01.03.2008

Malen nach Zahlen mit Norbert Bisky

Kommentar von Bernd Muggenthaler

Eine Glosse von Bernd Muggenthaler

Der Tagesspiegel ist ein in aller Regel übersichtliches, halbwegs gut lesbares Blatt mit hübschen Rubriken wie etwa „Was machen wir heute?“. Hier kommen wahlweise West-, Ost- oder Neuberliner zu Wort und geben kund, wer oder was sie an der Hauptstadt am meisten beschäftigt. Was man dort allerdings kurz vor Weihnachten zu lesen bekam, trieb einem Tränen in die Augen: Mit messerscharfer Beobachtungsgabe stellte eine gewisse Ariane B. fest: „... Bisky ist ein Maler, dessen Bilder meistens groß sind und wirklich sehr bunt, abgebildet sind junge Menschen, die Sport treiben oder etwas Ungezogenes tun (na, na). Ich finde groß und wirklich sehr bunt ist die Hauptsache. Sport ist auch gut, über das Ungezogene wäre zu reden (na, na).“

Mit dieser Einschätzung liegt Ariane B. nicht einmal so weit neben der von so manchem renommierten Kunstkritiker. Aber Ariane B. geht noch weiter. Sie hat eine Vision („... Denn mein Plan ist: Wir machen aus seinen Bildern Vorlagen für Malen nach Zahlen. Eine irre Sache. Jetzt so zu Weihnachten ...“) und sieht schon massenweise vorweihnachtsgestresste Berliner in Baumärkte rennen, die sich nichts sehnlicher wünschen, als eine 120-x-200-Zentimeter-Leinwand durch die U-Bahn zu zerren. Echt irre! Schwupsdiwups hätte jeder Hartz-IV-Geplagte eine echte Preziose zu Hause hängen, und das Armutsproblem der Hauptstadt wäre mit einem Schlag gelöst.
Derlei Solidaritätsdenke kann in Berlin auf eine gewisse Tradition verweisen. Erst in der Vorweihnachtszeit 2006 lief im renommierten Kaufhaus Galeries Lafayette wochenlang die Aktion „Austern für alle“, bei der zwei Exemplare der Edelmuschel für sage und schreibe 1,50 Euro zu haben waren, Pumpernikel und Butter inklusive. Warum also nicht „Bisky für alle?“ Warum aber überhaupt Bisky?

Wir erinnern uns: Vor nicht allzu langer Zeit wurde Norbert Bisky von den meisten deutschen Feuilletons wegen seiner Riefenstahl-Ästhetik in Grund und Boden kritisiert. Blonde, blauäugige Jünglinge, vor Kraft strotzend in heiler Natur, Bilder wie aus einem Propagandaheft der FDJ, unkommentiert, ohne eine Spur von Ironie oder gar Kritik, geschweige denn einem Hauch von künstlerischer Auseinandersetzung. Bisky, der Sohn des „Linke“-Chefs Lothar Bisky, reagierte anfangs verwundert, dann zusehends genervt und verweigerte sich pampig auch jeglichen Fragen nach seiner Familie, insbesondere nach seinem Vater. „Mit Nazidreck“ habe er nichts zu tun, und er wollte sich einfach die „DDR aus der Seele malen“. Dagegen wäre im Grunde nichts einzuwenden, und man würde es ihm liebend gerne glauben, hätte er sich nicht einen dummen Freudschen Lapsus geleistet. Als „mit Lenor gewaschen“, bezeichnete er seine damaligen Bilder, was unrühmliche Assoziationen zu einem anderen Waschmittel weckt (das, das nicht nur sauber, sondern rein wäscht). Erschwerend hinzu kam auch noch, dass Lenor ausgerechnet ein Weichspüler ist.

Ganz abgesehen davon aber hat seelische Verarbeitung immer auch mit Reflektion und Veränderung zu tun, oder geht neuerdings schon platte Reproduktion als künstlerischer Prozess durch? FDP-Chef Guido Westerwelle scheint das nicht gestört zu haben. Er gehört, ebenso wie der Modeguru Wolfgang Joop, zu den treuesten Bisky-Sammlern. Wen wundert’s? Dass sich aber das New Yorker MOMA ebenso in die passionierte Fangemeinde einreiht wie das koreanische Nationalmuseum in Seoul oder das Kölner Museum Ludwig, erstaunt dann doch. Allerdings nur auf den ersten Blick. Bei genauerer Betrachtung liegt der Verdacht allzu nahe, dass es einfach nur um Geld geht. Um viel Geld.
Noch ist ein Bisky für rund 70.000 Euro zu haben, ein Schnäppchen, wenn man bedenkt, welch astronomische Summen für internationale zeitgenössische Stars bezahlt werden. Und: Der „künstlerische Bruch“ Biskys war vorhersehbar. Seit Längerem ging ihm die Kritik auf die Nerven, kratzte am hart erarbeiteten Ego und am Image. Zudem war er nie ein polemischer Haudrauf wie Daniel Richter, der auch noch über die Kaltschnäuzigkeit verfügt, jede Kritik mit einem Lächeln zu quittieren. Bisky wirkte trotz seiner 38 Jahre immer noch studentisch, freundlich, eher schüchtern, keiner, der allzu lange einem medialen Kreuzfeuer standhält. Im renommierten Berliner Haus am Waldsee durfte er dann bis Mitte Januar 2008 seine eindrucksvolle künstlerische Wandlung der Öffentlichkeit präsentieren. Statt gut gebauter Lustknaben gab’s diesmal blutende, kotzende und urinierende Jünglinge zu sehen. Ab und zu tauchten sogar zum ersten Mal (man glaubt es kaum) Frauen in seinen Bildern auf. „Ich war’s nicht“, lautete dann auch der Titel der Schau, was an Ironie nun wirklich nicht zu überbieten ist, auch wenn zu befürchten ist, dass sie kaum jemand wirklich verstanden hat.

Stattdessen geht ein Raunen durch die Kunstszene. Der Kunstkritiker Christoph Tannert beobachtet „eine Zunahme brutaler Leinwandszenen und ein rasantes Verschleudern von Körperflüssigkeiten“ und konstatiert „einen untrüglichen Sinn des Künstlers für Körperkult und Körperkritik“. Seiner Meinung nach verzichtet Bisky dabei auf „einen Leidenschaftssog und jegliche Empfindsamkeit“.
Aha. Steht also nur noch die Frage im Raum, was an der Darstellung von kalter Gewalt, Sperma und Urin besonders originell sein soll, noch dazu im Zeitalter frei zugänglicher Internet-Pornos? Es scheint so, als ob sich diese Frage wenige der renommierten Kritiker stellen, einige vielleicht auch nicht stellen wollen, weil sie selbst am allgemeinen Pushing zu gut mitverdienen.

Die gegenwärtigen Trends des Kunstmarkts sind überdeutlich. „Fascho-Ästhetik“ kombiniert mit morbidem Katastrophismus sind der Renner. Bisky wäre vielleicht auch einfach nur blöde, würde er nicht versuchen, in die Fußstapfen seines Kollegen Daniel Richter zu steigen, dessen Bilder mittlerweile für sechsstellige Beträge gehandelt werden. Aber kann man das einem sensiblen, netten und offensichtlich schwer traumatisierten Menschen wirklich vorwerfen? Auf die Frage, warum er die Farbe Blau in seinen Bildern bervorzuge, antwortete Bisky einmal: „Weil man mir damals im Kindergarten blaue Hemden angezogen hat.“ Um Gottes willen! Heerscharen besorgter Mütter werden sich fragen, ob das Tragen blauer Hemden im Kindergartenalter schon zwangsläufig Gefügige des Kunstmarkts produziert.

Ariane B. beendete ihre Betrachtungen übrigens mit den Worten: „Einen Bisky nachzumachen statt ihn nur anzuschauen, dass wäre wie den Reclam-Goethe auch wirklich Zeile für Zeile, Reim für Reim durchzuackern. Das wäre Arbeit, Schweiß und Demut, und am Ende stünde große Freude. Mal sehen.“
Liebe Ariane, ich hätte da noch einen Vorschlag zur Luststeigerung: Versuchen Sie das Ganze am besten auch gleich noch mit Kafka. Dann wird’s gleich noch viel freudiger. Ganz sicher!

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