12.01.2011

„Ich hasse Blogs!“, bloggt der Redakteur

Essay von Matthias Heitmann

Der Journalismus reagiert defensiv auf die kostenlose Konkurrenz und macht die Leser für seine eigene Identitätskrise verantwortlich.

Als ich mich im letzten Jahr bei einer großen deutschen Tageszeitung als freier journalistischer Mitarbeiter bewarb, war ich guten Mutes: Der Kontakt zu einem dortigen Redakteur wurde mir von einem seiner Kollegen vermittelt, der für Themenbeilagen, die dieser Zeitung gelegentlich beiliegen, zuständig ist und für den ich bereits des Öfteren journalistische Artikel verfasst hatte. „Prima“, dachte ich, „ein guter Kontakt, der mich intern weitervermittelt – da könnte was gehen!“ Denkste: Der mir empfohlene Zeitungsredakteur erteilte mir eine unverblümt unfreundliche Absage. Er habe meiner Website entnommen, dass ich mich u.a. auch in den Bereichen „PR“, „Marketing“ und „Unternehmenskommunikation“ verdingt hätte, was den Grundsätzen des „seriösen Journalismus“ widerspräche. Das klingt nach hohen journalistischen Ansprüchen, mag man im ersten Moment denken. Dennoch stellt sich die Frage, warum die schreibende Tätigkeit für einen Wirtschaftskunden die Möglichkeit auszuschließen scheint, auch hochwertige journalistische Arbeit abzuliefern.

Was wie eine standes- und qualitätsbewusste Abgrenzung von minderwertigen Inhalten wirkt, erscheint vor dem Hintergrund der Medienkrise und des wirtschaftlichen Drucks, der auf den Redaktionen lastet, eher wie eine defensive Reaktion auf den eigenen Bedeutungs- und Sinnverlust. Journalisten mögen keine „PRler“, da es deren Job sei, Pressemitteilungen so zu verfassen, dass seriöse Redaktionen sie für bare Münze nehmen. Und Journalisten mögen keine Graswurzeljournalisten, neudeutsch „Blogger“ genannt, die im Internet ihre eigenen Seiten mit Buchstaben füllen, anstatt dies den „Profis“ zu überlassen. Aber hier ist mehr im Spiel als bloße Abneigung: Der Journalismus fühlt sich von PRlern und Bloggern in die Zange genommen, unterminiert, entehrt und vorgeführt.

Da stellt sich zwangsläufig die Frage nach dem Warum. Dass ausgefuchste Marketingschreiber mit geschönten Meldungen den Weg in die gedruckte Presse finden, ist entgegen vielen Vorurteilen eher die Ausnahme und hängt entscheidend davon ab, wie zuverlässig Redaktionen arbeiten. Den Unterschied zwischen einem Unternehmens-Fax und einer sauberen Recherche kann in der Regel jeder erkennen, der seine Sinne einigermaßen beisammen hat. Die PR-Schelte ist zudem häufig nur vorgeschoben: Veröffentlicht ein Unternehmen Zahlen über die Zuverlässigkeit seiner Produkte (hier zu lügen könnte angesichts des unternehmenskritischen Klimas fatale Folgen haben), gilt das schnell als billige Lobbyisten-Propaganda; wartet hingegen Greenpeace mit gegenläufigen Informationen auf, steht man gerne stramm und veröffentlicht diese, ohne sie zu hinterfragen.

Für einen Journalisten ist der Umgang mit Vertretern wirtschaftlicher, politischer oder sonstiger Interessen Alltagsgeschäft: Sich von diesen nicht einnehmen zu lassen und kritische Distanz zu wahren, gehört eigentlich zu seinen beruflichen Grundsätzen. Zeit seines Berufslebens hantiert er mit Informationen und Informanten unterschiedlichster Güte und Herkunft, und seine Aufgabe ist es, diese zu sieben, einzuordnen, den wahren Kern zu destillieren und vor allem: auf dieser Basis seinen eigenen Standpunkt zu entwickeln und ein Produkt von hoher Qualität zu erstellen. Anders formuliert: Ein Journalist muss selbst daran glauben, dass es so etwas wie Wahrhaftigkeit gibt und das Streben danach seine ureigenste Aufgabe ist. Hierin unterscheidet er sich vom Werber – vorausgesetzt, er ist gut und nimmt sich und seinen Beruf ernst!

Ein seine Fähigkeiten so einsetzender Journalist muss sich nicht davor fürchten, dass seine Informanten eine eigene Agenda verfolgen könnten, im Gegenteil: Er weiß das, er kann damit umgehen, und er braucht sie, um den Stoff zu bekommen, aus denen er seine eigenen Erzeugnisse erstellt. Doch ganz offensichtlich mangelt es vielen Journalisten an Vertrauen in ebendiese Fähigkeiten. Anders lässt sich nicht erklären, warum neben der schon fast gebetsmühlenartigen Geringschätzung für PR- und Marketing-Redakteure ebenso inbrünstig auf Amateurpublizisten im Internet eingedroschen wird.

Ein Hauptkritikpunkt des offiziellen Journalismus an der „Blogosphäre“ lautet, sie würde ohnehin nur um sich selbst kreisen, ihre darüber hinausgehenden Informationen aber selbst der Presse entnehmen und in der Regel nur minderwertige Inhalte absondern. Das ist zwar größtenteils richtig. Aber wenn das größtenteils richtig ist, warum dann darüber klagen? Warum unterlegene „Konkurrenten“ dafür kritisieren, dass sie unterlegen sind? Und vor allem: Warum sich von ihnen bedroht fühlen? Das wäre ungefähr so, als wenn der FC Bayern München in der zahlenmäßigen Überlegenheit unterklassiger Dorfvereine eine Gefahr für seine Einschaltquote wittern würde.

Höchstwahrscheinlich fühlen sich Journalisten aber nicht wirklich von der „Blogosphäre“ bedroht, sonst würden sie nicht selbst munter „mitbloggen“. Das, vor dem sich viele Journalisten eigentlich fürchten, ist, dass ihnen die zahlende Kundschaft wegläuft, weil diese scheinbar nicht in der Lage ist, zwischen Ramschware und Qualität zu unterscheiden. Nun sollten Marketingexperten ebenso wie Journalisten wissen, dass es wenig hilfreich ist, dafür den Ramschanbieter verantwortlich zu machen. Wenn aber das Problem des Journalismus die aus seiner Sicht unkritische, ungebildete und verführbare Leserschaft ist, dann hat er offensichtlich seine eigentliche Funktion, nämlich, die Wahrheit zu verbreiten und hierdurch zur demokratischen Meinungsbildung beizutragen, entweder erfolgreich verdrängt oder aber gänzlich den Glauben daran verloren. Und zudem pflegt er ein Menschenbild, in dem „guter“ Journalismus ohnehin keine Daseinsberechtigung mehr hat. In diesem Szenario wird dann auch die Grenze zwischen Journalismus und PR eine sehr fließende.

Dass dieses Menschenbild in der Medienwelt tatsächlich weit verbreitet ist, könnte man annehmen, wenn man sich die Qualität einiger „seriöser Publikationen“ vergegenwärtigt. Anstatt das eigene Alleinstellungsmerkmal zu betonen, ist eine zunehmende Verbloggung und PRisierung des Journalismus zu beobachten. Und hier wird das Ganze dann zum Teufelskreis: Wenn Journalisten selbst nicht mehr wissen, was sie von Werbeschreibern und Lobbyisten unterscheidet, und sie sich an das zuvor beklagte niedrige Niveau der bloggenden Amateurkonkurrenz anpassen, gibt es für den Leser keine Veranlassung mehr, sich seine Informationen nicht für lau im Internet zu beschaffen. Von einem wachsenden Desinteresse der Menschen am geschriebenen Wort kann jedenfalls keine Rede sein. Wenn Zeitungsverlage heute wirtschaftlich in Schieflage geraten, dann zumeist nicht wegen rapide abfallender Abverkaufszahlen, sondern weil sie ihr wirtschaftliches Überleben zu stark an den Verkauf von Anzeigenplätzen sowie an sonstige Randservices binden und darüber ihr journalistisches Kerngeschäft vernachlässigen. Denn um für auf Papier gedruckte oder als APPs abonnierbare Informationshäppchen von der Güte schlechter Blogs und PR Geld zu bezahlen – dafür sind die meisten Leser viel zu gescheit.

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