01.09.2008

Die kulturellen Widersprüche des Konsumismus

Essay von Josie Appleton

Einst feierte die Gesellschaft risikobereite Unternehmer und lobte ehrliche und harte Arbeit. Heute, so heißt es in einem neuen Buch, werden Erwachsene wie Kinder behandelt.

Die Veränderungen des Kapitalismus in den letzten Jahrzehnten hat auch eine Veränderung der mit ihm verbundenen Werte und Tugenden ausgelöst. In der frühen Phase der Moderne, in der Geld nur außerhalb der einengenden und erstickenden Schranken der feudalen Ordnung gemacht werden konnte, war die Geldmacherei ein Geschäft der Vagabunden und Hasardeure: Sie reisten betrügend und mit verrückten Ideen umher und versuchten, Vermögen anzuhäufen. Im Laufe der Zeit wurde es in den sich entwickelnden kapitalistischen Gesellschaften einfacher, Geld in der Heimat zu machen. Der perfekte Geldmacher war nun ein umsichtiger Buchhalter, der nichts verschwendete und seine Profite wieder in sein Geschäft steckte, in seinem privaten Konsum Verzicht übte und Vergnügungen missbilligte. Diesem Modell des Buchhalters entsprach der im 18. Jahrhundert lebende Amerikaner Benjamin Franklin. Er übte Verzicht, feierte die produktiven Tugenden, empfahl, früh aufzustehen, eisern zu sparen und zum Mittag nicht zu viel zu essen.

Der Theoretiker des kapitalistischen Buchhalters war der deutsche Soziologe Max Weber. In seinem 1910 veröffentlichten Buch Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus argumentierte er, dass Geldmachen das Wesensmerkmal des Kapitalismus, sein Selbstzweck sei. Der Großbürger lebe, um zu arbeiten, um dabei der Früchte seiner Arbeit zu entsagen. Der Mann der Vormoderne wäre von solchem Handeln verblüfft gewesen, sagt Weber: Welchen Sinn macht es, „in das Grab hinabzusinken, herabgedrückt von einer großen materiellen Last an Geld und Gütern?“ Die protestantische Ethik führte nicht lange Regie. Bereits zu Webers Zeiten schwand ihre Bedeutung. Mit der Entwicklung des Massenkonsums und unter dem Eindruck radikaler politischer Strömungen des späten 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts verdammte die neue Generation die traditionelle großbürgerliche Arbeitsethik als muffig und einschränkend. Benjamin Franklins Aphorismen – „Zeit ist Geld“ und „Ein leichter Geldbeutel macht ein schweres Herz“ klangen bereits hohl. Während es Franklins Hauptanliegen war, „nützlich“ zu sein, entschied der französische Poet Charles Baudelaire anders: „Ein nützlicher Mensch zu sein, erschien mir immer als etwas ziemlich Abscheuliches.“

Eine neue Ethik ersetzte Franklins religiöse Arbeitsethik, was von Daniel Bell 1976 in seinem Buch Die kulturellen Widersprüche des Kapitalismus analysiert wurde. Bell identifizierte eine neue gegenkulturelle Ethik, die nicht auf der Produktion, sondern auf der Konsumption fußte: Als Tugend galt nicht mehr die gesellschaftliche Aufgabe, sondern das Feiern der Sinneslust, die Erforschung und die Befreiung des Individuums. Anstatt jeden Cent zu sparen und sich selbst alles zu verkneifen, galt es nun, im Überfluss zu schwelgen und Aufsehen zu erregen. Nicht arbeiten für die Arbeit, sondern den Genuss genießen. In den 20er-Jahren und dann wieder in den 60er-Jahren stieg diese gegenkulturelle Welle mit vehementer Kraft an und erschütterte die alte Arbeitsethik in ihren Grundfesten.

Infantilisierung und die neue Ethik des Kapitalismus

Die Frage nach der kapitalistischen Ethik des 21. Jahrhunderts ist folglich eine der brennendsten Fragen der Gegenwart. Das neue Buch des US-amerikanischen Politiktheoretikers Benjamin Barber mit dem Titel Consumed! Wie der Markt Kinder verführt, Erwachsene infantilisiert und die Demokratie untergräbt ist ein interessanter Beitrag zu dieser Frage. Barber argumentiert, dass die neue Ethik des Kapitalismus auf der Infantilisierung beruht: Geld wird heute gemacht, indem Erwachsene zu hilfsbedürftigen Kindern degradiert werden, sich mit zuckersüßem Essen, Videospielen und Filmen vollstopfen und auf ein sehr niedriges geistiges Niveau heruntergeschraubt werden. Während es dem Kapitalismus in seiner frühen Phase diente, wenn jeder sein Geld sparte, hilft es dem System heute, wenn wir den letzten Cent verprassen und uns obendrauf noch Geld borgen. Zu Franklins Zeiten wurden die Menschen ermutigt, sich einzuschränken und ihre Ersparnisse zu investieren. Heute hingegen, meint Barber, werden wir ermutigt, unmittelbar unseren Launen zu folgen und wie habgierige Kinder zu agieren, die in einem Süßigkeitenladen stehen und nicht in der Lage sind, nein zu sagen.

Barber ist hinsichtlich der Infantilisierung sehr besorgt. Er vergleicht unser „kindisches“ Konsumentenverhalten mit dem der verantwortungsvollen und aufrechten bourgeoisen Herren und stellt fest, dass uns etwas fehlt. Während der frühe Kapitalismus die Tugendhaftigkeit ermutigte und des Arbeiters positive Auffassung von seiner Aufgabe und seine energische Art verkörperte, ermutigt der Kapitalismus nun die schlechten Angewohnheiten. Eine der Lösungen, die er anspricht, liegt in der Wiederbelebung der Arbeitsethik, „eine Revolution, die eher eine Wiederherstellung der Verhältnisse bedeutet, unter denen der Kapitalismus historisch am erfolgreichsten war.“ Das Buch fängt die grotesken Charakterzüge des heutigen Kapitalismus gut ein. Diese bedeuten, dass elementare Bedürfnisse nicht befriedigt werden, andererseits falschen Bedürfnissen nachgegeben wird, was in Konsumorgien endet. Barbers Formulierung dieses Paradoxons, wonach „die Bedürftigen ohne Einkommen und die Betuchten ohne Bedürfnisse sind“, ist sehr eingängig. Im gleichen Zug porträtiert er die dekadenten und sinnlosen Ziele, für die die Menschen ihre Zeit und Energie verschwenden: mehr für Werbung als für tatkräftige Hilfe, mehr für Schönheitsoperationen als für Krebstherapie, mehr für Viagra als für eine effektive Bekämpfung von Aids.

Trotzdem liegt Barber falsch, wenn er den Konsumismus als Ethik bezeichnet oder die gegenwärtige Kultur als vorbehaltloses Abfeiern des Nutzlosen darstellt. Es gibt nämlich keinen zeitgenössischen Benjamin Franklin, der ein Loblied auf Videospiele und Junk Food singt. Ebenso wenig gibt es seriöse Bücher, die uns dazu drängen, mit unserem Geld zu protzen. Alle relevanten Bücher sagen das Gleiche wie Barber über den Konsumismus, Titel wie Genug, Das Wohlstandssyndrom oder Das Paradox der Wahlmöglichkeiten belegen dies eindrucksvoll. Die Quellen, die Barber als Beweis für die von ihm so bezeichnete „Religion der Selbstsucht“ anbringt, sind dünn: eine Porsche-Anzeige, ein Buch mit dem Untertitel „Der kapitalistische Gaunerführer für Investments“ und den Film „Wall Street“ von 1987 (der eindeutig die moralische Botschaft hatte, dass Gier nicht gut ist). Tatsächlich ist die Jubelfeier auf den Konsumismus, die Bell identifizierte – das Abfeiern der individuellen Freiheit und das Erregen von Aufsehen in den 60er-Jahren – längst vorbei. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts ist der Mensch verklemmt und ängstlich, konsumfreudig, aber oft voller Schuldgefühle und stets auf der Suche nach Waren, die wenig CO2 verursachen, wenig Kalorien haben, biologisch sind und einen fairen Welthandel unterstützen.

Was ist mit der Arbeit passiert?

Wenn in unserer Kultur der Konsum mehr betont wird als die Produktion, das Spiel mehr als Arbeit, so nicht, weil das der weltliche Kapitalismus heute braucht, sondern, weil es der produktiven Seite des Lebens an einer ideologischen Rechtfertigung mangelt. Im Gegensatz zu Barbers Behauptung ist das moderne Leben nicht einfach ein langes Videospiel. Arbeiten Konsumenten etwa nicht, bevor sie konsumieren? Und andere Leute arbeiten noch härter als wir im Westen, um einen solch riesigen Markt mit iPods und Designer-Sportschuhen zu versorgen. Tatsächlich geht der mit Arbeit verbundene Teil des Lebens in aller Stille vor sich, und ihm fehlt nicht nur eine Ethik, sondern auch eine fühlbare Befriedigung. Heute existiert keine Ethik des Konsums, sondern der Konsum stellt in Ermangelung einer solchen Ethik eine der wenigen bedeutsamen Erfahrungen unseres Lebens dar. Die Befriedigung und Emotionalität, die mit dem Einkauf verbunden ist – etwa ein neues Hemd oder eine neue CD auszusuchen und mit nach Hause zu nehmen – bedeutet, dass der Einkauf den Individuen eine Bestätigung ihrer Macht bringt, die Dinge in der Welt bewegen zu können.

Die Macht des Konsums hat der marxistische Soziologe Georg Simmel auf eine hilfreiche Weise theoretisch betrachtet. In seinem Buch Philosophie des Geldes untersucht er den Kauf eines Dings als einen Akt individueller Subjektivität, bei der die Person dem Ding seinen Stempel aufdrückt und das Recht zum ausschließlichen Genuss geltend macht. Simmel zitiert einen Freund als Beispiel, der schöne Dinge kauft, nicht etwa, um sie zu benutzen, sondern „um seinem Gefallen an den Dingen einen aktiven Ausdruck zu geben, sie durch seine Hände wandern zu lassen, und indem er das tat, auf die Dinge seine eigene Persönlichkeit zu übertragen“. Einkaufen ist ein Weg, mit dem unsere Wahl einen fühlbaren Effekt hat, womit wir etwas in unserem Leben neu und anders gestalten können. Ebenso ist es der primäre Weg, auf dem Menschen die Kreativität und die Anstrengung anderer genießen können, auch wenn dies unbewusst geschieht und ohne zu wissen, wer etwas wie gemacht hat. Der Enthusiasmus, mit dem Menschen einkaufen, steht im starken Gegensatz zum fehlenden Enthusiasmus, mit dem sie arbeiten. Der Arbeitsteil des Tages, Franklins Hauptanliegen, wird allzu oft einfach als Belastung gesehen. In vielen westlichen Städten beginnt das Leben Freitagnacht und am Wochenende: Die Menchen leben nicht für die Arbeit, sondern für die Zeit danach, in der sie sich entspannen und Spaß haben. Sie arbeiten nicht, um zu arbeiten, sondern um Geld zu machen, mit dem sie das Leben genießen und die Arbeit vergessen können.

Eine kindische Kritik der Konsumkultur

Wenn wir Consumed mit Daniel Bells 1976 erschienenem Buch Die kulturellen Widersprüche des Kapitalismus vergleichen, so lernen wir etwas Interessantes hinsichtlich der Art und Weise, wie Konsum heute erfahren und theoretisch betrachtet wird: Barbers Buch ist im Vergleich zu Bell oberflächlich und verharrt auf einem sehr weit heruntergeschraubten geistigen Niveau – es argumentiert geradezu kindisch. Obwohl sich die Widersprüche im Kapitalismus ausgeweitet und vertieft zu haben scheinen, ist das Bewusstsein der Theoretiker darüber oberflächlicher geworden. Bell verfolgte die Aushöhlung der Arbeitsethik: „Der westlichen Gesellschaft fehlen beide Welten, die spontane Bereitschaft, für die Gemeinschaft Opfer zu bringen, und eine politische Philosophie, die normative Regeln über Prioritäten und Verteilung in der Gesellschaft rechtfertigt.“ Er untersuchte, wie die gesellschaftliche Kultur des Konsums mit der geistigen Haltung, die für die Produktion benötigt wird, im Konflikt steht und wie sich dies als Problem darstellt. Im Kontrast dazu reitet Barber auf alberner Werbung für Bier und dummen Videospielen herum. Er betrachtet die Konsumkultur so, wie sie unmittelbar erfahren wird – im Supermarkt und im Fernsehen –, und nicht im Verhältnis zur Gesellschaft oder unter Beachtung der strukturellen Bedingungen, die unter der Oberfläche des täglichen Lebens verborgen sind.

Im Grunde scheint Consumed aus der Erfahrung der Abscheu motiviert zu sein. Konsum ist einfach so billig! Barber findet „Konsum-Kinderei“ in allem, was er sieht, von der zunehmenden Länge der Time-outs beim Baseball bis zur steigenden Zahl der Kameraeinstellungen der Hollywood-Filme. Er führt uns Modelle des Konsumenten und des Kapitalisten vor, die mehr Karikaturen ähneln als nuancierten soziologischen Kategorien. In seinem Buch sind die Konsumenten diejenigen, die raffgierig oder kaufsüchtig sind. Unternehmer werden weitgehend als Pornografen, Macher von brutalen Videospielen oder Leute im Tabakgeschäft porträtiert. Barbers persönliche Abscheu im Einkaufszentrum wird so unvermittelt zu einer soziologischen Theorie. Das ist bedauerlich, denn dadurch entgehen ihm viele Nuancen in der heutigen Konsumkultur. Er ignoriert den Widerspruch zwischen Arbeit und Spiel, die Art und Weise, in der Menschen konsumieren, um sich anschließend dafür zu entschuldigen, sowie die Diskrepanz zwischen Anti-Konsum, Büchern und der Befriedigung der Menschen beim Einkaufen. Kurz gesagt, er ignoriert all die Drehungen und Schwenks, die Verlockungen und den Abscheu vor der modernen Konsumkultur, die insgesamt ein sehr reichhaltiges Untersuchungsfeld abgeben würden.

Die begrenzte Vorstellungswelt des Anti-Konsumismus

Die vorgeschlagenen Anti-Konsum-Lösungen sind in der Regel ähnlich kurz gegriffen und entspringen eher einem Bauchgefühl als soziologischen Theorien. Die wesentliche Reaktion gegen den Konsumismus propagiert häufig schlicht, man solle einfach weniger kaufen. Das ist die wesentliche Lektion im Buch The paradox of choice von Barry Schwartz. Er rät den Menschen, ihr Verlangen zum Kaufen zu kontrollieren, indem sie im Supermarkt Scheuklappen tragen. Falls sich jemand etwa in die Frage hineinsteigert, welches Hemd er kaufen solle, so empfiehlt er: „Sie können es sich zu einer Regel machen, nicht mehr als zwei Geschäfte beim Kleidungskauf zu besuchen oder nicht mehr als zwei Orte in die Überlegung einzubeziehen, wenn ein Urlaub geplant wird.“ Wir sollen also auf die Beschränktheit des Konsumismus reagieren, in dem wir ihn in Schranken halten. Anstatt die Bedeutung von Arbeit oder der großen Dinge im Leben zu betonen, sollen sich Individuen der Konsumvielfalt verweigern. Nicht das Leben erweitern, sondern den Konsum einschränken, lautet also die Devise. In ähnlicher Weise meint auch Barber, dass wir Pförtner im Dienst der Gemeinschaft werden und die Kinder von Videospielen und Junk Food schützen sollen, um sie nicht zu verderben. Für ihn liegt die gemeinschaftliche Aufgabe vor allem darin, den Zugang der Menschen zu ungesunden Aspekten des Marktes zu kontrollieren. Das ist eine Ethik, die nicht die Erhabenheit des persönlichen Eigeninteresses und des Verlangens verkörpert, sondern lediglich dessen Negation. Zur Rechtfertigung sagt Barber, dass 200 Fernsehkanäle nicht Freiheit bedeuten. Das ist wahr, aber sie sind 100-mal mehr Freiheit als zwei Fernsehkanäle, wenn Fernsehkanäle das Einzige sind, was man im Leben hat. Einfach die Möglichkeiten der Konsumenten beschränken, haucht dem Leben nicht mehr Bedeutung ein.

Die alte protestantische Arbeitsethik hilft uns auch nicht viel weiter. Weber sagte bereits 1910, dass uns die Ethik verlässt: „Die Jagd nach Reichtum, seiner religiösen und ethischen Bedeutung entleert, wird mehr und mehr mit einer banalen Leidenschaft in Verbindung gebracht, die dieser gegenwärtig häufig einen sportlichen Charakter verleihen.“ Auch Bell schrieb 1976, dass die Ethik uns verlassen habe: „Die protestantische Ethik und das puritanische Gemüt, als soziale Gegebenheit, sind schon vor langem zerfallen und hallen als blasse Ideologien nach, die mehr von Moralisten zur Mahnung und von Soziologen zum Mythologisieren benutzt werden, als dass sie das reale Verhalten reflektieren.“ Jetzt, 30 Jahre später, singt Barber Franklins Loblieder. An einer anderen Stelle im Buch bekommt er feuchte Augen beim Gedanken an den Wohlfahrtsstaat, wenn er schreibt, dass die Privatisierung der britischen Bahnnetzes durch Margret Thatcher ein großer Fehler gewesen sei und offensichtlich „die nationale Moral zerstört“ habe.

Der Versuch, bereits vergangene und verurteilte Figuren und Theorien zurückzubringen, scheint ein besonderes Merkmal unserer Zeit zu sein. Vielleicht ist es ein Teil des postmodernen Zustands, dass alle Ideen der Vergangenheit aufs Neue hervorgezaubert werden und nebeneinander existieren können. Ideen, denen bereits vor 100 Jahren der Todesstoß versetzt wurde, kehren nun als Geister zurück. Sie werden nicht etwa aufgrund ihres eigenen Wertes, sondern aufgrund des heutigen Mangels an Ideologien wiederbelebt. In der Medizin beispielsweise spukt nun die alternative Medizin herum, und in der ideologischen Sphäre spürt man die Gegenwärtigkeit von Franklin and Cement Atlee. Diese Typen gammeln aber nur herum: Wenn Franklins Arbeitsethik bereits vor 30 Jahren eine blasse Ideologie war, besteht heute wenig Hoffnung für sie.

Was kommt nach dem Konsumismus?

Wie also können wir versuchen, über die Kultur des Konsumismus hinauszukommen? Barber schlägt vor, die Bürger sollten sich dafür entscheiden, den Markt zu leiten und fordert eine neue volksorientierte Ethik. Das könnte eine gute Idee sein – wenn es nur so wäre, dass die Volksethik die Transzendenz des Marktes bedeuten würde und nicht eine Kurzschlussreaktion ihm gegenüber. Das heißt etwa, dass wir versuchen könnten, auf Grundlage der menschlichen Bedürfnisse und Wünsche bewusster Entscheidungen zu treffen, wie Ressourcen eingesetzt werden. Anstatt „weniger Eis am Stiel“ zu sagen, könnten wir uns bessere Methoden überlegen, wie wir Zeit und Geld verwenden: Methoden, die produktiver, erhebender und erfreulicher sind. Falls wir auf die Dekadenz und die Störungen des heutigen Marktsystems nicht einfach nur mit Konsumverzicht reagieren würden, könnten wir eine neue Denkrichtung und ein neues Wertesystem anregen, das auf menschlichen Werten basiert. Das beinhaltete nicht nur Barbers bewundernswerte Vorschläge, die Bedürfnisse der Armen in der Welt zu befriedigen, sondern könnte auch bedeuten, das Reich der Freiheit über die grundlegenden biologischen Bedürfnisse hinaus für so viele Menschen wie möglich zu erweitern – nicht nur Pillen zur Vermeidung mangelhafter Ernährung, sondern Violinenstunden und Büchereien und obendrein öffentliche Gebäude und Projekte, die konkrete Verkörperungen von Barbers Verlangen nach einem „bürgerlichen Geist“ wären.

Vielleicht ist das größte Ärgernis am Konsum, dass wir von ihm regelrecht konsumiert werden – wir schaffen es kaum, über ihn hinauszuschauen, und wenden uns schnell voller Abscheu ab. Das ist eigentlich eine Schande, denn die heutige kapitalistische Kultur bietet allen, die neugierig genug sind, dies zu erforschen, reichhaltige Gelegenheiten für die Herausbildung neuer Arten von politischer Theorie und Praxis. Wenn politische Theoretiker nicht vom Konsum konsumiert werden wollen, sollten sie nicht aus dem Bauch, sondern mit dem Kopf denken – und nicht Franklins Totenruhe stören.

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