01.03.2008
Hilfe, ruft der Lebensmittelbeobachter, wir werden vergiftet!
Rezension von Erich Grantzau
Stimmt aber gar nicht. Selbst Hobbygärtner können ihr Obst und Gemüse unbesorgt essen. Über das neue Buch des foodwatch-Chefs Thilo Bode.
Thilo Bode, Chef der Organisation foodwatch, hat ein Buch geschrieben. Es heißt Abgespeist. Wie wir beim Essen betrogen werden und was wir dagegen tun können und ist im S. Fischer Verlag erschienen. Bodes Job ist es, uns das Essen madig zu machen. Bei mir hat es nicht geklappt. Ich habe das Buch gelesen und lasse es mir immer noch schmecken. Denn es ist mit zahlreichen Widersprüchen gespickt. Dennoch kann sich der Autor sicher sein, dass er bei Medien- und Meinungsmachern große Aufmerksamkeit erzielt und mit offenen Armen empfangen wird. Gar keine Frage: Essen madig machen, das läuft immer.
Schwermetalle und „Chemie-Zitronensäure“
Kaum war das Buch raus, war Bode auch schon bei Kerner im ZDF. Sein Thema war „Chemie-Zitronensäure“. Die sei dafür verantwortlich, dass die Schwermetalle in Lösung gehen und dann vom Körper aufgenommen werden. Das gilt zwar nicht für alle Schwermetalle, ist aber im Prinzip richtig. Und wir können froh sein, dass es so ist, denn ein großer Teil der Schwermetalle sind für Pflanze, Tier und Mensch lebensnotwendig. Das gilt z.B. für die Schwermetalle Eisen, Mangan, Zink, Kupfer, Kobalt – ja sogar das schlecht beleumundete Cadmium ist in geringsten Spuren für Warmblüter offensichtlich ein notwendiges Spurenelement. Deshalb ist es gut, dass unsere Nahrung Säuren welcher Art auch immer beinhaltet. Das kann frisch gepresste Bio-Zitronensäure, ein 30 Jahre alter Edel-Balsamico oder eben „Chemie-Zitronensäure“ sein. Wenn es darum, geht, Schwermetalle zu lösen und uns verfügbar zu machen, sind sie alle gleich geeignet.
Gut, besser, öko?
Der kritische Verbraucher kann feststellen, welche Waren eine qualitativ gute, weniger gute oder gar eine schlechte Qualität aufweisen. Er braucht nur die regelmäßig erscheinenden Testberichte der einschlägigen Zeitschriften zu lesen. Herr Bode dürfte dieser Art der Aufklärung ambivalent gegenüberstehen. Denn sie fußt auf objektiven Messungen und liefert regelmäßig Ergebnisse, die nicht ins Bild passen. Generell setzt sich foodwatch zwar insbesondere für strikte Vorschriften und konsequente Kontrollen der Lebensmittel ein. Bode bemüht sich auch, sich vom Dünkel wohlsituierter Grüner abzugrenzen. Er ist nicht der Meinung, wer wenig Geld für Essen ausgebe, sei letztlich selbst schuld, wenn er schlechte Qualität bekomme. Letztlich sind für ihn das Gute, Wahre und Richtige dann aber doch die hochpreisigen Öko-Produkte. Die schneiden bei Tests in einigen Fällen zwar passabel ab, regelmäßig finden sie sich jedoch auch weit abgeschlagen hinter der Discounter-Ware. In einem jüngst veröffentlichten Testergebnis ist eine Öko-Schokolade wegen akuter Qualitätsmängel sang- und klanglos durchgefallen. So muss der Autor sich doch sehr winden und mühen, um uns darzulegen, dass „öko“ doch besser sei. Überzeugen kann er nicht.
Die bösen Bauern
Böse sind in Bodes Büchlein die Konzerne – und natürlich die Bauern. Die vergiften die Böden, das Grundwasser, die konventionell erzeugten Nahrungsmittel und damit letztlich auch den Verbraucher. Denn sie werfen mit Mineraldünger und Pflanzenschutzmitteln nur so um sich. Oder etwa nicht?
Nein, sie tun es nicht. Im Verlauf der letzten 30 Jahre ist der Aufwand an mineralischem Phosphat um ca. 80 Prozent, der Aufwand an mineralischem Kalium um mindestens die Hälfte und der Aufwand an mineralischem Stickstoff um mindestens 30 Prozent verringert worden, ebenso die gesamte Menge an verwendeten Pflanzenschutzmitteln. Und wo gentechnisch veränderte Sorten zugelassen sind, liegt er teilweise noch weit niedriger. Dennoch erweckt Thilo Bode den Eindruck, es werde immer mehr „Chemie“ eingesetzt.
Auch die Vorgaben und Kontrollen greifen keinesfalls zu kurz. Die von wissenschaftlicher Seite erarbeiteten zulässigen Höchstmengen an Pflanzenschutzmitteln sind für Menschen absolut unbedenklich. Dennoch passt die Hochleistungslandwirtschaft nicht in die beschauliche Märklin-Landschaft, die Thilo Bode sich ausmalt. Er schreibt: „Denn das Bäuerliche ist ein Agrarbusiness, kein aufgeblasener Kleingartenverein voller Geranien vor den Zäunen und glücklichen Tieren in den Ställen.“ Er will damit wohl zum Ausdruck bringen, dass für die Landwirtschaft eine Bewirtschaftung à la Hobbygarten-Idylle das anzustrebende Ideal darstellt. Er könnte falscher nicht liegen: Unsere Haus- und Hobbygärten sind hochgradig überdüngt. Und das ist nicht zu vernachlässigen. Immerhin beträgt die Fläche der Haus- und Hobbygärten in Deutschland etwa 850.000 Hektar und damit achtmal mehr als die Anbaufläche für den speziellen Gemüseanbau. Noch schlimmer: Die extreme Überdüngung unserer Hobbygärten kommt vor allem durch eine exzessive Verwendung von Kompost zustande. Auf diese Situation, die eine gravierende Umweltproblematik darstellt, wird seit Jahrzehnten von der Agrarforschung hingewiesen. Eine Umkehr zum Prinzip „weniger ist mehr“, wie es in der Landwirtschaft inzwischen gelungen ist, ist bei den Haus- und Hobbygärten leider nicht abzusehen. Eine Landwirtschaft im Stil der „Kleingarten-Idylle“, wie sie dem Autor vorzuschweben scheint, würde uns erhebliche Umweltprobleme bescheren.
Nitratbomben
Zuckerrüben sind für Thilo Bode „Nitratbomben“. Doch sollte uns das stören? Essen wir etwa Zuckerrüben? Wir essen Zucker, und der enthält keinerlei Nitrat. Zucker ist ein chemisch reiner Stoff, der immer gleich ist, unabhängig davon, ob er aus Rüben, Zuckerrohr oder anderen Früchten gewonnen wird. Und auch völlig unabhängig davon, ob der Landwirt seine Nutzpflanzen „chemisch“ oder „organisch“ mit Nährstoffen versorgt hat. Es gibt auch zahlreiche andere von uns geschätzte Nutzpflanzen, die Nitrat in stärkerem Maße anreichern. Dazu zählt die Rote Bete, die zur gleichen Pflanzenfamilie wie die Zuckerrübe gehört. Rote Bete enthalten auch dann größere Mengen Nitrat, wenn sie ausschließlich mit organischen Düngern gedüngt werden.
Dennoch erfreut sich die konventionelle oder Bio-Nitratbombe Rote Bete auch bei den Spitzenköchen zunehmender Beliebtheit. Ähnlich verhält es sich bei Feldsalat oder Öko-Küchenkräutern. Das sind auch kleine Nitratbömbchen. Beim Anbau der Öko-Küchenkräuter wird im Vergleich zur konventionellen „Chemie“-Variante die zwei- bis dreifache Menge an organischem Stickstoff aufgewandt, der überwiegend aus der Tierkörperverwertung und Schlachthofabfällen stammt. Dennoch kann man sie in den üblichen Mengen natürlich unbesorgt essen.
Agrarproduktion in den Süden
Natürlich darf auch der Verweis auf die Klimakatastrophe in Bodes Buch nicht fehlen. Er stellt fest, dass „die extrem Kapital und Energie fressende Landwirtschaft des Nordens erheblich zur globalen Erwärmung beiträgt“. Deshalb vermutet er, eine Verlagerung der intensiven Agrarproduktion in den klimatisch begünstigten Süden könne zu deutlichen ökologischen Entlastungseffekten führen. Gleichzeitig wäre sozusagen zu Hause mehr Platz für Öko-Anbau. Aber so ganz passt das alles dann doch nicht zusammen. Denn 37 Seiten später warnt er dann wieder vor dem Anbau von Öko-Tomaten im sonnigen Südspanien, wegen des enorm hohen Wasserverbrauchs und der Gefahr der Verkarstung des spanischen Südens.
Was ist dem Verbraucher zu raten?
Thilo Bode mag gute Absichten haben: Er will qualitativ hochwertiges Essen. Wer wollte das nicht? Aber er ist offensichtlich mit gewissen Vorurteilen belastet, und er muss das Ganze in einer Form aufziehen, die es ihm und seinen Mitarbeitern bei foodwatch erlaubt, vom Geschäft zu leben. Der sachliche Verbraucherschutz ist indes schon besetzt durch die entsprechenden Behörden und wissenschaftlichen Institute sowie etablierte Organisationen wie die Stiftung Warentest. Deshalb fährt er eine etwas aufgemotzte, alarmistische Schiene, die dem ökologistischen Zeitgeist ausreichend Tribut zollt und Greenpeace & Co. Konkurrenz zu machen versucht. Das sichert ihm wenigstens das gute Gefühl, sich für eine wichtige Sache einzusetzen. Wer sich in Sachen Nahrungsqualität bei der Stiftung Warentest informiert, kann auf das Buch von Bode verzichten. Und auch sonst empfehle ich, sich den Appetit nicht unnötig verderben zu lassen.