15.12.2011

Écrasez l´infâme!

Essay von Boris Kotchoubey

Die „vierte Gewalt“ im Staate gehört in gesetzliche Schranken verwiesen. Die Medienapparate dienen nur noch sich selbst und manipulieren das Gemeinwohl. Eine Entrüstung von Boris Kotchoubey.

„Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus.“ (Grundgesetz, Art. 20 (2))


„Das Wort ‚Demo-kratie‘ wird heute nicht vom griechischen ‚demos‘ (Volk), sondern vom lateinischen ‚demonstrare‘ (sich zeigen) hergeleitet und bedeutet daher ‚die Macht derer, die sich zeigen‘.“ (Viktor Pelewin)


Jede Macht verdirbt ihren Inhaber; eine absolute Macht verdirbt ihn absolut. Daher haben die Gründerväter der modernen Gesellschaft im 18. Jahrhundert das Prinzip der „checks and balances“ entwickelt, nach dem die Macht auf mehrere Instanzen verteilt und die Struktur der gegenseitigen Abhängigkeiten so aufgebaut wird, dass gegenseitige Kontrollfunktionen erhalten bleiben. Dies betrifft nicht nur die drei klassischen Gewalten Exekutive, Legislative und Judikative. Auch Strukturen, die eigentlich als „Dienstleister“ des Staates gedacht sind, wie Militär und Polizei, können sich verselbstständigen und die komplette Gesellschaft mitsamt jenen, denen sie dienen sollten (der Regierung), unterwandern. [1] Welche ist also die Institution im Staat, die unsere Freiheiten am meisten gefährdet und auf die der Bürger besonders achten muss? Diese eine bestimmte Institution gibt es nicht. Am gefährlichsten ist allerdings jeweils diejenige Macht, die im Augenblick in Begriff ist, stärker als die anderen zu werden.

Schon seit Langem wird über die „vierte Gewalt“, die Medien geredet, die sich mit den drei klassischen Gewalten die Kontrolle über unser soziales Leben teilt. Diese vierte Gewalt unterscheidet sich aber qualitativ von den anderen, denn sie besitzt anscheinend keinen Zwangsmechanismus. Sie ist eine informierende und wertende Macht. Ganz neu ist diese Rolle und Sichtweise nicht. So verdanken wir einige Besonderheiten der europäischen Geschichte dem historischen Wettkampf zwischen Kaiser und Papst. Die Kirche stellte einst der rohen militärischen Macht des Kaisers ihre eigene Macht als religiöse und moralische Instanz gegenüber. Ihr wachsender Einfluss basierte nicht auf Waffengewalt, sondern auf ihrer Autorität unter den Völkern. Der technische und der Zeitunterschied zu heute darf uns nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Kirche damals, wie aktuell Zeitungen und Talkshows, über eine Informationsmacht verfügte: Es war lediglich die Nachricht über die Meinung der Kirche, die Heinrich nach Canossa trieb. Die katholische Kirche war nicht nur eine nützliche Kontrollmacht neben dem rauen feudalen Adel, Königen und Fürsten. Sie übernahm sich und wollte selbst fürstlich werden.

Meine These ist, dass die Medien heute diese Geschichte wiederholen. Die als Korrektur notwendige „vierte Gewalt“ ist de facto die erste geworden. Sie ist außer Kontrolle geraten und arbeitet nicht mehr für die Gesellschaft, sondern für sich selbst. Deshalb sollte sie dringend wieder in das Netzwerk der anderen Gewalten einbezogen werden. Eine dem Souverän nicht verantwortliche Macht darf es in einer modernen Gesellschaft nicht geben.

Medienmacht ist gefährliche Macht

Lassen wir die historische Frage beiseite, warum der Aufstieg der Medien als der wertenden Macht, die Gesetzgeber, Regierungen und Richter moralisch kontrollieren sollte, in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts mit dem Verfall der moralischen Autorität der Kirche zusammenfiel. Benennen wir stattdessen wesentliche Eigenschaften, die die Medienmacht als eine besondere charakterisieren:

Erstens fehlt für sie jegliche vom Grundgesetz her definierte Legitimationsprozedur. Sie wird weder gewählt noch ernannt, sondern bildet sich selbst nach eigenen Gesetzen. Daher gibt es die Möglichkeit, dass die Medienlandschaft von einer relativ kleinen Gruppe unterwandert wird, die (völlig illegitim) dem Volk und seinen Repräsentanten ihre Meinungen und Einstellungen aufzwingt.


Zweitens geht mit der fehlenden Legitimität Unkontrollierbarkeit und Verantwortungslosigkeit einher. Selbst ein absoluter Monarch der Vergangenheit, keinem Gesetz und Gericht Verantwortung schuldig, betrachtete sich doch als Werkzeug Gottes. Man konnte deshalb sagen, er sei durch „das Gericht der Geschichte“ verurteilt worden. Heute können Regierung und Parlament abgewählt und sogar vor Gericht gestellt werden. Nichts Ähnliches kann mit den Medien passieren, die anscheinend nichts entscheiden, sondern lediglich „ihre Meinungen“ kundtun. Nur in den seltensten Fällen können sie aufgrund einer direkten Lüge, die einem Individuum nachgewiesenermaßen schadet, belangt werden. Eine allgemeine Lüge und Manipulation dagegen ist straffrei.

Beispiele hierfür gibt es zuhauf: Im September 2009 verbreitete Reuters einen detaillierten, jedoch frei erfundenen Bericht über ein israelisch-amerikanisches Gespräch, das erst zwei Tage später stattfand. Die Meldung wurde von der Deutschen Welle und vielen Zeitungen übernommen. Zahlreiche Protestbriefe an die Berliner Reuters-Redaktion blieben unbeantwortet, eine angemessene Entschuldigung gab es nicht. [2] Wenn derlei sogar beim Antisemitismus vorkommt, so kann man sich ausmalen, wie oft Fehlinformationen bei anderen Anlässen erst gar nicht auffallen. Bleiben wir bei der Frage nach Krieg und Frieden: Ein Präsident, der einen Krieg entfesselt, wird als Kriegstreiber gebrandmarkt, während die Zeitungen, die ihn zum Krieg aufhetzen, schlimmstenfalls am Rande eine negative Notiz abbekommen oder erst Jahre später den menschlichen Verlusten Krokodilstränen nachweinen.

Nicht, dass ich falsch verstanden werde: Ich möchte nicht zurück in alte Zeiten, als Redakteure für jeden kritischen Artikel um ihre Freiheit und ihr Leben bangen mussten. Trotzdem sollte uns klar sein, dass gerade damals, als die Medien eine schwerere Verantwortung trugen, sie durch diese Schwierigkeiten und Risiken ihr moralisches Kapital aufgebaut haben, auf dessen Zinsen sie sich jetzt wie zufriedene Paviane ausruhen. Sie brauchen heute kaum mehr darüber zu sinnieren, welche Konsequenzen ihre Worte haben können. Wichtiger erscheint in aller Regel die Frage, welche Auflage oder Quote sie produzieren und wie es auf der Karriereleiter am schnellsten nach oben geht. Jeder Faulenzer darf heute zudem über „geheime Gefängnisse der CIA“ schreiben, ohne das geringste Risiko, von der CIA verfolgt zu werden. [3] Die Macht, die keine Entscheidung trifft, verantwortet auch keine, und das System, in dem es keine Verantwortung gibt, produziert Konformismus und Feigheit.


Drittens unterscheidet sich die Mediengewalt von der klassisch moralisierenden Macht der Kirche (Synagoge, Moschee) durch die ausschließlich negative Ausrichtung der betulich abgesonderten Botschaften. Jene alten Autoritäten hatten in ihrer wertenden Funktion ein positives Ideal sowohl jenseits (Gott), als auch diesseits (heiliges, gerechtes Leben). Der moralisierenden Gewalt der modernen Medien ist die positive Seite vollständig abhanden gekommen. Sie stützen sich allein auf die niedrigsten Gefühle der Menschen: Angst, Empörung, Hass, Neid. Positive Nachrichten finden kaum mehr einen Platz. In psychoanalytischen Begriffen könnte man sagen, die Medien wenden sich ausschließlich an den Thanatos, nicht an den Eros (selbst wenn es um Sex geht!). Täglich lamentieren sie, wie ungerecht und gemein unsere Gesellschaft sei, aber niemand macht sich die Mühe, darüber nachzudenken, wie eine gerechtere aussehen könnte. [4] Lieber arbeitet die Medienindustrie mit zwei Grundbegriffen: Skandal und Katastrophe. Die passende Beispielmeldung zur „Klimakatastrophe“ lautet: Heute ist es etwas wärmer als vor einem Jahr! Beispiel „Armutsskandal“: Ein Schüler hat kein Geld für ein iPhone und muss mit einem zwei Jahre alten Nokia telefonieren, mit dem er nicht mal richtig surfen kann. Die mediale Behandlung des Armutsthemas grenzt oft an einen wahrhaftigen Skandal. Ellenlange Programmstrecken berieseln uns nacheinander mit Berichten über Armut in Ländern wie Bangladesch, Mexiko, Portugal und der Schweiz!

Wie gefährlich kann die Übermacht der Medien werden? Die Medienindustrie ist, wie jede andere, auf ihren Markt angewiesen. Passiert in der Welt ein Ereignis, über das sich wiederholt und mit Erfolg (sprich Quote und Auflage) berichten lässt (das sind, je nach Zielgruppe, häufig Katastrophen und Kriege), so ist diese Branche objektiv daran interessiert, die Dynamik am Leben zu erhalten. Man rennt in die Dörfer, filmt und interviewt, wer einem vor die Nase läuft, und schafft „Betroffenheit beim Medienkonsumenten“. So laufen auf der Welt seit Jahren Medienkriege, die aber leider nicht virtuell sind: Menschen sterben, um Nachrichtenstoff zu liefern. Geradezu widerliche Beispiele dieser Praxis stammen aus Bürgerkriegen, wo Kinder gegen Bares dazu animiert wurden, vor laufenden Kameras über von Heckenschützen kontrollierte Straßenzüge zu sprinten. Ein bekannteres Beispiel ist der israelisch-palästinensische Konflikt, der seine Existenz zur einem Großteil unangemessener Medienaufmerksamkeit verdankt. [5] Das Ende der 80er-Jahre, als die Medien kurzfristig das Thema Israel aus den Augen verloren, war eine Zeit größerer Annäherung zwischen den jüdischen und arabischen Bewohnern des Landes. Das sollte zu denken geben!

Dieses Unvermögen der Medienindustrie erscheint geradezu vernachlässigbar im Vergleich zu dem millionenfachen Tod afrikanischer Frauen und Kindern durch Aids. Sie sterben auch deshalb, weil man es offenbar nicht mehr aussprechen darf, dass es alte Sitten und Bräuche (die heute gerne als wertvolle Traditionen gefeiert werden) zu überwinden gilt, um der Krankheit effektiv zu begegnen. Stattdessen wird die Welt mit irreführenden Informationen über das Fehlen von Kondomen überschwemmt. [6] Und weil die katholische Kirche gegen solche Verhütungsmittel ist, fühlen sich viele Medienvertreter (als unversöhnliche Konkurrenten im Kampf um die moralische Hoheit) auf hohem Ross in einem zusätzlichen Heldenkampf „ums Prinzip“ – koste es, was es wolle.

Medienmacht ist totalitäre Macht

Zwei Missverständnisse sind auszuräumen: Meine Kritik an die Medien bezieht sich nicht auf die kulturkritische Tradition, in deren Rahmen die deutsche intellektuelle Schicht die Medien als Mechanismus der Verbreitung der Unbildung anprangert. Obwohl ich die Meinung teile, dass viele Medien als Verblödungsmaschinerie bezeichnet werden können, geht es mir nicht darum. Ich konnte auch nie verstehen, warum eine Zeitschrift voll Quatsch und Tratsch, Fälschungen und Manipulationen allein deshalb zur seriösen Presse zählt, weil sie Nebensätze verwendet. Letztlich ist die Unbildung jedenfalls nicht schlimmer als die Halbbildung. Sie ist menschlich und relativ, der Ungebildete versteht nichts von Mozart, der Gebildete nichts von Alban Berg, so sind die beiden okay. Der wichtigste Unterschied, dass der Ungebildete auch nicht so tut, als ob er Mozart verstünde, geht zu dessen Gunsten. Diktatur ist aber unmenschlich und absolut; ein Tyrann ist kein Mensch, ihm gegenüber gelten weder alt- („Du sollst nicht töten“) noch neutestamentarische („Du sollst deinen Nächsten lieben“) Gebote.

Ein anderes Missverständnis meiner Thesen wäre das Herauslesen einer neuen Verschwörungstheorie, nach welcher die Medienbarone, wie einst die Weisen von Sion, in einem dunklen Zimmer über die Weltereignisse richten und sie lenken. Diese Sicht wäre ebenso unsinnig wie die Vorstellung aufgeregter Attac-Aktivisten als wahre Weichensteller für die in Davos die Welt wie einen Kuchen unter sich aufteilenden Banker. Wenn ich behaupte, dass Chefredakteure und Superintendenten heutzutage enorme Macht besitzen, so meine ich nicht, dass sie mit Kalkül ihre Machtpläne geschmiedet und aus langer Hand einen Putsch anvisiert haben. Vielmehr rede ich von einem lang anhaltenden Prozess, bei dem vieles unbewusst und das allermeiste vollkommen unreflektiert abläuft, an dessen Ende dann der beschriebene Missstand steht.

Wir kritisieren heute zu Recht unfreie Verhältnisse im Iran, doch haben wir in den letzten Jahren genügend vor der eigenen Haustür gekehrt? Oberhalb der legitimen Strukturen in Bonn, Berlin und Karlsruhe tagt bei uns auch eine Art „Wächterrat“, dessen Funktion jedoch keinesfalls durch das Grundgesetz gedeckt ist. Die Kompetenz des iranischen Wächterrates beruht auf einer jahrhundertelangen religiösen Tradition des Islam und bezieht sich auf die transzendente Realität Allahs. Dessen Macht beruft sich auf das dem Volk bekannte Gesetz der Scharia. Die Personen, die diese Macht ausüben, unterliegen klaren Regeln und Kriterien, sie müssen herausragende schiitische Theologen sein. Dagegen sind unsere „Wächter“ weitgehend unbekannt und der Öffentlichkeit gegenüber nicht rechenschaftspflichtig. Deshalb paktieren sie wahrscheinlich auch so gerne mit Nichtregierungsorganisationen, die den gleichen Status haben. So darf über eine Gay-Parade kein kritisches Wort gesagt werden, aber über die sexuelle Orientierung des Außenministers darf man zu den besten Sendezeiten Witze machen. Warum ist die Bürgerbewegung gegen Atomkraftwerke und Gentechnik ehrenvoll, aber Protest gegen Kompost- und Windenergie oder Ökolandbau jedoch ein ständiger Gegenstand medialer Verhöhnung?

Hier sind wir beim entscheidenden Unterschied zwischen Autoritarismus und Totalitarismus angelangt: Der Autoritarismus kontrolliert die Antworten. Im Autoritarismus darf man alles fragen, aber auf die allermeisten Fragen gibt es eine dogmatische vorgestanzte Antwort, so, als stünde sie in einem heiligen Text oder als sei sie Meinung einer Autorität wie Papst oder Ayatollah. Eine totalitäre Macht hingegen kontrolliert das Fragen. Sie ist anonym, hat keine demokratische Begründung ihrer Autorität und keine Antwort auf die Warum-Frage. Stattdessen werden die allermeisten Fragen von vorneherein ausgeschlossen. Warum sollen zum Beispiel alle Kernkraftwerke in Deutschland in zehn Jahren ausgeschaltet werden, während in vielen Nachbarländern viele neue Reaktoren gebaut werden? Nicht nur heute gibt es auf diese Frage keine Antwort. Man braucht sie nicht einmal, weil es jedem klar zu sein hat, dass, wer eine solche Frage auch nur zulässt, ein Böser ist – wahrscheinlich ein bezahlter Agent dunkelster Kräfte.

Freiheit der wenigen ist keine Demokratie

Gegen meine Thesen sind sowohl Scheinargumente als auch wirkliche Argumente möglich. Das stärkste Scheinargument behauptet, dass eine strengere Kontrolle der Medien seitens der übrigen Staatsgewalten gegen eine der wichtigsten Errungenschaften unserer Zivilisation, nämlich die Meinungsfreiheit, verstoßen würde. Dies werte ich, kurz gesagt, als Heuchelei, denn wer nur für einen Abend den Fernseher anschaltet, kann die Behauptung, unsere Medien hätten etwas mit Meinungsfreiheit zu tun, nur mehr als schlechten Witz empfinden. Die Freiheit der Medien ist von der allgemeinen Meinungsfreiheit abgeleitet, sie ist letztlich nur ein technisches Mittel, mit dem die prinzipielle Freiheit der Meinungsäußerung verwirklicht werden sollte. Gehört aber die Medienmacht einer Clique, so wird sie vom Werkzeug der Meinungsfreiheit durch eine Art Selbstzensur zum Hindernis derselben. Man sagt doch, eine Gesellschaft sei ungerecht, wenn 80 Prozent des Reichtums nur einem Zehntel der Bevölkerung gehören. Wenn das so ist, um wie viel ungerechter und besorgniserregender ist die Lage einer Nation, in der 99 Prozent der zur Diskussion stehenden Meinungen von etwa 0,01 Prozent privilegierter Medienarbeiter vorgekaut werden?

Ein weiteres Scheinargument geht davon aus, dass Politiker nur ihre eigene Macht erweitern würden, wenn sie nun auch die Medien staatlich reglementierten. Dieses Argument beweist nichts. Freilich versucht jede politisch aktive Person, ihre eigene Macht zu erweitern. Die demokratische Ordnung ist nicht deshalb stabil, weil die Machtinhaber auf eigene Interessen zugunsten der „gemeinschaftlichen Interessen“ (was immer das bedeuten mag) verzichten, sondern dadurch, dass sich das Gesetz zwischen den Eigeninteressen verschiedener Akteure im demokratischen Gleichgewicht befindet. Wenn also ein CDU-Politiker wie dereinst Roland Koch einen ZDF-Intendanten absetzt und deshalb beschuldigt wird, er habe seinen persönlichen Einfluss auf das Fernsehen gestärkt, so ist dies dümmlich oder naiv, denn selbstverständlich ging es Koch um nichts anderes. Wie auch immer seine Motive ausgesehen haben mögen: Koch hatte eine demokratische Legimitation für sein Handeln. Und wie auch immer man dieses bewertet, es ändert nichts daran, dass unter Nikolaus Brender die größte öffentlich-rechtliche Sendeanstalt ZDF langsam aber sicher zu einem orwell’schen Wahrheitsministerium mutierte.

Was sind ernsthaftere Bedenken gegen meine Forderung einer gesetzlichen Kontrolle der Medien samt Sanktionierung? Es besteht z.B. die Gefahr, dass, falls die Medien stärker im Geflecht der Staatsgewalten vernetzt werden, sie ihre positive Funktion in der sozialen Kontrolle einbüßen. Diese Gefahr ist real, aber ich sehe darin im Augenblick das kleinere Übel. Mir ist bewusst, dass Medien eine ausgesprochen positive Rolle z.B. im Kampf gegen Missstände bei den Regierenden spielen können. Aber das Gleiche lässt sich von der Kriminalpolizei und die Staatsanwaltschaft behaupten, und dennoch würde niemand dafür eintreten, diesen Organen eine unbeschränkte Macht in der Gesellschaft zu gewähren. In einigen Ländern der Welt waren sogar Militärdiktaturen das letzte Mittel, mit dem Korruption unter Beamten und Abgeordneten bekämpft werden konnte. Daraus folgt wiederum nicht, dass Militärdiktaturen als Regierungsform zu begrüßen sind.

Mit diesem Argument ist ein weiteres eng verknüpft, demzufolge die legitimen demokratischen Institutionen, die die Hypermacht der Medien in Schranken verweisen sollen, selber auch nicht perfekt sind. So gibt es Kritik an der deutschen Parteiendemokratie, in der zu viel über Parteilisten und zu wenig durch den Wähler entschieden wird. Ich schließe mich dieser Kritik an, meine aber, dass verbesserungsbedürftige demokratische Prozeduren und Institutionen immer noch viel besser sind als eine totalitäre Meinungsmacht selbst erwählter Volkserzieher.

Ein weiteres nachvollziehbares Gegenargument zu meiner Position ist das fehlende Verständnis einer solchen Situation, in der die Politik ihre Macht an die Medien abtritt. Wir sind an ein anderes Denkmuster gewöhnt: Die Regierenden versuchen, die Medien und dadurch die öffentliche Meinung für ihre Propagandazwecke zu instrumentalisieren. In der Tat lässt sich dies in zahlreichen Ländern beobachten – am deutlichsten unter diktatorischen Regimes. Meiner Meinung nach ist die Lage bei uns eher umgekehrt: Nicht die Politik instrumentalisiert die Medien und ihre Propaganda, sondern die Propaganda, die Zurschaustellung wurde zum Selbstzweck, dem sich seit einigen Jahren bereitwillig auch die Politik unterordnet. Das ist gar nicht so abwegig. Schon die ägyptischen Mameluken waren Sklaven aus mittelasiatischen Wüsten, die als kleine Kinder gefangen und als Krieger erzogen wurden, um den Kern der Armee des Sultans zu bilden. Die arabische Elite hat sie praktisch als Profikiller „instrumentalisiert“. Später schlachteten die einstigen Sklaven diese Elite samt Sultan ab und wurden selbst zur herrschenden Kaste über die Araber. Auch Geheimdienste wie PIDE in Portugal oder Tscheka-NKWD in der UdSSR waren zunächst Instrumente in den Händen der jeweils herrschenden politischen Gruppierung – der Militärjunta bzw. des Zentralkomitees der KPdSU. Aber auch sie haben sich verselbstständigt und wurden zumindest zeitweise stärker als ihre alten Herren.

Meine zugegebenermaßen spekulative Antwort auf die Frage, warum die politische Elite in Europa ihre Unterwanderung durch die mediale Gewalt mehr oder weniger passiv hinnimmt, lautet: Weil sich die Unterordnung für die Elite lohnt. Dies bedarf einiger Erläuterungen: Alte autoritäre Regierungen, die möglichst viel Macht und damit auch viel Verantwortung auf sich nahmen, mussten eine sehr negative Haltung gegenüber und große Distanz zu unabhängigen Medien einnehmen, weil jede Gesellschaftskritik auch eine persönliche Kritik an den herrschenden Cliquen war (denn diese Herrschenden waren de facto die Gesellschaft). Die „schwachen“ demokratischen Regierungen der Jetztzeit teilen dagegen ihre Verantwortung mit zahlreichen anderen Institutionen, wodurch sie letztendlich auf die Rolle eines bloßen Moderators in sozialen Diskussionen hinabsteigen können – des Moderators, dem es dann hauptsächlich nur noch um die formellen Diskursregeln geht, weil der vielleicht längst selbst den Überblick über den Inhalt der anstehenden Themen verloren hat, geschweige denn zukunftsträchtige Lösungsansätze zu bieten hätte. Eine so handelnde Politik leidet also eher unter Machtmangel als unter Verantwortungslast. Und sie kann den schwarzen Peter medialer Skandale problemlos an die Gesellschaft weiterreichen und sogar zu eigenen Gunsten wenden: „Seht ihr, wie schief alles bei uns geht, weil wir Politiker zu wenig Macht haben.“ Die moderne Verbraucherschutzpolitik geht hier sogar noch einen Schritt weiter, indem sie sich mediale Hypes direkt auf die eigenen Fahnen schreibt und anschließend zur Profilierung als Seelen-, Kinder- oder Umweltretter einsetzt.

In anderen Worten formuliert: Die Politik erduldet ihre (gesetzeswidrige) Abhängigkeit von den Medien, weil sie dadurch ihre anderen (gesetzeskonformen) Abhängigkeiten von sozialen Strukturen, allen voran ihre wichtigste. die Abhängigkeit vom Volk abschwächt. Und der Verlust der alten Macht an die Medien kann der Politik deshalb sogar einen Nettogewinn an Macht bringen. Salopp gesagt: Als Politiker ist es mir lieber, von Journalisten dafür kritisiert zu werden, dass ich bei der letzten Show schwach aufgetreten bin, als von meinen Wählern dafür, dass ich von ihren Sorgen und Belangen keine Ahnung und auf ihre berechtigten Fragen keine Antworten habe.

Gehirnchirurgie ohne Skalpell und Narkose

Eine Analyse der Mechanismen, mit denen Medien ihre Gewaltposition in unserer Gesellschaft ausüben, wäre Gegenstand einer großen Forschungsarbeit und kann im Rahmen dieses Artikels nur angedeutet werden. Die wahrscheinlich wirkungsvollsten Mechanismen, mit denen wir alle zu Marionetten der allmächtigen Medienindustrie werden, sind (a) Begriffswahl, (b) Bestimmung der Themen für den gesellschaftlichen Diskurs und (c) die Auswahl der Informationen.

Klar ist, dass die Wahrheit keine Chance hat, wenn bereits die Grundbegriffe sorgfältig selektiert worden sind. Es gibt z.B. keine erneuerbaren Energien, was in alten Schulbüchern zur Physik nachzulesen ist. Es gibt auch keine israelische Besetzung palästinensischer Territorien, denn solche Territorien gab es nie. Es gibt nach unserem Rechtsverständnis auch keine „Aufständischen“, die in Afghanistan deutsche Helfer töten – Mord wäre der passendere juristische Begriff. Diese Hinwiese bedeuten nicht, dass wir nicht nach den erneuerbaren Energiequellen suchen sollten; nicht, dass wir der israelischen Politik Persilscheine ausstellen; nicht, dass der deutsche Kampfeinsatz am Hindukusch wie bisher weitergehen sollte. Sie meinen vielmehr, dass wir all diese Probleme nicht angehen, geschweige denn lösen können, wenn schon die Grundbegriffe in die Sackgasse führen.

Nach solchen Mustern wird aber der aktuelle Diskurs mittlerweile zu nahezu allen Themen diktiert. Die gedanklichen Stoßrichtungen werden dem Diskurs aufgezwungen, andere ausgeblendet. Wie mit vorprogrammierter Regelmäßigkeit (etwa alle drei Wochen) werden der Gesellschaft immerzu neue Hypes angedreht. Mitunter werden dabei sogar wirtschaftliche Interessen offenbar – wie etwa bei der Vogel- und Schweinegrippe oder sonstigen Infektionen und im Hintergrund blühenden Pharmageschäften. In den meisten Fällen bleiben solche Beweggründe eher verschwommen. Aber nach wenigen Wochen verschwinden gestern noch heiß debattierte Themen wieder von der Tagesordnung. Dieses Verschwinden wird niemals erklärt oder analysiert – bei Infektionskrankheiten wird z.B. nicht erklärt: „Jetzt lässt die Epidemie nach.“ Die „Medienmeute“ orchestriert längst die nächsten Empörungswellen.

Bei vielen dieser Medienhypes springt mittlerweile die Irrelevanz des aufgeputschten Inhalts ins Auge. Aber auch relevante Anlässe werden so zerredet, dass sie in der Bedeutungslosigkeit versinken. So sind Integrationsprobleme von Einwanderern tatsächlich ernst zu nehmen. Aber wenn sie von Medien und Politik über Jahrzehnte tabuisiert werden, ist die heutige Unsicherheit in der Gesellschaft mehr als nachvollziehbar. Alle bisher breitgetretenen „Pandemien“ haben nicht mal ein Prozent der Opfer gefordert, die jährlich infolge einer normalen Grippe ums Leben kommen. Fünf Wochen lang haben die Medien über einen Vorfall in Afghanistan geredet, der nicht einmal zu den zehn größten Eingriffen in diesem Krieg gehörte. Die Liste solcher Beispiele ließe sich endlos fortsetzen.

Gleichzeitig finden aber Probleme, die jedem Menschen täglich ins Auge fallen, aus unbekannten Gründen keinerlei Erwähnung. Ein für die Gesellschaft geradezu überlebenswichtiges Problem ist die Bildung. In einem Land, in dem 100 Prozent der Kinder eine Ausbildung bekommen, mindestens 30 Prozent junger Leute auch zukünftig studieren wollen, wird die Bildungsproblematik Personen überlassen, deren Denken im Jahr 1970 stehenblieb. Wenn aber gestandene Mitarbeiter der ältesten deutschen Universität tagelang das Rektorat besetzen und erst durch einen großen Polizeieinsatz geräumt werden können, so verdient dieses Ereignis kaum ein Hundertstel der Aufmerksamkeit von der Nachricht über ein verstorbenes Huhn.

Diese Wahrnehmungs- und Darstellungskluft zeigt sich auch daran, dass in den meisten Blogs und Internetforen andere Probleme als in klassischen Print- und TV-Formaten diskutiert werden. Die UN-Klimakonferenz in Kopenhagen etwa, von dem im Dezember 2009 jeder Nachrichtensender zwei Wochen lang mindestens im halbstündlichen Rhythmus berichtete, berührte das Internet kaum. Andere Themen gelangen durch die Mainstreammedien zu starker Internetpräsenz, doch die Meinungen gehen dann häufig sehr weit auseinander. Der Vergleich einiger ausgewählter Nachrichten (Bundestagswahl 2009; Volksentscheid zum Minarettbau in der Schweiz; Wahl von Margot Käßmann zur EKD-Vorsitzenden; die Rede des Bundespräsidenten vom 3.10.2010) verdeutlicht, dass Fragen, die in den offiziellen Medien positiv bewertet wurden, in Blogs und Foren auf scharfe Kritik stießen – und umgekehrt.

Ich bin weit davon entfernt zu behaupten, dass Blogger im Recht und die besseren Journalisten sind. Es ist auch keineswegs bewiesen, dass sie tatsächlich die Meinung einer Mehrheit vertreten. Dennoch ist es hinsichtlich der Medienhypes bemerkenswert, dass die großen Blatt- und Programmmacher und die aktive Internetnutzer häufig extrem unterschiedlich „ticken“.

Neben der Selektion der Begriffe und der Themen ist der dritte Mechanismus, mit dessen Hilfe unser Gehirn manipuliert wird, die Selektion des Materials. So hält z.B. ein Politiker eine zweistündige Rede, und wir hören in allen Nachrichtensendern pausenlos wiederholt einen einzigen Satz aus dieser Rede. Man braucht wenig beachtete Sender wie Phoenix oder erneut das Internet, um zu verstehen, aus welchem Zusammenhang der Satz herausgeschnitten wurde. Nicht selten entdeckt man der bloßen Dramaturgie wegen bis zur Unkenntlichkeit verzerrte Präsentationen. Ein Fernsehjournalist, Träger zahlreicher Preise, sagte einmal, dass er nichts nachmacht oder erfindet, sondern nur das zeigt, was er sieht und was seine Kamera aufnimmt. Sein letzter Film dauerte zwölf Minuten, das aufgenommene Material zu diesem Film war 2,5 Stunden lang. So viel dazu.

Zar oder kein Zar?

Schlagen wir eine Zeitung auf, schalten wir Radio oder Fernsehen an, so sollten wir darauf gefasst sein, in einen Ozean der Manipulation und Täuschung zu tauchen. Sie dringt in all unsere Poren ein, und selbst diejenigen, die keinen Fernseher haben und keine Zeitungen lesen, werden von ihr beeinflusst. Dass die meisten von uns trotz der Medien immer noch ein menschliches Antlitz behalten, erbaut mich dabei zutiefst als Beweis der humanistischen Weisheit, mit der Gott oder die Evolution uns Menschen geschaffen hat.

Und doch müssen und sollten wir diese erschreckende Atmosphäre nicht tatenlos ertragen. Wir brauchen freie Medien, aber keine Mediendiktatur. Wir brauchen die Zerschlagung der öffentlich-rechtlichen Anstalten ZDF und ARD mit ihren (nach meinem persönlichen Dafürhalten) mafia-ähnlichen Strukturen. Dieser Medienkrake sitzt heute schmarotzend auf der Gesellschaft und trichtert Jung und Alt ihre Gesinnung ein. Wir wollen stattdessen wissen, wer uns den Medienbrei bereitet. Und falls er sich als schädlich erweist, sollte der Kantinenchef auf die Anklage- und Büßerbank wie ein überführter Gammelfleisch-Lieferant. Wir brauchen auch keine Regierung, die ständig aus Angst vor „schlechter Presse“ und sinkenden Umfragewerten zittert. Ebensowenig benötigen wir Parlamentarier, die nur darauf bedacht sind, frisch frisiert ihre halbseidenen Luftblasen in Mikrofone zu hauchen.

„Bin ich der Zar oder kein Zar?!“, fragt der russische Herrscher Theodor in Alexej Tolstois Theaterstück. Diese Frage sollen wir uns auch mit Blick auf die Medien stellen. Sind sie eine vierte Gewalt oder nicht? Wenn ja, dann kann diese Gewalt (was heute schon der Fall ist) im Wesentlichen Wahlergebnisse und Regierungsentscheidungen beeinflussen. Dann trägt sie für diese Entscheidungen eine Mitverantwortung. Dann muss sie vom Souverän genau so kontrolliert werden können wie jede andere Gewalt. Und die Gesellschaft hat darauf zu achten, dass sie nicht stärker wird als die drei klassischen Gewalten. Wir benötigen also Gesetze, die uns einen starken Schutz vor der geistigen Monopolisierung und Manipulation gewährleisten. Erkennen wir die Macht der Medien an, dann soll sie also geordnet und der einzigen legitimen Macht, nämlich der des Volkes, untergeordnet werden. Eine Lage, in der jeder, der (mit welchen Mitteln auch immer) sich an ein Mikrofon durchboxt, eine große Macht über die Gesellschaft ausübt, ist unerträglich und einer Demokratie unwürdig.

Vielleicht aber geben wir auf die Frage Theodors einfach eine negative Antwort: kein Zar! Vielleicht brauchen wir Medien als „korrigierende Macht“ in unserer Gesellschaft nicht, denn wer soll die Korrektoren korrigieren? In diesem Fall stellt sich die Frage, ob der sogenannte professionelle Journalismus überhaupt noch Sinn macht, denn viele Medienprofis unterscheiden sich von den oft gescholtenen Bloggern doch wohl hauptsächlich darin, dass sie für ihre Manipulationen professionellere und kostenintensivere Mittel zur Verfügung haben. Für Medien ohne Thron und Zar-Allüren braucht es keine Rechenschaftspflicht, da es lediglich um Meinungsvielfalt, nicht aber um „Gewaltverhältnisse“ gehen würde. Jeder kann dann kommunizieren, was er will. Doch dann sollen die Medien entmachtet werden: Schluss mit dem öffentlichen, als Interview getarnten Anklageverhör von Ministern und aufrichtig arbeitenden Werktätigen und Schluss mit der ganzen Palette einfältiger

Machtdemonstrationen! Ich möchte in meinen Gedanken und Worten frei sein, aber ich bin nicht legitimiert, Politiker vor dem ganzen Volk zu befragen. Dafür gibt es demokratische Wege. Was gibt unseren Medienmachern die Autorität, sich ständig wie Richter und Henker zugleich aufzuspielen? [7]

Wir brauchen keine professionellen Meinungstechnologen und Propagandameister, sondern – heute mehr denn je – Diskussionsräume für der Zukunft aufgeschlossene Bürger, eine Agora, einen Platz, auf dem freie Menschen ihre Meinung frei äußern und miteinander streiten und ihre Argumente entwickeln können. Denn Streit, wie die Gründer der europäischen Demokratien (damals noch von „demos“ hergeleitet) sagten, ist der Vater aller Dinge.

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