01.05.2008
Ein Hoch auf Chinas Wirtschaftswunder!
Kommentar von James Woudhuysen
Ignorieren Sie die Horrorgeschichten über die „gelbe Gefahr“, die von Chinas Wirtschaftswachstum ausgehen soll. Es gibt gute Gründe, die chinesischen Fortschritte gutzuheißen.
Jede Woche wächst die Liste westlicher Anschuldigungen gegen China. Die Verschmutzung, die von China ausgeht, so wird uns berichtet, stellt nicht nur eine Gefahr für das Land selbst dar, sondern bedroht die ganze Welt. Im Sommer 2007 publizierte die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) in Paris einen Bericht über Chinas Umweltbilanz. Das 336 Seiten umfassende Schriftstück beinhaltete 51 Empfehlungen in Bezug auf Luft- und Gewässerverschmutzung sowie für die Abfallwirtschaft, zu deren Umsetzung China „ermuntert“’ werde.1 Für Lorents Lorentsen, den OECD-Leiter der Abteilung für Umwelt, schadet die Verschmutzung auch Chinas Image in der Welt. Wie er meint, habe man als Land „ein schlechtes Markenzeichen im Ausland“, sobald in den Köpfen der Menschen die Assoziation mit Umweltverschmutzung aufkomme.
Spätestens, seit in den Vereinigten Staaten China-Importe vom Markt genommen wurden, weil man giftige Substanzen darin vermutete, ist in amerikanischen Wirtschaftskreisen der Begriff „chinesisches Wirtschaftswachstum“ zum Synonym für „Umweltverschmutzung“ geworden. Monatelang unternahm das konservative Wall Street Journal Angriffe auf chinesische Exporte: Fischlieferungen, Zahnpasta, Medikamente und Tierfutter seien durch schädliche Bestandteile verdorben, hieß es dort. Die jüngsten Äußerungen der OECD zeigen, dass die Kampagne gegen China einen zunehmend offiziellen Charakter annimmt. Laut der OECD stellt das unkontrollierte Wachstum der chinesischen Wirtschaft eine Gesundheitsgefahr für alle Menschen dar. „Eine gesunde Wirtschaft braucht eine gesunde Umwelt“, erklärte Mario Amano, stellvertretender OECD-Generalsekretär, bei der Veröffentlichung des Berichts. Die Möglichkeit, dass eine gestärkte chinesische Wirtschaft auch eine Verbesserung des Umweltschutzes nach sich ziehen könnte, zog er dabei nicht in Betracht.
Jedes Jahr wächst das chinesische Bruttoinlandsprodukt um mehr als zehn Prozent. Dies ruft im Westen große Sorgen hervor. Nun soll China dazu gezwungen werden, den Kopf für das hinzuhalten, was in unseren Zeiten als größte Sünde gilt: die Umweltverschmutzung. Das Land wird wegen seiner Kohlekraftwerke und Treibhausgasemissionen an den Pranger gestellt und beschuldigt, ein Hauptverursacher der globalen Erwärmung zu sein. Auch die geografische Größe und die Exporte in die ganze Welt würden dazu beitragen, dass China nicht nur das Leben seines eigenen Volkes, sondern auch das Leben von Menschen in Asien und auf der ganzen Welt verseucht.
Die Tatsache, dass Wachstum auf Dreck und Verschmutzung reduziert und Güterexporte als „Kontamination“ diskutiert werden, ist ein schockierendes Beispiel für die entwicklungsfeindliche und misanthropische Weltanschauung, die unser heutiges Zeitalter dominiert. Es ist nicht so sehr Pekings Umweltbilanz, sondern die westliche Skepsis gegenüber Wachstum und Fortschritt, die China zum Sündenbock macht. Peking wird vom Westen ins Visier genommen, da es nicht seine Ansicht teilt, dass starkes Wachstum schreckliche Folgen nach sich ziehe. Tatsächlich fallen die Vorteile, die Chinas Wachstum seiner Bevölkerung bringt, unter den Tisch. Auch bleibt unerwähnt, wie die erhöhte Energieverfügbarkeit den Alltag der Chinesen erleichtert hat. Selbst die Erfolge Chinas bei der Bekämpfung der Massenarmut – tatsächlich fiel zwischen 1981 und 2001 der Anteil der in Armut lebenden Chinesen von 53 auf 8 Prozent2 – bleiben unberücksichtigt. Stattdessen rät die OECD China, den Preis für Energie, Wasser und andere Naturressourcen zu verteuern, „um deren Endlichkeit aufzuzeigen und um externe Effekte im Zaum zu halten“. Zudem ermahnt die OECD China, sich sauberer (und wünschenswerterweise ausländischer) Technologien anzunehmen, um den Ausstoß von Kohlekraftwerken zu reduzieren und die Abfallentsorgung besser zu organisieren.
China scheint daraus seine Lehren zu ziehen. Ein ranghoher Bediensteter der chinesischen Umweltbehörde SEPA sagte vor zwei Jahren, die Lage der Umwelt und der Energieversorgung in China mache es zur Notwendigkeit, „eine nachhaltige Ökonomie zu entwickeln und die traditionell übliche Art und Weise seiner Entwicklung, die von einem hohen Energie- und Ressourcenverbrauch, starker Umweltverschmutzung und niedrigen Erträgen gekennzeichnet sei, zu verwerfen.3 Chinas offizielle Investitionspolitik im Ausland soll nun „Unternehmungen mit hoher Umweltbelastung und niedriger Effektivität“ nicht mehr zulassen.4 Doch das begriffsstutzige Regime in Peking hat das westliche Nachhaltigkeitsgerede noch nicht so stark verinnerlicht, dass ihm die Logik der westlichen Hysterie wegen der chinesischen Umweltverschmutzung verborgen geblieben wäre. Es versteht sehr wohl die Motivation hinter den ökologischen Anschuldigungen: Es ist der Wunsch von Außenstehenden, China herumzukommandieren.5
Wir erleben derzeit eine Renaissance der Rhetorik der „gelben Gefahr“. Der amerikanische Historiker John W. Dower hielt in seinem Werk War Without Mercy: Race and Power in the Pacific War fest, wie sich chinesische Emigranten des 19. Jahrhunderts in Amerika mit offen rassistisch motivierten Feindseligkeiten auseinandersetzen mussten. Nachdem die chinesische Immigration 1892 verboten wurde, rückte die japanische in den Mittelpunkt amerikanischer Ängste.6 Von der Weltwirtschaftskrise in der Zwischenkriegszeit bis in die Nachkriegsjahre gab es im Westen die Hysterie über japanischen Militarismus und eine ausgesprochene Feindseligkeit gegenüber dem maoistischen China, dem Unterstützer des Kommunismus in Korea. Noch in den 70er-Jahren machte die Angst vor der Entstehung eines japanischen „Superstaates“ die Runde.7 Die früheren Ängste vor der „gelben Gefahr“ basierten auf der Vorstellung, dass Chinesen (und Japaner) minderwertige Rassen seien, die mit ihrem fremdartigen Wertesystem die Welt korrumpieren könnten; ihre heutige Variante basiert auf der Ansicht, das zügellose und außer Kontrolle geratene Reich der Mitte stelle wegen seiner Umweltverschmutzung und des Exports von kontaminierten Gütern eine globale Bedrohung dar.
All diese Ausprägungen des westlichen Asien-Wahns spiegelten die westliche Selbstwahrnehmung wider, sie waren Ausdruck der eigenen wirtschaftlichen wie politischen Unsicherheit. Die westliche Legitimitätskrise geht heute so weit, dass nun sogar der Nutzen von ökonomischem Wachstum angezweifelt wird. Es ist dieser Zweifel an urkapitalistischen Grundsätzen, der Chinas ungetrübtes Bekenntnis zum Wachstum zu einem Alptraum für den Westen macht. Man könnte China ob seiner wirtschaftlichen Potenziale beneiden – aber da man mittlerweile wirtschaftliche Entwicklung an sich sowie den bloßen Gedanken an über eine Milliarde Menschen (Umweltverschmutzer) fürchtet, tendiert man im Westen zu schauerlichen Warnungen und zu einem beklommenen Gefühl und bösen Vorahnungen, wann immer über China diskutiert wird.
Die Kritik an China wird zunehmend schriller und hysterischer. Laut John Vidal, Redakteur des Ressorts Umwelt der britischen Tageszeitung The Guardian, trägt China Schuld an der „Massenvergiftung eines Volkes“.8 Für ihn stellt der chinesische Wirtschaftsmoloch aber auch ein Spiegelbild des westlichen Konsumdenkens dar. Dieser Sichtweise folgend ist die chinesische Umweltverschmutzung eine Konsequenz der Tatsache, dass wir im Westen einfach nicht genug haben können. Chinas Umweltkatastrophe ist für Vidal „ganz einfach das Produkt von Gier. Unserer und ihrer“.9 Wenn diese einseitigen Tiraden gegen China und seine Bevölkerung, die in politischen und journalistischen Kreisen zunehmend in Mode kommen, irgend etwas deutlich zeigen, dann ist es imperialistische Arroganz. Chinas Umweltprobleme sind schwerwiegend; aber Hass auf den Menschen und seine Taten, ob nun in China oder hierzulande, beschmutzt unseren Verstand. Die chinesischen Fortschritte sollten von all jenen begrüßt werden, die an den Fortschritt glauben, anstatt sie als „Fußabdrücke“, die dem Planeten schaden, zu diffamieren.