25.02.2010

Yes, we can, and they cannot

Essay von Boris Kotchoubey

Der Mensch ist kein Affe. Etwas anderes zu behaupten, wäre affig.

Seit in der Mitte des 19. Jahrhunderts die Entstehung des Menschen aus dem Tierreich zuerst in der Naturwissenschaft und später auch in der Gesellschaft akzeptiert wurde (wozu die Darwin’sche Theorie den größten, aber nicht ausschließlichen Beitrag leistete), stellte sich die Frage, ob es ein spezificum humanum gibt, welches das Verhalten des Menschen grundlegend vom Verhalten anderer Tiere unterscheidet. Schon Darwin selbst und seine direkten Nachfolger hielten das für die zentrale Frage der Evolutionstheorie. (1)

Trotz aller Bemühungen Darwins um eine sachliche Diskussion wurde diese Frage von Anfang an ideologisch besetzt. Das ist sie nach anderthalb Jahrhunderten auch heute noch. In Deutschland aber, mit den Besonderheiten der deutschen geistigen und politischen Geschichte, die uns zwingt, alle Welt nach rechts und links zu unterteilen, kann man nicht nur über Ideologisierung, sondern auch über eine gefährliche Politisierung sprechen. Einerseits steht rechts die konservative Kirche, allen voran die verhassten Evangelikalen, die jegliche Ähnlichkeit des Menschen als Abbild Gottes mit niederen Geschöpfen leugnen, denen gegenüber auf der guten, linken Seite die Naturwissenschaft als die Kraft des Fortschrittes steht, die uns schwarz auf weiß beweist, dass jeder von uns nichts anderes ist als ein haarloser Schimpanse. Andererseits steht genau umgekehrt rechts die „Biologisierung“, die den Menschen von seinem Erbgut determiniert sieht, deren Position direkt an Rassismus grenzt und Assoziationen mit der Praxis des Nationalsozialismus weckt, während links die postmoderne Auffassung vom Menschen als sozialhistorischem und daher sich immer in Veränderung befindendem Wesen steht (Sartre: „Der Mensch hat keine Natur.“).

Schon daran, dass diese zwei Polarisierungen, die einander total widersprechen, gleichzeitig existieren (oft auch im selben Kopf), wird klar, dass all die Versuche, die Antwort auf die Frage nach dem Unterschied zwischen Mensch und Tier in politisch-ideologischen Begriffen zu formulieren, blanker Unsinn sind. Die zwei Beispiele des Unsinnes hat der Autor im vorigen Absatz vor allem als Filter angeführt: Wer sich mindestens eine dieser Rechts-links-Figuren (geschweige denn beide) zu eigen macht, braucht das Weitere nicht mehr zu lesen.
Der Punkt ist, dass die Anerkennung des Menschen als ein biologischer Organismus, dessen Verhalten genauso wie das anderer Organismen in der Anatomie und Physiologie dieses Organismus verankert ist, keineswegs zur Leugnung grundsätzlicher Unterschiede zwischen Mensch und Tier führen muss. Denn schon Anatomie und Physiologie des menschlichen Köpers unterscheiden sich von denen anderer Primaten dramatisch. Kein Wunder, denn die Menschenaffen sind zwar unsere nächsten Verwandten, aber in der Tat sind sie von uns ziemlich entfernt. Etwas vereinfacht kann man sagen, dass der Abstand zwischen mir und einem Schimpansen etwa viermal so groß ist wie der zwischen meiner Hauskatze und einem Löwen aus Afrika. Obwohl kaum ein Biologie heutzutage daran zweifelt, dass wir mit dem Schimpansen gemeinsame Ahnen haben, sind alle Glieder der Kette, die uns durch jene Ahnen verbindet, ausgestorben, und ihr Verhalten kann nicht aufgrund von Ausgrabungen wiederhergestellt werden.

Zum Glück haben einige namhafte Verhaltenforscher in den letzten Jahren über die ideologischen Oppositionen hinaus mehrere konstruktive Hypothesen über die Besonderheiten des menschlichen Verhaltens vorgeschlagen und mit Fakten untermauert. (2) Im Folgenden versuchen wir, diese Ideen zusammenzufassen. Wir lassen die zahlreichen morphophysiologischen Spezifitäten des Menschen, vom aufrechten Gang bis zur erstaunlichen Fähigkeit zum Ausdauersport, einmal beiseite, weil ihre Bedeutung für das, was wir den menschlichen Geist nennen, noch klärungsbedürftig ist. Viel deutlicher ist aber diese Bedeutung bei einer anderen Eigenschaft: der erstaunlich langen Reifezeit. Dies liegt nicht einfach daran, dass Menschen sehr unreif geboren werden. Katzen und Kaninchen werden noch weniger reif geboren, das macht sie aber nicht zu Menschen.

In der Entwicklung der Menschen können mindestens fünf Phasen deutlich unterschieden werden: das Säuglingsalter, die frühe Kindheit (bis ca. sechs Jahre), die späte Kindheit, die Pubertät und das Erwachsenenalter. Das Säuglingsalter als separate Phase gibt es bei allen unreif geborenen Tieren. Doch weder die frühe Kindheit noch die Pubertät sind bei anderen Säugetieren bekannt. Die frühe Kindheit wird z.B. durch eine konstante Wachstumsrate des Körpers charakterisiert (3) sowie durch Milchzähne und die starke Abhängigkeit von den Älteren. Andere Primaten (und nahezu alle sonstigen Säugetiere) bekommen so lange Muttermilch, bis sie permanente Zähne haben und sich praktisch selbstständig ernähren können, was bei uns ungefähr der späten Kindheit entspricht. Nur wir Menschen haben eine Zwischenphase, in der das Kind einerseits bereits physiologisch unabhängig von der Mutter ist (die sich jetzt eine weitere Schwangerschaft leisten kann), andererseits noch völlig abhängig von der Gruppe im Ganzen, die sich um es kümmern muss. Damit wird das menschliche Kind von Anfang an ein soziales Wesen, ein Mitglied einer Gesellschaft. Im Gegensatz zum relativ langsam wachsenden Körper wächst das Gehirn der Menschen während der frühen Kindheit sehr schnell, was das Einbezogensein in das komplexe soziale Netzwerk widerspiegelt. Genauso unbekannt ist im Tierreich die Pubertätsphase, am einfachsten erkennbar durch eine plötzliche Beschleunigung des Körperwachstums. Diese Zeit charakterisiert sich durch völlig verschiedene Entwicklungsprozesse bei Jungen und Mädchen, mit unterschiedlichen Dissoziationen zwischen Köpergröße, Geschlechtsmerkmalen und Fertilität.

Sich spielend entwickeln

Eine der vielen wichtigen Folgen dieser langen und komplizierten Entwicklung ist eine absolut einzigartige Spiellust und Spielbereitschaft der Menschen. Viele Tiere spielen, von Säugetieren und Vögeln bis zu möglicherweise sogar Tintenfischen, aber keines so viel und gründlich wie der Mensch. Schon Konrad Lorenz bemerkte, wie erstaunlich schnell Menschenaffen die Lust, zu spielen und etwas Neues auszuprobieren, verlieren. Es handelt sich dabei nicht um die Lernfähigkeit. Menschenaffen kennen anscheinend keine Alzheimer-Krankheit und können bis ins hohe Alter Neues lernen – wenn sie dafür belohnt werden. Umsonst tun sie es aber nicht. Der niederländische Historiker Johan Huizinga stellte in seinem Bestseller Homo ludens, den er in der nicht gerade zum Spielen einladenden Zeit von 1938/39 schrieb, die gesamte menschliche Kultur als ein System von Spielen dar. (4) Das Spielen von Menschen ist ausgesprochen sozial. Schon Kleinkinder sind vom Spielen mit Erwachsenen begeistert und bestehen auf Fortsetzung der spielerischen Kommunikation. Wieder ein krasser Unterschied zu Affen: Die kommunizieren gern miteinander, aber nur, wenn sie von der Kommunikation einen unmittelbaren Nutzen erwarten. (5)

Wer spielt, manipuliert zwecklos mit herumliegenden Objekten und entdeckt eventuell, dass sie als Werkzeuge verwendbar sind. Schon der Vorgänger des gegenwärtigen Menschen, nicht umsonst Homo habilis genannt, war in der Lage, sehr komplizierte Werkzeuge mithilfe anderer Werkzeuge zu produzieren. Menschenaffen sind in dieser Hinsicht nicht nur meilenweit von der gesamten Gattung Homo entfernt, sie bleiben in puncto Werkzeug auch hinter intelligenten Vögeln wie Krähen und Papageien zurück. Das Werkzeug öffnete unseren Vorfahren eine Sphäre objektiver (vom Organismus unabhängiger) Eigenschaften der Dinge. Eine Banane ist nur essbar, solange es jemand gibt, der sie isst. Ein Stock dagegen, mit dem ich diese Banane reiche, ist hart, und diese Härte bleibt seine Eigenschaft, unabhängig davon, ob jemand ihn benutzt oder nicht.

Erst vor dem Hintergrund des Spiels und der Werkzeugnutzung entsteht aus der Gestik der Affen eine neue Art des Kommunizierens, die Symbole und symbolische Systeme benutzt: die Sprache. Die sogenannten Sprachen der Tiere sind keine echten Sprachen, da sie Zeichen verwenden, die einen natürlichen Bezug auf das Bezeichnete haben. Ein Angstschrei z.B. ist keine bloße Bezeichnung der Angst, sondern vielmehr ein physiologisch bedingter organischer Ausdruck dieses Zustandes. Das Wort „Angst“ hat dagegen keinen notwendigen Bezug auf den Zustand, es könnte genauso gut eine andere Lautkombination sein wie peur oder strah. Wie Huizinga vermutete und Wittgenstein später zeigte, kann eine menschliche Sprache nur als symbolisches Spiel entstehen, etwa wie das Schachspiel, in dem alles zwar bedeutsam ist, aber diese Bedeutungen aus den im Grunde willkürlichen, arbiträren Regeln abgeleitet werden.

Virtuelle Realität des menschlichen Bewusstseins

Jede Komponente dieser Dreierkombination (Spiel – Werkzeug – Kommunikation) unterscheidet den Menschen vom Tier zwar sehr stark, aber immer noch quantitativ. Die Kombination aller drei Komponenten erzeugt aber eine vollkommen neue Eigenschaft: das „Abspielen“ seines Verhaltens in einem „symbolischen Raum“, in einer „zweiten Wirklichkeit“. In der Tat ist schon jedes Spiel eine andere Wirklichkeit in dem Sinne, als dass das Verhalten keine üblichen Konsequenzen hat und dass es jeden Augenblick abgebrochen und erneut begonnen werden kann. Ein Raubtier, das bei der Jagd kein Glück hat, kann verhungern, im Jagdspiel aber droht ihm nichts. Allerdings finden Spiele doch in der realen Umgebung statt, daher sind Konsequenzen (z.B. Verletzungen) nicht ausgeschlossen. Auch in den Übungen können Soldaten sterben, nicht nur im Krieg. Durch die Verschiebung der Spieltätigkeit in den Bereich symbolischer Prozesse verschwinden die letzten Einschränkungen, und das Verhalten wird völlig virtuell, was subjektiv als bewusstes Denken oder als Vorstellung erlebt wird.

Während ein Tier, sogar ein sehr intelligentes, stets in der Welt seiner laufenden Interaktionen mit seiner Umgebung lebt, hat der Mensch die Möglichkeit, in dieser virtuellen Realität seine Interaktion mit seiner Umwelt anzuhalten und damit den Lauf der Ereignisse zu unterbrechen. Er erhält damit zusätzlich zu seiner primären Zeit, in der seine biologische Existenz, wie auch die Existenz jedes anderen Tieres, abläuft, noch eine weitere Zeitachse, an der entlang er sich in die Vergangenheit wie in die Zukunft bewegen kann. Die Idee, die viele Philosophen von Augustin bis Heidegger geäußert haben, wurde zuerst in den Studien der Kinderpsychologin Bischof-Köhler (6) empirisch untermauert und später von mehreren Psychologen und Neurobiologen überprüft: Den Menschen unterscheidet von allen anderen Lebewesen sein Verhältnis zur Zeit. (7) Im Alter von drei bis vier Jahren beginnen Kinder, aktiv über Ereignisse von gestern und über Pläne für morgen zu reden. Bei jeder Tätigkeit können wir einen Schritt zur Seite machen und uns fragen: „Was tue ich?“ und „Was soll ich tun?“, wobei die zeitliche Entfernung keine Rolle spielt. Einen Plan für das nächste Jahr zu entwerfen ist nicht schwieriger als einen für die nächste Stunde.

Natürlich haben Tiere auch ein Gedächtnis und Zukunftspläne. Aber ihr Gedächtnis bedeutet, dass das momentane Verhalten durch vorherige Erfahrung beeinflusst wird; so läuft der Pawlow’sche Hund auf die Glocke zu, weil sie in seiner Erfahrung mit Futter verbunden war. Ihre Vorhersagekraft bedeutet wiederum, dass das momentane Verhalten nicht auf die gegenwärtige, sondern auf eine künftige Lage reagiert; so springt ein Löwe nicht zu dem Punkt, wo sich gerade die Gazelle befindet, sondern zu dem, wo sie sich im nächsten Augenblick befinden wird. In allen Fällen steht jedoch das momentane Verhalten in der Mitte der Ereignisse. Und das ist eben bei Menschen nicht der Fall.

Bedeutung für die Umweltproblematik

Alles Verhalten, wie Pawlow, Skinner und andere zeigten, wird von seinen Konsequenzen gesteuert. Sind die Konsequenzen positiv, so machen wir weiter so; sind sie negativ, dann ändern wir es. Je sofortiger die Konsequenz, je kürzer das Intervall zwischen dem Verhalten und ihr, umso wirksamer ist sie. Und nur der Mensch ist in der Lage, dieses „Gesetz der kurzen Zeit“ zu brechen und sich durch beliebig weit entfernte Konsequenzen seines Tuns steuern zu lassen. Klar, dass die Sorge um die Zukunft des Planeten, wie sie in verschiedenen Ökobewegungen durchscheint, auch ein Ausdruck dieser Fähigkeit ist, unsere Aktivitäten auf Ziele zu richten, die weit über den unmittelbaren Nutzen und die sofortige Befriedigung hinausgehen. Aber genauso klar muss sein, dass wir das Ziel, die Natur zu bewahren, nur dann erreichen können, wenn wir uns außer- und oberhalb der Natur positionieren. Denn die Natur, wie der britische Biologe Richard Dawkins in einem Brief an Prinz Charles formulierte, denkt an ihren Erhalt nicht im Geringsten. (8) Im Gegenteil löscht sie blind und gnadenlos alles aus, was sie schafft. Genau der dumme Raubkapitalist, der wegen momentanen Profits Hunderte Hektar Wald abholzen lässt, ist ein perfektes Naturwesen. Jedes Tier würde dasselbe tun, wenn es nur könnte. Noch eher der erste Homo sapiens erschien, wurden 99 Prozent aller Pflanzen- und Tierarten, die im Laufe der Evolution entstanden, durch dieselbe Evolution wieder vernichtet.

Das Motto „näher an die Natur“ ist deshalb so verkehrt wie kaum ein anderes: Nur der Mensch besitzt die Fähigkeit, sich um seine weitere Zukunft zu sorgen und an sein mehr als nur augenblickliches Gedeihen zu denken. Obwohl das oberflächlich paradox klingt, kann das Ziel der Bewahrung der Natur prinzipiell nur durch künstliche (technische) Mittel erreicht werden. Die Natur enthält nicht nur keine Mittel für ihre eigene Bewahrung, sie verstünde auch den Zweck nicht, wozu diese Mittel angewendet werden könnten.

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