10.12.2011

Alternative für Erdspeicher

Analyse von Georg Menges

Über schleppende Neuerungen bei der Energieversorgung.

Bekanntlich werden in allen entwickelten Ländern seit mehr als einem Jahrzehnt immerzu neue Maßnahmen eingeleitet, um den Energieverbrauch zu drosseln und CO2-Emissionen zu vermeiden. Seit einigen Jahren wird intensiv erforscht, wie die Natur CO2 in Biomasse umwandelt. Verfügte man über entsprechende Technologien, würde CO2 vom gefürchteten Abfallstoff zum geschätzten Rohstoff. Aktuell scheint das Ziel des CO2-freien Kohlekraftwerks jedoch in die gegensätzliche Richtung zu weisen. Industrie und Politik bevorzugen die sogenannte Sequestrierung mit nachfolgender Erdspeicherung von CO2. Es soll dabei aus den Rauchgasen abgetrennt und in (scheinbar) sicherer Umgebung unterirdisch gespeichert werden. Seit einigen Jahren arbeiten große Konzerne mit finanzieller Unterstützung aus Steuermitteln an den hierfür notwendigen Technologien. Die Idee klingt vernünftig: Man holt die fossilen Energieträger (Brennstoffe) aus der Erde, nutzt aber für die Verbrennung (Energiegewinnung) nur den daraus chemisch abgespaltenen Wasserstoff und drückt den ungeliebten Rest (CO2) wieder in die Erde zurück. Bei Erdöl- und Erdgasbohrungen macht das Sinn, denn das eingepresste CO2 befördert mit dem Druck, mit dem es eingeschossen wird, zusätzliches Öl bzw. Gas aus den Poren des Gesteins. So wird die Ergiebigkeit der Quelle verbessert.

Doch diese Möglichkeiten reichen in Deutschland nicht aus, um den Speicherbedarf zu decken. Deshalb wurde vor einigen Jahren ein Großversuch in einer als sicher eingeschätzten tiefen Erdschicht in Brandenburg gestartet. Der Versuch ist noch nicht abgeschlossen, dennoch regt sich bereits an anderen Orten, wo Versuchsbohrungen niedergebracht werden sollen, erheblicher Widerstand. Schließlich wurde die politische Entscheidung vertagt, ob Erdspeicher zur Lagerung von CO2 gesetzlich erlaubt werden. Zahlreiche Industrieführer und Politiker scheinen nicht mehr an diese Möglichkeit zu glauben. [1] Der Volkswirt Hans-Werner Sinn beschreibt die Situation zutreffend: „Der einzige Ausweg für die von der Kohle abhängigen deutschen Energiekonzerne liegt in der Sequestrierung von CO2, was aber riesige Kosten und ungelöste Sicherheitsprobleme mit sich bringt … Das Endlagerproblem für flüssiges CO2 ist unvergleichlich größer als das Endlagerproblem für alte Atombrennstäbe.“ [2]

Mit der Rettung der deutschen Kohle- und vor allem der Braunkohlenkraftwerke wird es also vermutlich auf diesem Weg nichts werden. Doch glücklicherweise gibt es andere Optionen: So kann das aus den Rauchgasen der Kraftwerke abgetrennte CO2 auch zu neuen chemischen Stoffen umgewandelt werden, die man nicht speichern muss, sondern sinnvoll verwerten kann. CO2 würde so zu nützlichen chemischen Produkten recycelt.

Chemischer statt biologischer Kreislauf

Vor 100 Jahren wurde von der BASF ein Verfahren zur Herstellung von Harnstoff und Methanol (Methylalkohol, auch als „Holzgeist“ bezeichnet) entwickelt. [3] Harnstoff findet sich bis heute weltweit in Millionen Tonnen verbrauchter Düngemittel. In beiden Fällen geschieht das Recycling durch Reaktionen mit Wasserstoff. Beide chemischen Stoffe sind Basisprodukte der organischen Chemie. Aus ökonomischen Gründen nutzt man dafür aktuell jedoch nur zu einem geringen Teil Kohlendioxid. Fossil aus Erdgas erzeugtes Synthesegas ist derzeit ein erheblich billigerer Grundstoff. Doch auch Methanol ist für einen solchen biologischen Kreislauf geeignet. Ein großes Volumen des derzeit in die Atmosphäre geblasenen CO2 könnte nutzbringend in Werk- und Treibstoffe umgesetzt werden. Methanol ist, ähnlich wie die Treibstoffe Benzin und Diesel, ein gut handhabbarer Energieträger. Das Potenzial eines Recyclings von CO2 aus den Rauchgasen von Kraftwerken zur Herstellung von Methanol beträgt alleine für Deutschland ca. 350–500 Mio. Tonnen pro Jahr. Das ist etwa ein Drittel bis die Hälfte des CO2-Ausstoßes der gesamten gewerblichen Wirtschaft Deutschlands.

Ein solcher Kreislauf sähe schematisiert folgendermaßen aus: Das aus Verbrennungsprozessen stammende CO2 wird abgetrennt und mithilfe regenerativer (nicht fossiler) Energie zusammen mit Wasserstoff zu Methanol umgesetzt. Methanol bietet sich an, weil es ein Energieträger ist, der Erdöl oder Erdgas vollwertig ersetzen könnte. Diese Möglichkeit wurde schon vor mehr als 25 Jahren von mehreren Forschern vorgeschlagen. [4] Der Nobelpreisträger George Andrew Olah hat die Idee vor einigen Jahren neu aufgegriffen und 2006 in seinem Buch Beyond Oil and Gas: The Methanol Economy die vielfältigen Möglichkeiten einer „Methanolwirtschaft“ aufgezeigt. [5]

Als Erster hatte Rudolf Schulten in Großversuchen nachweisen können, dass diese Recyclingtechnologie funktioniert. [6] Inspiriert von Friedrich Asinger [7] erprobte er mehrere Jahre lang die Methanolsynthese von CO2 zu Methanol in Verbindung mit dem von ihm erfundenen und im Forschungszentrum Jülich betriebenen Kugelhaufenreaktor. Dieser Versuchsreaktor wurde als Energiespender in industriellem Maßstab getestet. Johannes Lambertz und Johannes Ewers vom Energiekonzern RWE Power [8] betrachten den Kugelhaufenreaktor dank seiner hohen Temperaturen von ca. 1000 Grad Celsius auch heute noch als den einzigen gut geeigneten Energielieferanten für die Methanoltechnologie. Kernenergie aus dem Kugelhaufenreaktor könnte als nicht fossile Energiequelle Wasserstoff kostengünstig und marktfähig erzeugen. Die Methanolsynthese auf Basis von CO2 würde zudem ohne CO2-Emissionen ablaufen. Auch Olah empfiehlt die Kernenergie für die Gewinnung von Wasserstoff für die Methanolsynthese. [9] Im kernenergiefeindlichen Deutschland ist an einen Neubau von Atomkraftwerken derzeit allerdings nicht zu denken. Die unaufgeklärte Öffentlichkeit lehnt sogar den Kugelhaufenreaktor (HTR) ab, obwohl er infolge seines besonderen Arbeitsprinzips inhärent sicher ist – eine Kernschmelze ist unmöglich.

Stromspitzen für die Methanolsynthese

Unter den aktuellen politischen Bedingungen käme also für ein Recycling von CO2 nur regenerativ gewonnener Strom infrage. Damit sind allerdings zwei große Nachteile verbunden: die hohen Kosten der Stromerzeugung und die Volatilität. Die wetterbedingte, unsichere Verfügbarkeit führt zu hohen Zusatzkosten. Gesetzlich ist geregelt, dass regenerativ erzeugter Strom unter allen Umständen bevorzugt einzusetzen ist. Konventionelle Kraftwerke müssen als Reserve bereitgehalten werden, um den Mangel an regenerativem Stromangebot auszugleichen. Die Zusatzkosten werden über das „Erneuerbare Energien-Gesetz (EEG)“ auf die Stromkunden umgelegt.

Ein weiterer Ausbau von regenerativen Energien erscheint deshalb nur sinnvoll, wenn Kraftwerksbetreiber über sehr schnell reagierende große Speicher verfügen würden, um die Stromspitzen abfangen zu können. Elektrolyseanlagen zur Wasserstofferzeugung könnten in Verbindung mit Methanolsynthese-Anlagen eine solche Speicherkapazität bieten. In jedem größeren Kraftwerk installiert, könnten sie einen erheblichen Anteil des dort erzeugten CO2 zu Methanol recyceln. Die Firma VER in Dresden bietet eine solche Speicheranlage und die Steuerung bereits an und verspricht akzeptable Amortisationszeiten. [10] Diese Idee wird neuerdings auch von der Frauenhofer-Gesellschaft verfolgt. [11]

Der politisch gewollte Zwang, CO2 im großen Stil auch unter Vernachlässigung wirtschaftlicher Überlegungen zu vermeiden, begünstigt jedoch eine andere Marschrichtung. Obwohl das Sequestrieren und die Erdspeicherung von CO2 erhebliche Kosten verursachen werden, wird die Planung derzeit massiv vorangetrieben. Andernfalls wäre die Existenz von Braunkohlekraftwerken bedroht. Eine eigene Gesamtkostenabschätzung hat allerdings ergeben, dass im Vergleich zur Erdspeicherung von CO2 die Methanolerzeugung die deutlich günstigere Variante darstellt. Als geldwerter Vorteil ist dabei auch anzusehen, dass man die Kraftwerke für die Recyclingmethode mit handelsüblichen Anlagen kurzfristig nachrüsten kann. Techniken zur Sequestrierung und Erdspeicherung werden dagegen frühestens 2020 zur Verfügung stehen. Weiterhin entfallen beim CO2-Recycling die erwartungsgemäß hohen Folgekosten für die jahrzehntelange Sicherheitsüberwachung und Wartung der Erdspeicher. Da die Methanolsynthese erprobt ist, sind weitere Großversuche nicht mehr nötig. Einzig und allein der Umsetzungswille des Managements der deutschen Energiewirtschaft ist gefragt. Hilfreich wäre ein positives Signal vonseiten der Politik, um die Tür zur Methanolwirtschaft zu öffnen.

Die industrielle Nutzung von CO2 macht nur dort Sinn, wo es in großer Menge anfällt. Dies ist bei den Hauptlieferanten unserer elektrischen Energie der Fall. Sie allein sind in Deutschland für rund 30 Prozent der gewerblich erzeugten Emissionen mit insgesamt 360 Mio. Tonnen pro Jahr verantwortlich. Weitere Großemittenten finden sich in der Baustoffindustrie und bei den Metallhüttenbetrieben. Dort wären Elektrolyse- und Methanolsynthese-Anlagen in beliebiger Größe zu installieren, und zwar im Verbund mit den Verbrennungsanlagen, um das von diesen mit dem Rauchgas ausgestoßene und abgetrennte Kohlendioxid direkt übernehmen zu können und durch Wärme- und Stoffaustausch maximale Wirkungsgrade zu erzielen.

Vorteile einer Methanolwirtschaft

Methanolwirtschaft bedeutet die sinnvolle und effiziente Nutzung natürlicher fossiler Energieträger als Rohstoff für die organische Chemie. Dazu gehört die Herstellung nahezu aller heute genutzten Kunststoffe. Würden sie auf dieser neuen Basis hergestellt, würde das CO2 zu einem erheblichen Teil langfristig gespeichert – umso länger, je öfter diese Kunststoffe recycelt werden. Bei der finalen Entsorgung könnte man die in ihnen gespeicherte Energie durch Verbrennen zurückgewinnen. Das dabei entstehende CO2 würde erneut in den Kreislauf der Methanolwirtschaft eingespeist. Auch die Substitution von Erdöl in Treibstoffen könnte auf diesem Weg vorangetrieben werden. Nach Recycling und Weiterverarbeitung des Methanols zu Methan kann der Brennstoff in Versorgungsleitungen für Gas für die Wärmeerzeugung eingespeist werden.

Allein mit dem Recycling von CO2 aus den Schloten weniger Großemittenten würde viel erreicht. Um einen Eindruck vom Nutzen zu gewinnen, stelle man sich Folgendes vor: Wandelte man den derzeitigen CO2-Ausstoß aus den großen deutschen Kraftwerken (360 Mio. Tonnen pro Jahr) in Methanol um, könnte man den dreifachen Bedarf, der in Deutschland an Fahrzeugtreibstoffen besteht, befriedigen. Wie die Studien von Norbert Topf u.a. gezeigt haben, könnte die Methanolwirtschaft auch alleine auf der Braunkohlenutzung aufgebaut werden. [12] Das erscheint sinnvoll, denn Braunkohle ist der einzige heimische fossile Energieträger, der zudem noch eine Reichweite von ca. 350 Jahren aufweist. Eine Verlagerung unserer Energieversorgung zu Braunkohle würde die Wertschöpfung bei der Energiegewinnung und die Versorgungssicherheit deutlich verbessern. Hinzu kommt, dass man mit dem Recycling von CO2 in Methanol auch die Reichweiten der wertvollen natürlichen fossilen Energieträger strecken würde.

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