01.11.2010

Asche auf ASH‘s Haupt

Analyse von Christoph Lövenich

Rauchverbote haben Hochkonjunktur. Lobbying gegen Tabak hat auch in Großbritannien eine lange Tradition.

Der Begriff „Tabaklobbyismus“ wird gerne bei passenden und unpassenden Gelegenheiten im Munde geführt. Politische Maßnahmen und die veröffentlichte Meinung richten sich aber immer mehr gegen den Tabakkonsum. Also scheint der Anti-Tabak-Lobbyismus der erfolgreichere und interessantere zu sein. Als Vorreiter dieser Entwicklung kann man fraglos die angelsächsischen Länder ausmachen. Dort stößt man immer wieder auf das Akronym ASH, hinter dem sich unterschiedliche Organisationen auf verschiedenen Kontinenten verbergen.

Ursprung in den Vereinigten Staaten

Die Bezeichnung ASH (Action on Smoking and Health) geht ursprünglich zurück auf den amerikanischen Rechtsprofessor und prominenten Rauchgegner John Banzhaf III, der Ende 1966 – wie er selbst einräumt, eher zufällig – den Tabak zum Feindbild und Anlass seines rechtlichen und politischen Aktivismus auserkoren hatte. Er trug als Initiator wesentlich dazu bei, dass Ende der 60er-Jahre in den USA Fernsehwerbespots für Tabakwaren verpflichtend um die Ausstrahlung von Antitabakspots ergänzt wurden. Banzhaf hätte diesen Erfolg wohl nicht erzielt, wenn ähnlich Gesinnte in der amerikanischen Rundfunkbehörde sein Anliegen nicht dankbar aufgegriffen und ihn als Außenstehenden vorgeschickt hätten.

ASH stützte sich bei seiner Arbeit in den USA, die bis zur gänzlichen Einstellung der TV-Werbung für Tabak führte, u.a. auf ehrenamtliche Helfer der Sieben-Tages-Adventisten, einer evangelischen Freikirche – deren bayerischer Ableger jüngst den Volksentscheid für ein totales Rauchverbot in der Gastronomie unterstützt hat. (1) Früh schon gelang es Banzhaf, seine – mitgliederlose – Organisation mittels Spendeneinnahmen so zu professionalisieren, dass jedenfalls er selbst nicht unerhebliche Einnahmen aus seiner Tätigkeit generieren konnte. Jahrzehnte und viele Erfolge – etwa Tabaksteuererhöhungen und Rauchverbote – später gab Banzhaf offenherzig „ungeheure Macht und Einfluss“ sowie „psychische Befriedigung“ als Motive für sein Engagement an. (2) Mit seiner Radikalität stellt sich ASH (USA) bis heute an die Spitze der weltweiten Anti-Tabakbewegung. Zu den Projekten gehören derzeit der Einsatz für Rauchverbote im Freien, in Privatwohnungen, für die Nicht-Beschäftigung rauchender Arbeitnehmer und die Benachteiligung rauchender Elternteile in Sorgerechtsprozessen. (3)

Anfänge im Vereinigten Königreich

In Großbritannien entstand ASH auf andere Weise. Schon Anfang der 60er-Jahre schrieb eine Mitarbeiterin des britischen Gesundheitsministeriums in einem internen Papier: „Die effektivste Maßnahme zur Einschränkung des Rauchens wäre das Vorantreiben einer Anti-Rauch-Bewegung. Es wäre für die Regierung und die kommunalen Behörden viel einfacher, Regulierungsmaßnahmen gegen das Rauchen zu ergreifen, wenn es eine Stimme gäbe, die sie dazu drängt.“ (4) Der oberste Gesundheitsbeamte Ihrer Majestät, der Chief Medical Officer George Godber, der Mitte der 70er-Jahre auf einer WHO-Konferenz das Ziel der „Elimination des Zigarettenrauchens“ (5) ausgeben sollte, bemühte sich immer wieder, Außenstehende als Lobbyisten für dieses Ziel zu gewinnen. 1968 wurde der staatliche „Gesundheitserziehungsrat“ gegründet und in der Folge Überlegungen zur Errichtung einer zivilgesellschaftlichen Anti-Rauch-Gruppe angestellt. Anfang 1971 war es so weit: Das Licht der Welt erblickte nicht eine „British Association on Smoking and Health“ oder ein „Council for Action on Smoking and Health“, da deren Akronyme BASH und CASH vielsagende, unliebsame Assoziationen geweckt hätten, sondern nach amerikanischen Vorbild ASH, in der Rechtsform einer gemeinnützigen Hilfsorganisation. (6)

Im Gegensatz zu den meisten karitativen Vereinen mit ihrem stark ehrenamtlichen Charakter bestand die Aufgabe von ASH von Anfang an aus professioneller Lobbyarbeit, mit einem systematisch ausgebauten Bestand an hauptamtlichem Personal. Erster Leiter wurde ein ehemaliger Gesundheitsstaatsminister. ASH blieb über Jahrzehnte im Wesentlichen durch das Gesundheitsministerium finanziert. Zwar wurden auch Spendenaufrufe gestartet und eine dreistellige Mitgliederzahl erzielt. Diese spielte aber nie eine nennenswerte Rolle bei den Ressourcen und in der Organisationspolitik von ASH. Nach außen hin erwarb man so das Image einer gemeinnützigen, spendenfinanzierten Vereinigung, während man tatsächlich als verlängerter Arm von Teilen der Gesundheitsbürokratie agierte. Im politischen Prozess nahm ASH die Position einer „insider-outsider organisation“ (7) ein, die in der Öffentlichkeit oppositionell auftrat und lautstarke Forderungen an die Gesundheitspolitik richtete, während sie tatsächlich eng mit den einschlägigen Stellen im Londoner Gesundheitsministerium kooperierte, eingebunden in deren taktisches Vorgehen.

So half ASH schon immer sowohl beim Stellen von Anfragen nahestehender Abgeordneter an die Regierung wie auch gleichzeitig dem Ministerium bei der Beantwortung ebendieser Anfragen. Das Ministerium konnte über ASH verdeckt Gesetzesinitiativen aus den Reihen der Parlamentarier unterstützen. Engster Partner von ASH war in den frühen Jahren der Gesundheitserziehungsrat. Auf einer gemeinsamen Sitzung beider Organe formulierte der zuständige Staatsminister David Owen (8) Anfang 1974 sein Verständnis der Zusammenarbeit, das für viele seiner Nachfolger bis heute Gültigkeit hat: „Setzen Sie mich so stark unter Druck, wie Sie möchten.“ (9) Regierungsamtliche Stellen brauchen so nicht oder jedenfalls nicht als Erste mit provokativen Behauptungen oder Forderungen an die Öffentlichkeit zu treten; oft genügt es, ASH zu zitieren oder schlicht auf offenen Widerspruch zu verzichten. (10)

Getreu dem Motto eines frühen Unterstützers bei der Gründung, des gewerkschaftlichen Medizinberaters Murray, ein „Meinungsklima gegen das Rauchen“ (11) zu kreieren, gelang es ASH mit dem Methodenarsenal der modernen Öffentlichkeitsarbeit, ein immer größeres Gewicht in den Medien zu erlangen. Die Zusammenarbeit mit Journalisten gerade des öffentlich-rechtlichen Rundfunks lieferte eine Reihe von Sendungen und Dokumentationen im Sinne der Tabakbekämpfung. ASH bereitete seine Standpunkte und vermeintliche wissenschaftliche Tatsachen medienwirksam auf und transformierte dabei althergebrachte Anwürfe gegen das Rauchen in zeitgenössische Risikofaktorenepidemiologie.

Auch schoss es sich, wie die gesamte Bewegung, auf die Tabakindustrie als Feindbild ein, der der Tabakkonsum anzulasten sei. In den 70er-Jahren galten die Tabakkonzerne noch als akzeptable Kooperationspartner von Regierungen, genau wie andere Wirtschaftsbranchen auch. Das noch vorherrschende Paradigma der Schadensminimierung bedeutete z. B., dass Unternehmen und Regierungsstellen gemeinsam an der sogenannten „Safer Cigarette“ forschten. Dies geriet zunehmend unter Beschuss von ASH und Gesundheitserziehungsrat sowie einigen Kräften des medizinischen Establishments. Jenseits des Atlantiks setzte sich ebenfalls diese „absolutistische Agenda“ (12) durch, und einschlägige Forschungen am Nationalen Krebsinstitut der USA wurden eingestellt. Für die Raucher blieb dann nur der Ansatz: „aufhören oder sterben“. ASH kam dabei nicht nur die Rolle zu, in Politik und Öffentlichkeit Front gegen Industrieinteressen zu machen, sondern auch diejenigen Stimmen in Ministerien politisch zum Schweigen zu bringen, die sich für einen „Realo“-Ansatz bei der Schadensbegrenzung und für die Kooperation mit Herstellerunternehmen stark gemacht hatten.

Die Bildung eines überparteilichen Arbeitskreises von tabakfeindlichen Unterhaus-Abgeordneten unter tatkräftiger Mithilfe von ASH machte sich zu Beginn der Thatcher-Regierung bezahlt, als ein Mitglied dieses Gremiums zum zuständigen Staatsminister ernannt wurde, das dann mit ASH eng kooperierte. Anfang der 80er-Jahre wendete sich jedoch das Blatt, und ASH konnte nur bei nennenswerten Tabaksteuererhöhungen seine Vorstellungen bei den Konservativen durchsetzen, ansonsten wurde die Organisation aber relativ stiefmütterlich behandelt, sodass sie an Schlagkraft verlor. In den 80er-Jahren gelang ihr allerdings, Allianzen mit dem Ärzteverband (BMA) und verschiedenen Krebsgesellschaften zu schmieden.

Der zweite Frühling von ASH

Mit der Machtübernahme von New Labour im Jahre 1997 wurde die Organisation jäh aus ihrem zwischenzeitlichen Dämmerschlaf gerissen – von einer Regierung, für die nicht nur die Überwachung (durch Millionen Videokameras), sondern auch die Verhaltensänderung der Bevölkerung, nicht zuletzt im Gesundheitsbereich, große Priorität genoss. (13) Sofort übernahm Clive Bates die ASH-Geschäftsführung. Dieser hatte zuvor bei Greenpeace die Beeinflussung der Öffentlichkeit und politischer Entscheidungsträger durch Medienarbeit und unter Verwendung (vorgeblicher) wissenschaftlicher Erkenntnisse, u.a. zum Thema „Klimawandel“, gelernt. Nach mehrjähriger Bewährung bei ASH wurde er dann in den Planungsstab Tony Blairs und später zum Chef einer Umweltbehörde berufen. (14)

Bates erklärte noch 1998, dass niemand die Absicht habe, ein totales Rauchverbot in Gaststätten herbeizuführen. Wenige Jahre später war ASH führend im erfolgreichen Lobbying für genau dieses Ziel in Großbritannien. Zur Wunderwaffe der Antitabakkräfte war da längst das Passivrauchen geworden (15) – mit einer Welle epidemiologischer Studien ab den frühen 80er-Jahren, die einen statistischen Zusammenhang zwischen schweren Erkrankungen und Passivrauchen überprüfen sollten. (16) Als im Jahr 1998 die große europäische Studie der WHO-Krebsforschungsagentur zu Passivrauchen und Lungenkrebs keine Gefährdung nachweisen konnte, die WHO in ihrer Pressemitteilung aber einfach das Gegenteil behauptete (17), erschien dazu ein kritischer Artikel im Sunday Telegraph. ASH wollte diese missliebige Stimme durch Beschwerden beim Presserat verstummen lassen, scheiterte aber. In den Folgejahren verzeichnete ASH größere Erfolge: Immer mehr Medien druckten anstands- und kritiklos die Meldungen der Tabakgegner ab, von denen viele nur als „Junk Science“ bezeichnet werden können. Sie trugen damit zu einer veränderten Meinungsbildung bei. Ankündigung und Verbot von Tabakwerbung in Printmedien (1997 bzw. 2003) – selbstverständlich von ASH lange gefordert und begleitet – fungierten dabei als Anreiz für tabak- und raucherfeindlichere Berichterstattung. So unterstellte die Organisation 120.000 britischen Männern, durch das Rauchen impotent geworden zu sein; Grundlage war eine einzige alte US-Studie mit ein paar Dutzend Vietnamveteranen, die derlei Rückschlüsse gar nicht seriös zuließ. (18) In jüngster Zeit gehören „Herzinfarktwunder“ mit rückläufigen Krankheitszahlen als angebliche Folgen gesetzlicher Rauchverbote zum Standardrepertoire. (19)

Zunehmend zahlte sich auch die internationale Vernetzung der Antiraucher aus; die Rahmenvereinbarung zur Tabakkontrolle (FCTC) der WHO kam Anfang des Jahrtausends zustande, nachdem ausgerechnet das regierungsfinanzierte ASH (UK) die Führung einer Allianz von 170 einschlägig Lobbying betreibender „Nichtregierungsorganisationen“ übernommen hatte. (20)

Wo die Asche herkommt

Dem aktuellen Finanzbericht (21) zufolge stammt der Großteil der ASH-Finanzierung von Fachorganisationen des medizinischen Establishments. Mit einem Beitrag der Größenordnung eines Fünftels des Haushalts ist das britische Gesundheitsministerium aber immer noch stark involviert. (22) Auf eine kritische Frage im Unterhaus zum Verwendungszweck dieser sechsstelligen Summe im Jahr 2008 antwortete die damals zuständige Staatsministerin, nichts davon dürfe für Lobbying ausgegeben werden. Tatsächlich aber ist von dem steuergeldfinanzierten ASH-Projekt nichts nach außen gedrungen, etwa in Form von Publikationen, und die Projektbeschreibung bei ASH selbst wirkt doch sehr lobbyistisch: „Kommunikation zur Unterstützung von Fortschritten in der Tabakkontroll-Politik.“ (23) Ebenfalls sechsstellig trug auch ASH International, ein neuer Zweig der amerikanischen ASH, gesponsert u.a. von Pfizer, zu den Finanzen der britischen ASH bei, sodass nunmehr eine direkte Beziehung der beiden Organisationen besteht. (24)

Die walisische ASH-Organisation hängt hingegen immer noch viel stärker am Tropf der Obrigkeit. Laut letztem Finanzbericht zeichnet die Regionalregierung für über 60 Prozent der ASH-Einnahmen verantwortlich. Darüber hinaus verfügt ASH Wales über unmittelbare Zuflüsse von der Seite, die in den vergangenen 20 Jahren neben dem Staat einen Großteil der Finanzierung von Antiraucherkampagnen übernommen hat: den Pharmakonzernen des Nikotinmarktes. Die Pfizer-Stiftung trug 24 Prozent des Budgets, Pfizer und den anderen Branchenriesen GlaxoSmithKline, McNeil und Novartis wird im aktuellen Rechenschaftsbericht von ASH Wales Dank zuteil für finanzielle und sonstige Unterstützung. Diese vier Konzerne sponsern auch die Herbstkonferenz der Organisation. (25) Die für gemeinnützige Organisationen charakteristischen Spenden von Einzelpersonen machten nicht einmal zwei Prozent des Haushalts aus. An ihren eigenen Kriterien gemessen, sind ASH (UK) und ASH Wales aufgrund der Pharmagelder Industrielobbygruppen. (26) Auch ASH Scotland bezieht seit der Gründung seine „Asche“ zum größten Teil aus öffentlichen Mitteln. Außerdem haben diverse öffentliche Stellen die – wiederum gemeinnützige – Vereinigung „No Smoking Day“ in jüngerer Vergangenheit mit nennenswerten Geldsummen unterstützt. (27)

In Deutschland haben zumindest Finanzexperten vor wenigen Jahren mal die Frage aufgeworfen, ob Vereine, deren Aktivitäten „primär auf die politische Beeinflussung der öffentlichen Meinungsbildung“ ausgerichtet sind, überhaupt noch als gemeinnützig – mit der einschlägigen steuerlichen Privilegierung – anerkannt werden sollten. (28) Im Falle von ASH kommt noch hinzu, dass es sich hier um eine verlängerte Ministeriumstätigkeit handelt, die unter einem karitativen Siegel firmiert, vom gleichzeitigen Dienst für Konzerninteressen nicht zu schweigen. Sollte die neue britische Regierung ernst machen mit ihren Ankündigungen (29), bei den Public-Health-Quangos Wildwuchs zu beschneiden und Steuergeld einzusparen, könnte eine verstärkte Abhängigkeit der britischen ASH von amerikanischen bzw. pharmazeutischen Akteuren entstehen.

Im Stil einer neuen sozialen Bewegung agierend, verschleiert ASH (UK) also seine Funktion für Teile des Staatsapparats. Damit ist es ein frühes – wenn nicht gar das erste – und ein besonders prägnantes Beispiel für eine regierungsfinanzierte „Public Health“-Lobbyvereinigung, ein Phänomen, das im Vereinigten Königreich, aber auch andernorts und zu anderen Themen, später viele Nachahmungsfälle gefunden hat. Und es ist noch nicht zu Asche zerfallen, sondern steckt im Gegenteil seit der Jahrtausendwende in der zweiten Blütephase seines Feldzugs gegen den Tabakkonsum.

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