09.12.2011

Mehr Geld – aber für was?

Kommentar von Sabine Beppler-Spahl

Geld verbessert keine Bildungsstandards, denn Bildung ist ein geistiges Gut.

„Die Bildungspolitik ist die moderne Sozialpolitik, Sozialpolitik ist Bildungspolitik“. [1] Mit diesem Argument versuchte Bildungsministerin Annette Schavan (CDU) ihren Parteifreund Roland Koch in seine Schranken zu verweisen, als dieser das Budget für Bildung infrage stellte. Am Ziel „10 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Bildung“ will die Ministerin festhalten, denn die Defizite im Bildungssystem seien schon jetzt mit schuld an der Überlastung des Sozialsystems. Doch eignet sich Bildung wirklich, soziale Probleme zu lösen? Und haben die Gegner Schavans nicht recht, wenn sie sagen, Geld allein mache unsere Kinder nicht klüger? Wie ist die Grundschulstudie IGLU zu bewerten, die zu dem Ergebnis kam, dass sich die Lesekompetenz durch kleinere Klassen nicht verbessert hat? Was läuft schief, wenn das Land Berlin jährlich 50 Millionen Euro für Sprachförderung ausgibt und Nichtdeutsche bei Vergleichstests trotzdem unter dem Durchschnitt liegen?

Es ist kaum verwunderlich, dass sich die massiven Bildungsinvestitionen nicht ausgezahlt haben. Geld für Bildung vermag den Lebensstandard von Lehrern zu erhöhen oder die Ausstattung der Schulen zu verbessern. Beides ist gut. Aber Geld kann nicht Bildungsstandards verbessern, denn Bildung ist ein geistiges und kein materielles Gut. [2] Die Debatte über Bildung krankt seit Langem daran, dass diese Tatsache nicht erkannt wird. Die Angewohnheit unserer Politiker, soziale Schieflagen durch Umverteilung oder Subventionierung lösen zu wollen, kennen wir. In den Äußerungen Schavans zeigt sich, wie tief verankert die irrige Vorstellung ist, auch Bildung könne verteilt und umverteilt werden wie Geld in der Sozialhilfe. Offenbar ist es einfacher, Geld zu verteilen, als allen Kindern inspirierenden Unterricht zu bieten. Stattdessen gibt es immer mehr staatlich geförderte Ausbildungsmaßnahmen und immer mehr Abiturienten und Studenten, die einen Abschluss erwerben wollen, der aber immer weniger wert ist. Soziale Teilhabe als Bildungsziel, gekoppelt mit einer reinen Verteilungspolitik, läuft Gefahr, jegliche Standards zu untergraben.

Es ist also eine gute Nachricht, dass die Debatte über Geld und Bildung eröffnet wurde. Die schlechte ist, dass viele Lösungsvorschläge rein technischer Natur sind. Das Versagen der wohlfahrtsstaatlichen Bildungspolitik hat diejenigen gestärkt, die eine Art freien Markt im Bildungssektor fordern. Der Ökonom Milton Friedman plädierte schon in 50er-Jahren für die Einführung von Bildungsgutscheinen, mit denen Eltern in die Lage versetzt werden sollten, sich für ihre Kinder die Schule ihrer Wahl auszusuchen. In den letzten Jahren sind die marktorientierten Vorschläge wieder stärker in den Vordergrund gerückt, was sich daran zeigt, dass Organisationen wie die OECD Bildungspolitik machen und die Bildungsexperten eigentlich Ökonomen sind. So fordert zum Beispiel Ludger Wößmann, Professor für Bildungsökonomie, mehr „fruchtbaren Wettbewerb unter den Schulen“ sowie zusätzliche standardisierte Leistungskontrollen. [3]

Es gibt gute Gründe zu bezweifeln, dass der Bildungsnotstand durch eine Stärkung marktähnlicher Mechanismen behoben werden kann. Ein Blick in die USA lohnt: Hier wurden die Strukturen für die externe Leistungsüberprüfung ausgebaut. Die Politik hat das Ziel vorgegeben, dass bis 2014 kein Schüler bei der Überprüfung der Lesekompetenz durchfallen darf. „No Child Left Behind“ heißt das Programm. Schulen, deren Schüler bei solchen Tests unterdurchschnittlich abschneiden, droht die Schließung. Die amerikanische Erziehungsexpertin und ehemals stellvertretende Bildungsministerin, Diane Ravitch, hat in einem Buch die Konsequenzen dieser Politik scharf kritisiert. [4] Ihre Argumentation ist umso überzeugender, da sie selbst vormals für mehr Privatschulen, standardisierte Tests und die Mechanismen des Marktes geworben hatte. Eine geschilderte Konsequenz ist, dass Stadtteilschulen in Gebieten mit großen sozialen Problemen zusätzlich geschwächt wurden. In manchen armen Gegenden, so Ravitch, stünden die wenigen Schulen nun vor der Wahl, entweder zu schließen oder alle Lehrer zu entlassen. Die Politik der Bestrafung habe dazu geführt, dass Schulen ihren Unterricht einseitig auf Tests ausrichten. So sei das Curriculum ausgehöhlt worden, weil Fächer wie Sachkunde oder Geschichte, die nicht unmittelbar der Testvorbereitung dienen, vernachlässigt wurden. Paradoxerweise habe dies den Sprach- und Lesekompetenzen geschadet, da gerade solche Fächer Schüler befähigten, notwendiges Sachwissen zu erlangen und komplexe Zusammenhänge zu erfassen. Ravitch kommt zu dem Schluss, dass das Programm „No Child Left Behind“ gescheitert sei und bestenfalls eine Kultur des institutionalisierten Betrugs gestärkt habe, weil Schulen mit allen Mitteln versuchten, Sanktionen abzuwenden oder es in die Liga der Gewinner zu schaffen.

Diejenigen, die die Politik des Wettbewerbs anhand externer Leistungsermittlungen unterstützen, berufen sich auf den Erfolg von Privatschulen. Vieles spricht dafür, den staatlichen Einfluss bei der Gestaltung des Schulalltags einzudämmen. Manche Privatschulen sind schon deshalb erfolgreich, weil sie die schlimmsten Einflüsse staatlicher Reformen abwenden konnten. Trotzdem taugen die Vorteile der freien Schulwahl nicht als Modell für die Zukunft des gesamten Bildungssystems. Viele Privatschulen stehen in einer Tradition, die auf Exzellenz setzt und von Generationen einflussreicher und privilegierter Eltern unterstützt wird. Solche Schulen können aber nicht allein durch guten Willen oder die Marktmechanismen herbeigezaubert werden. Hinzu kommt: Elterliches Eigeninteresse verstärkt den Einfluss, den die individuellen Lebensumstände auf die Schulbildung haben. Einzelne Erfolge sind auf das Engagement einiger Elterngruppen zurückzuführen, die an sich schon als Ausnahme zu werten sind. Die Kinder dieser Eltern würden wahrscheinlich auch an staatlichen Schulen besser abschneiden als ihre Altersgenossen. Aber noch wichtiger ist, dass das Konzept der Elternkontrolle Schwächen in sich birgt. Eltern, die sich als zahlende Kunden begreifen, schrecken nicht davor zurück, als Anwälte ihrer Kinder aufzutreten und zu verlangen, dass sich die Lehrer den speziellen Bedürfnissen ihrer Sprösslinge unterordnen. Es ist kein Zufall, dass Privatschulen früher als die Schulen der „dummen Reichen“ galten, die ihr Abitur an den staatlichen Schulen nicht geschafft haben. „Die Lehrer an Privatschulen wissen, dass, wenn sie ihre Schüler verlieren, ihre ganze Schule bedroht ist“, meint Wößmann. [5] Der Druck, den die Einmischung ambitionierter Eltern auf die unabhängige Schulbildung ausübt, enthält jedoch wenig kreatives Potenzial.

Statt mehr Privatschulen zu fordern, sollten wir für ein öffentliches Schulsystem eintreten, das frei von staatlicher, bürokratischer Kontrolle ist. Dazu gehört, für höhere Standards an allen Schulen einzutreten. Eine Voraussetzung dafür ist, endlich damit aufzuhören, das geistige Gut Bildung mit einem materiellen Gut zu verwechseln, welches durch immer mehr staatliche Ausgaben oder durch Zahlungen auf dem freien Markt erworben werden kann.

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