01.03.2008

Lob der autonomen Unternehmensführung

Kommentar von James Woudhuysen

Wenn Großunternehmen für Innovationen externe Berater brauchen, stimmt etwas nicht.

Beim Besuch eines großen britischen Dienstleistungsanbieters vergangene Woche war in der Firmenzentrale weit und breit kaum ein schlipstragender Vertreter der Unternehmensleitung zu sehen. Stattdessen traf ich auf ein Rudel etwa 30-jähriger hipper Experten für irgendwas, die im 19. Stock in einem eigenen Büro residieren, aber nicht auf der Gehaltsliste stehen. Einen Schlips trug keiner.

Sie machten einen netten und aufgeschlossenen Eindruck, aber mir stellte sich die bohrende Frage, wofür sie denn nun eigentlich zuständig seien. Beim Mittagessen räumten sie ein, man habe zwar das Ohr der Marketingabteilung, aber der IT-Bereich wolle nichts von ihnen wissen. Und das sei betrüblich, denn immerhin wollten sie dem Unternehmen ein neues Interface empfehlen, um die Kundenbetreuung als „soziales Netzwerk“ zu betreiben. Doch davon wolle die IT-Abteilung nichts wissen.

Schon am nächsten Tag begegnete ich weiteren Vertretern derselben Spezies. In diesem Fall wollten junge IT-Berater eine Firma mit dem Konzept der „Conversation Economy“ beglücken. Jeder, verrieten sie mir, könne eine fantastische Innovation hervorbringen: Mitarbeiter, Lieferanten, Kunden – und überhaupt: alle. Deshalb sollten Unternehmen sich MySpace und Facebook zum Vorbild nehmen und die brillanten Ideen aller interessierten Netzbewohner über das Chatten auf ihrer Webseite einsammeln. Am besten mache man es so wie IBM, auf deren Webportal InnovationJam satte 56.000 Mitarbeiter, Kunden, Lieferanten sowie deren Freunde und Angehörige inzwischen 37.000 Online-Einträge zum Thema Innovation eingestellt hätten.

Okay, vielleicht hat wirklich jeder das Zeug für eine große Innovation. Aber einen gewissen Vorteil könnte es schon bringen, ein realer Technikexperte mit einem echten Budget für Forschung und Entwicklung zu sein statt ein Blogger, der sonst nichts Rechtes mit sich anzufangen weiß. Tatsache ist aber, dass die Doktrin der „offenen“, „anwenderbestimmten“ und folglich nach heutigem Dafürhalten „demokratischen“ Innovation, die in den USA Henry Chesbrough und Eric Von Hippel erdachten, auf dem Hintergrund der erstaunlichen Erfolge sozialer Netzwerke an den Konsumgütermärkten inzwischen weltweit große Triumphe feiert.

Und das beflügelt eine ohnehin schon weit verbreitete Unsitte: Viele Unternehmensführungen glauben, sich mittels Beauftragung schmalhüftiger Berater der eigenen Verantwortung für Innovation entledigen zu können. Statt Labors mit Profis in weißen Kitteln trifft man heute überall auf Büros voller cooler Bauchredner ohne echte Macht. Und dementsprechend gering sind bei steigenden Ausgaben für Beratung in Großunternehmen die Investitionen in Forschung und Entwicklung – zumindest in Großbritannien. Die beste Innovation muss immer von draußen kommen? Ich denke nicht. Es ist Zeit für Unternehmen, sich auf ihre eigene Zuständigkeit für Wachstum und Innovation zu besinnen.

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