01.07.2008

Missionare ohne Mission

Kommentar von Frank Furedi

Burma, China, Österreich: Warum die westliche Öffentlichkeit immer und überall nach Indizien für die Niedertracht des Menschen sucht.

In den letzten Wochen fiel es mir zunehmend schwer, die Medienberichterstattung über die Ereignisse in der Welt überhaupt noch ernst zu nehmen. Zumeist, so schien es, war sie von der Lust am menschlichen Untergang getrieben. Man ergötzte sich an den Auswüchsen menschlicher Niedertracht sowie an der scheinbaren moralischen Minderwertigkeit anderer Kulturen. Kaum war die Erde in China nach dem Beben wieder zur Ruhe gekommen, wurden wir bereits über die Versäumnisse im chinesischen Hausbau sowie die Korruptheit der dortigen Bauindustrie aufgeklärt.

Je weiter entfernt sich Unglücke oder Katastrophen ereignen, desto mehr fühlen sich Journalisten offenbar bemüßigt und berechtigt, ihren schwärzesten Fantasien freien Lauf zu lassen und uns mit den absurdesten Schauergeschichten zu versorgen. Bis vor Kurzem beschränkte sich die „Pornografie des Leidens“ in der Regel auf Berichte vom afrikanischen Kontinent sowie auf eine Handvoll „gescheiterter Staaten“. Während sich die US-amerikanische Leidensobsession vorrangig auf Dafur konzentrierte, galt in Großbritannien die Aufmerksamkeit in erster Linie den Ereignissen in Simbabwe.

Dabei muss man heute kein greiser Diktator eines heruntergewirtschafteten afrikanischen Staates mehr sein, um in den Medieninszenierungen des menschlichen Grauens eine Hauptrolle zu ergattern. In jüngster Zeit gerieten auch Länder in unserer näheren Nachbarschaft in das Fadenkreuz der Medienmissionare. Die Berichterstattung über die Verbrechen des Österreichers Josef Fritzl verwandelte sich in der internationalen Öffentlichkeit schnell in ein Märchen über die Defekte der österreichischen Psyche. Anstatt die Ereignisse als das zu nehmen, was sie sind – ein erbärmliches Verbrechen eines jeder menschlichen Gefühlsregung beraubten Psychopathen –, machten sich Journalisten daran, in der politischen Vergangenheit der Alpenrepublik herumzuwühlen und nationale Defekte zu suchen. Es dauerte nicht lange, bis der Fall Fritzl als Beweis dafür herhalten musste, dass offensichtlich bis heute abgrundtief verdorbene Braunhemden die österreichischen Vorstädte bevölkern. Braunhemden? Jeder, der in den letzten Jahren Österreich besucht hat, muss sich verwundert die Augen reiben und sich fragen, wie man zu solcherlei Schlussfolgerungen kommen kann. Österreich ist ein überaus liebenswertes und zivilisiertes Land. Es hat nicht nur niedrige Kriminalitätsraten, sondern sehr nette, weltoffene und hilfsbereite Einwohner, unter denen man sich als Tourist jederzeit wohl und sicher fühlt. Doch solche Alltagsbeobachtungen passen den Medienmissionaren, die lediglich nach Beweisen für die Abscheulichkeit menschlicher Gesellschaften Ausschau halten, ganz offensichtlich nicht in den Kram.

Aber wenn es tatsächlich gelingt, Österreich zum Ursprung aller menschlicher Deprivation zu erklären, wie kann es dann überhaupt noch Hoffnung geben für Länder wie China – oder noch schlimmer, für Staaten wie Burma? Die Reaktionen der westlichen Welt auf die dortige menschliche Tragödie waren dabei alles andere als menschlich. Stattdessen verwandten westliche Regierungen wie Medien die meiste Energie darauf, Burma als den Gegenentwurf zur menschlichen Zivilisation und die dortige Junta als monströses Regime darzustellen, das das Schicksal seiner Bevölkerung gefühllos ignoriert. Fast schien es, als seien die Missetaten und die Inkompetenz der burmesischen Regierung moralisch mit dem Verbrechen des Genozids gleichzusetzen. Auch Vertreter der US-Regierung beschuldigten das Regime, für den Tod von Zehntausenden direkt verantwortlich zu sein.

Zwischen den Opfern einer Naturkatastrophe und den Opfern eines Bürgerkrieges kausale Vergleiche herzustellen, ist ein untrügliches Indiz für die moralische Verwirrung, unter der Teile der westlichen Öffentlichkeit sowie westliche Medienvertreter leiden: Sie gebärden sich als Missionare, die verzweifelt nach ihrer Mission suchen. In Bezug auf Burma zeigte sich der Herausgeber des Time Magazine, Romesh Ratnesar, darüber besorgt, dass die Welt noch keine Einigkeit darüber erzielt habe, wann und unter welchen Voraussetzungen Interventionen zur Abwehr humanitärer Katastrophen notfalls auch mit Waffengewalt durchzuführen seien. In einem Anflug von Ungeduld fügte er hinzu, wir hätten immer noch nicht herausgefunden, wann wir kriegerischen Handlungen „eine Chance geben“ sollten. In diesem surrealen Theater erscheint die Ansicht, man müsse dem Krieg „eine Chance geben“, als eine kosmopolitische Tugend. „Wo ist die Koalition der Willigen?“, fragte kürzlich ein US-amerikanischer Kommentator und schob die Frage nach, wenn der Regimewechsel einem Land wie Irak gutgetan habe, warum nicht dann auch Burma?

Wie jeder weiß, besitzt die burmesische Militärführung kein globales Monopol auf autoritäre und unterdrückerische Staatsführung. Auch ist die dort zu beobachtende Attitüde der herrschenden Clique, gerade in Krisen- oder Kriegszeiten zuerst an sich selbst und erst sehr viel später an die Bevölkerung zu denken, alles andere als einzigartig. Tatsächlich erinnerte die Führung Burmas mit ihrem stotternden und ignoranten Krisenmanagement an andere überforderte Regierungen. Böse Zungen sprachen sogar von Parallelen zur US-Regierung und ihrer halbherzigen und inkompetenten Reaktion auf den Hurrikan Katrina und die Überflutung von New Orleans und wiesen darauf hin, dass insbesondere die Bush-Regierung keinerlei Autorität besitze, Burma in Sachen Krisenmanagement zu belehren.

Als das größte Verbrechen der burmesischen Regierung wird die Weigerung kritisiert, westliche Experten ins Land zu lassen. Offensichtlich ist es in den Augen der westlichen Öffentlichkeit inakzeptabel, wenn ein Land wie Burma Rettungsaktionen in Eigenregie durchzuführen wünscht. Stattdessen echauffierte man sich darüber, dass ein hilfloses Regime Hilfe ablehne und Helfer nicht mit offenen Armen empfange.

Das burmesische Militärregime mag ein überaus verschlossenes und auch paranoides sein; seine Weigerung aber, das Krisenmanagement eingeflogenen westlichen Experten zu überlassen, ist alles andere als einzigartig. Nach dem Tsunami im Jahr 2004 sträubten sich auch die Regierungen von Indonesien und Sri Lanka, westlichen Hilfsorganisationen Zugang zu den Krisengebieten zu verschaffen. Selbst die indische Regierung beäugte das Tun westlicher Hilfsorganisationen auf den Andamanen und Nicobaren äußerst skeptisch. Und selbstverständlich lehnte auch China, obwohl es Hilfslieferungen gerne annahm, es ab, internationalen Helfern Zutritt zu den Erdbebengebieten zu verschaffen. Solcherlei Haltungen mögen manchen als irrational erscheinen, ungewöhnlich ist dies hingegen nicht. Noch immer nehmen viele Staaten ihre nationale Souveränität überaus ernst und betrachten daher das unerwünschte Auftreten fremder Experten als eine potenzielle Gefahr für die Integrität ihres Gemeinwesens. Offensichtlich sah auch die burmesische Regierung die Forderung, westliche Experten ins Land zu lassen, als einen möglichen ersten Schritt auf dem Weg zu einem von außen angestrengten Regimewechsel – nicht ganz zu Unrecht, wie es scheint.

Was in der Aufregung über die Verweigerungshaltung der burmesischen Führung unter den Teppich gekehrt wurde, war die Tatsache, dass sich diese Haltung auf Hilfe aus dem Westen beschränkte; Hilfe aus China, Japan, Thailand, Singapur, Laos und Bangladesh wurde bereitwillig angenommen. Zudem wird die Rolle von Experten bei der Bewältigung von Krisen zumeist überschätzt: In den Katastrophengebieten helfen sich die Menschen selbst, auch wenn dies zuweilen chaotisch und unorganisiert vonstatten geht. Aber keine von einer Krise bedrohte Bevölkerung wartet mit dem Retten und Aufräumen darauf, dass endlich Experten von außerhalb eintreffen. Auch in Burma gaben die Menschen ihr Bestes, um die Hilfsbedürftigen zu unterstützen. Was sie dabei in erster Linie brauchen, ist materielle Unterstützung und keine Armee von Hilfsexperten, die meinen, ihnen erklären zu müssen, wie man mit Krisen umgeht.

„Dem Krieg eine Chance geben – um was zu tun?“ Die einzig plausible Antwort auf diese nur sehr selten gestellte Frage lautet: „Um überhaupt etwas zu tun.“ Obwohl sich der missionarische Eifer westlicher liberaler Meinungsführer derzeit auf China konzentriert – immerhin sind die Chinesen sowohl in Burma als auch in Simbabwe und im Sudan überaus präsent, vielleicht ja auch in Österreich! –, so gibt es doch nur wenige geostrategische Interessen, die diesem Kreuzzug Dynamik verleihen könnten. Da macht es Sinn, die eigene Expertise im Krisenmanagement als Ausdruck der moralischen Überlegenheit zur Schau zu stellen und es sich von einem kleinen, armen Land wie Burma nicht bieten zu lassen, abgewiesen zu werden.

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