19.07.2010
In Bildern gefangen
Essay von Tobias Prüwer
Wie totalisierende Maschinenmetaphern und technisch-reduktionistische Modelle den Blick auf Wesentliches verstellen können.
„Ein Bild sagt mehr als tausend Worte.“ Es ist nur allzu menschlich, die Welt in sprachlichen Bildern zu fassen, die plausibel erscheinen und sie beschreibbar machen. Hiervon bilden Maschinenmetaphern keine Ausnahme, auch wenn ihre Deutungshoheit seit dem vergangenen Jahrhundert zugenommen hat. Ihnen zufolge verfügt der Mensch über ein elektronisches Hirn, eine Festplatte. Maschinen geben den Geist auf, während der Mensch ausbrennt und Sonne tanken muss. Uns ist ein moralischer Kompass eingebaut und Vernunft nicht immer Serienausstattung. Dass in solcherart analogischen Schnellschüssen auch ein Risiko steckt, wird ob der Freude am schicken Vergleich leicht übersehen: Werden sie zum Praxismodell, können die vorgeblich evidenten Bilder drastische Konsequenzen haben, wie anhand zweier Beispiele – der Reduktion des Wissensbegriffs und des Steuerungsgedankens in der Demokratie – skizziert werden soll.
Im Spiegel der Maschinen: Kybernetische Spuren
Sind Effizienz und Performativität jene Eigenschaften, nach denen wir völlig zu Recht Maschinen bemessen – zur schnellen und reibungslosen Ausführung von Routinen sind sie schließlich entworfen –, so fraglich stellt sich ihr Status als Leitmotive unserer Zeit dar. Es ist keine Wortklauberei, ob eine lyrische Metaphorik hübscher ist als eine maschinistische. In welche Sprachformen wir die Welt fassen, hat Konsequenzen für die Art, sie zu ordnen und ein Stück weit auch erst zu konstruieren. Wird die Beschreibung der Welt und damit unser Selbstbild zum Großteil technisch-mechanisch strukturiert, geht der Blick für so manche menschliche Tugend (Kreativität und Muße) und manches Bedürfnis (Schlaf und Ruhe) verloren.
Natürlich ist die Verwendung von Maschinenmetaphern zunächst harmlos. Interessant in dieser Hinsicht ist die Tatsache, dass sich die Analogiebildung in früheren Zeiten genau anders herum verhielt. „Der Mensch erzeugt Werkzeuge und nimmt sich dabei selbst als Modell dieser Erzeugung – bis sich die Sachlage umkehrt und der Mensch sein Werkzeug als Modell seiner selbst, der Welt und der Gesellschaft nimmt.“ (1) Man hat also die Apparate anthropologisiert, um sie sich verständlich zu machen. Nun dienen gerade diese als Modell für den Menschen. So sind bspw. die ersten Rechenmaschinen als mechanische Hirne vermenschlicht worden, während nun genau diese Apparate und ihr binäres Schema als Ideal von Intelligenz gilt. Im Modellwerden des Apparats zeigt sich eine „anthropomorphia inversa“, ein umgedrehter Anthropomorphismus, wie sich das Phänomen mit Heinz von Förster nennen lässt. (2) Die einst metaphorisch gedeuteten Objekte finden sich wieder als Deutungsvorbild.
Auf merkwürdige Weise verschiebt sich die Vorstellung vom Menschen und der Gesellschaft, wenn wir die Welt umfassend aus unseren Maschinen heraus deuten. Man ziehe nur die Künstliche-Intelligenz-Forschung heran, um das zu beobachten. Aus dem ehrbaren Ansinnen, Maschinen zu konstruieren, die ein weites Feld von Aufgaben möglichst selbsttätig erledigen, resultierte die Reduktion des Denkens auf schematische Prozesse, die dann – und hier liegt die Crux – auf den Menschen zurückübertragen wurden. Die Anwendung des technischen Modells als Erklärungsgrundlage für den menschlichen Geist konzipierte menschliches Denken und Verstehen analog zum Computer als binäre Rechenoperationen, logische Schlussformeln in einem irgendwie gearteten Netzwerk. Plötzlich wurden der menschliche Geist und sein Vermögen problemlos messbar. Was nicht ins Raster dieser Computermetapher des Geistes passte, wurde als unwichtig abgetan. Wenn Denken nur noch als Schaltprozess gefasst wird, kommt man seiner technischen Nachbildung vielleicht nahe – übersieht aber Wesentliches.
Dieses eigentümliche Bild vom Denken schlug sich in vielen Wissenschaftsbereichen nieder. Als virulenter Motor dieser Entwicklung erwies sich die Kybernetik, deren Namen sich vom altgriechischen Wort für Steuermann ableitet. (3) Die Kybernetik durchdrang als Technikwissenschaft in der Nachkriegszeit alle möglichen Wissenschaften (bis in die Pädagogik) und Gesellschaftsbereiche. Ihre Spuren sind auch nach ihrem Niedergang als Großprojekt zu finden.
Man mag heute kaum glauben, wie sich die Kybernetik nach ihren Erfolgen in der Militärentwicklung des Zweiten Weltkriegs in der Nachkriegszeit als neue Universalwissenschaft darstellte und der Idee nach von vielen so übernommen wurde. Plötzlich stellte der Thermostat das Idealbild von Kommunikation und Organismus dar und vermittelte ein simples Bild von der möglichen Steuerung der Welt, das sich unterschwellig als Denkparadigma durchgesetzt hat. Mit „Information“, „Kommunikation“, „Programmierbarkeit“ sind viele Schlüsselbegriffe der Gegenwart kybernetischer Herkunft. (4) Sie wirkt in den rechnergestützten Verwaltungsorganisationen, administrativen Überwachungen, in der Managementkultur und dem Controlling fort, und ihre Spur ist auch im Wissensmanagement zu finden.
Wissensmanagement
Die Kybernetiker glaubten, in der Information den Grundstein der Welt gefunden zu haben. Dabei entsagte der kybernetisch gefasste Informationsbegriff allen semantischen wie pragmatischen Aspekten und ist ein bloßer mathematischer bzw. statistischer Fakt. Aus dem so lapidar gefassten Modell entwickelte sich bald die Vorstellung von Wissen als reine Anhäufung von solchen Informationen und der Sammlung von Datensätzen. Logische Konsequenz aus diesem unterkomplexen Wissensbegriff: Was man wissen muss, besteht im Abspeichern und der Pflege elektronischer Datenverarbeitung.
Das greift offenkundig zu kurz, denn Wissen ist vielmehr als Kompetenz zu denken, mit Informationen umzugehen, sie kritisieren – also unterscheiden – zu können, Einzelfakten in größere Zusammenhänge einordnen und sich Widersprechendes gegeneinander abzuwägen vermögen. Wissen ist also zuallererst praktische Intelligenz. Ein umsichtiges Wissensmanagement muss demnach mehr im Blick haben: „Nicht nur speicherbare Informationen werden gesammelt und abgelegt, damit Mitarbeiter selbständig darauf zugreifen können, sondern es wird darüber hinaus praktisches und implizites Wissen – zum Beispiel nonverbal empraktisches – ‚kommunikabel‘ und damit nutzbar gemacht.“ (5)
So birgt folglich die aus kurzsichtigem ökonomischem Kalkül vorgenommene Verengung von Wissen auf eine Handvoll Schemata, die sich artig ordnen und nach binärer Logik verwalten lassen, eine wirtschaftlich nachhaltig schädigende Wirkung. Denn, und das ist eine Pointe der Kritik, verschafft gerade das Wissensmanagement, welches Wissen als kooperative Praxis begreift, den Vorsprung vor den Verwaltern und Technikern von Information und ist wirtschaftlich erfolgreicher. Eine solche Fassung von Wissen ist verankert im kritischen „Bildungsideal des Citoyen, der selbstständig denkenden und urteilenden Person“, die befähigt ist „zur freien Kooperation mit andern Personen in einem Gemeinschaftsprojekt“. (6)
„Kybernetische Hypothese“ und Demokratie als Politiksimulation
Gravierend zeigt sich die Übernahme der kybernetisch-technizistischen Vorstellung von Kontrolle und Steuerung, Regelung und Kommunikation in der Politik. Mit dem Ineinssetzen von Leben, Denken und Sprache wird die Information zur Matrix, mit der auch die Gesellschaft erkannt und gesteuert werden kann: zugunsten der staatlichen Ordnung. Dem französischen Autorenkollektiv Tiqqun zufolge ist die „liberale Hypothese“, nämlich die Annahme, die Grundlage der bürgerlichen Gesellschaft bilde das permanente Ausbalancieren zwischen individueller Freiheit und staatlicher Ordnung und Sicherheit, praktisch längst überholt. Ihren Platz hat die kybernetische Hypothese eingenommen, die die selbstzweckhafte Systemstabilisierung zur Doktrin macht.
Sie ist „eine neue Fabel, welche die liberale Hypothese seit dem Zweiten Weltkrieg endgültig verdrängt hat. Im Gegensatz zu jener schlägt sie vor, die biologischen, physischen und sozialen Verhaltensweisen als voll und ganz programmierbar zu betrachten. [... S]ie stellt sich jedes Verhalten so vor, als ob es in letzter Instanz ‚gesteuert‘ würde durch die Notwendigkeit des Überlebens eines ‚Systems‘, das sie möglich macht und zu dem sie beitragen muss.“ (7) So erfüllt sich die zu Kybernetik-Hochzeiten positiv besetzte Rede von „Regierungsmaschinen“, einzig dem Allgemeinwohl dienende amtliche Regulatoren, auf gespenstische Weise: Wird doch hier das Allgemeinwohl als störungsfreier Regelkreislauf entworfen. Wenn das Politische nur mehr eine Frage der Regelbarkeit und Steuerung ist, dann intensivieren sich unter der „kybernetischen Hypothese“ die Gouvernementalitätspraktiken und Regierungstechnologien.
Fasst man die repräsentationale Demokratie als Regelkreislauf, werden Wahlen als Rückkopplung beschreibbar, die dem System Feedback zuführen. Ein solches Systemspiel wird zur Politiksimulation, mit lediglich stabilisierender Funktion, die alle eventuellen Widerstände integriert oder ausschließt. Politik im Sinne des Aushandelns von Interessen verschiedener Gesellschaftsgruppen und -mitglieder findet nicht (mehr) statt. (8)
Es mag übertrieben sein zu behaupten, die kybernetische Perspektive habe sich vollständig durchgesetzt. Dass sie aber am merkwürdigen Bild von Gesellschaft und Politik mitgewirkt hat, zeigt sich auch am Impetus, mit dem Entscheidungsträger auf Statistiken und Meinungsforschung bauen, und an der Abhängigkeit politischer Debatten von Umfragen. Der Eindruck drängt sich zudem auf, wenn etwa Demonstrationen, also ziviler Ungehorsam, als Störung der „öffentlichen Ordnung“ bezeichnet oder komplett kriminalisiert werden. Emanzipation, im Sinne von Freiheit, Mitsprache, Partizipation, ist im kybernetisch imprägnierten Demokratieverständnis nicht angedacht.
Bildstörung und lebenspraktische Kritik
„Ein Bild hält uns gefangen“ – analog zu Ludwig Wittgensteins Diktum vom Verfehlen philosophischer Klarheit aufgrund falscher metaphysischer Vorstellungen bleibt angesichts der (Maschinen-)Metaphern als Ausweg nur die Suche nach befreienden, also angemesseneren Bildern. Dazu reicht es natürlich nicht, eine neue Trope vorzustellen in der Hoffnung, sie möge viele Menschen überzeugen. Man kann noch so oft vom Schlaraffenland schwärmen, die Bienenfabel wird man damit nicht sofort los. Zugleich gilt es, ihre Metaphorik auszuhöhlen.
Beim Wissensmanagement ist das auf Ebene einzelner Einrichtungen realisierbar. Hier versperren neben der scheinbaren Plausibilität des Wissensmodells ja zuallererst Faktoren wie Zeitknappheit und ökonomischer Druck Einsichten. Mit dem Argument der wirtschaftlichen Unsinnigkeit des technisch-reduktionistischen Wissensbegriffs lassen sich die Verantwortlichen gewiss überzeugen. Genauso könnte man einfach warten, bis sich bei allen die Erkenntnis durchsetzt oder die Spreu vom Weizen trennt. Gesamtgesellschaftlich wird ein solches Umdenken zur längeren Angelegenheit, aber immerhin kann man hier noch – wenn auch unter ungleichen Vorausetzungen – um Wissen und Bildung streiten.
Ein solch kritisches Unterfangen wird bezüglich des kybernetischen Demokratiekreislaufs erheblich schwieriger ausfallen, gelten schon die Infragestellung und der Einspruch als systemische Störung. Diese müssten – der kybernetischen Logik nach – entweder ins System integriert und damit wirkungslos oder vom Diskurs ausgeschlossen werden. Bloße Gegenbilder reichen hier nicht aus. An dieser Stelle muss ein Verweis auf einen nicht theoretisch verharrenden, beharrlichen Prozess der Kritik genügen. Eine lebenspraktische Kritik, welche mit Foucault eben jene Kunst ist, „nicht dermaßen regiert zu werden“. (9)
„Uns interessiert hier, was unterhalb der Technologie geschieht und ihr Spiel durcheinanderbringt. [...] es handelt sich um tatsächliche Praktiken. [...] Sie bilden keine Nischen in der ökonomischen Gesellschaft. Sie haben nichts mit den Marginalitäten zu tun, die immer sehr schnell von der technischen Organisation integriert werden, um sie zu Bedeutungsträgern und Tauschobjekten zu machen. Im Gegenteil, denn mit ihnen dringt eine nicht-codierbare Differenz in das glückliche Verhältnis ein, welches das System allzu gern mit den Handlungsweisen eingehen möchte, deren Verwaltung es beansprucht. [...] es handelt sich um unsere eigene Subversion.“ (10)