro sind in letzten Jahren in Internetplattformen investiert worden, während das traditionelle Kerngeschäft Print zusammengestrichen wird. Doch für das wirtschaftliche Überleben im Internet gibt es bislang kaum brauchbare Strategien. „You get lousy pennies on the Web!“, rief Hubert Burda Ende Januar auf der Konferenz „Digital Life Design“ aus und fasste damit die Situation treffend zusammen. Vor diesem Hintergrund überrascht es nicht, dass vonseiten etablierter Medien immer wieder die kostenlose Verbreitung von Inhalten im Internet aufs Korn genommen wird. Der Ärger richtet sich häufig gegen „Blogger“. In regelmäßigen Abständen lebt eine bizarre Debatte über das Bloggen und die vermeintlich fatalen Auswirkungen auf die Medienlandschaft auf – bizarr, weil der „Blogosphäre“ dabei eine Bedeutung beigemessen wird, die sie nicht hat, und sich gleichzeitig der Journalismus dadurch, dass er Blogger als ernst zu nehmende Konkurrenz meint attackieren zu müssen, ein gutes Stück weit selbst desavouiert.

Umgekehrt wird Journalisten von vielen Bloggern eine tiefe Abneigung entgegengebracht. Frei nach dem zahlreiche Blogs schmückenden Ausspruch der britischen Schriftstellerin Agatha Christie, „Ich habe Journalisten nie gemocht. Ich habe sie alle in meinen Büchern sterben lassen“, wird die Relevanz des etablierten und als „arrogant“ empfundenen Journalismus infrage gestellt und im Gegenzug Blogging als „Bürgerjournalismus“ und mithin als eine längst überfällige „demokratische Revolution“ der Informationsgesellschaft, zumindest aber als notwendiges Korrektiv „der Medien“ gepriesen. Viele Journalisten werfen ihrerseits den Bloggern vor, in einer selbstreferenziellen Parallelwelt zu kreisen, das Entwickeln eigener Inhalte und die Einhaltung journalistischer Sorgfaltspflichten durch „Copy Pasting“ zu ersetzen und dabei sogar noch dem Irrglauben anzuhängen, als stubenhockende Web-Junkies die Welt am besten verstehen und gleich auch noch zum Positiven verändern zu können.

Solche Auseinandersetzungen deuten darauf hin, dass ein wichtiger Aspekt der Medienkrise der generelle Bedeutungsverlust von journalistischen Inhalten ist. Etwa 90 Prozent aller Blogs (oder mehr) sind für die breite Öffentlichkeit zweifelsohne völlig irrelevant. Aber auch viele der heute am Kiosk erhältlichen Printmedien haben kein wirkliches inhaltliches Alleinstellungsmerkmal. Beide Seiten in diesem Konflikt – etablierte Medien wie Blogger – sind in diesem Sinne Spiegelbilder einer Gesellschaft, in der zukunftsweisende Ideen und streitbare Visionen vor allem durch Abwesenheit glänzen.

Der an einige Printmedien gerichtete Vorwurf, sie entwickelten sich langsam, aber sicher zu Anzeigenblättchen, mag berechtigt sein. Hieraus jedoch abzuleiten, Blogging sei die Geburtsstunde des demokratischen Bürgerjournalismus, ist ein Trugschluss. Die Entwicklung von Blogging zu einem Massenphänomen hat das ursprüngliche Selbstbild von Bloggern, Bestandteil einer fortschrittlichen Informationselite zu sein, längst untergraben. Auch ihre Funktion als Korrektiv der Printmedien wird übertrieben. Natürlich ist es löblich, Fehlentwicklungen und Falschmeldungen in den Medien offenzulegen – sofern die Kritik fundiert ist. Und es ist auch grundlegend als Fortschritt zu werten, dass immer bessere und schnellere Kommunikationstechnologien Verbreitung finden. Aber ein die gesellschaftliche Entwicklung konstruktiv unterstützendes publizistisches Eigenleben ergibt sich hieraus noch lange nicht. In der Blogosphäre ist derlei bislang nur sehr spärlich auszumachen. Vielmehr scheint auch dort die Neigung vorzuherrschen, sich lieber hinter seinem Computer und den eigenen, oft arg engen Weltbildern zu verschanzen. Dabei bräuchten wir gerade heute eine konstruktive und offene politische Debattenkultur ohne Rücksicht auf Technologiegrenzen.

Dass der etablierte Zeitungsjournalismus mitunter meint, die Blogosphäre als Konkurrenz aufwerten zu müssen, zeigt deshalb wohl vor allem, wie weit die eigene Perspektivlosigkeit fortgeschritten ist. Anstatt verstärkt und selbstbewusst auf interessante Inhalte zu setzen – das Einzige, was Papier- wie Internetseiten für Leser attraktiv und damit letztlich auch für Anzeigenkunden relevant macht –, verliert man sich zunehmend in technischen Spitzfindigkeiten über Vorteile des einen oder anderen Mediums. Anstatt selbst zu „verbloggen“, sollten Printmedien sich also auf ihr Kerngeschäft besinnen: die journalistische Arbeit an qualitativ hochwertigen Inhalten. Damit wäre allen mehr geholfen.

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