19.07.2010

Kinder als Öko-Spione

Essay von Frank Furedi

Frank Furedi erinnert sich an die Erziehungsmethoden im stalinistischen Ungarn. Man arbeitete mit der Angst – so wie heute viele Umweltschützer.

Kinder mit dem Mittel der Angst zu sozialisieren hat eine lange und traurige Tradition. Diese Sozialisation durch Angst zielt auf zwei Dinge: Erstens soll das Kind die Werthaltungen des Angstmachers annehmen; zweitens will man die Kinder dazu benutzen, das Verhalten der Eltern zu beeinflussen oder wenigstens zu erfassen.

Früher, als ich im stalinistischen Ungarn zur Schule ging, warnte man uns Kinder oft vor den vielen Bedrohungen, denen unser glorreiches Regime ausgesetzt sei. Wir wurden häufig dazu aufgerufen, unseren fehlgeleiteten Eltern von den neuen und großartigen Werten unserer weisen Anführer zu erzählen. Die „Großen Brüder“ der 40er-Jahre sahen in den Kindern vor allem ein Instrument zur moralischen Erpressung und sozialen Kontrolle. Und so betrachtet man sie auch heute im 21. Jahrhundert wieder und instrumentalisiert ihr Interesse für das Wunder des Lebens als Vehikel für die Botschaft des überspannten Klima-Alarmismus.

Das offizielle Eröffnungsvideo der Klimakonferenz von Kopenhagen verdeutlicht dies überaus anschaulich. Der vierminütige Film mit dem Titel „Save the world“ erfreut sich bis heute großer Beliebtheit auf Youtube und beginnt mit glücklich lachenden Kindern auf einer Schaukel. Plötzlich fängt es an zu regnen, und sie müssen schnell Schutz suchen. Die Botschaft ist klar: Das Klima bedroht unseren Lebensstil. In der nächsten Einstellung lauscht ein kleines Mädchen besorgt verschiedenen TV-Nachrichtensprechern, die alle von den drohenden Umweltkatastrophen berichten. Dann sehen wir das Mädchen friedlich schlafend im Bett mit ihrem Stoff-Eisbären im Arm, und plötzlich wird der Zuschauer in ihren Albtraum hineingezogen. Sie steht ängstlich und verloren in einer ausgedörrten und unheimlichen Landschaft; plötzlich tut sich die vertrocknete Erde auf, und in Todesangst läuft das Mädchen zu einem einsam in der Ferne stehenden Baum, um dort Schutz zu suchen. Ihr Stoff-Eisbär fällt in eine frisch aufgerissene Erdspalte; schreiend versucht sie auf den Baum zu klettern, um ihr Leben zu retten. Am Ende des Videos ermahnt uns eine Gruppe von Kindern: „Bitte, helft der Welt.“

Das Video entstammt zwar dem Kontext der Klimakonferenz von Kopenhagen, aber gleichwohl ist es typisch für die fortlaufende Propaganda, der Kinder heute ausgesetzt sind. Die traditionelle moralische Erziehung hat sich anscheinend erschöpft, und Lehrer sind nicht mehr in der Lage, den Unterschied zwischen Gut und Böse zu beurteilen, geschweige denn zu erklären. Die Vorstellungen der Umweltschützer sind offenbar die letzten Werte, mit denen Erzieher sich noch einverstanden erklären können. Und deswegen prägen diese Werte nunmehr die Lehrpläne der Schulen in vielen Ländern.

Im Mittelalter war es die Religion, die im Zentrum der Lehre praktisch jedes Faches stand. Die Studenten wurden nicht im Zweifel darüber gelassen, welche Haltung die Kirche noch zu den speziellsten Detailfragen der gelehrten Themen einnahm. Und heute sind es die Umweltschutzthemen, die so weit in die Lehrpläne Eingang gefunden haben, dass sie für Fächer wie Geografie, Naturwissenschaft, Gesundheitsvorsorge oder Sozialverhalten bereits prägend sind. Sie dringen inzwischen auch in die Bereiche Geschichte und Literatur vor. Die Bedeutung der Umweltthemen in den Schullehrplänen wächst proportional zum moralischen Analphabetismus und Sinnverlust in der Gesellschaft. Selbst die Religionsstunde muss sich heute dem Dogma des Umwelt-Alarmismus unterordnen.

Umgekehrte Sozialisation

Die Angstmacher übertragen ihre Werte auf die Kinder, um deren Empörung so zu kanalisieren, dass sie zu Abneigung gegen die älteren Generationen wird, die angeblich den Planeten zerstören. Im Kopenhagen-Video sagt ein Kind, es sei „wütend“ und: „Ich bin doch nur ein Kind.“ Die Botschaft ist klar: Die Erwachsenen haben ihre Kinder im Stich gelassen. Andere gehen weiter und machen die ältere Generation für eine so weitgehende Umweltzerstörung verantwortlich, dass das Überleben künftiger Generationen in Gefahr sei. Hier lautet die Botschaft: Erwachsene sind gierig, dumm oder beides. Diese pessimistische Beurteilung des Verhaltens Erwachsener geht fließend über in eine unverhohlene Abneigung gegen den moralischen Zustand der älteren Generation und ihrer sogenannten „Weisheit“. „Die Erwachsenen haben unsere Welt zugrunde gerichtet“, lautet die Überschrift eines Artikels in einem Online-Magazin, das sich an Kinder richtet. Es wird davor gewarnt, dass „die Erwachsenen die Welt ruinieren, in der wir aufwachsen“, und gefragt: „Was bedeutet der Klimawandel für uns als die Generation von morgen?“ (1)
Ein anderer, in Großbritannien populärer Wortführer des grünen Denkens erklärt den Kindern: „Wegen des Verhaltens deiner Eltern und Großeltern ist es heute ein Gräuel, wenn man einen Blick auf den Planeten Erde wirft.“ Und weiter heißt es: „Sie mögen es leugnen, aber sie stehlen dir deine Zukunft.“ (2) Erwachsene sind keine Rollenvorbilder mehr, sondern werden dafür an den Pranger gestellt, dass sie Kindern ein schlechtes Beispiel geben. Da überrascht es nicht, wenn ein Schulleiter, der 2008 das an englischen Schulen vorherrschende Verhalten untersuchen sollte, den moralischen Zeigefinger vorwurfsvoll auf die Eltern richtet, deren unangemessenes Verhalten „für junge Leute ein schlechtes Beispiel“ sei. Er sagte: „Wir leben in einer Kultur der Gier“, in der „wir uns gegenseitig schlecht behandeln“, und „die Kinder ahmen dieses Verhalten nach“. (3) Und wenn die Erwachsenen ein derart schlechtes Beispiel abgeben, wie kann man ihnen dann die Aufgabe anvertrauen, ihre Kinder auf die Welt vorzubereiten, in der sie leben müssen?

Die Kehrseite der Entwertung elterlicher Autorität ist die Sakralisierung der Kindheit. Kindern wird zunehmend die Rolle des Erziehers zugewiesen, der die fehlgeleiteten, gierigen und dummen Eltern aufklären muss. Das hat zu umgekehrten Verhältnissen bei der Sozialisation geführt. Im Bereich Umweltschutz wird „die Macht zu nerven“ systematisch zur Sozialisation Erwachsener genutzt. Viele Umweltschützer sehen in der „Macht zu nerven“ ein willkommenes Mittel zur Änderung des Verhaltens Erwachsener. David Uzzell, Professor für Umweltpsychologie an der Universität Surrey in England, erinnert sich an eine Erzieherkonferenz, „auf der die Anwesenden völlig überzeugt davon waren“, in der Macht zu nerven liege „die Antwort“ auf das Problem des Klimawandels. (4) Uzzells eigene Forschungen konzentrieren sich auf „intergenerationelles Lernen durch Übertragung der persönlichen Erfahrung des Kindes auf die Eltern / andere Erwachsene / das Zuhause“. (5)

Die Beiläufigkeit, mit der auf die Übertragung der Erfahrungen von Kindern auf Erwachsene Bezug genommen wird, macht deutlich, wie normal diese umgekehrte Sozialisation bereits geworden ist. In den USA schreibt die schulische Umwelterziehung den Kindern bereits seit mehr als zehn Jahren systematisch Autorität über bestimmte Erwachsene zu. Laut Berichten der New York Times versuchen „Öko-Kinder“ bereits, „ihre Eltern zu Hause zur Rechenschaft zu ziehen“, und die Eltern reagieren „unter dem wachsamen Auge der halbstarken Ökopolizei“ durchaus defensiv. (6) Überall in den USA nutzen die Schulbezirke den Idealismus der „Öko-Kinder“ für sich aus und integrieren die Umweltwerte in nahezu jedes Schulfach. Auch Politikern und Regierungen dient die Umwelterziehung mittlerweile als effektives Instrument zur Beeinflussung und Verwaltung des Verhaltens der Öffentlichkeit. Der britische Labour-Abgeordnete Malcolm Wicks sieht in den Werten des Umweltschutzes „vitale Lernhilfen für die Fächer Naturwissenschaft, Sozialkunde und Geografie“, und weil die Kinder diese Inhalte aufnehmen „werden sie anfangen, die Eltern zu erziehen“. „So können wir das Verhalten ändern“, sagt er. (7) Ähnlich äußerte sich auch der britische Außenminister David Miliband: Für ihn sind Kinder „der Schlüssel zur Veränderung der langfristigen Haltungen der Gesellschaft gegenüber der Umwelt“. Laut Miliband wollen Kinder „nicht nur leidenschaftlich den Planeten schützen“, sondern haben auch „erheblichen Einfluss auf Lebensstil und Verhalten der Familie“. (8) Der ehemalige britische Bildungsminister Alan Johnson schrieb, Kinder hätten „eine Doppelrolle als Verbraucher und als Einflussnehmer“, und daher müsse man sie „nicht nur über die Auswirkungen des Kaufs eines zweiten Paars Sportschuhe nur um der Mode willen informieren, sondern man muss sie auch dazu anhalten, Druck auf ihre Eltern auszuüben, damit sie ein Auto mit niedrigem Benzinverbrauch kaufen“. (9)

Ein Bericht mit dem Titel „The role of schools in shaping energy-related consumer behaviour“ (Die Rolle von Schulen bei der Prägung energie-relevanten Konsumentenverhaltens) propagiert die Förderung von Bildungsinitiativen mit potenziellen Auswirkungen auf das elterliche Verhalten. (10) Eine solche Initiative wird beispielsweise von Andrew Sutter betrieben – an dem Programm „Eco-Schools“ sind 5500 Schulen beteiligt. Laut Sutter bekommen die Kinder hier Gelegenheit, „als Lehrer aufzutreten und den Eltern zu sagen, was zu tun ist, um einen Wandel zu erreichen“. (11) Diesen Punkt unterstreicht auch ein britischer Regierungsbericht zum Thema Energie, demzufolge die „Installation erneuerbarer Energien in den Schulen den Lehrplan lebendiger gestalten kann, als das mit Schulbüchern möglich ist“. Weiter heißt es in dem Bericht: „Weil Schulen oft den Mittelpunkt des Gemeinwesens darstellen, kann die Installation erneuerbarer Energien auch einen Beitrag zur Gestaltung des umfassenderen Gemeinwesens leisten. “ (12)

Oft zeigt die Mobilisierung der „Macht zu Nerven“ zur Änderung des Verhaltens von Erwachsenen Züge eines fanatischen Kreuzzugs. In seinem Buch How to turn your Parents green fordert James Russell Kinder dazu auf „denen, die unsere Welt ungehemmt zerstören, das Leben durch Quengeln, Nerven, Schikane und Strafe schwer zu machen“. Russell ermutigt Kinder, „die Macht zu nerven zu kanalisieren und ihre Eltern und andere Übeltäter zu bestrafen“. (13)

Früher haben nur totalitäre Gesellschaften die Kinder zur polizeilichen Überwachung des elterlichen Verhaltens mobilisiert. Es waren die Großer-Bruder-Staaten nach Orwell’schem Muster, die die einfachen Anschauungen der Jugend bezüglich Gut und Böse zur Gestaltung des Ausblicks der Erwachsenen instrumentalisierten. Aber wer braucht noch den Großen Bruder, wenn sogar schon der frühere britische Premierminister Tony Blair offen behauptet, „beim Klimawandel sollten die Eltern auf ihre Kinder hören“?(14) Mittlerweile gilt das Ausnutzen der Ängste und Sorgen der Kinder offenbar als eine Form aufgeklärter Erziehung. In Wirklichkeit ist es für eine gelungene Zukunft unserer Kinder erforderlich, dass wir ihnen existenzielle und moralische Sicherheit geben. Statt ihre Ängste zu nähren, müssen wir ihren Glauben an unser Potenzial zur Gestaltung einer besseren Zukunft für unsere Welt stärken.

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