23.03.2010

„Muss ich denn sterben, um zu leben?“

Essay von Bernd Muggenthaler

Im Februar 2008 jährte sich der Todestag von Falco zum zehnten Mal. Seine letzte CD „Out of the Dark“ ist bis heute ein Verkaufsschlager, gerade in der beliebten Zielgruppe der 20- bis 40-Jährigen. Was macht die Faszination von offensichtlich zeitlosen Typen aus? Ein essayistischer Annäherungsversuch.

Auf die Frage einer Journalistin, wie er, Falco, denn rückblickend die 80er-Jahre erlebt hätte, knödelte der in bestem Wienerisch: „Also I bin irgendwann mal 79 os dem Haus und 88 wieder ham, dazwischen war I mi duschen und umziehen. Also I würd sagen, wer sich an die 80er-Jahre erinnern kann, hat sie nicht gelebt.“ Kürzer und prägnanter kann man das Lebensgefühl einer ganzen Generation nicht beschreiben – Gas geben, mindestens solange der Kreislauf hält. Dass dieses Tempo seinen Preis hat und mitunter „Doping“ erfordert, daraus machte er, Johannes Hölzel, wie er mit bürgerlichen Namen hieß, nie einen Hehl. In einer Zeit, als die gesamte Wiener Szene ziemlich unverhohlen auf Drogen aller Art war und sich auch leitende Polizeibeamte nur schwer zurückhalten konnten, schrieb er den „Kommissar“. Selbst in den bürgerlichen Kreisen war angekommen: „Den Schnee, auf dem wir alle talwärts fahren, kennt heute jedes Kind.“ Falco verpackte das Thema in ein schönes Pop-Stück und räumte gleichzeitig mit jeder heuchlerischen Drogendiskussion auf, die bis heute Parteien aller Couleur durchzieht – „Ich mein’, man fährt ja U-Bahn auch.“

Im Gegensatz zu vielen Stars, die vorgaben (und das bis heute tun), ihre mörderischen Welttourneen ausschließlich mit ayurvedischen Kuren, Yoga und viel Evian zu bewältigen, bekannte Falco eindeutig: „Also ich glaube, mein Suchtpotenzial ist so groß, wenn man auf Fußpilz süchtig sein könnte, ich glaub’, ich wär’s.“ Was genau er mit Sucht meinte, ließ er dabei galant offen und bewies auch bei dieser heiklen Frage Grandezza, oder wie der Wiener sagen würde – Schmäh. Er lebte Sex, Drugs and Rock ’n’ Roll im Versace-Anzug und verzichtete dabei auf peinlich prostituierende Selbstbekenntnisse á la „Ja, auch ich habe gekifft – but I didn’t inhale“. Zumindest nach außen demonstrierte er lässige Selbstverständlichkeit und war gleichzeitig intelligent und professionell genug, dass er diesbezüglich nie einen Skandal provozierte. Im harten Musikbetrieb der 80er-Jahre war er nie Everbody’s Darling, sondern polarisierte zeit seines Lebens. Man liebte, oder man hasste ihn. Gleichgültig war er niemandem.
Nun hat allein der nonchalante Umgang mit Rauschmitteln noch keinen zum Star gemacht und schon gar nicht zu einem, der seine eigene Zeit überdauern sollte.

Johannes Hölzel war ein Arbeiterkind. Sein Vater, fast ohne Schulbildung ausgestattet, malochte sich mühsam zum Werkmeister einer Maschinenfabrik hoch, seine Mutter, die er zeit seines Lebens vergötterte, zur Leiterin einer Wäscherei. Er hatte früh begriffen, dass Erfolg nicht von ungefähr kam. Sämtliche Kollegen seiner Anfangszeit beschrieben ihn als ungemein fleißig und diszipliniert, als jemanden, mit dem man arbeiten konnte. Seine Disziplin steigerte sich mit der Zeit in einem Maß, das man heute als zwangsneurotisch und pedantisch beschreiben würde. Zufällig war bei Falco nichts. Und der Erfolg gab ihm recht. Sein Song „Nie mehr Schule“ wurde zur Hymne einer ganzen Abi-Generation, wohl wissend, dass es schon mal o.k. ist, den Mathekurs für ein kühles Augustiner am See sausen zu lassen. Klar – zu viel Schule macht dich krank. Während wir also mit dem Abi haderten, ging es für Falco um eine andere internationale Reifeprüfung. Er war ein Superstar, er war so populär, because er hatte Flair.

Mit seiner Mischung aus Wienerisch, Hochdeutsch und Englisch kreierte er zum einen sprachlich einen völlig neuen Stil, als selbst ernannter „Godfather des weißen Rap“ machte er sich als Erfinder des Pop-Rap unsterblich. 1986 wurde sein Album „Rock me Amadeus“ Nummer eins der amerikanischen Billboard Charts. Bis heute schaffte das niemand mit einem deutschsprachigen Lied. Allen war klar, dass dieses „Leben auf der Flucht“, wie er einmal einen Song titelte, auf Dauer auch seine Schattenseiten haben würde. Abstürze, die gescheiterte Ehe zu seiner großen Liebe, von der er jäh hintergangen wurde. Der gnadenlose Egotrip forderte seinen Tribut. Und was machte Falco? Er bemühte sich erst gar nicht, seine Probleme herunterzuspielen. Nüchtern bekannte er: „Wenn der Erfolg schneller wächst, als die Seele mitwachsen kann, hat man Probleme – glauben sie mir das“, diktierte er einer aufgeregten Journalistin ins Mikro. Und es dauerte fast 15 Jahre, bis ein internationaler Top-Star zu dem gleichen Fazit kam. George Clooney sagte auf die Frage einer vermeintlich besonders findigen Journalistin, ob es ihn denn wurme, dass er (für Hollywood-Maßstäbe) erst spät zu Ruhm und Erfolg gekommen wäre: „Also ich denke, hätte ich diesen Status schon mit 25 gehabt, würde ich mir heute wahrscheinlich Crack hinter die Augäpfel spritzen.“

Falco war nie eine Kunstfigur, wie viele gerne attestierten, er war zu 99 Prozent Hansi Hölzel und umgekehrt Falco – er „studierte seine Posen nie ein, die flossen einfach so aus ihm heraus“, erinnert sich einer seiner ehemaligen Musiker. Ebenso wenig war er ein todessüchtiger Melancholiker der Marke James Dean, auch wenn er sich einen ähnlichen Tod wünschte. Er zelebrierte das, was er von jeher wollte und für richtig hielt. Schon in der Schule, so erinnert sich ein ehemaliger Klassenkamerad, antwortete er auf die Frage, was er denn einmal werden wolle: „Popstar“. Nicht „irgendwas mit Medien oder so“. Diesen Weg ging er konsequent zu Ende und scheiterte letztlich an sich selbst, seiner Unfähigkeit, Einsamkeit zu ertragen, die vielen kleinen Tode zu sterben, die nötig gewesen wären, um sein fundamentales Grundbedürfnis nach bürgerlicher Existenz lebensfähig werden zu lassen. Das war es, was ihn überforderte und woran er schließlich starb. Jeder, der ihn einmal vor 100.000 Zuschauern auf dem legendären Donauinselfest erlebt hatte, wusste das – und er wusste es auch, dass er längst keine Wahl mehr hatte. „Quid mi nutrit mi destruit“ ließ sich Angelina Jolie tätowieren: Was mich nährt, zerstört mich. Manchmal ist es einfach die Sucht nach Publikum, die als Hauptmenü auf der täglichen Speisekarte steht. Aber irgendwie scheint dies im Blickwinkel „psychologischer Experten“, die heute gerne den Boulevard bereichern, alles ein und dasselbe „Symptom“ zu sein. Kein Wunder in einer Zeit, in der die klassische Psychotherapie immer noch darüber streitet, ob es denn besser sei, ressourcen- oder defizitorientiert zu „arbeiten“.

International schaffte Bruce Willis fast zeitgleich mit der Reihe „Stirb Langsam“ als John McClane den Durchbruch, als der er reihenweise Terroristen umlegt, Geiseln befreit (einschließlich der eigenen Frau) und überhaupt die Welt vom Bösen errettet. So platt die Story auch inszeniert sein mag (das Gute setzt sich gegen das scheinbar übermächtig Böse letztlich durch), das Entscheidende war immer das Wie, die Reduktion komplexer lebensbedrohlicher Situationen und die möglichst effiziente Reaktion darauf. Ein Bruce Willis vertraut nicht darauf, dass ihm die befreundeten Kollegen vom FBI zuhilfe kommen, und wenn, dann fällt er damit böse auf die Nase. Er nimmt die Dinge selbst in die Hand, frei nach dem Motto „Hilf dir selbst, dann hilft dir Gott“, und tatsächlich erhält er in den ausweglosesten Situationen Hilfe von einer Seite, von der er es am wenigsten erwartet hätte. Vergiss vermeintliche Freunde, den Staat oder gar die eigene Verwandtschaft. Vertrau auf dich selbst und deine Möglichkeiten. Leben ist, was du daraus machst! Solche Botschaften mögen simpel klingen, sogar borniert (und das taten sie schon in den 80er-Jahren), zudem in einer immer komplexer werdenden Welt, die höchste Ansprüche an Wissen, Information und Differenzierungsvermögen stellt. Dennoch erfreuen sich seine Filme einer ungebrochenen Beliebtheit, wie die regelmäßigen Wiederholungen in den großen deutschen TV-Sendern immer wieder beweisen. Offensichtlich kann die Welt gar nicht so kompliziert und bedrohlich werden, als das Willis’ alias McClane’s Lebensweisheiten nicht irgendwas von einer zeitlosen Richtigkeit hätten.

In der Tat lässt sich dessen Aktualität täglich aufs Neue ablesen. Wer sich auf den Wohlfahrts- und Fürsorgestaat verlässt, begibt sich gleichzeitig in die Entmündigung, wer sich von der „Gender Diskussion“ kirre machen lässt und damit seine ureigensten Bedürfnisse als Mann oder Frau negiert, wird früher oder später ein Beziehungsfiasko nach dem anderen erleben. Wer mit einem gewaltbereiten Islamisten den „Dialog auf gleicher Augenhöhe“ sucht, wird schnell feststellen, dass er von seinem Gegenüber für alles Mögliche gehalten, nur nicht ernst genommen wird. Warum Bruce Willis schon immer auch bei männlichen Akademikern sehr beliebt war, hat vielleicht genau diesen Grund – so einer bildet sich nicht ein, mit einem Terroristen auch nur ein Wort wechseln zu müssen (höchstens zu Täuschungszwecken); so einer passt den besten Moment ab, seinem Gegenüber so schnell wie möglich eine Kugel in den Kopf zu jagen, zumindest aber, sich handfesten Respekt zu verschaffen. Bruce Willis selbst ging übrigens mit bestem Beispiel voran, sobald feststand, dass bin Laden Auftraggeber für die Anschläge des 11. September war. Er setzte 20 Mio. US-Dollar für dessen Ergreifen aus seinem Privatvermögen aus – dead or alive. Dabei war Willis nie nur der unnahbare Supermann, den nichts umhauen kann. Er heulte vor Wut, Schmerz und Verzweiflung, sehnte sich nach seiner Frau und spülte seinen Frust mit reichlich Alkohol runter. Er war nicht unverwundbar, er war immer Mensch – immer auf eine Art auch fragil und – er wusste darum, im Film wie privat. In einem Alter (54), indem die meisten Männer gerne den Jungdynamischen geben, meinte Willis auf die Frage einer Boulevardjournalistin, wie es denn mit einer Frau an seiner Seite stünde, sichtlich resigniert: „Mein Gott, ich bin doch nur ein alternder Filmschauspieler.“ Understatement klingt anders, und so erkennt McClane auch am Ende von „Stirb langsam IV“ völlig zerschunden: „Ich bin zu alt für diese Scheiße.“ Und jeder nimmt es ihm ab.

Der neue James Bond alias Daniel Craig hat mit seinen 40 Jahren diese Lektion begriffen, darum wird er zu Recht als der beste Bond aller Zeiten bejubelt. Die wenigsten wissen, dass er hart dafür gearbeitet hat. Zehn Jahre Bühnenpraxis mit Shakespeare-Stücken sind wahrlich eine harte Schule. Ein anderer, der sich offensichtlich auch nicht zu alt fühlt, mit Bullshit aller Art brachial aufzuräumen, ist Sylvester Stallone (60) alias John Rambo. Auch wenn die geröteten Wangen vor Collagen triefen und er bis zum Abschalten auf Hormone schwört, an der Grenze zur Lächerlichkeit bewegte er sich mit seinen Rambo-Filmen meistens und oft jenseits davon. Doch das scheint ihm weder entgangen zu sein, und schon gar nicht scheint es ihn jemals gestört zu haben. Er wird regelmäßig in den Top Ten neben Sharon Stone und Arnold Schwarzenegger als einer der Filmstars mit dem höchsten IQ geführt. Wie solche Tests ermittelt werden und was da wirklich dran ist, mag dahingestellt sein. Wie er jedenfalls auf das Thema seines neuesten und vorerst letzten Rambo-Films kam, erstaunt dann doch erst einmal, vor allem durch die einfache, aber intelligente Vorgehensweise. „Ich rief beim Magazin ‚Soldier of Fortune‘ und bei den Vereinten Nationen an. Ich fragte: ‚Wo auf unserer Erde werden die Menschenrechte am offensichtlichsten und schlimmsten mit Füßen getreten, ohne dass darüber nennenswert berichtet wird.?‘ Die Antwort war Birma.“ Diese Vorgehensweise steht wie der Film selbst für eine klare Botschaft: Ich verlasse mich auf niemanden. Nicht auf das, was mir die Medien oder Amnesty International vorsetzen, und ich ziehe daraus meine Konsequenz.

Nun ist der neue Rambo unbestritten grottenschlecht und hierzulande dabei, grandios zu floppen. Dennoch ist es nicht von der Hand zu weisen, dass er auf seine Art einen Takt vorgibt und im allgemeinen Wischiwaschi Freund und Feind klar benennt. Stallone wurde in der Reagan-Ära groß, ein Politiker, der zu seiner Zeit von den meisten europäischen „Intellektuellen“ und Friedensaktivisten gerne als drittklassiger Schauspieler mit eher begrenztem geistigen Potenzial belächelt wurde, einer, der es wagte, komplizierte internationale Politik auf einen allzu einfachen Nenner zu bringen: hier das gute Amerika, dort das Reich des Bösen, die Sowjetunion. Heute wissen wir, dass diese „unzulässige Vereinfachung“ nicht ganz falsch war, dennoch scheint sich unverdrossen in der postmodernen Gesellschaftsform ein Weltbild (und Selbstbild) zementiert zu haben, das es vorzieht, offenkundige Konflikte und die damit verbundenen Handlungsnotwendigkeiten auf pseudobuddhistisch-esoterische Art und Weise internalisieren zu wollen.

Auch das ist ein Teil der 80er-Jahre. So sagt die Off-Stimme in der Schlusssequenz des 1985 gedrehten Kriegsfilms „Platoon“: „We didn’t fight the enemy. We fought ourselves.“ Krieg, das bin ich, das sind wir alle. Letztendlich spiegeln sämtliche gewalttätigen Konflikte nichts anderes als die eigene, die innere Konfrontation wider. Der äußere Feind ist der innere Feind. So konnte auch der Philosoph André Glucksmann allen Ernstes behaupten: „Hitler bin ich …“ Diese Sichtweise erfreut sich bis heute ungebrochener Beliebtheit und wird von den meisten Esoterik- und Selbsterfahrungsfreaks bereitwillig mitgetragen. Und just in diesem Moment kommt wieder einmal Rambo um die Ecke und sagt: Hey Leute, so einfach ist die Chose nicht. Und recht hat er. So einfach ist sie nicht. Natürlich spielt der „innere Weg“, das Fließen von Qi und Imagination in fernöstlichen Philosophien eine wichtige Rolle. Was gerne bei westlichen Qigong-Fans unterschlagen wird, ist, dass dieser Weg ein Pars pro Toto ist. Jeder, der sich einmal halbwegs intensiv mit klassischem Shaolin-Kung-Fu beschäftigt hat, weiß das. Der innere Weg wird erst dann initiiert, wenn der Körper durch jahrelanges Training hierfür bereit gemacht worden ist. Ein KSK-Soldat, der im afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet von einer Gruppe Taliban überrascht wird und erst einmal innehalten würde, um den richtigen „inneren Weg“ für die Situation zu finden, käme seiner Nirvana-Fantasie schneller näher, als ihm lieb wäre. Auch wenn der Film hierzulande gnadenlos verrissen und der Lächerlichkeit preisgegeben worden ist, irgendetwas davon rührt doch an jeden. In Birma ist er logischerweise verboten, wird aber (ebenso logisch) schwarz gehandelt. Birmanen zufolge zeigt er die Brutalität des Regimes so, wie sie ist. Ein Untergrundkämpfer der KMU, die seit 60 Jahren gegen das Terrorregime kämpft, sagt: „John Rambo macht uns Mut. Er motiviert uns und zeigt uns, dass das Regime besiegt werden kann.“

Falco war entgegen aller Unterstellungen nicht todessüchtig, er war zutiefst einsam und verzweifelt, weil er es nicht schaffte, die vielen kleinen Tode zu sterben, die nötig gewesen wären, um ein halbwegs normales Leben zu führen, nach dem er sich im Grunde immer sehnte und das ihm zeit seines Lebens verwehrt blieb. Sein Song „Out of the dark“ markierte eine Erlösungsfantasie, einen letzten Hilfeschrei, die Sehnsucht nach Frieden und Liebe, wie die Begriffe kindlich symbolisieren, die wie zufällig auf seinem letzten Album auf das Cover gekritzelt sind. Doch zufällig war bei Falco eben nichts. Wirklich zu Hause war er nur auf der Bühne. Ich gehörte damals zu den wenigen, die Falco, wie man so schön sagte, als „ambivalent“ wahrnahmen, ein Modewort, das sich bis heute hartnäckig als Duktus in der Psychoszene behauptet. Es sollte fast zwei Dekaden dauern, bis ich begriff, warum. Hansi Hölzel starb am 6. Februar 1998, 40-jährig, bei einem Autounfall irgendwo auf einer staubigen Landstraße irgendwo in der Dominikanischen Republik. Die Augen weit aufgerissen vor nackter Angst.

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