01.09.2008

Moderne Museumspädagogik ist Kinderkram

Essay von Herbert Uhlen

Herbert Uhlen über das krampfhafte Bemühen um eine stimmungsgeladene Ausgestaltung von Ausstellungen, das die Exponate entwertet und die Besucher in die Irre führt.

Das „Natural History Museum“ in London sieht altehrwürdig aus, wie eine Kirche. Drinnen gibt es über alle Aspekte der Naturforschung reichhaltige Sammlungen zu betrachten. Vor 36 Jahren habe ich das Haus zum ersten Mal betreten, als Schüler auf Klassenfahrt. Wer sich dafür nicht interessierte, musste nicht hingehen. Faszinierend war die Ausstellung von Mineralien. Die ganze Welt der Kristalle war da zu bewundern, z.B. riesige Gebilde aus Bergkristall. Die Anordnung der Exponate in Schaukästen aus Holz und Glas konnte man für angestaubt und altbacken halten; man konnte allerdings die Objekte bei Tageslicht frei betrachten.

Heute ist die Freiheit der Betrachtung erheblich eingeschränkt. Die Mineralien befinden sich in einem verdunkelten Raum. Licht gibt es nur in den Schaukästen selbst, die heute wesentlich aufwendiger gestaltet sind. Das Licht ist allerdings unzureichend, und man fragt sich, ob die Vitrinen die Stücke mehr ausstellen oder verbergen sollen. Die Beschriftungen und Erläuterungen sind in dem schummrigen Licht kaum zu lesen. Einige besonders prächtige Stücke liegen in einer Art Kasten, der von der Stirnseite einsehbar ist. Meistens sieht man jedoch nichts, weil der Kasten stockdunkel ist. In gewissen Abständen fährt eine Lampe über die Anordnung der Mineralien, die dann für kurze Zeit aufblitzen. Wer das Ganze noch einmal sehen will, muss warten, bis die Lampe gemäß den Vorstellungen der Planer erneut über diesen Ausstellungsbereich fährt. Man sieht also nur etwas, wenn der künstlich abgedunkelte Raum künstlich mit einer beweglichen Lampe wieder beleuchtet wird.

Vermutlich waren die Planer von dem Gedanken erfüllt, man dürfe heute die Dinge nicht einfach hinstellen und den Zuschauern als unverrückbare Gegebenheiten mit korrekten Beschriftungen vorsetzen. Die heutige Präsentation ist aber auf eine eigene Art autoritär: Die Veranstalter bestimmen, wann ich etwas zu sehen bekomme, wie lange ich es sehen darf, dass ich lange warten muss, um noch einmal draufzuschauen, und dass ich mich ohne Grund in einem dunklen Saal befinde. Indem man die Themen sehr aufwendig aufbereitet, enthält man den Besuchern die Möglichkeit vor, sich selber aus freien Stücken umzusehen. Man will autoritäres Gehabe vermeiden und hält doch gleichzeitig die Besucher für naiv. In einem Bereich des Museums, in dem es um Wetter und Klima geht, kann man die Hand durch eine Öffnung in eine Kammer halten, in der Luft strömt, und zu der Erkenntnis kommen: „Stimmt, so fühlt sich Wind an.“ Man kann auch die Hand auf eine kalte und eine warme Fläche legen und bestätigen, dass sich Kälte und Wärme so anfühlen. Damit sind selbst die jüngsten Besucher unterfordert; es geht schließlich um das Thema Wetter. Für Gesteinsarten kann man sich interessieren oder auch nicht. Aber lässt sich Interesse daran wecken, indem man Gesteinsproben in Koffer packt und den Besuchern erlaubt, die Kofferdeckel anzuheben und nachzusehen, was die Veranstalter hineingetan haben, um die Besucher zu faszinieren?

Aufwand kann gerechtfertigt sein, wenn damit eine besondere Situation dargestellt wird, die einfacher nicht zu haben ist. In einem Ausstellungsbereich kann man eine Plattform betreten, die sich in regelmäßigen Abständen ruckartig bewegt und damit das große Erdbeben von Kobe 1995 simuliert. Dazu wackeln Flaschen und Schachteln in Regalen. Hier sind die technischen Raffinessen gerechtfertigt, um einen realistischen Eindruck zu vermitteln. An vielen Stellen sind jedoch blinkende Lichter in den Boden eingelassen. Es blinkt und dudelt allenthalben ohne Anlass. Besonders schlimm ist, dass junge Menschen die Illusion bekommen, sie würden in eine bedeutende Diskussion einbezogen, ihre Meinung sei gefragt. „Wenn du zuständig wärst für die Verwendung von Energie, wie würdest du es machen?“ So fragen die Museumsmacher junge Menschen. Diese haben kaum eine Ahnung, wie der abstrakte Begriff Energie zu verstehen ist, und in der bunten Jahrmarktatmosphäre des Museums erfahren sie auch nicht mehr. Trotzdem sollen sie bei der Rettung der Welt mitmachen und sich dabei wichtig genommen fühlen.

Hier werden nicht nur Illusionen gefördert; es kommt sogar zur Desinformation, denn es werden auch Fragen gestellt wie: „Wenn Energie Farbe hätte, welche Farbe wäre das?“ und: „Wenn man Energie riechen könnte, welchen Geruch hätte sie?“ Es ist unerfindlich, warum die jugendlichen Besucher dem schwierigen abstrakten Begriff Energie eine Farbe oder einen Geruch zuordnen sollen. Unter dem Motto „Du entscheidest mit“ wird hier eine Pseudofreiheit vorgegaukelt. Entgegen dem ausdrücklichen Programm des Museums werden die jungen Menschen nicht ernst genommen, sondern irregeführt.

Das Deutsche Museum in München ist ebenfalls eine altehrwürdige Institution. Hier wird vor allem Technik, aber auch Wissenschaft ausgestellt. Der Bereich Pharmazie ist bereits neu gestaltet und auf moderne Museumspädagogik getrimmt. Man betritt ihn durch eine Art Tunnel. Der hat mit Pharmazie nichts zu tun, soll aber anscheinend die Besucher in eine besondere Stimmung versetzen. Auch hier ist der Ausstellungsbereich abgedunkelt, und es dudelt endlos aus Lautsprechern. Positiv hervorzuheben ist das mehrere Meter große, begehbare Modell einer menschlichen Zelle. Man kann sich hineinbegeben und sieht die komplizierte Feinstruktur der Zelle. Ansonsten werden physiologische, medizinische und pharmazeutische Sachverhalte gezeigt und erläutert, wobei die bemüht gefällige Darstellung (z.B. eine überdimensionale Tablettenschachtel als Sitzgelegenheit) die Informationen eher in den Hintergrund drängt. Selbstverständlich ist Aids heutzutage ein wichtiges Thema. In aufdringlicher Weise aber werden engagierte, handgeschriebene Aufrufe Prominenter zu Aids auf den Fußboden projiziert: „No glove no love“, sagt Van Halen, Jimmy Somerville meint: „Ignorance Kills“, und Julia Neigels Beitrag lautet: „Wenn du jemanden liebst, schütze ihn.“

Das Deutsche Museum sollte besser ein Ort bleiben, an dem Sachverhalte gezeigt und erklärt werden. Für moralische Appelle ist andernorts Gelegenheit genug. Moderne Museumspädagogik ist krampfhaft bemüht, Stimmung zu erzeugen. Das ist aber eine andere Stimmung als die Faszination, die von den Gegenständen selbst ausgeht. Wer sich für ausgestellte Schmetterlinge und Mineralien interessiert, braucht keine Hintergrundmusik oder Lichteffekte. Wer sich dafür nicht interessiert, wird auch kaum durch Schallberieselung und andere Showeffekte angeregt. Die pädagogische Aufbereitung ist aufdringlich und erschlägt die eigentlichen Gegenstände.

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